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Der Sturm heulte und tobte um die alte Grassodenhütte, und jedes Mal, wenn eine besonders starke Bö aufkam, schien es, als würde der feuchte Bau angehoben und durch die Luft geschleudert werden. Erschauernd schloss Violetta Morgan ihre Pelzjacke bis obenhin und stülpte sich die gefütterte Kapuze über den Kopf. Im hintersten Winkel der Hütte herrschte Halbdunkel, denn durch das winzige glaslose Fenster und den schmalen offenen Eingang drang nur wenig Tageslicht. Immer wieder fegten die Böen einen Schwall eisiger Luft herein.
"Mein Gott, Rodney, ich weiß nicht, wie ich dir danken soll", sagte Violetta zähneklappernd, als ihr Begleiter auf sie zukam. "Wenigstens bin ich erst einmal in Sicherheit."
"Bist du nicht", antwortete er und richtete seinen Revolver auf ihre Stirn.
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Seitenzahl: 128
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Die Geliebte des Lords
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Aboy/Monica Filet
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4918-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Geliebte des Lords
Der Sturm heulte und tobte um die alte Grassodenhütte, und jedes Mal, wenn eine besonders starke Bö aufkam, schien es, als würde der feuchte Bau angehoben und durch die Luft geschleudert werden. Erschauernd schloss Violetta Morgan ihre Pelzjacke bis obenhin und stülpte sich die gefütterte Kapuze über den Kopf. Im hintersten Winkel der Hütte herrschte Halbdunkel, denn durch das winzige glaslose Fenster und den schmalen offenen Eingang drang nur wenig Tageslicht. Immer wieder fegten die Böen einen Schwall eisiger Luft herein.
»Mein Gott, Rodney, ich weiß nicht, wie ich dir danken soll«, sagte Violetta zähneklappernd, als ihr Begleiter auf sie zukam. »Wenigstens bin ich erst einmal in Sicherheit.«
»Bist du nicht«, antwortete er und richtete seinen Revolver auf ihre Stirn.
Die rothaarige Frau erstarrte. Der Schock traf sie wie ein Hammerschlag. Ihre Augen weiteten sich in jäher Todesangst.
Sie wollte schreien, doch ihre Stimmbänder versagten ihr den Dienst. Nur noch mühsam bekam sie Luft, und ihr Herzschlag begann zu rasen.
Mit jeder Sekunde, die sie länger in die 45er Mündung blicken musste, hämmerte ihr Herz heftiger, nahm ihre Atemnot zu. Sie versuchte zu sprechen, wollte den Mann anflehen, ihr nichts zu tun, weil er doch eigentlich ihr Beschützer war.
Was ist in dich gefahren?, wollte sie ihn anherrschen. Das kann doch nur ein Scherz sein. Sag mir, dass es ein böser Scherz ist! Aber sie schaffte es noch immer nicht, auch nur eine einzige Silbe hervorzubringen.
Von Calgary bis nahe an die Grenze nach Montana hatte er sie sicher geleitet. Es war zugleich die Grenze zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten, die sie nun fast erreicht hatten. Und drüben, auf US-Gebiet, konnte ihr dann niemand mehr etwas anhaben.
Davon war sie überzeugt.
»Es tut mir wirklich aufrichtig leid«, sagte Rodney Big Bear in seiner besonnenen und stets höflich klingenden Sprechweise. »Ich habe keine andere Wahl. Ich muss es tun.«
Es hörte sich an, als würde er über das Wetter oder etwas ähnlich Alltägliches reden. Der schwere Colt lag in seiner Rechten ruhig und unbeweglich wie in einem Schraubstock.
Rodney war ein Métis-Indianer, breitschultrig und von hünenhaft muskulöser Statur. Das lange schwarze Haar, das er im Nacken zu einem Zopf gebunden trug, bildete einen markanten Kontrast zu seiner kantigen Kinnpartie und dem bartlosen Gesicht.
Er trug einen schwarzen Stetson, dessen breite Krempe einen tiefen Schatten auf sein Gesicht legte und es düster wirken ließ. Seine hellbraune Lederjacke war innen mit gewachsenem Pelz ausgekleidet und machte ihn immun gegen die Kälte.
