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Casas Adobes war eine Lehmhüttensiedlung, in der es nichts gab, was eine junge Frau hätte reizen können. Der kleine Ort erschien Claire-Marie wie ein Friedhof, auf dem sie schon zu Lebzeiten begraben worden war.
In den nahe gelegenen Bergen jedoch hatte sie stets einen Zufluchtsort gefunden, um mit sich und ihren Träumen an eine bessere Zukunft allein zu sein. Hier fand sie die Kraft und den Glauben, der Hoffnungslosigkeit ihres Daseins irgendwann doch noch entrinnen zu können.
Heute aber hatte sich ihre Zuversicht schlagartig ins Gegenteil verkehrt. Und neben der nackten Angst gab es nur einen einzigen Instinkt, der Claire-Marie beseelte: der Bestie zu entkommen, die ihr mit unerbittlicher Entschlossenheit auf den Fersen war!
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Das Ende eines Höllenhunds
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Boada/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4377-9
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Das Ende eines Höllenhunds
Casas Adobes war eine Lehmhüttensiedlung, in der es nichts gab, was eine junge Frau hätte reizen können. Der kleine Ort erschien Claire-Marie wie ein Friedhof, auf dem sie schon zu Lebzeiten begraben worden war.
In den nahe gelegenen Bergen jedoch hatte sie stets einen Zufluchtsort gefunden, um mit sich und ihren Träumen an eine bessere Zukunft allein zu sein. Hier fand sie die Kraft und den Glauben, der Hoffnungslosigkeit ihres Daseins irgendwann doch noch entrinnen zu können.
Heute aber hatte sich ihre Zuversicht schlagartig ins Gegenteil verkehrt. Und neben der nackten Angst gab es nur einen einzigen Instinkt, der Claire-Marie beseelte: der Bestie zu entkommen, die ihr mit unerbittlicher Entschlossenheit auf den Fersen war!
Keuchend lief sie voran, stolperte mehrmals auf dem felsigen Untergrund und trieb sich zu immer größerer Eile an. Ihr rauschte das Blut in den Ohren, und nicht nur einmal glaubte sie, ihr Brustkorb würde unter der Anstrengung bersten. Hastig kletterte sie einen Vorsprung hinauf, verlor einen ihrer Schuhe und zerrte sich unter Schmerzen auf die Kuppe. Flüchtig betrachtete Claire-Marie ihre aufgerissenen Handflächen, doch die stampfenden, schnellen Schritte ihres Verfolgers ließen sie die Schrammen vergessen.
Es ging um Leben oder Tod. Die junge Frau erkannte das mit glasklarer Deutlichkeit.
Sie riss sich auch den zweiten Schuh vom Fuß und setzte ihre Flucht auf blanken Sohlen fort. Hart grub sich das spitze und teils scharfkantige Gestein in ihre Füße, doch in ihrer Panik nahm sie es kaum wahr. Die groteske Gestalt, die gleich einem aufgescheuchten Raubtier an ihren Fersen hing, war nah. Viel zu nah, um Claire-Marie auch nur einen Moment an ihre Blessuren und die damit verbundenen Schmerzen denken zu lassen.
Wer war diese Kreatur, auf die sie in der Nähe einer Höhle gestoßen war? Und weshalb war sie hinter ihr her?
Claire-Marie konnte keine dieser Fragen beantworten und wusste nur, dass sie unglaubliches Glück gehabt hatte, als die schattenhafte Gestalt vorgesprungen war, um sie zu packen. Ihre Arme hatten ins Leere gegriffen, da Claire-Marie sich blitzschnell geduckt und zur Seite geworfen hatte. Der Fremde war mit dem Kopf auf Felsgestein geschlagen und hatte Claire-Marie jene entscheidenden Sekunden verschafft, die es ihr ermöglichten zu fliehen.
Für einen Augenblick sah die junge Frau die entstellte Fratze ihres Häschers vor sich. Kurz nur hatte sie einen Blick darauf erhaschen können, doch der Anblick würde sie ein Leben lang verfolgen. Unweigerlich spürte sie einen kalten Schauer über ihren Rücken laufen und zwang sich dazu, das Grauen aus ihren Gedanken zu vertreiben. Sie musste weiter, durfte nicht innehalten.
Hinter dem Vorsprung tauchte ein schmaler Pfad auf, der sich um eine steil aufragende Klippe wand. Genauso steil ging es auch in die Tiefe. Einen Steinwurf entfernt aber flachte das Gelände ab. Vielleicht würde Claire-Marie die Prärie erreichen und davonlaufen können.
