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Über dem Ödland der Jornada del Muerto, das sich auf hundert Meilen erstreckte und das John Hanner und seine Leute seit gut zwei Stunden durchquerten, hing ein dunstiger Staubschleier. Die Männer in ihren Sätteln trugen Tücher um Mund und Nase. Sie hatten Socorro im Morgengrauen verlassen.
"Bist du sicher?", fragte Hanner, nahm dem Berittenen zu seiner Rechten das Fernrohr ab und spähte in die Wüste hinaus. "Ist er's wirklich?"
"Mich soll der Teufel holen, wenn ich mich täusche, Boss."
Auf Hanners schmalem Gesicht erschien ein zufriedener Ausdruck. Er hatte diesem Tag seit Jahren entgegengefiebert. Er nahm das Fernrohr herunter und schob es zusammen. "Dann holen wir uns den verdammten Scherbenkrämer!"
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Seitenzahl: 130
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Drei Rosen für Lassiter
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Boada/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4378-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Drei Rosen für Lassiter
Über dem Ödland der Jornada del Muerto, das sich auf hundert Meilen erstreckte und das John Hanner und seine Leute seit gut zwei Stunden durchquerten, hing ein dunstiger Staubschleier. Die Männer in ihren Sätteln trugen Tücher um Mund und Nase. Sie hatten Socorro im Morgengrauen verlassen.
»Bist du sicher?«, fragte Hanner, nahm dem Berittenen zu seiner Rechten das Fernrohr ab und spähte in die Wüste hinaus. »Ist er’s wirklich?«
»Mich soll der Teufel holen, wenn ich mich täusche, Boss.«
Auf Hanners schmalem Gesicht erschien ein zufriedener Ausdruck. Er hatte diesem Tag seit Jahren entgegengefiebert. Er nahm das Fernrohr herunter und schob es zusammen. »Dann holen wir uns den verdammten Scherbenkrämer!«
Das Schicksal jener schwarzen Natter, die unter dem Yuccabaum hervorgekrochen war, besiegelte Frank Tayer mit einem müden Peitschenhieb. Das Fuhrwerk des fünfundfünfzig Jahre alten Keramikhändlers holperte über das Reptil hinweg und quetschte ihm die Eingeweide aus dem Leib. Es war die fünfte Schlange, die Tayer an diesem Tag überfuhr, und sie kümmerte ihn ebenso wenig wie die vorangegangenen Tiere.
Die Jornada del Muerto verzieh keine Fehltritte.
Das dünne Buch aus Tayers Bibliothek, in dem der Händler vor zwei Wochen geblättert, hatte den Pfad des Todes als bedrückende Wüstenei beschrieben, in dem sich Sickerlöcher und Schlammfurchen abwechselten, die vom immerwährenden Wind zu losem Lehm zerrieben wurden. Seit dem kläglichen Ableben von Bernardo Gruber, der am Weihnachtsabend des Jahres 1666 betrunken damit geprahlt hatte, dass er Hexenkräfte besäße, und in der Folge in einem mexikanischen Zuchthaus gelandet war, aus dem heraus er wiederum seine todbringende Flucht in eben dieses Tal angetreten hatte, war im Jornada del Muerto kaum etwas geschehen.
Der ausgedörrte Landstrich zwischen den Caballo Mountains und den San Andres Mountains lauerte noch immer auf Opfer.
»Hiyah!«, rief Tayer und trieb die beiden Maultiere vor seinem Gespann vorwärts. Er hatte die Tiere mit seiner Ladung – einigen Kisten voller Porzellanrosen – bekommen und hoffte, dass sie bis hinauf nach Socorro durchhielten. Die beiden Wassersäcke hinten auf dem Wagen hatte er zuletzt am Paraje San Diego aufgefüllt.
Beim Anblick des halben Dutzends Kisten musste Tayer vor allem an seine Töchter denken.
Die drei Mädchen waren in Las Cruces zurückgeblieben, nachdem dem Händler die Dollars ausgegangen waren. Sie hatten ihn angefleht, sich nicht allein auf den Weg zu machen, doch Tayer hatte sich durchgesetzt. Er hatte den jungen Frauen versprochen, dass er sie holen kommen würde, sobald die Ladung in Socorro verkauft war.
