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Die Krieger tauchten aus dem Dunst der Morgendämmerung, der über der Prärie lag, auf wie Gespenster in einem Fiebertraum. Sie näherten sich den Palisaden des Forts bis auf einen Steinwurf, und ihre bemalten Gesichter sprachen eine eindeutige Sprache. Doch es war der reglose, blutüberströmte Körper des weißen Mannes, von zwei Komantschen unter den Schultern gepackt wie ein erlegtes Tier, der die Frau neben Colonel Milton Penn erbleichen ließ.
"Kennen Sie den Mann etwa, Miss Shoemaker?", fragte der Colonel leise und sah sie beunruhigt von der Seite an.
Ihre Lippen zitterten, und sie musste sich an der Brüstung abstützen, bevor sie antworten konnte. "Das ist... das war mein Vater."
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Seitenzahl: 155
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Die Tochter des Skalpjägers
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: TXUS/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4638-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Tochter des Skalpjägers
Die Krieger tauchten aus dem Dunst der Morgendämmerung, der über der Prärie lag, auf wie Gespenster in einem Fiebertraum. Sie näherten sich den Palisaden des Forts bis auf einen Steinwurf, und ihre bemalten Gesichter sprachen eine eindeutige Sprache. Doch es war der reglose, blutüberströmte Körper des weißen Mannes, von zwei Komantschen unter den Schultern gepackt wie ein erlegtes Tier, der die Frau neben Colonel Milton Penn erbleichen ließ.
»Kennen Sie den Mann etwa, Miss Shoemaker?«, fragte der Colonel leise und sah sie beunruhigt von der Seite an.
Ihre Lippen zitterten, und sie musste sich an der Brüstung abstützen, bevor sie antworten konnte. »Das ist … das war mein Vater.«
Colonel Penn nickte einem seiner Männer zu. »Bringen Sie Miss Shoemaker bitte nach unten, Davis.«
Widerstandslos und wie in Trance ließ sich Frieda Shoemaker die steilen Stufen hinunterführen, und Milton Penns wettergegerbte Gesichtszüge verzogen sich zu einer grimmigen Miene, während seine eisblauen Augen dabei zusahen, wie die Indianer den Körper des Farmers langsam in das reiffeuchte Gras vor dem Tor sinken ließen.
»Wir sind bereit zum Feuern, Sir«, stieß Corporal Dennis Fisher zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er und drei weitere Uniformierte standen neben ihm auf dem Turm und hatten ihre Gewehre auf die Indianer angelegt.
»Halten Sie ihren Abzugsfinger still, Fisher«, raunte der Colonel, ohne den Kopf zu wenden. »Da, wo diese Männer herkommen, gibt es noch mehr von Ihnen. Und ich habe keine Lust, nur ein paar Tage, bevor wir Fort Rykard aufgeben wollen, einen ausgewachsenen Krieg vom Zaun zu brechen.«
»Bei allem Respekt, Sir«, entgegnete der Corporal neben ihm und presste die Lippen unter dem Schnauzbart zusammen. »Aber ich habe den Eindruck, dass die Indsmen da unten Ihnen diese Entscheidung bereits abgenommen haben.«
Wie zur Bestätigung hob einer der Komantschen, ein stämmiger Krieger mit einem halben Dutzend Adlerfedern im schwarz glänzenden, schulterlangen Haar, seinen Tomahawk in den Himmel und stieß ein markerschütterndes Geheul aus. Er schwenkte das Kriegsbeil hin und her, und Penn sah das Blut auf der Klinge, das im fahlen Licht der aufgehenden Sonne matt glänzte.
»Sir? Ich habe den Bastard genau im Visier«, ließ sich Fisher neben ihm vernehmen. Die Stimme des Soldaten vibrierte vor Erregung.
Penn zögerte einen Moment. Dann legte er die Hand auf den Lauf von Fishers Karabiner. »Nein.«
Der Anführer der Indianer schien ihn eindringlich zu mustern, und Penn erwiderte den Blick des Kriegers ohne eine Regung. Nur wenige Sekunden verstrichen, dann wandten die Indianer sich um und waren kurz darauf im Dunst über der Ebene verschwunden.
