Lassiter 2347 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2347 E-Book

Jack Slade

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sie lagen auf einer Anhöhe zwischen Felsnadeln: vier Indianer und ein Weißer. Unter ihnen im Flusstal, zwei Steinwürfe entfernt, zog eine Kolonne aus Planwagen den Rocky Mountains entgegen. Die Silhouette der fernen Berge sah aus wie das Gebiss eines Grizzlys.
Die Kolonnenspitze war längst hinter der nächsten Flussbiegung verschwunden. Eines der letzten Fuhrwerke stand plötzlich still; andere rollten an ihm vorbei. "Es klappt", sagte der Weiße, ein kräftiger Mann mit Augenklappe und langem grauen Haar. "Wenn ihr schnell genug zugreift, gehört sie euch."

Der Indianer neben ihm richtete einen Spiegel gegen die Sonne. Den schwenkte er hin und her und spähte dabei zum Hügelkamm auf der anderen Talseite. Wenig später preschten von dort vier Reiter den Hang hinunter. Gewehrschüsse hallten über das Flusstal.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 148

Veröffentlichungsjahr: 2017

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Der Schwarze Coyote

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: TXUS/Norma

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5109-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Schwarze Coyote

Sie lagen auf einer Anhöhe zwischen Felsnadeln: vier Indianer und ein Weißer. Unter ihnen im Flusstal, zwei Steinwürfe entfernt, zog eine Kolonne aus Planwagen den Rocky Mountains entgegen. Die Silhouette der fernen Berge sah aus wie das Gebiss eines Grizzlys.

Die Kolonnenspitze war längst hinter der nächsten Flussbiegung verschwunden. Eines der letzten Fuhrwerke stand plötzlich still; andere rollten an ihm vorbei. »Es klappt«, sagte der Weiße, ein kräftiger Mann mit Augenklappe und langem grauen Haar. »Wenn ihr schnell genug zugreift, gehört sie euch.«

Der Indianer neben ihm richtete einen Spiegel gegen die Sonne. Den schwenkte er hin und her und spähte dabei zum Hügelkamm auf der anderen Talseite. Wenig später preschten von dort vier Reiter den Hang hinunter. Gewehrschüsse hallten über das Flusstal.

Elizabeth Redford lächelte verträumt. Sie fand es schön, durch das Mittagslicht dem Gebirge entgegen zu fahren. Auch der Fluss gefiel ihr. Mit seinen vielen Biegungen und den schilfbewachsenen Uferabschnitten erinnerte er sie an den Barren River, an dessen Ufer ihre Heimatstadt lag.

Oder nein: ihre ehemalige Heimatstadt.

Die Planwagen rollten in kurzen Abständen am Ufer entlang. Ein Fuhrwerk nach dem anderen verschwand an der nächsten Flussbiegung hinter der Bergflanke aus Elizabeths Blickfeld. Ihr Bruder Amoz peitschte den Ochsen die Zügelriemen um die Flanken. Er wirkte seltsam ungeduldig. Einer der hinteren Wagen rollte an ihnen vorüber.

Elizabeth summte vor sich hin. Sie merkte kaum, dass der eigene Planwagen langsamer wurde. Lächelnd schaute sie zur fernen Silhouette der Rocky Mountains. Lagen diese sagenhaft hohen Berge erst einmal hinter ihnen, dann war Oregon nicht mehr weit.

Wieder überholte einer der anderen Wagen sie. »Alles in Ordnung bei euch, Betty?«, rief der Mann auf dem Kutschbock herüber, ein ehemaliger Nachbar aus Bowling Green, Kentucky. Elizabeth fuhr aus ihren Tagträumen hoch, nickte und winkte.

Ihr Wagen wurde langsamer und langsamer. Betty stutzte – darauf also hatte der ehemalige Nachbar angespielt. Ein Geräusch irgendwo unter ihr hörte sich an, als würde Eisen gegen Holz scharren. Der Planwagen schaukelte hin und her; und plötzlich stand er still. Amoz fluchte und stieg vom Bock.