Noch hegte Tayer eine Spur Hoffnung, dass es so kommen würde.
Die verdammten Mexikaner hatten ihn El Paso sprichwörtlich aufs Kreuz gelegt. Sie hatten ihm eine Fuhre feinstes chinesisches Porzellan versprochen, das über Fort Stockton und San Antonio aus Corpus Christi gekommen sei. Als er die Kisten jedoch geöffnet hatte, hatte die Hälfte der versprochenen Porzellanrosen in Scherben gelegen.
Zähneknirschend hatte sich Tayer daraufhin mit den Mexikanern geeinigt.
Angesichts der gut dreihundert Meilen bis hinauf nach Albuquerque und Santa Fé hätte er nicht mit leeren Händen zurückkehren dürfen. Das verdammte Gespann und die verdammten Maultiere hätten ihn mehr gekostet, als er durch den Verzicht auf die Porzellankisten gespart hätte.
»Verfluchtes Land!«, brummte Tayer und fasste die Zügel nach. Er spähte in die flimmernde Hitze hinaus, die über dem lehmigen Boden tanzte wie ein Schneegestöber in den winterlichen Rocky Mountains.
Und dann sah Tayer die Spanier.
Sie ritten in gemächlichem Galopp vor der Horizontlinie dahin und trugen die Uniformen der Conquistadores, was umso erstaunlicher war, wenn man in Betracht zog, dass es seit guten zwei Jahrhunderten keine spanischen Eroberer mehr in der Gegend gab. Die Silhouetten der Reiter verschwammen allmählich zu einer flackernden Fata Morgana.
Tayer wischte sich den Schweiß aus den Augen.
Er war gewiss nicht der Mensch, der an Spuk und Geister glaubte, doch von dieser Erscheinung ging etwas aus, das ihm durch Mark und Bein drang. Er verlangsamte die Fahrt des Gespanns und griff nach dem Buch neben sich.
Bern … Bernardo Gruber …
Auf den hinteren Seiten fand Tayer den Namen jenes bedauernswerten Deutschen, der seinerzeit vor der Inquisition geflohen und in diesem Teil der Jornada del Muerto zu Tode gekommen war. Man hatte ihn El Aleman genannt. Die Illustration auf der benachbarten Seite zeigte Grubers Häscher in spanischen Uniformen.
Die Berittenen in der Ferne glichen ihnen aufs Haar.
Trotz der Hitze lief Tayer ein kalter Schauer über den Rücken. Er nahm die Zügel an, warf das Buch hinter sich auf die Ladung und steuerte die Maultiere in die entgegengesetzte Richtung. Das Gespann rollte durch eine ausgewaschene Mulde und nahm wieder Fahrt auf. Unter dem Wagen drang das Ächzen der Achsen herauf.
»Lauft schon!«, knurrte Tayer und sah sich nach seinen vermeintlichen Verfolgern um. Sie hatten sich dem Keramikhändler weiter genähert und schienen ihre spanischen Uniformen plötzlich verloren zu haben. »Was zum Teufel …? Die verfluchte Wärme …!«
Die Männer auf ihren Pferden trugen nun die zerschlissene Kleidung von Wegelagerern und hatten Tücher vor dem Gesicht. Sie jagten durch die zitternde Hitze und hielten geradewegs auf Tayer zu.
Der Händler verspürte mit einem Mal blankes Entsetzen und schwang die Peitsche. Er wusste nicht, was jene Fremden von ihm wollten, und legte keinerlei Wert darauf, es in den nächsten Stunden herauszufinden. Die Maultiere waren frisch und würden ihn rechtzeitig zur Paraje San Diego zurückbringen.
Außerdem lag hinter Tayer die Flinte zwischen den Kisten.
Vor zwei Jahren hatten dem Händler die Apachen keine zwanzig Meilen südlich von dieser Stelle aufgelauert. Er hatte zwei von ihnen erschießen müssen und war den übrigen Kriegern entkommen, indem er sich eines der Pferde genommen und über die Caballo Mountains zum Rio Grande geritten war. Die Rothäute hatten einen halben Tag nach ihm gesucht und sich zum Schluss mit der Beute begnügt.