Bestenfalls die dunklen Augen erinnerten an Rodneys indianische Herkunft. Seine weiße Hautfarbe hatte er von einem englischen Vorfahr geerbt, der einst im 17. Jahrhundert als Trapper die Wälder Kanadas durchstreift und eine Frau vom Volk der Métis geheiratet hatte.
Viele Fallensteller, neben Engländern vor allem auch Franzosen und Schotten, waren damals den Bund der Ehe mit Töchtern der Ureinwohner eingegangen. Heute, im Jahr 1885, hatten die Nachfahren solcher Verbindungen kraft des Gesetzes den bürgerlichen Status ebenjener Ureinwohner und galten als Métis-Indianer.
Die kanadische Regierung und mit ihr die britische Krone garantierten ihnen alle entsprechenden Rechte – einschließlich der offiziellen Verfügung, dass sie als Indianer zu bezeichnen und mit ihrem Namen anzusprechen waren und nicht etwa mit Schimpfworten wie »Halbblut« oder »Mischling« diskriminiert werden durften.
Violetta Morgan gehörte zu den Frauengruppen, die sich für solche Bürgerrechte ebenso eingesetzt hatte wie für die Rechte der Frauen selbst.
Und war das nun der Dank dafür? Sie fragte es sich voller Verzweiflung angesichts der tödlichen Bedrohung,
Trotz der Revolvermündung begann ihre Angst aufkeimendem Zorn zu weichen. Wenn dies die letzten Sekunden ihres Lebens waren, wollte sie diesen Zorn wenigstens noch herauslassen.
Ebenso rasch, wie ihr Atem sich beruhigte, vermochte sie deshalb wieder zu sprechen. Es war ihre Wut, die das bewirkte, und es gelang ihr sogar, die 45er-Mündung zu ignorieren. Beides wurde ihr nicht einmal bewusst.
»Warum?«, stieß sie hervor. Ihre Stimme hörte sich merkwürdig fremd an. »Warum tust du das? Willst du mich allen Ernstes töten?«
»Ja«, bestätigte Rodney betrübt und wiederholte: »Ich muss es tun. Es ist ausgesprochen bedauerlich, aber es handelt sich um einen Auftrag, den ich auszuführen habe. Wenn ich es nicht tue, werden sie auch mich umbringen.«
»Sie?«, wiederholte Violetta ungläubig. »Wer ist das – sie? Und was für ein Auftrag …?« Sie unterbrach sich. Aus plötzlicher Erkenntnis heraus wurde ihr Blick starr. Im nächsten Atemzug entfuhr es ihr: »Du hast mich verraten. Von Anfang an. Gib es zu!«
»Nein«, antwortete Rodney ruhig, ohne den Revolver auch nur um den Bruchteil eines Inchs zu bewegen. »Die Entscheidung fiel erst, als wir schon unterwegs waren.«
Violetta runzelte die Stirn. »Wie denn das? Wir waren doch die ganze Zeit zusammen.«
»Nicht nachts.« Der Métis-Indianer schüttelte bedächtig den Kopf.
»Natürlich nicht«, entgegnete Violetta zornig. »Selbstverständliches brauchst du nicht zu erwähnen. Beantworte einfach meine Frage.«
»Nein.« Rodney schüttelte abermals den Kopf. »Einzelheiten musst du nicht wissen. Mein Auftrag lautet, dich in Sicherheit zu wiegen und dann an einem entlegenen, menschenleeren Ort zu töten.«
»Allen Ernstes?«, stieß Violetta hervor. »Und einen solchen Auftrag hast du angenommen? Von wem? Sag es endlich!«
»Ich bin nicht verpflichtet, dir Gründe dafür zu nennen – und schon gar nicht, wer mir die Order erteilt hat.«
»Es ist die britische Krone«, folgerte Violetta überzeugt und resignierend zugleich. »In London betrachtet man Kanada noch immer als eine Kolonie. Deshalb sind Freiheitskämpferinnen wie ich der Queen und ihren Getreuen ein Dorn im Auge.«
»Du weißt genau, dass das nur die halbe Wahrheit ist«, erwiderte Rodney. Die Andeutung eines Lächelns umspielte die harten Kerben seiner Mundwinkel. »Du hast ein Menschenleben auf dem Gewissen. Vergiss das nicht.« Er holte tief Luft und atmete schnaufend aus. »Und nun wollen wir nicht mehr sprechen. Die Zeit der Worte ist abgelaufen.«
Violetta bekam keine Gelegenheit mehr zu antworten, geschweige denn sich zu rechtfertigen. Ihr Denkvermögen wurde regelrecht ausgelöscht, als sie sah, wie sich Big Bears Zeigefinger um den Abzug krümmte.