Mit jedem Tritt auf sicheren Halt bedacht, schob sie sich über den Bergpfad, hinterließ eine blutige Fußspur und hörte das Knirschen von Gestein, mit dem der Entstellte herankam. Noch fühlte sich Claire-Marie sicher, denn auch er würde sich auf dem Felsensims nicht schnell fortbewegen können, falls er überhaupt in der Lage war, seinen massigen Körper auf dem beengten Grat in Balance zu halten.
Den Rücken an die Felswand gepresst, tastete die junge Frau sich Zentimeter für Zentimeter vor. Jeder noch so kleine Schritt, den sie tat, brachte sie ihrem Ziel näher. Nur noch wenige Schritte, und sie würde den seicht abfallenden Hang erreicht haben.
Sie warf einen Blick über ihre linke Schulter, um sich zu vergewissern, dass die Distanz zu ihrem Verfolger immer noch ausreichend war, um sich seinem Zugriff zu entziehen – und schrak zusammen! Keine zwei Armlängen entfernt schob sich die Bestie in Menschengestalt heran, verkrallte sich im Gestein und überwand nahezu spielerisch den schmalen Bergpfad.
Ein erstickter Aufschrei entrang sich Claire-Maries Kehle. Für einen Moment verlor sie die Kontrolle und wäre beinahe abgestürzt. Doch ihr eiserner Überlebenswille ließ sie rasch neuen Halt finden. Jede Vorsicht außer acht lassend, beschleunigte sie ihren Vormarsch, scheuerte an der Felswand entlang und setzte in höchster Verzweiflung zum Sprung an.
Sie segelte durch die Luft, krachte auf den Fels und rollte kreischend den Hang hinab. Bei jeder Drehung bohrte sich spitzes Gestein in ihr Fleisch, aber sie war nicht in der Lage, ihren haltlosen Sturz zu bremsen. Irgendwann, als ihr Leib nur noch aus einer einzigen Wunde zu bestehen schien, nahm die wirbelnde Talfahrt ein Ende. Wenige Lidschläge lang blieb Claire-Marie auf dem Rücken liegen und spürte das Pochen unzähliger Verletzungen. Doch sie vernahm auch das Rieseln von Geröll und das Stampfen schwerer Stiefel.
Im Nu federte sie hoch, knickte jedoch ein und fiel auf ihre Knie. Schlagartig war jede Kraft aus ihren Beinen gewichen. So sehr sich die junge Frau auch anstrengte, gelang es ihr nicht, auf die Füße zu kommen und davonzurennen.
Ihre Panik steigerte sich ins schier Unerträgliche. Auf allen vieren kroch sie vorwärts, holte sich blutige Schrammen an Knien und Beinen und wusste, dass sie dem Tod nicht mehr entkommen konnte.
Wie ein Gewittersturm klangen die polternden Schritte ihres Verfolgers in ihren Ohren. Ohne sich ein einziges Mal umzudrehen, mobilisierte Claire-Marie ihre letzten Kräfte, obwohl ihr die Aussichtslosigkeit ihres Fluchtversuchs längst bewusst geworden war.
Dann packte eine Pranke nach ihrem Fußgelenk und zog sie mühelos in die Höhe. Für wenige Augenblicke nur schwebte sie wenige Zentimeter über dem Grund, bis der Unbekannte sie herumwirbelte und fortschleuderte.
Der Aufschlag presste Claire-Marie die Luft aus den Lungen. Ihr Bewusstsein wollte schwinden, doch ein grausames Schicksal verhinderte, dass sie in gnädiger Ohnmacht versank.
»Bitte …«, hauchte sie entkräftet. »Was habe ich dir denn getan?«
Anstelle einer Antwort erfolgte lediglich ein kehliges Brummen. Gleich darauf senkte sich ein Schatten über Claire-Marie, und erneut sah sie dieses schreckliche Antlitz, das kaum mehr etwas Menschliches in sich barg.
Eine gewaltige Pranke erschien über ihrem Haupt.
Es war das Letzte, was Claire-Marie in diesem Leben sehen würde. Das wusste sie genau …
***
Corona lag bereits einige Meilen hinter Lassiter, Tucson unmittelbar voraus. Die Beschwerden des Brigade-Agenten, die noch aus den letzten Kämpfen gegen Norman Whitaker und seine Meute herrührten, hielten sich in Grenzen. Die Verletzungen waren lästig, schränkten Lassiter aber nicht länger ein.