»Schneller!«, schrie Tayer nun und peitschte auf die Maultiere ein. Er vernahm ein Klirren und Knirschen aus den Kisten, wusste aber, dass die Porzellanrosen zu großen Teilen ausgezeichnet verpackt waren. Sie würden das geringste Problem auf Tayers Flucht sein. »Verdammte Klepper, lauft jetzt!«
Die Vermummten auf ihren Pferden heften sich ihm an de Fersen. Sie hatten Gewehre dabei und feuerten nach einiger Zeit Schüsse in die Luft ab.
Tayer schaute sich nach ihnen um und drosch mit der Peitsche auf die Maultiere ein. Er hatte das unbehagliche Gefühl, dass die Sache nicht so glimpflich zu Ende gehen würde wie der Überfall der Apachen.
»Verdammtes Land!«, wiederholte Tayer und duckte sich.
***
Las Cruces, zwei Wochen später
Auf dem Tresen des Apothekers lagen drei staubige Gebilde aus Porzellan, die Lassiter höchstens entfernt an jene Rosen erinnerten, von denen Henry Woodruff seit einigen Minuten sprach. Durch zwei von ihnen zog sich ein Längsriss, bei der dritten waren die Blütenblätter abgesplittert. Der Mann der Brigade Sieben hob die Hand, um den Redefluss des Apothekers zu unterbrechen.
»Verwirre ich Sie, Mr. Lassiter?«, fragte Woodruff mit der ihm eigenen Beflissenheit. Er war ein Mann mit knochigem Gesicht und grotesk langen Armen. »Ich möchte Ihnen diese Angelegenheit keinesfalls schwerer machen, als sie ohnehin bereits ist.«
Der Mann der Brigade Sieben schüttelte den Kopf und nahm eine der verstaubten Porzellanblüten zur Hand. Sie passte bequem in seine Handfläche. »Sie verwirren mich keineswegs, Mr. Woodruff. Mich erstaunt lediglich, dass von zweihundert, dreihundert …?«
»Zweihundertachtundvierzig«, sprang Woodruff ihm rasch bei.
»… dass von über zweihundert Rosen lediglich drei übriggeblieben sein sollen.« Lassiter legte die Rose auf den Tisch zurück. »Die Kisten mit Tayers Ladung dürften sich kaum in Luft aufgelöst haben.«
»Wir fanden eine Rose nahe Engle, die zweite keine vier Meilen vor Fort Selden und die vierte drüben in den White Sands«, berichtete Woodruff weiter. »Wer auch immer sie dort hinterlassen hat, wollte eine Fährte legen. Den gleichen Weg hat vermutlich auch Tayers Ladung eingeschlagen.«
»Sie gehen davon aus, dass es Tayer selbst war?«
Der Mittelsmann atmete tief durch und zog eine Schublade in der Verkaufstheke auf. Er nahm eine zusammengefaltete Landkarte daraus hervor und breitete sie vor Lassiter aus. Die Karte zeigte das Jornada del Muerto und reichte von Las Cruces im Süden bis hinauf Santa Fé. »Sehen Sie, die drei Fundorte bilden eine Art Linie. Sie sind nicht willkürlich gewählt.«
Das Telegramm aus Washington hatte Lassiter in El Paso erreicht und ihn jäh aus einem vielversprechenden Techtelmechtel mit einer mexikanischen Saloontänzerin gerissen. Er hatte der staubigen Wüstenstadt an der Grenze zu Mexiko und mithin allen Frauen darin binnen einer Nacht den Rücken kehren müssen.
