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Der grauhaarige Kassierer, dem der Lauf des schussbereiten Peacemakers an die Schläfe gedrückt wurde, zitterte am ganzen Leib. "Bitte, Mr. Jones!", keuchte er. "Wenn Sie wissen, wo der Schlüssel ist, dann sagen Sie's ihnen!"
Rob Jones, der Bankvorsteher, stand vor dem Aktenschrank neben der Verbindungstür, die Hände hoch in die Luft gereckt. Links neben ihm kniete Wisby, der Laufbursche, und schwitzte Blut und Wasser.
Vor ihnen, im Kundenraum der Monk & Blossom Bank, standen die Bankräuber: zwei Gestalten mit geschlitzten Masken vor dem Gesicht. Sie warteten auf die Reaktion des Vorstehers.
"Der Direktor hat ihn", sagte Jones leise. "Er trägt den Schlüssel immer am Mann."
"Du lügst!", gellte die Stimme einer Frau.
Im nächsten Augenblick krachte ein Schuss und der Graukopf am Schalter brach tot zusammen.
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Seitenzahl: 131
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Thunder
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Timo Wuerz
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5361-7
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Thunder
Der grauhaarige Kassierer, dem der Lauf des schussbereiten Peacemakers an die Schläfe gedrückt wurde, zitterte am ganzen Leib. »Bitte, Mr. Jones!«, keuchte er. »Wenn Sie wissen, wo der Schlüssel ist, dann sagen Sie’s ihnen!«
Rob Jones, der Bankvorsteher, stand vor dem Aktenschrank neben der Verbindungstür, die Hände hoch in die Luft gereckt. Links neben ihm kniete Wisby, der Laufbursche, und schwitzte Blut und Wasser.
Vor ihnen, im Kundenraum der Monk & Blossom Bank, standen die Bankräuber: zwei Gestalten mit geschlitzten Masken vor dem Gesicht. Sie warteten auf die Reaktion des Vorstehers.
»Der Direktor hat ihn«, sagte Jones leise. »Er trägt den Schlüssel immer am Mann.«
»Du lügst!«, gellte die Stimme einer Frau.
Im nächsten Augenblick krachte ein Schuss und der Graukopf am Schalter brach tot zusammen.
»Ich will den Schlüssel!«, rief die Frau.
Rob Jones starrte auf die Sehschlitze ihrer Maske. Darin funkelte ein Paar heller, böser Augen. Aus der Mündung des Peacemakers stieg Rauch auf. Kaltblütig hatte die Bankräuberin den alten John Haller in den Kopf geschossen.
Jetzt zielte die Furie auf den Laufjungen.
Wisby fing an zu weinen. »Mr. Jones, um alles in der Welt«, schluchzte er verzweifelt, »wir werden alle sterben. Geben Sie ihnen den Schlüssel!«
Rob Jones zögerte einen Augenblick, dann nickte er. »Okay, ich tue, was verlangt wird.«
»Warum nicht gleich so?«, sagte die Frau. »Nehmen Sie die Hände herunter.« Sie warf einen Blick über die Schulter. Ihr Komplize, ein groß gewachsener Mann im langen dunklen Mantel, lehnte mit dem Rücken an der Plakatwand neben der Vordertür und sicherte. Er hielt eine Schrotflinte mit verkürztem Lauf in den Händen.
Jones nahm die Hände herunter. Der Schlüssel, auf den die Bankräuber so scharf waren, passte zu dem Tresorraum im rückwärtigen Teil der Bankfiliale. Wie gewöhnlich trug er ihn an einer Schnur um den Hals.
Die Frau hob die Schranke neben dem Schalter und zog den Kopf ein, während sie auf die andere Seite glitt.
Scheusal! Jones öffnete die obersten Knöpfe seines akkurat gebügelten, weißen Oberhemdes. Er löste die Schlaufe, an der der Schlüssel hing. Dabei blickte er der Mörderin fest in die Augen.
Mit einem großen Schritt trat sie über die Leiche des Kassierers hinweg.
