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Eigentümlich ergriffen blickte Ed Hardegan dem Mann nach, der soeben seine Anwaltskanzlei verlassen hatte. Er war kein gewöhnlicher Klient gewesen, hatte sich mit dem Namen Lassiter vorgestellt und sich damit als Beauftragter der Brigade Sieben ausgewiesen. Es waren nur wenige Worte gewechselt worden, dann hatte Lassiter seine Unterlagen entgegengenommen und war gegangen.
Umso überraschter war Hardegan, als die Tür seines Office wenige Minuten später erneut aufschwang. Erst dachte er, der große Mann mit den wie versteinert wirkenden Zügen wäre zurückgekommen, doch schon einen Augenblick darauf sah er ein fremdes Gesicht im Eingang.
"An sich wollte ich gerade abschließen", meinte Ed Hardegan. "Kann ich Ihnen trotzdem irgendwie weiterhelfen?"
Der Unbekannte lächelte versonnen. "Das können Sie", sagte er. "Da bin ich ganz sicher."
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Seitenzahl: 133
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Der Blutschwur des Outlaws
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: TXUS/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5359-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der Blutschwur des Outlaws
Eigentümlich ergriffen blickte Ed Hardegan dem Mann nach, der soeben seine Anwaltskanzlei verlassen hatte. Er war kein gewöhnlicher Klient gewesen, hatte sich mit dem Namen Lassiter vorgestellt und sich als Beauftragter der Brigade Sieben ausgewiesen. Es waren nur wenige Worte gewechselt worden, dann hatte Lassiter seine Unterlagen entgegengenommen und war gegangen.
Umso überraschter war Hardegan, als die Tür seines Office wenige Minuten später erneut aufschwang. Erst dachte er, der große Mann mit den wie versteinert wirkenden Zügen wäre zurückgekommen, doch schon einen Augenblick später sah er ein fremdes Gesicht im Eingang.
»An sich wollte ich gerade abschließen«, meinte Ed Hardegan. »Kann ich Ihnen trotzdem irgendwie weiterhelfen?«
Der Unbekannte lächelte versonnen. »Das können Sie«, sagte er. »Da bin ich ganz sicher.«
Halbherzig erwiderte Hardegan das Lächeln. Der Kerl war ihm nicht geheuer. Er machte auf den Rechtsanwalt unwillkürlich den Eindruck eines Taschenspielers, der immer noch ein zusätzliches Ass im Ärmel hatte.
Eingehend betrachtete Ed Hardegan sein Gegenüber. Er trug einen scharf ausrasierten Backenbart, der ihn älter erscheinen ließ, als er in Wirklichkeit war. Der Anwalt und Notar schätzte den Mann auf knappe dreißig. Auffällig war seine Haltung, die seine innere Anspannung verriet. Jemand wie er war ständig auf der Hut und verstand es, nicht nur mit seinen Fäusten, sondern auch mit seinem Colt umzugehen. Die Frage, die sich förmlich aufdrängte, war, was dieser Kerl in Hardegans Büro zu suchen hatte.
»Sind Sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten?«, wollte Hardegan wissen. »Haben Sie bereits einen Gerichtstermin und brauchen anwaltlichen Beistand?«
Das Lächeln des Fremden verstärkte sich. Als wollte er seinen nachfolgenden Worten das entsprechende Gewicht verleihen, legte er seine Rechte auf den Knauf seines Revolvers. »Ich kann mich ganz gut selbst verteidigen.«
»Also schön«, erwiderte der Anwalt, warf einen Blick auf die Standuhr in der hinteren Ecke seines Büros und ärgerte sich, nicht unmittelbar hinter Lassiter seine Räumlichkeiten verschlossen zu haben. »Kommen Sie zur Sache. Ich habe wirklich nur wenig Zeit.«
Wortlos drehte sich der späte Besucher um, zog die Jalousie über der Tür herunter und drehte den Schlüssel im Schloss. Dann wandte er sich wieder Hardegan zu. »Darum sollten Sie sich keine Sorgen machen. Ich denke, wir werden ungestört sein.«
Eine eisige Klaue griff nach Ed Hardegans Herz. Der Fremde machte ihm Angst. Das Verschließen der Tür war nicht nur die dramatische Geste eines Klienten, der ein Geheimnis bewahren wollte. Es war Ausdruck einer Gesinnung, die sich gegen Hardegans Leben richtete. Und erstmals fürchtete der Anwalt um seine Unversehrtheit.