Vor wenigen Stunden hatte er eine telegrafische Mitteilung nach Washington geschickt und voller Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass bereits ein neuer Auftrag auf ihn wartete. Offenbar hatte die Brigade Sieben die Nachricht in dem Vertrauen abgeschickt, dass Lassiter seine Mission erfolgreich durchführen und sie vor allen Dingen überleben würde. Ein ungewöhnliches Verhalten, doch allem Anschein nach bedingt durch die Dringlichkeit der neuen Aufgabe.
Lassiter hatte einen Blick auf die Unterlagen geworfen, die lediglich den Aufenthaltsort des Notars enthielten, der genaue Instruktionen bereithielt. Der Treffpunkt lag in Vermillion, einem Nest in South Dakota, was für Lassiter eine Zugfahrt quer durch die Vereinigten Staaten bedeutete.
Rasch hatte der Agent die Benachrichtigung zusammengefaltet und eingesteckt. Sein Mittelsmann würde sich gedulden müssen, denn vorher gab es eine Angelegenheit zu bewältigen, über die er die Brigade nicht zu informieren gedachte. Eine Angelegenheit, die nur Lassiter etwas anging.
Während er ritt, schweiften seine Gedanken ab. Er rief sich die Auseinandersetzung mit dem Kopfgeldjäger und Killer Maynard Cain ins Gedächtnis, dem kein Geschäft zu schmutzig war, als dass er sich nicht dafür bezahlen lassen würde. Dreimal waren er und Lassiter bisher aufeinandergetroffen, und erst bei ihrer letzten Begegnung hätte es zum entscheidenden Duell kommen müssen. Doch es war anders gekommen als gedacht. Cain hatte fliehen können, sodass das finale Gefecht zwar aufgeschoben, aber nicht aufgehoben war.
Mit dieser Tatsache hätte Lassiter noch leben können, nicht aber mit dem skrupellosen Vorgehen Maynard Cains. Viele Unschuldige in Corona waren ihm zum Opfer gefallen, Menschen, die für Cain einzig Mittel zum Zweck gewesen waren. Dieser Mann besaß eine Kaltblütigkeit, die viele hätte schaudern lassen. Zudem war er ein Profi, der mit seinem Revolver umzugehen verstand und seinen Gegnern stets einen Schritt voraus war. Diese Eigenschaften machten ihn nicht nur gefährlich, sondern unberechenbar.
Im gemäßigten Galopp bewegte sich Lassiters Grauschimmel voran, ließ die Prärie hinter sich und strebte Tucson entgegen. Anfangs waren die Häuser der Stadt nur verwaschene Flecken in der hitzeflirrenden Luft, doch mit jedem Meter, den Lassiter zurücklegte, schärften sich die Konturen. An der Stadtgrenze erwartete ihn eine Lehmhüttensiedlung, weiter die Mainstreet hinab ragten zwei- und dreistöckige Holzbauten auf. Es war ein Bild, wie es vielerorts in Arizona anzutreffen war. Kein Wunder, denn noch vor dreißig Jahren hatte Tucson zu Mexiko gehört und war erst durch den Gadsden-Kauf von 1853 an die Vereinigten Staaten gefallen.
Soweit Lassiter aus den Gazetten bekannt war, hatte man erst vor kurzem die University of Arizona gegründet, deren Eröffnung allerdings in unbestimmbarer Zukunft lag. Dennoch würde sie Familien aus dem näheren und weiteren Umkreis anziehen und Tucson stetig wachsen lassen.
Lassiter verscheuchte die Gedanken, die ihn von seiner Aufgabe ablenkten. Die Fährte, die Maynard Cain hinterlassen hatte, wies eindeutig in Richtung Tucson. Von hier aus standen ihm alle Wege offen. Mit der Southern Pacific ging es nach Osten, wo er auf das Schienennetz der Atchison, Topeka & Santa Fé wechseln konnte, um weiter nach Norden zu fahren.
An der Grenze zu Colorado kreuzte sich die Linie mit der Union Pacific, die einen Reisenden bis nach Seattle an der Westküste oder über Zubringerlinien nach New York an der Ostküste brachte. Für Cain würde es demnach keine große Mühe bedeuten, spurlos zu verschwinden – sofern dies seine Absicht war. Falls es eine Chance gab, ihn noch zu erwischen, musste es in Tucson geschehen.
Die Stadt empfing Lassiter mit einem quer über die Mainstreet gespannten Transparent, das auf einen großen Jahrmarkt hinwies. Bunte Girlanden waren an den Fassaden der Häuser zu sehen, und zwischen den flanierenden Menschen fanden sich immer wieder Gaukler in farbenfrohen Kostümen. Lassiter staunte nicht schlecht, als ihm auf der Straße ein bärtiger Kerl auf meterlangen Beinen entgegenkam. Kichernd blickte er auf den Agenten herab.