Ihr Bruder, ein schlaksiger Mann Mitte zwanzig, war sieben Jahre älter als Betty. Hellblond wie sie, hatte er auch die gleichen hellblauen Augen. Seine Frau und seine Kinder fuhren auf dem Wagen der Eltern ganz vorn in der Kolonne.

Amoz ging vor dem linken Vorderrad in die Hocke, bückte sich bis ins Gras und fluchte erneut. Wieder rollte ein Planwagen vorbei. Der strohblonde Schmied von Bowling Green, der junge James Baker, rief ihr einen Gruß zu, und ob er helfen könne.

Betty winkte ab – ein Reflex, denn sie wollte nichts zu tun haben mit dem hochgewachsenen und bulligen Schmied. Seit Wochen schon mied sie seine Nähe, seit er beim Vater um ihre Hand angehalten hatte.

Amoz fluchte und schimpfte immer lauter. »Du darfst nicht fluchen, Amy!«, rief Betty. »Das weißt du ganz genau!«

»Bullshit!« Ihr Bruder hörte sie nicht. »Gottverdammter Bullshit!«

»Schäm dich, Amoz!« Betty stieg vom Bock und ging neben ihm in die Hocke. »Was ist los?«

»Die Achse hat sich aus dem Radlager gelöst.« Er deutete unter den Wagen, und jetzt fiel Betty die schräg nach unten ragende Achse auf. »Wie kann das sein?« Amoz kroch unter den Wagen. »Dad und ich haben doch gestern Abend erst alle Räder kontrolliert!«

Betty kniete im Gras und beobachtete, wie Amoz die Achse abtastete. Ein Ausdruck tiefen Entsetzens legte sich plötzlich auf seine Miene. Sie erschrak. »Jemand hat den Bolzen gelöst«, sagte ihr Bruder leise.

Auf einmal fielen Schüsse. Betty sprang hoch, rannte ans Wagenheck und spähte zum Fluss. Geschosse jaulten über die Uferböschung. Betty ging sofort in die Hocke und kauerte sich neben das Hinterrad. Vier Reiter jagten am anderen Ufer den Hang herunter und trieben ihre Pferde in den seichten Fluss.

»Indianer!«, rief Amoz. »Unter die Plane mit dir, Betty! Schnell, und wirf mir das Gewehr herunter!« Er schob sich unter dem Wagen hervor, aschfahl im Gesicht. »Und dann kriech unter alle Decken und Kleider, die du greifen kannst!«

Betty stieg auf den Kutschbock. Ihr Blick fiel auf den Planwagen, der sie zuletzt überholt hatte, den Wagen des bulligen Schmiedes. James Baker hielt an, beugte sich seitlich vom Bock und blickte zurück zu ihr.

Plötzlich bebte der Kutschbock unter Betty, und es donnerte und krachte. In einer mächtigen Staubwolke polterten Felsbrocken den Hang herab, stürzten auf den Uferweg und begruben den Wagen des Schmiedes unter sich.

»Wo bleibt das Gewehr?«, brüllte Amoz.

Betty erwachte aus ihrer Schreckensstarre, stieg vom Bock auf die Ladefläche und kramte mit zitternden Händen die Waffe zwischen dem Sattelzeug heraus. »Das Gewehr!« Die Stimme ihres Bruders überschlug sich, so laut brüllte er.

Plötzlich hörte Betty Hufschlag wie von wildem Galopp. Und dann explodierte ein Schuss direkte neben dem Planwagen. Amoz brüllte noch lauter, aber nicht mehr nach seinem Gewehr.

»Amoz!« Betty fuhr herum. Ihr Bruder schrie wie unter großen Schmerzen. »Was ist mit dir, Amoz?« Der Wagen schaukelte heftiger auf einmal. Das Gewehr in den Händen, wollte Betty zurück auf den Kutschbock klettern, doch auf einmal richtete sich ein hagerer, bronzehäutiger Mann vor ihr auf. Sie sah in dunkle Augen und in ein junges, ebenmäßiges Gesicht.