»Was … was wollen Sie, Mister?«, brachte Hardegan stockend hervor.
»Nennen Sie mich Terry«, sagte der Mann und strich mit den Fingerkuppen über seinen Bart. Das Ergebnis stellte ihn offensichtlich nicht zufrieden, denn er fügte hinzu: »Der Barbier sollte seine Messer wetzen, bevor er auf seine Kunden losgeht. – Hassen Sie es nicht auch, für stümperhafte Arbeit hart verdiente Dollars hinzublättern, Ed?«
Hardegan war nicht erstaunt, dass der Kerl seinen Vornamen kannte, schließlich stand er auf dem zierlichen Messingschild gleich neben der Eingangstür. »Ja«, bestätigte er eilig. »Schlechte Arbeit verdient keinen Lohn.«
»Eigentlich wollte ich mich mit Ihnen nicht über die Dienstleistungsbranche unterhalten, Ed …«
Hardegan schluckte hart. »Was möchten Sie wissen? Immer raus damit! Wir sind unter uns.«
Der Mann, der sich als Terry vorgestellt hatte, wanderte ein paar Schritte durch das Office, drehte Hardegan seinen Rücken zu, um einige Wandbilder anzuschauen, und kam schließlich auf den Anwalt zu. Auf der Ecke eines wuchtigen Schreibtischs ließ er sich nieder. »Ihr letzter Kunde …« Kurz hielt er inne, überlegte und fragte: »Sagt man in Ihrem Gewerbe eigentlich Kunde? Sie haben doch sicherlich eine bestimmte Bezeichnung.«
»Klient«, stellte der Rechtsanwalt richtig und konnte seine Nervosität kaum mehr im Zaum halten. »Letztlich läuft es auf dasselbe hinaus, aber ein Advokat ist nun mal kein Schmied.« Hardegans verlegenes Lächeln konnte nur oberflächlich seine Unsicherheit verbergen. Er strich über sein leicht gewelltes Haar und rückte die Brille auf seiner Nasenspitze zurecht.
»Dieser Klient«, griff Terry den Begriff auf und betonte ihn sonderbar, »was hat er von Ihnen gewollt?«
Hastig hob Ed Hardegan beide Arme. »Darüber darf ich nichts sagen. Anwaltliche Schweigepflicht, wenn Sie verstehen.«
»Natürlich verstehe ich. Aber glauben Sie mir eins: Es ist mir völlig gleichgültig.«
Hardegan wusste, was die Stunde geschlagen hatte. Trotzdem versuchte er, sich zu behaupten. »Ich kann und werde Ihnen nichts über meine Klientel mitteilen! Diese Menschen haben mir ihr Vertrauen ausgesprochen. Zudem bin ich an meinen Kodex gebunden.«
»Dachte ich’s mir doch!«, gab Terry zur Antwort. »Sie wollen mir eine offene und ehrliche Aussage verweigern, weil Ihr Pflichtgefühl Sie davon abhält. Wie aber steht es mit Ihrem Überlebensinstinkt? Wird er sich ebenfalls derart störrisch zeigen?« Übergangslos lag ein schwerer Revolver in Terrys Hand. Die Mündung wanderte von Hardegans Stirn hinab zu seinem Bauch, schwenkte einige Male hin und her und verharrte schließlich auf seinem rechten Oberschenkel.
»Bitte, Mister!«, stieß Ed Hardegan aus. »Tun Sie nichts, was Sie im Nachhinein bereuen werden! Wollen Sie denn nicht begreifen, dass ich Ihnen nichts sagen kann?«
Ein Schuss donnerte. Gnadenlos fraß sich die Kugel in Hardegans Bein, riss ein Loch in seine Hose und hinterließ einen Krater aus aufgeworfenem Fleisch. Schreiend zuckte der Anwalt zurück, krachte rücklings gegen die Wand und presste beide Hände auf die Wunde. Als er wieder aufsah, waren Tränen aus Schmerz und Verzweiflung in seinen Augen.
»Das tut weh, nicht wahr?«, sagte Terry gelassen, und es lag kein Spott in seiner Stimme. »Es ist ganz anders als in diesen kitschigen Romanen. Vergleichbar mit einem Nagel, der Ihnen durch die Hoden getrieben wird. Der Schmerz ist nur die eine Seite der Medaille, das Wissen, unwiderruflich gezeichnet zu sein, die andere.«
»Töten Sie mich nicht, Mister!«, entfuhr es Ed Hardegan. Mit Mühe hielt er sich auf den Beinen. Zwischen seinen Fingern, die sich auf das Einschussloch pressten, pulste tiefrotes Blut hervor.