»Na, Kleiner«, schrillte der Riese ihm zu. »Wie ist die Luft bei dir da unten?«
»Ich kann mich nicht beklagen, Stelzenmann«, erwiderte Lassiter grinsend und ritt zwischen den mit Stoff verkleideten Holzbeinen hindurch. Gemütlich trottete er hinunter zum Marktplatz und vermeinte plötzlich eine Stimme zu hören, die ihm nur allzu bekannt war. Er stieg aus dem Sattel und führte sein Pferd durch die Menge bis zu einem Gatter, das einen kleinen Bereich einzäunte, in dem ein quirliger Kerl lautstark seine Schießkünste anpries.
»Kelly Logan …«, brummte der Mann der Brigade Sieben vor sich hin. »Der Kerl ist anhänglicher als eine Familie Filzläuse.« In Corona waren sich die beiden das erste Mal begegnet und einander mit äußerst gemischten Gefühlen gegenübergetreten. Logan war ein Einzelgänger, ein Satteltramp, der in den Tag hineinlebte und heute nicht wusste, was ihn morgen erwarten würde. Für einen vollen Magen verdingte er sich als Gehilfe bei allerlei Nebentätigkeiten, zuletzt als Aufpasser im Bordell »Harem’s Lot«. Dort war es auch gewesen, dass er in die Konfrontation mit Maynard Cain hineingezogen worden war.
»Ladys und Gentlemen!«, tönte Logan und ließ seinen Revolver in der Rechten kreisen. »Wer ist der Nächste? Wer hat den Mumm, sich vor das geschäftige Ende meiner Bleispritze zu stellen und sich ein winziges Zündholz aus den schweißfeuchten Fingern schießen zu lassen?«
Dem Schweigen der Menge folgte verhaltenes Raunen. Über Lassiters Miene huschte ein verschmitztes Lächeln. »Ich bin dabei!«, rief er aus und drückte einem der Zuschauer die Zügel seines Grauschimmels in die Hand. Sofort kletterte er über das Gatter und stellte sich grinsend vor Logan.
»Hab ich grauen Star oder sehe ich da ein bekanntes Gesicht?«, flachste der Tramp und zupfte an seinen Hosenträgern.
»Wenn’s mit den Augen nicht mehr so klappt«, versetzte Lassiter, »sollte ich statt des Streichholzes lieber eine Zaunlatte nehmen.«
Logan ging auf den Einwand nicht ein und drehte sich seinem Publikum zu. »Ein Spaßvogel mit großen haarigen Cojones, meine Damen und Herren! In wenigen Sekunden werden wir erleben, ob er so mutig ist, wie er tut, oder mit voller Hose den nächsten Abort aufsucht.«
Schallendes Gelächter schlug ihm entgegen, und Kelly Logan heizte die Stimmung weiter an. Vom Boden hob er einen Zweig auf, warf ihn in die Höhe und schoss darauf. Die Kugel sirrte daran vorbei, sodass der Zweig unversehrt ein paar Meter entfernt wieder im Staub landete.
»Holla!«, stieß Logan aus. »Wenn den jemand in der Hand gehalten hätte, müsste ihm seine Frau für den Rest seines Lebens die Steaks kleinschneiden.«
Erneut brandete Gelächter auf. Lassiter wusste, dass Logan nur eine Show abzog, um die Spannung zu erhöhen. Vermutlich waren die meisten der Versammelten gar nicht gekommen, um zu sehen, wie er ein Streichholz aus der Hand eines Mannes schoss, sondern vielmehr aus dem Grund, dass er es verfehlte und stattdessen die Finger erwischte. Er griff in die Brusttasche seines Hemds und fingerte ein Zündholz daraus hervor. »Meinetwegen können wir anfangen«, ließ er Logan wissen.
»Dann darf ich den Herrn bitten, zehn Schritte zurückzutreten.« Der Tramp bleckte seine Zähne und grinste keck. »Wir wollen es mir schließlich nicht zu leicht machen.« An die Zuschauer gewandt, meinte er: »Platzieren Sie Ihre Wetten! Mit einem Vierteldollar sind Sie dabei!«
»Zwei Dollar, dass der Kerl seine Finger verliert!«, schrie einer.
»Yeah!«, rief ein anderer. »Dafür lasse ich auch einen Dollar springen!«