Der Mündungsblitz sprang sie an wie ein Ungeheuer aus roter Glut. Begleitet wurde es vom Krachen des Schusses, der zu urwelthaftem Donner anschwoll.
Dann war das schwarze Nichts da und nahm sie auf. Es war haargenau so, wie sie sich das Sterben immer vorgestellt hatte.
***
Nein, es stimmte nicht. Es war anders. Nichts stimmte. Sie starb nicht.
Violetta war jedoch alles andere als glücklich oder froh darüber, dass sie noch lebte. Denn sie begriff nicht, was geschehen war. Den Schuss hatte sie gehört, das Mündungsfeuer gesehen, okay. Aber Schmerzen? Nein, Schmerzen hatte sie überhaupt nicht.
Nur ein schrilles Pfeifen stach ihr von beiden Seiten in den Kopf, von den Ohren ausgehend. Verbunden damit war ein feines Prickeln wie von tausend winzigen Nadeln. Es ging in die gleiche Richtung, aber es tat nicht weh. Eher glich es einem Juckreiz, an den sie mit den Fingern nicht herankam.
Das Pfeifen wurde lauter. Violetta hielt sich die Ohren zu, doch es nützte nichts. Der schrille Ton wurde nur noch intensiver und nahm ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Deshalb vergingen lange Sekunden, bis sie in der Lage war, zu staunen.
Du lieber Himmel, sie hatte die Arme bewegt! Um die Hände auf die Ohren legen zu können, hatte sie die Arme anheben müssen. Und das bedeutete …
Die Erkenntnis traf sie mit der Wucht überbordender Freude. Sie lebte noch! Die Dunkelheit, in die sie gestürzt war, musste eine Ohnmacht gewesen sein.
Allerdings war es noch nicht wieder hell geworden. Sie erkannte den Grund dafür. Sie lag auf dem Rücken und ihr Blick war nach oben gerichtet – auf die düstere, von Jahrzehnte altem Rauch geschwärzte Balkendecke.
Es erschien ihr als ein ungeheures Wagnis, als sie sich aufzusetzen begann. Aber nichts geschah. Keine plötzliche Schmerzexplosion, keine jähe Schwäche. Nur das Pfeifen in ihren Ohren blieb.
Sie riskierte es, sich vollends aufzurichten. Leicht schwankend kam sie auf die Beine. Doch nur einen Moment blieb sie dort stehen, wo sie zu Boden gesunken war.
Bis zur Wand hinter ihr waren es nur drei Schritte. Die Kugel – sie musste dort stecken, wenn es kein böser Traum gewesen war.
Das Pfeifen im Kopf wuchs zu einem Schrillen an, als sie sich der Wand aus schweren, roh behauenen Baumstämmen näherte. Die primitive Blockhütte stand am Hang eines bewaldeten Hügels – bestimmt seit hundert Jahren. Die Rückwand der Hütte war in den Hang hineingegraben und eine noch verbliebene Lücke bis in Dachhöhe mit Erde aufgefüllt worden.
Die Erbauer hatten das Dach und die übrigen drei Außenwände mit Grassoden bepackt. An den Wänden hatten sie Drahtgeflecht zur Befestigung verwendet. Im Laufe der Jahrzehnte hatte sich das Gras zu einem dichten grünen Pelz ausgewachsen, und das Wurzelwerk hatte die Erdplatten fest miteinander verbunden.