»Warum sollte ich Sie töten?« Terry hob seine Brauen und schüttelte verwundert den Kopf. »Tote reden nicht! Aber ich will, dass Sie reden. Und irgendwann erreicht jeder Mann den Punkt, an dem er sich nur eine einzige Frage stellt: Ist mein Schweigen es wert, den Rest meines Lebens als Krüppel zu verbringen?«
»Was … haben Sie vor?« Hardegans Blick verschleierte sich. Schon jetzt war der Schmerz kaum zu ertragen, aber er hielt ihm stand. Was konnte Terry schon aufbieten, um seine Pein zu steigern …?
»Ich nehme Ihnen Ihre Zehen und Finger, jeden einzelnen und in strenger Reihenfolge. Danach werde ich Ihre Arme und Beine unbrauchbar machen. Sollten Sie im Anschluss immer noch für sich behalten wollen, was ich wissen möchte, sind Ihre Augen dran …« Freudlos lachte er auf. »Sie wären allerdings der Erste, der bis dahin durchhält.«
»Sie sind eine Bestie!«, keuchte Hardegan. »Wie kann sich jemand an den Qualen seiner Mitmenschen weiden?«
Terry winkte ab. »Es macht mir keine Freude, das dürfen Sie mir glauben. Es ist ein notwendiges Übel, in dem ich eine gewisse Meisterschaft erlangt habe. Aber auch für mich hat es Rückschläge gegeben, die mich eine Zeit lang frustriert haben. Dieser Farmer etwa, der seinen Grundbesitz nicht verkaufen wollte, hat sich so lange verstümmeln lassen, bis er nicht mehr sprechen konnte. Irgendwie war er geistig weggetreten. Ich musste ihn erschießen.«
»Sie haben mein Mitgefühl«, presste Hardegan hervor, schluckte aber seinen Sarkasmus herunter, als sich die Revolvermündung auf seine Stiefelspitze richtete.
»Wie sieht es aus, Ed? Gehen wir über zur nächsten Runde, oder ist Ihnen etwas eingefallen, das mich interessieren könnte?«
»Du sollst verrecken, du miese Drecksau!«, gellte der Anwalt.
Terry drückte ab. Hardegans Stiefelspitze platzte auf. Ein Schrei, der nur noch entfernt an den eines Menschen erinnerte, hallte von den Wänden wider. Haltlos brach Hardegan zusammen und wälzte sich kreischend am Boden. »Lassiter!«, schrie er. »Der Mann heißt Lassiter! Er ist hinter einem Kerl namens Sonny Red her und auf dem Weg nach Colorado Springs!«
Der eiskalte Schütze zeigte sich beeindruckt. »Sie beantworten bereits Fragen, die ich noch gar nicht gestellt habe. Verzeihen Sie meine Verwirrung, aber das ist neu für mich. Ich hatte angenommen, es mindestens bis zum zweiten Fuß zu schaffen.«
Eine Erwiderung blieb Ed Hardegan schuldig. Das Ziehen, Stechen und Brennen seiner Verletzungen wollte ihm die Besinnung rauben. Vergleichbares hatte er nicht im Entferntesten mitgemacht. Daher hörte er Terrys letzte Worte wie durch einen Watteschleier, der sich schützend vor sein Bewusstsein gelegt hatte.
»Das war’s dann wohl, Ed. Ich bin heilfroh, dass du mich nicht zum Äußersten gezwungen hast. Manchmal widert mich meine Arbeit wirklich an.«
Ein Schlüssel wurde herumgedreht, eine Tür aufgezogen und sanft wieder geschlossen. Das verhaltene Pfeifen einer fröhlichen Melodie drang an Ed Hardegans Ohren.
Eine Weile noch blieb der Rechtsanwalt liegen, bis er sich unter Ächzen und Stöhnen aufstemmte, an seinen Schreibtisch setzte und seinen Körper lang ausstreckte. Und plötzlich war es nicht mehr nur der Schmerz, der unaufhörlich durch seinen Körper raste, sondern auch eine Erkenntnis, die nicht minder gravierend war.
Er hatte einen Agenten der Brigade Sieben verraten.
Das würde nicht ohne Konsequenzen bleiben.