Jones hörte, wie das Blut unter ihren Sohlen schmatzte. Ein Kloß würgte in seinem Hals. Er dachte an Hallers Frau, Mabel, die seit langem an einer Krankheit mit einem unaussprechlichen, lateinischen Namen litt. Haller hatte sie aufopferungsvoll gepflegt. Die Nachricht vom Tod ihres Mannes würde Mrs. Haller wahrscheinlich umbringen.
Für einen Moment überkam Jones rasende Wut, aber er kämpfte die Anwandlung schnell nieder. Im Moment war er hilflos wie ein Neugeborenes. Wenn er jetzt den Kopf verlor und den Kommandos der Eindringlinge nicht gehorchte, würden sie auch ihn töten. Damit war keinem geholfen.
»Du rührst dich nicht vom Fleck«, sagte die Frau zu dem schluchzenden Wisby.
Der Junge nickte beflissen.
Jäh spürte Jones den Lauf des Colts im Rücken. »Flinke Füße!«, drängte die Frau.
Er schob die Verbindungstür auf.
Durch das Office gelangten sie zu einer massiven Eisentür. Im Raum befanden sich zwei Schreibtische, mehrere Stühle und eine Regalwand, die mit Akten vollgestopft war. Der Geruch von Tinte und Papier mischte sich mit dem von Blut.
Hallers Blut!
Jones rammte den Schlüssel ins Schloss.
Nebenan, im Schalterraum, polterte es dumpf. Offenbar hatte der Mann mit dem Schrotschießer einen Neuankömmling zu Boden geschlagen.
Jones zögerte.
»Aufmachen«, sagte die Frau.
Er schloss mehrmals um, dann zog er die schwere Tür ruckweise auf. In dem gepanzerten Raum lagerten ungefähr fünftausend Dollar in kleinen Banknoten, Goldbarren und Silbermünzen. Außerdem wurden hier eine Menge Urkunden und Wertpapiere aufbewahrt.
Die Maskierte reichte Jones einen Sack aus Rindsleder. »Einsammeln! Los, ’n bisschen flott, wenn ich bitten darf!«
Ihre Stimme klang jung, fast mädchenhaft. Jones schätzte die Bankräuberin auf knapp fünfundzwanzig Jahre. Eine Evastochter in der Blüte ihres Lebens, und schon so abgebrüht und menschenfeindlich. Vor seinen Augen hatte sie einen Mann getötet, der ihr Vater hätte sein können. Ohne mit der Wimper zu zucken.
Was für ein Trauerspiel!
Jones klopfte das Herz bis zum Hals. Er fühlte, wie Schwindel in ihm aufstieg. Mit aller Willenskraft kämpfte er dagegen an.
»Mach schon!« Die Frau gab ihm einen Schubs.
Den Sack in der Linken, stolperte Jones über die Schwelle.
»Zuerst die Barren und das Silbergeld«, befahl die Mörderin.
Jones parierte aufs Wort. So schnell er konnte, klaubte er das Metall aus den Schubladen und warf es in den Sack. Der Frau ging es nicht schnell genug. Sie fluchte und hämmerte ihm den Colt auf den Hinterkopf.
Für einige Augenblicke sah Jones Sterne vor seinem Gesichtsfeld tanzen: ein flimmernder Reigen kakelbunter Lichter. Er geriet ins Schwanken und lehnte sich an die Tresortür. Japsend rang er nach Luft. Die Frau packte ihn brutal am Ärmel und bedachte ihn mit einem unflätigen Schimpfwort.
Jones raffte das Bargeld zusammen und stopfte es in den Lederbeutel.
»Gib her!« Die Bankräuberin riss den Sack an sich.
Der Lauf ihres Sechsschüssers zuckte hin und her. Jones stand da und starrte sie an. Ein Teufel in der Gestalt einer gut gewachsenen, jungen Frau. Was mochte sich der liebe Gott dabei gedacht haben, als er dieses Monstrum schuf?
Jones ließ den Atem aus seinen Lungen.
»Los! Auf die Knie mit dir!«, herrschte die Teufelin ihn an.