Ein Indianer!

Betty hob die Flinte – doch zu spät: Der Indianer packte sie am Kleid und zerrte sie auf den Kutschbock. Sie hörte Stoff reißen und sprang vom Bock. Das Kleid hielt sie fest – und riss endgültig. Betty stürzte von der Kutsche und prallte auf den Boden. Als sie den Kopf hob, stand der Indianer mit ihrem Kleid in der Hand über ihr. Sie raffte das Mieder um ihren Busen zusammen. Warum schrie Amoz nicht mehr?

Sie stemmte sich hoch, wollte weglaufen, doch ein zweiter Indianer stürmte auf sie zu. Er hielt ein Beil in der Faust und schlug ihr die flache Klingenseite gegen die Schläfe. Betty wurde ohnmächtig.

Als sie wieder zu sich kam, lag sie auf dem Rücken eines Pferdes. Der Indianer hielt sie fest und trieb sein Tier die Flussböschung hinunter. Etwas Helles baumelte dicht neben ihr am gescheckten Pferdehals. Ein blonder Haarschopf, blutverschmiert. Bettys Angst steigerte sich zu blankem Entsetzen.

Sie strampelte, schlug um sich und schrie um Hilfe. Noch nie hatte so viel Panik ihr die Brust zusammengepresst, in ihrem ganzen Leben noch nicht. Der indianische Reiter brüllte sie an. Doch sie bäumte sich auf und schlug nach ihm. Für einen Moment konnte sie sein Gesicht sehen: sonnenverbrannte Haut, eng beieinanderstehende hellbraune Augen und eine vernarbte und vielfach gebrochene Nase.

Er rammte ihr die Faust ins Gesicht. Betty drohten erneut die Sinne zu schwinden; sie erschlaffte. Der Indianer aber beugte sich über sie und die Mähne seines Pferdes. Er zischte etwas in einer für Betty unverständlichen Sprache und galoppierte durch den Fluss. Am anderen Ufer jagte er den Hang hinauf.

***

Die Abenddämmerung lag schon über Gipfeln, Wald und Fort, als man dem Reiter das Tor öffnete. Er ritt hindurch und die Torflügel schlossen sich wieder. Ein langer, mühevoller Weg lag hinter ihm. Sein Magen knurrte.

Ein Mann in blauer Uniform, mit Armeehut und gelbem Halstuch trat aus dem Ausgang des Wachturms und kam zu ihm. Sein forschender Blick gefiel dem Reiter.

»Willkommen in Fort Laramie.« Der kleine drahtige Soldat streckte die Rechte zum Pferderücken hinauf. »Wie, sagten Sie, war ihr Name, Sir?«

»Lassiter.« Der Mann von der Brigade Sieben beugte sich hinunter und ergriff die ausgestreckte Hand. »Einfach nur Lassiter.«

»Ah, der Scout aus Denver, richtig?« Lassiter nickte. »Lieutenant Curtis, Henry Curtis. Freut mich, dass Sie es noch vor der Nacht geschafft haben, Lassiter.« Er deutete auf ein zweistöckiges Gebäude auf der anderen Seite des großen Exerzierplatzes. »Dort ist die Kommandantur. Der General erwartet Sie.«

»Danke, Lieutenant.« Lassiter tippte sich an die Hutkrempe und lenkte sein Tier über den Platz.

Vor den ausgedehnten Stallungen des Forts striegelten Soldaten ihre Pferde. Aus der Schmiede strahlte Feuerschein und drangen Hammerschläge. Da und dort drehten sich Windräder. Auf der Veranda vor den Mannschaftsunterkünften hockten Soldaten und würfelten oder spielten Karten.

Hinter den Fenstern der Kommandantur brannte Licht. Vor dem Eingang standen ein paar Soldaten und steckten die Köpfe zusammen. Eine blonde Frau lehnte über das Geländer und blickte Lassiter entgegen.