Woodruffs Finger glitt von dem schwarzen Punkt, der Fort Selden markierte, zu den Wellenlinien hinüber, hinter denen sich die Sanddünen der White Sands verbargen. »Ich verwette meinen Kopf darauf, dass Sie Tayer dort finden. Die Kerle ließen ihn gewiss am Leben.«
Schweigend streifte Lassiters Blick über die Landkarte. An Woodruffs These, dass die Fundorte der Porzellanrosen eine Kette bildeten, gab es nichts auszusetzen. Die Blüten waren wie Leuchtfeuer entlang der Verbindungswege platziert worden. Sie hatten – so hatte Woodruff schon früher ausgeführt – zudem an leicht einsehbaren Stellen gelegen. Die Frage war nun, wie Tayer die Rose an seinen Bewachern und Peinigern vorbeigeschmuggelt hatte. »Was wissen wir über Tayer? Hat er sich irgendwo Feinde gemacht?«
»Tayer ist ein grundehrlicher Mann«, versicherte Woodruff und stützte sich mit beiden Armen auf dem Tresen ab. »Er ist der Besitzer der Western Porcelain Company. Die Gesellschaft war vor einigen Jahren der einzige Importeur für chinesisches Porzellan in Amerika. Er handelt mit einer Menge Leuten. Es würde Monate dauern, ehe wir alle Geschäftsunterlagen durchstöbert haben.«
Nach und nach nahm Lassiter jede der Porzellanrosen zur Hand und betrachtete sie. Er rieb mit dem Daumen den Sand von ihnen und drehte sie zwischen den Fingern. »Woher kam die Ladung? Aus El Paso?«
»Offiziell aus El Paso«, sagte Woodruff und nickte. »Die Rosen sollen über San Antonio hergebracht worden sein. Ich will Ihnen nicht verhehlen, dass ich daran zweifle. Ich vermute, dass sich Tayer mit ein paar Lumpen von Geschäftemachern in El Paso eingelassen hat, die ihn jetzt übers Ohr gehauen haben.«
»An wen denken Sie dabei?«, fragte Lassiter und blickte auf. »Kennen Sie diese Leute?«
»Sagen wir«, erwiderte Woodruff, »ich kenne ihre Art, Geschäfte zu machen. Es sind skrupellose Gauner, deren Wort so viel Wert ist wie der Staub unter ihren Stiefel. Sie gehorchen einem Mann namens Santos Rios. Er hält in El Paso alle Fäden in der Hand.«
»Santos Rios«, wiederholte Lassiter. »Also die Mexikaner.«
»Unter den Mexikanern gibt es auch in dieser Gegend viele ehrenhafte Leute«, beeilte sich Woodruff zu beteuern. Er hob beschwichtigend die Hände. »All die Wichtigtuer, die sich in diesen Tagen über die Verkommenheit der Mexikaner aufregen, wissen nichts über Armut und Bedürftigkeit. Man kann doch keine Mauer zwischen uns und dem Elend bauen.«
»Manch Amerikaner ist durchtriebener als der schlimmste Bandido«, sekundierte Lassiter. »Was gibt es über Santos Rios zu sagen?«
Der Apotheker kam um die Verkaufstheke herum und trat hinter die Auslage seines Schaufensters. Er starrte auf die Straße hinaus und sann eine Weile nach. »Ich bin Rios einige Male begegnet, als ich unten in El Paso Geschäfte machte. Er ist ein durchtriebener Hund und geschickter Verhandlungsführer.«
Vor dem Schaufenster ratterte ein Handkarren vorbei und verschwand in einer rötlichen Staubwolke.
»Wie komme ich an ihn heran?«, fragte Lassiter. »Treibt er Geschäfte in der Gegend?«
Die buschigen Brauen des Apothekers schnellten in die Höhe. »Ob er Geschäfte macht? Er kennt jeden verdammten Dollar, der zwischen Las Cruces und El Paso ausgegeben wird.« Woodruff wandte sich Lassiter halb zu. »Sagen Ihnen die Itúrbides etwas?«
»Nach meinen Kenntnissen einstige spanische Adlige«, erwiderte Lassiter. »Gehört Rios zu ihnen?«
»Er ist ein Bastard aus dieser Blutlinie«, sagte der Apothekenbesitzer. »Die Brigade Sieben geht davon aus, dass er das frühere Vermögen seiner Familie in klingende Münze verwandelt. Die Porzellanrosen könnten aus dem Besitz eines Itúrbides-Hauses stammen.«
»Rios verschleudert sein Familienvermögen?«, gab Lassiter zweifelnd zurück. Er hatte eine Menge über das mächtige Adelshaus gehört, als er vor drei Jahren in geheimer Mission in Santiago de Querétaro gewesen war. »Was sollte er davon haben?«
»Macht und Einfluss«, antwortete Woodruff und kehrte zu seiner Theke zurück. Er griff nach einem Kuvert hinter der Registrierkasse und reichte es Lassiter. »Man hegt in Washington den Verdacht, dass er das Geld für Bestechungen amerikanischer Regierungsbeamter ausgeben will. Sie müssen Tayer finden und herauskriegen, ob und wie er Geschäfte mit Rios gemacht hat.«
Ohne eine äußere Regung nahm Lassiter das Kuvert entgegen und steckte es unter die Jacke. Er verabschiedete sich mit einem Nicken von Woodruff. »Sie hören von mir, sobald ich etwas Näheres weiß.«
***
Die ersten drei Blätter in dem lehmbraunen Umschlag enthielten lediglich jene Einzelheiten zu Tayer, die Lassiter schon durch Woodruff erfahren hatte. Der große Mann las sie ein letztes Mal und hielt sie anschließend über die schmale Flamme der Petroleumlampe, die ihm das Zimmermädchen bei seiner Ankunft angezündet hatte. Die Papiere fingen Feuer und schmolzen zu sich kräuselndem Ruß zusammen.