Jones tat, wie ihm geheißen und sank auf den Boden. »Nicht schießen«, sagte er gepresst. »Bitte lassen Sie mich am Leben, Miss.«
Die Mörderin schwenkte den Sack und lachte, als hätte er einen Witz gerissen. In dem Augenblick, als sie ihren Revolver auf ihn anlegte, erschallte im Schalterraum ein Ruf:
»He, Thunder, mach hin! Auf der Straße wird’s langsam ungemütlich!«
Thunder, dachte Jones. Also Donner nennt sich dieses Ungeheuer.
Da wandte die Mörderin sich ab und schlug die Tür zu. Mit einem Schlag wurde es stockdunkel in dem begehbaren Panzerschrank.
Rob Jones schloss die Augen und faltete die Hände zum Gebet. Es war verdammt knapp gewesen, aber er war nochmal davongekommen.
Erleichtert flüsterte er ein Vaterunser. Er schloss auch den alten Haller und dessen Frau in seine Andacht mit ein.
Sobald alles vorbei war, würde er der armen Mabel und ihrer Tochter Belle die schreckliche Nachricht überbringen müssen.
Jones grauste schon davor.
***
Lassiter saß auf dem Sofa in Hallers guter Stube. Er blätterte in einem Versandhauskatalog, trank Kaffee und aß nebenbei Apfeltorte.
Als Belle Haller eintrat, stutzte sie: »Wo ist meine Mutter?«, fragte sie. »Ich dachte, sie würde Ihnen Gesellschaft leisten, Mr. Lassiter.«
»Eine Freundin hat sie abgeholt«, sagte er. »Mrs. Ladstetter, sie kam vor ungefähr zehn Minuten. Sie und Ihre Mom wollten zu dem Nähzirkel in der Stanford Street.«
Belle griff sich an die Stirn. »Stimmt. Jetzt, wo Sie’s sagen, fällt’s mir auch wieder ein. Den Nähzirkel habe ich völlig vergessen.«
Lassiter stellte seinen leeren Teller auf den Tisch. »Der Kuchen war ausgezeichnet. Ein Labsal für den Gaumen. Großes Lob an Ihre Mom.«
»Sehr nett. Ich werd’s ausrichten.«
Belle spürte, wie sie rot anlief. Sie ärgerte sich über sich selbst. Jedes Mal, wenn sie dem Bekannten ihres Vaters über den Weg lief, glühte sie wie ein Holzscheit im Kamin. Verlegen trat sie von einem Bein aufs andere. »Sie haben keinen Kaffee mehr. Ich hole Ihnen neuen, wenn Sie wollen. In der Küche steht noch welcher.«
»Danke, nicht nötig.« Er legte den Katalog weg und stand auf. »Was halten Sie von einer kleinen Kutschfahrt, Miss Belle?«
Sie stand wie betäubt. »Eine Kutschfahrt?«
»Zum Griffin Hill«, schlug er vor. »Dort gibt es einen idyllischen Wasserfall, sagte Ihr Vater.«
»Ja, die Bluff Falls.« Sie senkte den Blick und starrte sich auf die Zehenspitzen.
Ihr Herz pochte wild. Gestern Nacht hatte sie von Lassiter geträumt.
Es war der mit Abstand lebhafteste Traum, der ihr je in den Kopf gekommen war – und der frivolste dazu. Sie hatte sich selbst gesehen, wie sie barfuß, nur im Nachthemd bekleidet, zur Kammer hinaufschlich, in dem ihr Hausgast Quartier bezogen hatte. Ohne zu klopfen, hatte sie die Tür geöffnet und war in die dunkle Stube geschlüpft. Lassiter schlief noch nicht. Er saß im Bett, ein Kissen im Rücken. Bei Kerzenlicht las er in einem Roman von Charles Dickens. Die Belle aus ihrem Traum hatte sich vor ihn gestellt und ihr Hemd so weit hochgezogen, dass der Mann ihre behaarte Scham sah. In seinen Augen bemerkte sie das gierige Funkeln. Belle sagte, er könnte sie anfassen, wenn er wolle. Als der Mann ihrer Aufforderung nachkam, war Belle wach geworden. Sie hatte geschwitzt, als hätte sie die letzten Stunden in einer Backstube verbracht.