Er stieg vom Pferd und band es fest. Die Frau lächelte ihm zu. »Wo kommst du denn so spät noch her, Cowboy?«

»Zuletzt aus einer Höhle am North Fork River.« Er schaute an sich hinunter – seine Stiefel waren staubig, seine Hose dreckig. »Sehe ich aus wie ein Cowboy?«

»Ein bisschen.« Sie trug eine Reithose. Ihr Lächeln wirkte offen und selbstbewusst. Ihr langes, etwas zerzaustes Blondhaar hing ihr weit über die üppigen Wölbungen unter ihrem roten Hemd. Ihr schönes Gesicht war schmal und ein wenig kantig, ihre Gestalt groß und schlank. »Wo bist du losgeritten?«

»In Denver, vor einer Woche.« Er ging zu ihr und reichte ihr die Hand. »Zur Bahnstation. Und dann von Cheyenne aus fünf Tage im Sattel bis hierher.«

Er hielt ihre Hand länger fest, als es nötig gewesen wäre. Ihr Lächeln wurde eher noch freundlicher. »Nennen Sie mich Lassiter. Gleich bei der Ankunft in Fort Laramie eine schöne Frau zu sehen war das Letzte, was ich erwartet habe.« Er sah ihr tief in ihre grünen Augen.

»Dann bin ich also eine Art Willkommensgruß aus Fleisch und Blut.« Sie sprach jetzt leiser und äugte zu den Männern vor der Tür. Die beobachteten sie und Lassiter. »Danke für die Blumen, Lassiter. Ich bin Jane Martin aus Mansfield. Nenn mich Jane.«

»Mansfield, Ohio?« Sie nickte. Lassiter ließ ihre Hand los. »Musst mir gelegentlich erzählen, was dich so weit in den Westen verschlagen hat. Man sieht sich.« Er tippte sich an die Hutkrempe und stieg die Vortreppe zur Veranda hinauf.

Die Soldaten vor der offenen Tür musterten ihn – teils neugierig, teils misstrauisch. Alles Offiziere, wie der Mann von der Brigade Sieben an ihren Schulterstücken erkannte. Er begrüßte auch sie mit Handschlag. »Lassiter. Ihr Kommandant erwartet mich.«

Seine gradlinige Höflichkeit verblüffte die Männer; sie nickten nur oder nuschelten einen verlegenen Gruß. Lassiter wandte sich der offenen Tür zu und stieg die Treppe zum Office des Generals hinauf.

Er hatte gerade die Hälfte der Stufen hinter sich, da öffnete sich oben eine Tür und ein Soldat kam aus dem Office. Er war mittelgroß und hatte scharf geschnittene, harte Gesichtszüge. Silbrige Strähnen durchzogen seine dunklen Locken.

Die Treppe war schmal und der Mann rempelte Lassiter im Vorübergehen an. Statt sich zu entschuldigen, fluchte er nur und stapfte an ihm vorbei die Treppe hinunter, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

Lassiter klopfte. Eine tiefe Stimme hieß ihn eintreten. Tief über Landkarten gebeugt saß der Kommandant an seinem Schreibtisch. Er hieß Miller, das wusste Lassiter aus dem Telegramm der Brigade Sieben, das ihn zehn Tage zuvor in Denver erreicht hatte.

»Sie hatten vorgestern Geburtstag, Sir.« Lassiter sprach die Codeworte, mit denen er sich laut Telegramm aus Washington als Agent der Brigade Sieben ausweisen sollte. »Ich gratuliere nachträglich.«

General Miller hob den Blick und zog die Brauen hoch. »Unser Späher?« Er erhob sich langsam. »Lassiter?« Aus freundlichen Augen musterte er seinen späten Gast.

»Richtig, General, Sir.«

Der hochrangige Verbindungsmann zur Brigade Sieben, kam hinter seinem Schreibtisch hervor. »Freut mich, Lassiter.« Sie begrüßten einander. »Eine halbe Stunde später und Sie hätten Fort Laramie nicht mehr von einem Geröllfeld oder dem Wald unterscheiden können.« Miller deutete zum Fenster – es war dunkel geworden inzwischen.