Violetta tastete die Balken der hinteren Wand in Kopfhöhe ab. Sie bewegte ihre Fingerkuppen kreisend über das harte, von der Feuchtigkeit leicht glitschige Holz. Nach jedem Kreis, den sie vollendete, fügte sie einen weiteren hinzu.
Als sie bei einem Radius von etwa fünf Inches angelangt war, stieß sie auf die Stelle. Die 45er-Kugel hatte ein sauber umrandetes Loch in das Holz gestanzt und war fast einen Inch tief eingedrungen.
Violetta schloss die Augen und verspürte ein innerliches Zittern bei der Vorstellung, dass diese Kugel fast ihren Kopf durchschlagen hätte. Und sie brauchte nicht lange nachzudenken, bis ihr klar wurde, dass es alles andere als ein Fehlschuss gewesen war.
Eine Scheinhinrichtung.
Der reinste Horror. Aber warum hatte er ihr das angetan? Um ihr zu zeigen, dass es auch für sie Grenzen gab, die sie nicht überschreiten durfte? Natürlich, das musste es sein. Sie hatte eine beträchtliche Zahl von Feinden, und Rodney hatte sich auf deren Seite ziehen lassen.
Rodney!
Sein Name durchzuckte ihre Gedanken.
Wo war er? Sie warf sich herum, und prompt wurde ihr schwindlig. Sie musste sich an die nasskalte Wand lehnen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Sie kniff die Augen zusammen, suchte mit ihrem Blick das Halbdunkel bis zu den helleren Öffnungen von Tür und Fenster ab.
Sie rechnete damit, den Indianer statuenhaft in einer dunklen Ecke stehen zu sehen. Doch sie hatte sich getäuscht. Die Hütte war leer.
Violetta stieß sich von der Wand ab und ging auf den Eingang zu. Das Schwindelgefühl war verflogen. Dafür tobten sich die Hochtöne unter ihrer Schädeldecke aus. Sie fragte sich, ob sie überhaupt noch andere Geräusche hören konnte.
Im nächsten Moment, als sie in dem offenen Rechteck stehenblieb, stellte sie erleichtert fest, dass ihr Gehör noch funktionierte, durch das Pfeifen hindurch. Sie vernahm ein Schnauben, das Knarren von Sattelleder und dann die dumpfen Laute von Pferdehufen, die sich rasch entfernten.
»Rodney!«, rief sie und versuchte, ihn in dem Kiefernwald zu erspähen. »Rod, lass mich nicht allein!« Sie strengte ihre Augen an, doch sie vermochte ihn zwischen den Bäumen nicht auszumachen. Ein, zwei Mal glaubte sie, schattenhafte Bewegungen zu erkennen.
Aber das war rasch vorbei, denn das Zweigwerk der Kiefern reichte tief hinab. Schon in geringer Entfernung verdichtete es sich zu einer undurchdringlich scheinenden dunkelgrünen Wand.
Es konnte nur Rodney gewesen sein, den sie gesehen hatte. Allem Anschein nach ritt er in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Was hatte das zu bedeuten? Hatte er am Ende etwa vor, nach Calgary zurückzukehren? Wollte er seinem Auftraggeber vorgaukeln, den Mordauftrag ausgeführt zu haben? All right, weshalb wünschte sie, Violetta, sich dann, dass er zu ihr zurückkommen möge? Sie gab sich selbst die Antwort: Weil sie nicht glaubte, dass er ihr wirklich etwas antun würde und weil sie ihn deshalb zur Rede stellen wollte.
Hinzu kam, dass sie ganz einfach Angst hatte – so allein in der Wildnis. Gewiss, Montana war nicht mehr weit entfernt. Aber wie sollte sie die Grenze finden? Nun gut, mit einiger Mühe hätte sie es wohl geschafft, sich nach dem Stand der Sonne zu orientieren.