»Tausend Teufel!« Fisher sah zum Colonel auf, und sein Gesicht war von hilfloser Wut verzerrt. Er erhob sich und trat dabei einen Schritt vor, sodass er Penn mit seinem hervorspringenden Bauch fast berührte. »Sir, diese dreckigen Rothäute haben uns gerade einen Farmer vor das Tor gelegt wie eine Katze ihre Beute. Und Sie lassen die Hurensöhne einfach so ziehen?«
Milton Penn enthielt sich einer Antwort und deutete stattdessen hinunter auf den leblosen Körper, der vom kniehohen Gras fast vollständig verborgen wurde. »Schaffen Sie den Leichnam herein, Soldat«, knurrte er und stieg ohne ein weiteres Wort die Treppe hinunter.
Fisher sah ihm nach, und ein Hauch von Verachtung zog über sein Gesicht. Dann wandte er sich zu den anderen Soldaten um und schüttelte ungläubig den Kopf. »Also los, Männer. Ihr habt den Colonel gehört.«
Penn schritt über den Exerzierplatz des Forts an zwei Fuhrwerken vorbei, die mannshoch mit Koffern und Kisten der wenigen im Fort verbliebenen Menschen beladen waren. Er begegnete dabei zahlreichen fragenden Blicken, verlor aber kein Wort der Erklärung an die Soldaten und Zivilisten, während er an den Stallungen vorbei auf das zweistöckige Gebäude zuging, in dem sich sein Büro befand.
Der Grund dafür war einfach. Er hatte keine.
Fort Rykard, dessen Kommando er vor einem halben Jahr übernommen hatte, war ein einsamer Außenposten nur ein paar Meilen vor der Grenze zu Mexiko, der sich nach dem Friedensvertrag mit den Stämmen der Komantschen, der Mescalero-Apatschen und ein paar anderen Stämmen, den der Präsident nach langen Verhandlungen im vergangenen Frühjahr unterzeichnet hatte, überflüssig geworden war. Sämtliche Häuptlinge der ansässigen Indianervölker hatten dem Abkommen zugestimmt, und in Washington war man deshalb davon ausgegangen, dass das Fort nicht mehr gebraucht wurde.
Penn war daher für die Abwicklung des Stützpunktes abkommandiert worden; ein Verwaltungsjob, der nicht als Belohnung gedacht gewesen war, sondern als Demütigung. Man hatte ihm, dem hochdekorierten Bürgerkriegsveteranen, damit zu verstehen geben wollen, dass eigensinnige Soldaten wie er, die in den Indianerkriegen nie mit Kritik an der Generalität gespart hatten, damit an ihrer eigenen Karriereleiter gesägt hatten.
Ihn hierher ans Ende der Welt zu versetzen, war die elegante Art seiner Vorgesetzten gewesen, Penn, der hinter vorgehaltener Hand immer verächtlich als »Mama der Rothäute« tituliert wurde, zu zeigen, was man von ihm hielt.
Dabei hatte er es in den Kämpfen gegen die Ureinwohner weder an Härte noch an Tapferkeit fehlen lassen. In der verlustreichen Schlacht gegen die Sioux am Little Big Horn war er ganz vorn an der Front gewesen und schwer verletzt worden. Das hatte ihm eine Tapferkeitsmedaille und eine tückische Verletzung am rechten Bein eingetragen, die seinen Schritten immer noch ein wenig an Geschwindigkeit nahm.
Doch Little Big Horn war auch der Zeitpunkt gewesen, der ihn zum Umdenken gebracht hatte. Denn inmitten des Gefechts war ihm der Grund für die Tapferkeit der Sioux aufgegangen, die sich unbeugsam und todesmutig den weißen Männern mit all ihren Feuerwaffen und ihrer strategischen Überlegenheit entgegengestellt und der US-Armee damit eine blutige Niederlage beigebracht hatten.