***
Flagstaff lag zwanzig Meilen hinter Lassiter und Colorado Springs geradewegs voraus. Gemächlich ritt der Brigade-Agent in die Stadt ein und fand schon nach kurzer Zeit ein Hotel, in dem er sich niederlassen konnte. Er bezahlte für eine Woche im Voraus, hoffte aber, den Auftrag früher zum Abschluss zu bringen. Auf seinem Zimmer holte er die Dokumente hervor, die er von Ed Hardegan erhalten hatte, und setzte sich aufs Bett.
Neben schriftlichen Notizen fand er in seinem Dossier auch einen Steckbrief vor. Den beiliegenden Erläuterungen entnahm Lassiter, dass es sich um Jahre altes Archivmaterial handelte. Das abgebildete Konterfei, das auf einer blassen Fotografie beruhte und mit feinen Strichen nachgezeichnet worden war, mochte demnach nicht zwingend dem gegenwärtigen Aussehen des Gesuchten entsprechen. Dennoch regte sich in dem Brigade-Agenten eine fast schon vergessene Erinnerung, die ihm das Antlitz des Outlaws seltsam vertraut erscheinen ließ.
Sonny Red, las Lassiter den Namen des Mannes, der in großen ausgebleichten Lettern oberhalb der ausgelobten Fangprämie stand. Damals war sein Kopf noch zweitausend Dollar wert gewesen, was sich angesichts der langen Liste seiner Straftaten eher bescheiden ausmachte. Nach seiner Festnahme hatte er zwei Jahre in einem County-Jail verbracht, hatte vier Jahre mit anderen Gefangenen Gleisbauarbeiten durchgeführt, war auf freien Fuß gesetzt und sechs Monate später bereits wieder eingebuchtet worden. In dieser kurzen Zeit hatte er seinem Konto schwere Körperverletzung, Raubmord, Mord und diverse Kleindelikte von Nötigung bis Erpressung hinzugefügt. Das hatte ihm weitere neun Jahre Zuchthaus eingebracht, allerdings nicht in einem normalen Gefängnis, sondern in einer Strafkolonie der US-Army.
In diesem Zusammenhang stellte sein neustes Vergehen für Lassiter keine große Überraschung dar. Sonny Red, ehemals Sergeant der Unionstruppen, hatte in aller Öffentlichkeit einen hochdekorierten Major samt Adjutanten erschossen und war dabei mit einer Brutalität vorgegangen, die sich mit seinen früheren Taten bei der Army deckte. Auch zu diesen Vorfällen der Vergangenheit gab es umfangreiche Auflistungen, die Lassiter einen guten Eindruck davon gaben, mit wem er es zu tun hatte. Während seiner Armeezeit hatte Sonny Red eine Vielzahl an Disziplinarstrafen wegen Befehlsverweigerung, Misshandlung von Untergebenen und unverhältnismäßiger Gewaltanwendung gegen den Feind erhalten. Lediglich sein verbissener Einsatz im Kampf sowie seine hohe Erfolgsquote hatten schlimmere Maßnahmen verhindert.
Ein richtiger Sonnenschein, dachte Lassiter und legte seine Dokumente beiseite. Er streckte sich auf dem Bett aus und verschränkte seine Arme hinter dem Kopf. Alle möglichen Gedanken zogen an ihm vorüber, und sie hatten hauptsächlich mit Whiskey und Frauen zu tun.
Nebenbei überlegte er, wie er Sonny Red am besten aufspüren konnte. Den Major hatte er in einem Kaff namens Englewood erschossen, das etwa auf halber Strecke zwischen Denver und Colorado Springs lag. Die Brigade vermutete allerdings, dass Red auf seiner Flucht die Hauptlinie der Kansas-Pacific-Railroad meiden würde, was Denver für den Gesetzlosen zur Tabuzone machte. Zwangsläufig musste er auf die Nebenstrecken ausweichen, sodass Lassiter lediglich die Railway Station vor Ort im Auge behalten musste. Lief es gut, würde er Sonny Red rasch dingfest gemacht haben, lief es hingegen schlecht, war der Killer bereits über alle Berge.
Lassiter wollte keine Zeit verschwenden und sprang auf. Er nahm seinen Remington zur Hand, überprüfte die Beweglichkeit von Hahn, Trommel und Abzug und wollte sein Zimmer verlassen. Plötzlich aber ließen ihn laute Rufe und spitze Schreie auf der Mainstreet innehalten. Der Agent wanderte zum Fenster, zog die Vorhänge auseinander, blickte hinunter und glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können.