Ansonsten jedoch war ihr die Wildnis ein Buch mit sieben Siegeln. Ihre Welt war die städtische Zivilisation. Die freie Natur kannte sie bestenfalls von Picknickausflügen. In den wenigen Tagen, die sie mit Rodney unterwegs gewesen war, hatte sie die Wälder, die Hügel und die Ebenen einfach nur als fremd und abweisend empfunden.
Die Trapper, die einst dieses Land durchstreift hatten, waren Überlebenskünstler gewesen und hatten es verstanden, sich auf die Natur und ihre unberechenbaren Gewalten einzustellen.
Im Sommer hätte sie vielleicht eine bessere Chance gehabt. Doch es war Ende Oktober. Längst hatten die Laubbäume ihre Blätter verloren, und das Grün der Nadelbäume hatte eine dunklere Schattierung angenommen.
Stürme schoben die Wolken am Himmel immer öfter zu dichten grauen Massen zusammen, die kein Sonnenlicht mehr durchließen. So war es auch an diesem Tag. Und überhaupt blieben bis zum Einbruch der Dunkelheit nur noch ein paar Stunden.
Das Wichtigste war deshalb, nicht tatenlos auszuharren. Violetta folgerte es mit neu erwachender Entschlossenheit. Sie musste ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Es gelang ihr sogar, das Schrillen im Kopf zu ignorieren – wenigstens teilweise.
Die Ursache war ein sogenanntes Knalltrauma, das wusste sie. Gemeinsam mit Freundinnen aus der Suffragetten-Bewegung hatte sie einmal den Vortrag eines Armeearztes zum Thema Kriegsverletzungen gehört.
Daher wusste sie, welche Folgen ein Schuss in einem geschlossenen Raum hatte, noch dazu, wenn die Waffe praktisch direkt neben dem Ohr eines Menschen abgefeuert wurde. Wenn man Glück hatte, war das Pfeifen nach ein paar Stunden, Tagen oder Wochen vorbei.
Die Hufgeräusche waren nicht mehr zu hören. Rodney musste hinter einer Bodenwelle oder bereits auf der anderen Seite des bewaldeten Hügels verschwunden sein.
Violetta gab sich einen Ruck und trat ins Freie. Einen bangen Augenblick lang befürchtete sie, dass Rod ihr Pferd mitgenommen hatte. Doch nach wenigen Schritten erblickte sie die braune Stute gleich links neben der Hütte, wo sie sie an einem Ahornbaum angeleint hatte.
Wenigstens war Violetta gut gerüstet, was ihre Kleidung betraf. Ihr Innenpelzmantel aus hellbraunem Leder schützte die bestens vor der Kälte. Darunter trug sie einen robusten grauen Hosenanzug und unter der Jacke einen Pullover anstelle einer Bluse.
Sie schlug die pelzgefütterte Kapuze des Mantels hoch, und dadurch vermochte ihr auch der Wind nichts anzuhaben. Die unteren Hosenbeine hatte sie in die Schäfte der ebenfalls pelzgefütterten Reitstiefel gestopft.
Sie tätschelte den Hals des Pferds und überzeugte sich, dass der Hafersack richtig hing.
»Bestimmt gibt es in der Nähe einen Creek mit frischem Wasser«, sagte sie und schmiegte sich an den Kopf der Stute, als diese sich zu ihr umdrehte. Beruhigend fuhr sie fort: »Nicht mehr lange, meine Gute, nicht mehr lange, dann machen wir uns wieder auf den Weg.«
Sie zog die Winchester aus dem Scabbard und wandte sich der Satteltasche zu
Aus der Satteltasche kramte sie eine Packung Streichhölzer, eine Schachtel Munition, einen Brotkanten und ihren Revolver hervor. Es war ein 45er Bulldog, die amerikanische Version der ursprünglich englischen Kurzwaffe.
Sie legte den Revolvergurt an, schob den Bulldog ins Holster und brachte die Sachen in die Hütte. Die Winchester nahm sie mit, als sie die düstere Behausung wieder verließ, um trockenes Holz für ein Feuer zu suchen. Sie würde es drinnen, unterhalb des glaslosen Fensters, entfachen, wo der Rauch gut abziehen konnte.