Er kehrte hinter seinen Schreibtisch zurück, wies auf einen freien Stuhl an dessen Vorderseite und schenkte Wasser aus einem Krug in zwei Gläser aus. »Wenn wir hier fertig sind, gehen Sie in die Küche, Lassiter. Dort kriegen Sie eine ordentliche Mahlzeit. Doch bis dahin müssen Sie sich mit Wasser begnügen. Und einem Auftrag, der es in sich hat.«

Auf die Stuhllehne gestützt und die rechte Hand zwischen zwei geöffneten Knöpfen in der Herzgegend unter die Uniformjacke geschoben, prostete er Lassiter zu. Mit Wasser!

»Sie sind Tanner schon begegnet, nicht wahr?«, fragte er. »Haben Sie auch schon mit ihm gesprochen?«

»Tanner?« Lassiter runzelte die Stirn.

»Der Major, der vor Ihnen mein Office verlassen hat.«

»Der rannte an mir vorbei, bevor ich auch nur grüßen konnte.« Lassiter erinnerte sich nicht gern an die unfreundliche Begegnung.

»Sieht ihm ähnlich.« Der General zuckte mit den Schultern. »Nun, Tanner gilt als wortkarg und wenig gesellig.«

»Hat er was mit meinem Auftrag zu tun?« Lassiter nippte an seinem Wasser. Ein Becher mit heißem Kaffee wäre ihm lieber gewesen.

»Das hat er in der Tat.« Endlich setzte Miller sich wieder hinter seinen Schreibtisch. »Er wird den Spähtrupp leiten, der die Strafexpedition gegen die Nez Percé vorbereiten soll. Und er wird Sie ins Gebiet der Indianer führen. Dort, im Norden des Großen Beckens, vermuten wir mindestens drei weiße Frauen und Mädchen, die von den Nez Percé geraubt wurden. Wahrscheinlich sind es sogar noch mehr.«

»Mädchenraub also.« Lassiter begriff schlagartig, dass harte Wochen vor ihm lagen. »Und ich soll die armen Geschöpfe finden und befreien?«

»Erst einmal nur finden, Lassiter. Die Kavallerie übernimmt dann die Befreiung. Nur im Notfall oder wenn es gefahrlos möglich ist, dürfen Sie auch Gefangene befreien.«

»Sind die Männer des Spähtrupps eingeweiht?«

Miller schüttelte den Kopf. »Offiziell kundschaftet Tanners Spähtrupp die Lager der Nez Percé aus. Die Indianer halten sich nicht an gültige Verträge, also müssen wir sie bestrafen. Und so eine Strafexpedition muss gründlich vorbereitet werden.«

»Und inoffiziell dient mir der Spähtrupp als bewaffnete Eskorte, damit ich die Mädchen finde.« Irgendetwas an seinem Auftrag befremdete Lassiter. Er kam nicht gleich drauf, was.

»Der Spähtrupp besteht aus knapp zwei Dutzend Männern. Keiner weiß von den Mädchen und keiner kennt Ihren Auftraggeber, Lassiter. Geschweige denn Ihren Auftrag.« Er beugte sich vor, faltete die Hände auf dem Schreibtisch und senkte die Stimme. »Auch Major Tanner nicht übrigens.«

»Wissen Sie, was ich mich frage, Sir?« Lassiter wurde plötzlich klar, was ihn stutzig machte. »Warum suchen nicht Tanner und seine Späher nach den verschwundenen Mädchen? Oder warum marschiert nicht die geplante Strafexpedition in die Lager der Nez Percé und befreit die Mädchen? Wozu die Geheimniskrämerei?«

»An den Ost-West-Routen sind in den letzten Jahren weit mehr Frauen und Mädchen verschwunden als die drei erwähnten, Lassiter.« Todernst wirkte der General plötzlich. »Zwei konnte die Kavallerie im Süden aus den Händen der Apachen befreien, ein junges Mädchen an der kanadischen Grenze. Irokesen hatten sie den Nez Percé abgekauft.«