Er hatte allmählich verstanden, dass diese Indianer um ihre nackte Existenz kämpften. Der weiße Mann hatte sie soweit zurückgetrieben, dass sie buchstäblich mit dem Rücken zur Wand standen und ihnen kaum Luft zum Atmen blieb. Tal für Tal, Ebene für Ebene hatten sie abtreten müssen an die Eindringlinge, die rücksichtslos den Kontinent in Besitz nahmen und dabei keinen Gedanken verschwendeten an die Menschen, die seit Jahrhunderten auf diesem Grund lebten und ihn Heimat nannten.
Die Siedler hatten die Büffel zu Tausenden getötet, sodass es hier unten in Texas nun nur noch vereinzelte Herden gab, die stetig kleiner wurden. Die Eisenbahngesellschaften hatten oben im Norden von Texas mit ihren Stahlrossen, wie die Indianer die Lokomotiven nannten, die einsame Prärie durchschnitten, Wälder gerodet oder gefällt und die Wasserquellen in Besitz genommen, bis kaum noch etwas übrig blieb für die Völker, die seit Anbeginn der Zeit hier im Einklang mit der Natur gelebt hatten.
Als die Bundesregierung im vergangenen Jahr ein Einsehen hatte und den Stämmen des Südens ein Angebot machte, gab es nicht viel, was der Weiße Mann den Indianern noch übrig ließ, damit sie die Waffen niederlegten. Doch auch die Komantschen, Kiowa und Mescalero-Apatschen waren nach all den Jahren kriegsmüde und gaben sich schweren Herzens geschlagen.
Bis zu diesem Morgen.
Penn ging mit schweren Schritten die Stufen zum Hauptgebäude empor und stieß die Tür zu seinem Büro auf.
Sein Adjutant Lou Barlow hob überrascht den Kopf und sah ihm entgegen. Der junge, breitschultrige Mann mit den widerspenstigen blonden Locken erhob sich hastig und salutierte.
Colonel Penn ignorierte den militärischen Gruß und ließ sich schwer auf den Stuhl hinter seinem Schreibtisch fallen. Sein Blick ging ins Leere, während er seinen Hut abnahm und ihn auf die Platte des Tisches fallen ließ. Er fuhr sich durch die Haare, die zunehmend grauer und dünner wurden. Kurz ging ihm der Gedanke durch den Kopf, dass seine früh verstorbene Frau Martha ihn nun, nach all den Jahren, vielleicht nicht mehr wiedererkennen würde.
Der Blick von Barlow war beunruhigt, doch er behielt Haltung, bis ein zerstreutes Winken seines Vorgesetzten ihm erlaubte, sich zu entspannen.
»Die Bestandslisten sind vollständig, Sir«, begann sein Adjutant sofort mit der Berichterstattung. »Ich habe mich gestern Abend noch um die Untersuchung der Pferde gekümmert und freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass alle Tiere in bestem Zustand sind. Wir sind daher voll im Plan und können innerhalb der nächsten zwei Tage das Fort verlassen. Sir.«
Der Colonel hob den Kopf und warf seinem Untergebenen einen rätselhaften Blick zu, bevor er langsam den Kopf schüttelte. »Das glaube ich nicht, Corporal.«
Er deutete mit einer müden Bewegung in Richtung der Fenster, und Barlow trat ein paar Schritte vor, um auf den Platz hinausblicken zu können.
Das große Haupttor war geöffnet worden, und zwei Soldaten schleppten einen leblosen Zivilisten unter den Wachtürmen hindurch in das Fort, während ein halbes Dutzend Uniformierter mit erhobenen Gewehren und wachsamen Blicken am Eingang stand.
Barlow stand der Mund offen, als die Soldaten den Toten über den Platz in Richtung des Lazaretts trugen. Hinter ihnen beeilten sich die Kameraden, das Tor wieder zu schließen, während sich auf dem Platz Soldaten und Zivilisten zu erregten Gesprächen zusammenfanden.