Eine junge Frau mit langen dunklen Haaren war in einen Faustkampf mit zwei ebenfalls jungen Burschen verwickelt. Allein diese Tatsache rechtfertigte einen Laut der Verblüffung, doch erstaunlicher war, dass die Frau wie ein Kerl austeilte. Ihre Widersacher landeten zwar den ein oder anderen Schlag, konnten die Auseinandersetzung aber nicht für sich entscheiden und mussten derbe Hiebe schlucken.
Amüsiert betrachtete Lassiter die Szene einige Sekunden, entschied sich dann aber dazu einzugreifen, bevor sich das Blatt für die resolute Kämpferin wendete. Keine halbe Minute brauchte er bis zur Straße, sah aber auf Anhieb, dass er zu spät gekommen war. Ächzend und stöhnend lagen die beiden Kerle im Staub, rafften sich aber in Windeseile auf, als sie Lassiter bemerkten, der breitbeinig dastand, die Fäuste in die Hüften gestemmt hatte und sie verächtlich anfunkelte.
»Sie haben kein gutes Auge bei der Wahl Ihrer Liebschaften«, sagte der Agent zu der attraktiven Brünetten.
»Diese Schlappschwänze wollten mir an die Wäsche!«, regte sie sich auf und wischte sich einen Blutfaden aus dem Mundwinkel. »Und Ihnen rate ich auch, Ihre Finger bei sich zu behalten.«
Der Mann der Brigade Sieben trat näher. »Lassiter«, stellte er sich vor, tippte an die Krempe seines Stetsons und setzte ein entwaffnendes Lächeln auf.
»Myriel Wintergate«, nannte auch die Frau ihren Namen.
»Darf ich Sie zu einem Drink einladen?«, fragte Lassiter freundlich.
»Warum?«, entfuhr es Myriel abwehrend. »Glauben Sie, leichteres Spiel zu haben, wenn Sie mich betrunken machen?«
»Ich glaube«, erwiderte Lassiter ruhig, »dass Sie nach der Aufregung ein wenig Entspannung vertragen könnten. Außerdem sind betrunkene Frauen nun wirklich nicht mein Fall, Miss Wintergate.«
Myriel gab einen verächtlichen Laut von sich und murmelte: »Sie können mir viel erzählen.« Ihre Abneigung aber legte sich. »Sie können mir im Saloon einen spendieren. Er ist nur ein paar Schritte entfernt.«
Wenige Minuten später saßen sie sich an einem kleinen runden Tisch gleich neben dem Eingang des Saloons gegenüber. Lassiter hatte sich einen Whiskey bestellt und seiner Begleiterin einen Sherry. Ehe er ihr zuprosten konnte, hatte Myriel ihr Glas bereits in einem Zug geleert und leckte über den Rand. »Was führt Sie nach Colorado Springs?«, fragte sie. »Wollen Sie ein günstiges Grundstück erwerben, eine Ranch kaufen oder sich einfach in den Trubel werfen?« Sie lachte hell auf. »Beim Straßenfest in wenigen Tagen wird sich die Stadt in ein Tollhaus verwandeln.«
»Nichts von alldem«, antwortete Lassiter ausweichend.
Mit verschwörerischem Blick beugte sich Myriel Wintergate vor, hob eine Hand vor ihren Mund und flüsterte: »Hat Ihre Frau Sie sitzen lassen? Sind Sie ein verzweifelter Familienvater auf der Suche nach dem verlorenen Glück?«
»Ich bin geschäftlich in der Stadt«, meinte Lassiter und machte eine abwehrende Geste. »Aber genug von mir. Was ist mit Ihnen? Wie kommt es, dass Sie sich so gut verteidigen können?«
Wieder ließ Myriel ein helles Lachen erklingen, aber dieses Mal lag keine Heiterkeit darin. »Wenn ich ehrlich sein soll«, begann sie, musterte ihr Gegenüber und schien mit dem Befund zufrieden, »ist es eine Art Trotzreaktion. Meine Familie ist wohlhabend, mein Leben behütet. Normalerweise kann ich keinen Schritt tun, ohne dass meine Eltern davon wissen.«
»Also sind Sie ausgebüxt und haben zwei Jungs provoziert, um ihnen aufs Maul zu hauen?« Es war Frage und Feststellung in einem.