»Soll das heißen …?« Lassiter verschlug es erst einmal die Sprache. Aus zusammengekniffenen Augen musterte er den General. Endlich fand er wieder Worte. »Sie glauben an einen organisierten Handel mit weißen Frauen und Mädchen?«

Miller nickte. »Blonde Mädchen und Frauen sind überaus begehrt bei den Indianern.« Er zog eine Schublade in seinem Schreibtisch auf und holte ein dickes Kuvert heraus. »Deswegen die strenge Geheimhaltung. Wer auch immer in diesen schändlichen Sklavenhandel verstrickt sein mag – er darf auf keinen Fall Wind davon bekommen, dass die Regierung in dieser Angelegenheit ermittelt.«

»Sie halten es also für möglich, dass auch Weiße mit den Mädchenrauben zu tun haben?« Eins und eins zusammenzuzählen, gehörte für einen wie Lassiter zu den leichteren Übungen.

»Wir können gar nichts ausschließen.« General Miller schob das Kuvert über den Schreibtisch. »In den Unterlagen finden Sie die Personalien der Frauen, von denen wir wissen oder glauben, dass sie von den Nez Percé entführt wurden. Außerdem Landkarten und alles, was Sie über die Nez Percé und die Männer des Spähtrupps wissen müssen.«

Lassiter steckte das Kuvert in seine Jackentasche. Es war ungewöhnlich dick. »Ein komischer Vogel, dieser Tanner. Wird nicht einfach werden, mit ihm klarzukommen.«

»Ray Tanner hat während des Bürgerkriegs als Colonel auf Seiten der Konföderierten gekämpft. Nach dem Krieg hat man ihn degradiert, weil man ihm Verbindungen zu sogenannten Partisanen nachweisen konnte. Wenn Sie verstehen, was ich meine, Lassiter.«

»Ich verstehe sehr gut, General, Sir.« Die Partisanen der Südstaaten hatten während des Bürgerkriegs hart für ihren schlechten Ruf gearbeitet.

»Major Tanner wird den Spähtrupp führen, wie gesagt. Als ihr Vorgesetzter, Lassiter. Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als mit ihm klarzukommen. Er ist übrigens Reserveoffizier. Im bürgerlichen Leben verdient er sein Geld als bewaffneter Begleitschutz bei der Eisenbahngesellschaft oder als Scout. Die Army ruft ihn hin und wieder für Spezialaufträge unter die Fahne.«

Nachdenklich betrachtete Lassiter die Karte, die der General vor sich auf dem Schreibtisch ausgebreitet hatte. Sofort fand sein Blick den Snake River und folgte seinem Lauf bis zu den Blue Mountains. In diese abgelegene Gegend also hatten die Indianer die weißen Frauen verschleppt. Und irgendwo dort würde er die nächsten Wochen verbringen.

»Das wäre es, Lassiter«, sagte der General. »Mehr habe ich Ihnen nicht zu sagen.

Lassiter nickte langsam. »Diese armen Mädchen«, sagte er leise.

***

Wasser klatschte in ihr Gesicht. Elisabeth Redford riss die Augen auf. Indianer standen um sie herum, starrten sie an und gestikulierten. Zwei stritten miteinander – der mit der gebrochenen Nase und der mit dem ebenmäßigen Gesicht. Bettys Schädel schmerzte, sie hatte keine Ahnung, wie lange sie bewusstlos gewesen war.

Die Indianer fesselten sie auf einen Mustang und ritten der untergehenden Sonne entgegen. Bis tief in die Nacht hinein musste sie es auf dem Pferderücken aushalten. Sie schlief ein, noch bevor jemand ein paar Felle über sie warf.

Am nächsten Morgen gab es trockenes Fleisch, Maisfladen und Wasser. Danach fesselte ein Indianer sie auf ein geschecktes Pferd und Betty musste wieder reiten, immer weiter nach Westen, immer tiefer in die Berge hinein.

Manchmal heulte sie vor Kopfschmerzen und Entsetzen, manchmal verlor sie das Bewusstsein. Dann wieder ein Sonnenuntergang, wieder eine Nacht.