»Was ist passiert?« Barlows entgeisterte Miene bewog seinen Vorgesetzten lediglich dazu, ratlos mit den Achseln zu zucken.
»Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, es wird How-Chahka gewesen sein, der Sohn des alten Atta-Chee«, antwortete Penn schließlich resigniert und griff nach einer halb aufgerauchten Zigarre, die vor ihm im Aschenbecher lag. Er steckte sich den Stummel zwischen die Lippen, zog ein Schwefelholz hervor und fuhr damit an der Tischkante entlang. Es zischte leise, bevor die Flamme aufloderte und er sie an den Stumpen halten konnte.
Penn inhalierte den Tabakqualm und stieß ihn bedächtig wieder aus. Der Rauch zog in trägen Schwaden durch das Büro.
Barlows Blick war ebenso verblüfft wie ungläubig. »Warum sollten sie so etwas tun, Sir? Atta-Chee hat den Vertrag mit eigener Hand unterschrieben, und das ist gerade mal drei Monate her.«
Der junge Mann schüttelte ratlos den Kopf, bevor er unruhig auf den Platz hinaus starrte und dabei versuchte, die Informationen zu verarbeiten.
Er war selbst Teil der Eskorte gewesen, die die Abgeordneten aus Washington zur Vertragsunterzeichnung begleitet hatte. Er hatte die Komantschen daher persönlich erlebt und konnte sich keinen Reim darauf machen, weshalb sie nun den Vertrag brechen sollten.
»Suchen Sie sich das schnellste Pferd, das wir haben, Barlow«, ließ sich der Colonel hinter ihm vernehmen. »Und dann reiten Sie nach Norden. Wir werden Hilfe brauchen.«
Barlow fuhr herum und sah Penn eindringlich ins Gesicht. »Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass die Komantschen uns angreifen werden, Sir! Es muss sich um ein Missverständnis handeln …«
»Ein Mann wurde getötet, Corporal!«, fiel ihm sein Gegenüber ins Wort. »Und es handelt sich dabei um den Vater von Frieda Shoemaker!«
Alle Farbe wich für einen Moment aus dem Gesicht von Lou Barlow. Die hübsche junge Frau, die seit einem halben Jahr das Lazarett von Fort Rykard leitete, hatte es ihm von Anfang an angetan.
»Oh, mein Gott«, murmelte er. »Weiß Sie bereits davon?«
Der Colonel nickte. »Leider war sie oben auf dem Turm, als die Indianer mit ihrem Vater auftauchten.« Sein Blick verschleierte sich für einen Moment, als er nachzudenken schien. »Als hätte sie es geahnt«, murmelte er einen Moment später.
Dann wurde sein Blick wieder klar und entschlossen. »Verlieren Sie keine Zeit, Corporal! Sie wissen, dass wir mit den wenigen Männern, die uns noch verblieben sind, einem Angriff der Koman3tschen nicht lange werden standhalten können. Wir brauchen Unterstützung, und das so schnell wie möglich.«
Der Colonel sprang auf und ging auf ihn zu. »Sie sind mein bester Mann, Barlow. Ich weiß, dass Sie die Indianer genau so respektieren, wie ich das tue, und vermutlich wären Sie deshalb hier wichtiger, als ich es zu diesem Zeitpunkt abschätzen kann. Doch mit einer Handvoll Soldaten ist jede Gegenwehr auf lange Sicht zum Scheitern verurteilt. Deshalb müssen Sie Verstärkung holen, so lange uns noch die Zeit dafür bleibt. Also, gehen Sie – gehen Sie!«
Corporal Barlow nickte, tippte sich salutierend an die Stirn und machte ohne ein weiteres Wort kehrt.
Kaum zehn Minuten später öffnete sich das kleine Versorgungstor gen Norden, hinter dem sich das flache Bett des Pecos River zwischen dürren Sträuchern und Kakteen die Hänge hinauf schlängelte.
Barlow lenkte seinen Palomino zwischen den Torflügeln hindurch und blinzelte in die Sonne. Sein Blick fiel über die Hügel, die sich links und rechts vor ihm erstreckten. Nirgendwo war eine Menschenseele zu entdecken.