»Was wollen Sie von meinem Vater?«
Die rothaarige Fremde in der Ecke der Kammer krampfte die Hände im Schoß zusammen und blickte Lassiter unverwandt an. Sie war vor einer knappen Stunde aus dem Mesilla Saloon herübergekommen und hatte sich geduldig Lassiters Lügenmärchen angehört, wonach er auf Drängen des Gouverneurs Lewis Wallace aus Santa Fé gekommen sei und sich des Schicksals ihres Vaters Frank Tayer annehmen wolle.
»Ich muss mich auf die Suche nach ihm machen«, erwiderte Lassiter und schob die restlichen Schriftstücke in den Umschlag zurück. Er legte das Kuvert auf den Tisch und wandte sich seinem Besuch ganz zu. »Er ist unter geheimnisvollen Umständen verschollen und hatte kostbare Fracht bei sich.«
»Wir glauben nicht an eine Entführung«, beschied ihm die Rothaarige knapp. »Meine Schwestern und ich glauben nicht, dass unser Vater solcherart arglos gewesen sein soll. Er hat den Weg hinauf nach Albuquerque und Santa Fé schon oft gemacht. Er kennt die Jornada del Muerto. Er hätte sich nicht ohne vernünftigen Grund in Gefahr gebracht.«
Die Rothaarige hieß Louella Tayer und war – so hatte es Lassiter den Dokumenten der Brigade Sieben entnommen – die mittlere der drei Tayer-Schwestern. Sie war sorgfältig frisiert und trug ein aufreizendes Tanzkleid, unter dessen Saum ein schlankes Beinpaar hervorblitzte.
»Vermissen Sie etwas, Mr. Lassiter?«, fragte Louella vorwurfsvoll. »Sie starren ständig auf meine Füße, als trüge ich Schuhe aus blankem Gold.«
Obgleich Lassiter sich ertappt wähnte, lächelte er freundlich und schüttelte den Kopf. »Nein, Miss, ich suche nichts zu Ihren Füßen. Es fällt lediglich schwer, sich Ihrer Schönheit zu entziehen.«
Der Rotschopf senkte verlegen den Blick und sah sogleich wieder kokett auf. »Sie verstehen sich auf Komplimente. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass es um Ihre Aufrichtigkeit ebenso bestellt ist.«
»Ich muss Ihren Vater finden«, betonte Lassiter abermals. »Er könnte in gefährliche Gesellschaft geraten sein.«
»Die einzige Gefahr seiner Geschäfte war der Mangel an Dollars«, behauptete Louella und schürzte die Lippen. »Er hatte nie genug, um mich und meine Schwestern zu ernähren. Unsere Mutter starb vor zehn Jahren. Er musste um jeden Cent kämpfen.«
Das brodelnde Feuer im Ofen knackte und blies eine Wolke Glutfunken durch die Lüftungsspalte. Der Mann der Brigade Sieben ging einen Schritt auf Louella zu und lehnte sich gegen den Stützpfeiler, der die Kammer in der Mitte teilte. »Wo stecken Ihre Schwestern? Wie Sie im Mesilla Saloon?«
»Wo sollten sie sonst sein?«, erwiderte Louella und lächelte ebenfalls. Sie schlug die Beine übereinander und neigte sich nach vorn. »Sie wissen nicht viel über meine Familie. Meinem Vater missfiel es, dass wir im Mesilla Saloon arbeiten. Aber uns blieb nichts anders übrig. Er ist von seinem Geschäftspartner übers Ohr gehauen worden.«