»Lassen Sie uns aufbrechen, Miss«, sagte Lassiter. »Wir wollen wieder zurück sein, wenn Ihr Dad von der Arbeit kommt. Sie haben doch Lust, oder?«
Und ob ich Lust habe, dachte Belle und seufzte verhalten. Die Aussicht, eine Weile mit dem gut aussehenden Hünen allein zu sein, erwärmte ihr Herz.
»Ich ziehe mir nur schnell etwas über«, sagte sie.
Der Mann bedachte sie mit einem Lächeln, das ihr unter die Haut ging.
Wenig später trat sie vor das Haus. Der Zweispänner war bereits vorgefahren. Lassiter stand neben dem Pferd und rückte ihm das Kopfgestell zurecht. Belle raffte ihre Röcke und kletterte auf den Kutschsitz. Dabei blieb sie mit dem Rocksaum in einer Holzfuge hängen.
Sogleich eilte Lassiter zu ihr. »Warten Sie, Miss. Ich helfe Ihnen.«
Er versuchte, den eingeklemmten Stoff aus dem Spalt zu lösen, ganz vorsichtig, weil er ihr nicht das Kleid zerreißen wollte. Als er bei seinen Bemühungen ihre Wade berührte, erschauderte Belle.
Wäre ich eine Katze, würde ich jetzt schnurren, dachte sie.
»Warten Sie, kleinen Augenblick, gleich hab ich’s«, rief er aus.
Wieder spürte Belle die Hand an ihrem Bein. Verstohlen beäugte sie den Mann. Am liebsten hätte sie ihn auf seine vollen, fein geschwungenen Lippen geküsst. Sie bräuchte nur ihren Hals zu recken und den Mund spitzen. Prompt fragte sie sich, wie er wohl auf diese Liebkosung reagieren würde. Ob er ihren Kuss erwiderte? Oder ob er sie entrüstet in ihre Schranken wies?
Sie war sich da nicht so sicher.
Lassiter fummelte immer noch an ihrem eingeklemmten Rocksaum.
Belle genoss seine körperliche Nähe. Gestern Abend hatte sie ein Gespräch belauscht, in dem Dad und Mom über Lassiter redeten. Dad hatte gesagt, Lassiter habe eine fast krankhafte Schwäche für das weibliche Geschlecht. Um die Gunst einer Frau zu gewinnen, die ihm gefiel, würde er durchs Feuer gehen.
Das gefiel Belle. Ein Mann, der für sie durchs Feuer ging, war nicht zu verachten.
»Miss Belle?«
»Ähm, ja?« Sie war ganz verdattert.
»Sie können sich jetzt hinsetzen«, sagte Lassiter.
Nachdem sie sich überzeugt hatte, dass ihr Rocksaum wieder frei in der Luft schwang, kletterte sie auf den Beifahrersitz.
Es war ein sonniger Nachmittag im September, nicht allzu heiß, richtig angenehm. Über ihren Köpfen spannte sich der azurblaue Colorado-Himmel. Die Gipfel der Rocky Mountains trugen weiße Kappen und schillerten silbrig in der Sonne.
Die Kutsche rumpelte im Schritttempo die Main Street von Tanglewood entlang.
Aus der Ferne drang das Geräusch eines Schusses an Belles Ohren.
Sie lauschte kurz. »Jetzt fangen diese Cowboys schon mittags an, Krawall zu machen«, meinte sie dann.
»Ich kann die Jungs verstehen«, entgegnete Lassiter. »Auf der Range und auf den Trecks haben die Burschen nicht viel zu lachen. Cowboy ist der wohl härteste Job in Amerika.«
Belle nickte beifällig. Als Backfisch war sie einmal mit einem jungen Mann liiert gewesen, der in Texas Rinder gezüchtet hatte. Tim Naylor. Wenn sie abends mal am Lagerfeuer saßen, hatte er ihr so manch Episode aus dem Alltag der Cowboys erzählt. Tims Bruder hatte auch auf einer Ranch gearbeitet. Er war ums Leben gekommen, als ein Longhornstier ihn im Corral auf die Hörner nahm. Daraufhin hatte Tim sein Lasso an den Nagel gehängt und war bei einem Hufschmied in die Lehre gegangen.