»Beeil dich besser, Lou«, hörte er eine Stimme hinter sich und drehte sich um.
Norry Davis stand vor dem Tor, hielt seine Winchester in der Hand und sah sich nervös um. Er grinste, doch seine Miene drückte mühsam verborgene Verzweiflung aus. Anscheinend hatte sich die Kriegserklärung der Komantschen bereits herumgesprochen.
Barlow nickte ihm zu, dann stieß er dem Pferd die Hacken in die Flanken und galoppierte davon.
***
»Hallo Fremder.«
Ihr strahlendes Lächeln war schwer zu ignorieren, deshalb hob der hochgewachsene Besucher unmerklich die Mundwinkel, bevor er seine Satteltaschen zu Boden fallen ließ und sich an den Tresen lehnte.
»Einen doppelten Whiskey«, knurrte er leise zwischen zwei makellosen Zahnreihen hindurch und zog sich einen der Barhocker heran.
Kati schürzte die vollen Lippen und ließ ihren Gast nur kurz aus den Augen, während sie nach der Flasche unter dem Tresen griff.
»Wie wär’s mit ein bisschen Musik, Robby«, rief sie einem Sombrero zu, der unter dem Fenster zur Mainstreet lag.
»Wir haben Besuch, Compadre.«
Sie zwinkerte dem Fremden zu, der aussah, als wäre er vor kurzem durch einen Sandsturm geritten. Sein Mantel und sein Hut waren fast so weiß wie das Brautkleid, das sie sich in jungen Jahren einmal gewünscht hatte, und obwohl er sein Gesicht gesenkt hielt, konnte der Besucher nicht verbergen, dass ihm der Staub der Wüste wohl bis unter die Augenlider gedrungen sein mochte.
Robby erhob sich träge und warf ihr einen kurzen Blick unter seinem riesigen Sombrero hinweg zu. Er gähnte herzhaft und streckte die Hand nach der Gitarre aus, die neben ihm an der Wand lehnte.
Ein paar schiefe Töne erklangen, während er das Instrument zu stimmen versuchte. Dann schlug er in die Saiten und stimmte ein trauriges Lied an.
»Das wäre wirklich nicht nötig gewesen«, brummte der Fremde und griente, als Kati ihm seinen Drink vor die Nase stellte.
Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß, seine Stimme zieht einem die Schuhe aus. Aber er vertreibt die Fliegen, deshalb nehme ich es in Kauf.«
Der Fremde lachte leise und leerte sein Glas in einem Zug.
»Noch einen?«
»Warum nicht?«
Sie schenkte nach und bemerkte, wie ihr erster Gast des Tages sie taxierte. »Und, Hombre? Was führt sie nach Last Hope?«, fragte sie. »Es kommt nicht allzu oft vor, dass sich ein unbekanntes Gesicht in meine Bodega verirrt.«
»Bin auf dem Weg nach Mexiko«, brummte er und steckte sich einen Zigarillo zwischen die Lippen. Sie gab ihm Feuer und er bedankte sich mit einem kurzen Nicken. »Wäre es möglich, bei Ihnen etwas zwischen die Zähne zu bekommen, Ma’am? Ich habe einen langen Ritt hinter mir und sterbe vor Hunger.«
»Ich habe noch etwas Hackbraten da und könnte Ihnen ein paar Bratkartoffeln dazu in die Pfanne hauen. Dauert nur zehn Minuten.«
»Klingt großartig, Ma’am …«
»Ich heiße Kati. Vom ›Ma’am-Alter‹ bin ich noch eine Weile entfernt, hoffe ich.«
Seine Lippen kräuselten sich zu einem kleinen Lächeln. »Natürlich, Kati. Ich heiße Lassiter.«
»Dann entschuldigen Sie mich, Lassiter.«
Seine Blicke folgten ihr, als sie sich umwandte und einen zerschlissenen Vorhang beiseiteschob, um in die Küche zu gehen. Angesichts ihrer wohl proportionierten Kehrseite unter dem knielangen Rock aus bunt gefärbter Baumwolle hob er beeindruckt die Augenbrauen.
Während emsige Geräusche aus der Küche drangen und Robby mit mehr Inbrunst als Talent seine Ballade sang, sah Lassiter durch das halbblinde Fenster der Bodega hinaus auf die verwaiste Mainstreet, die ihren Namen eigentlich nicht verdiente, da es sich um die einzige Straße des verschlafenen Kaffs handelte. Präriehexen taumelten im kräftigen Westwind über die menschenleere Staubpiste vor dem Sidewalk, und ein räudiger Straßenköter schleppte sich apathisch in den Schatten unter einen Murphywagen mit hochgestellter Deichsel, der gegenüber neben dem Drugstore abgestellt worden war.
Vor vier Tagen hatte er San Antonio mit einem neuen Auftrag der Brigade Sieben verlassen, der ihn nach Laredo führen würde. Doch er hatte es nicht besonders eilig.
Jenseits des Rio Grande wurde er von einem geltungssüchtigen mexikanischen Bordellbetreiber erwartet, den er nach Houston geleiten sollte. Pablo Marquez behauptete, ein paar interessante Details über Schmugglerbanden zu kennen und hatte sich als Zeuge angeboten. Natürlich wollte er sein Wissen nicht umsonst preisgeben und forderte neben Immunität auch ein stattliches Honorar.
Die Brigade Sieben hielt den Burschen für einen Lügner und Aufschneider, wollte sich aber nicht dem Vorwurf aussetzen, eventuell wertvolle Informationen leichtfertig ausgeschlagen zu haben. Deshalb stellte sich Lassiter auf eine lange und nervtötende Reise mit einem schmierigen und übergewichtigen Companero ein, der sich für wichtiger hielt, als er vermutlich war. Der Job würde so wohl langweilig wie zeitraubend werden, doch nach seiner letzten Mission, die ihn mal wieder fast den Kopf gekostet hätte, war diese Aussicht nicht so übel, wie sie klang.
Kati brachte ihm sein Essen, und er machte sich mit gesundem Appetit über den Teller her. Robby hatte währenddessen die Lust an der Musik verloren, und niemand erhob einen Einwand, als er die Gitarre zurückstellte und sich mit einem kurzen Nicken verabschiedete.
»Liegt es an ihm oder ist hier immer so wenig los?«, fragte Lassiter kauend.
Kati winkte ab. »Warten Sie es nur ab, Mister. Es ist noch zu früh, aber wenn der Abend kommt, geht es hier im Allgemeinen ziemlich hoch her.«
Lassiter hatte an einem der Tische vor dem Fenster Platz genommen, und die junge Frau setzte sich zu ihm. Sie beugte sich etwas vor und gewährte ihm dadurch einen großzügigen Einblick in ihren tiefen Ausschnitt. Er wischte sich den Mund ab und schob den leeren Teller von sich.
»Noch Nachschlag?«, fragte sie und drehte spielerisch eine ihrer langen schwarzen Locken zwischen den Fingern.
Lassiter hob die Hände. »Danke. Es war köstlich, aber fürs Erste mehr als genug.«
Sie musterte ihn unter halb gesenkten Augenlidern und setzte ein bezauberndes Lächeln auf. »Wie wäre es dann mit einem Nachtisch?«
Lassiter erwiderte ihren Blick und hob eine Augenbraue. »Wie darf ich das verstehen?«
»Ich hoffe, du bist nicht so blöd, wie die Frage klingt, Großer«, entgegnete sie.
Er deutete auf die Theke. »Musst du denn hier nicht die Stellung halten?«
Sie lachte leise. »Sam Burrows, dem die Kaschemme gehört, ist für zwei Tage weg, Vorräte einkaufen. Also kann ich tun und lassen, was ich will. Außerdem kommt bei der Hitze ohnehin niemand. Bis die Stammgäste aus ihren Löchern kriechen, haben wir noch reichlich Zeit.«