Der Kutschwagen erreichte die letzten Häuser der Main Street.
Belle warf einen Blick nach vorn. Tanglewood lag in einem Tal, umgeben von massiven Bergriesen, die sich bis in den Himmel reckten. Um zu den Bluff Falls zu gelangen, mussten sie ein kegelförmiges Bergungetüm umfahren. Auf der zweispurigen Sandpiste wimmelte es von Querrinnen und Erdlöchern.
Der Wagen hopste klappernd darüber hinweg.
Belle kam sich vor wie eine Kugel in der Kenotrommel.
Nach ungefähr einer Meile erreichten sie eine Weggabelung.
»Links entlang«, sagte Belle, als sie merkte, dass Lassiter zögerte.
Er lenkte das Fahrzeug in die entsprechende Richtung. Verstohlen beobachtete Belle den Mann mit den Zügeln. Er spähte scheinbar teilnahmslos über den Rücken des Zugtieres hinweg auf die Straße.
Was mochte ihm gerade durch den Kopf gehen?
Belle beschloss, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sie beugte sich vor und schob den Saum ihres Rockes ein Stück höher. »Diese verflixten Mücken«, sagte sie. »Anhänglich wie Kletten, und sie stechen wie verrückt.«
Erfreut bemerkte sie, dass Lassiter einen verstohlenen Seitenblick auf ihr entblößtes Bein warf.
Im nächsten Augenblick rumpelte der Einspänner durch ein besonders tiefes Schlagloch. Sie wurden kräftig durchgerüttelt.
Belle stieß mit der Schulter gegen den Fahrer.
»Halten Sie sich gut fest«, mahnte er.
»Mach ich.« Sie schlang einen Arm fest um seine Taille, während der Wagen durch das nächste Erdloch donnerte.
Auf diese Weise erreichten sie den Fuß des Berges, auf dem sich ein schmaler Serpentinenpfad entlang zog. Es ging bergan, und sie kamen immer langsamer voran. Das Pferd stemmte sich tapfer in das Geschirr.
»Hü – hüa!«, rief Lassiter.
Belle lehnte ihren Kopf gegen die starke Schulter des Mannes. Sekundenlang schloss sie die Augen und träumte vor sich hin.
Schließlich erreichten sie die Bluff Falls. Das Wasser stürzte von der hundert Yard hohen Felsklippe in das beschauliche Tal. Gischt sprühte durch die Luft und kühlte die Haut auf dem Gesicht. Bunte Libellen sausten über die Wasseroberfläche hinweg.
Belle seufzte entzückt.
Das letzte Mal war sie hier gewesen, um mit ihrer Freundin Rachel ein Bad zu nehmen. Das Wasser im Flüsschen war zwar nicht allzu tief, aber es war frisch und klar. Nach einem Bad fühlte man sich wie neu geboren.
Lassiter brachte den Wagen dicht am Ufer zum Stehen.
Belle sprang ab und drückte ihr steif gewordenes Rückgrat durch. Während sie sich nach einem Platz zum Verweilen umsah, schirrte Lassiter das Pferd ab und ließ es grasen.
Belle setzte sich ins Gras, ganz dicht an einen Haselnussstrauch. Sie zog die Beine an und legte ihr Kinn auf die Knie. Aus schmalen Augen beobachtete sie ihren Gefährten. Nur zu gern hätte sie gewusst, warum er mit ihr ausgefahren war. Ob er plante, sie herumzukriegen? Oder wollte er ihr bloß einen schönen Nachmittag bieten, aus reiner Freundschaft?
Schwer zu sagen.
Insgeheim wünschte sie sich, dass es zwischen ihr und ihm zu einer Annäherung kam. Natürlich würde sie ihren Eltern davon kein Sterbenswörtchen erzählen. Auch Lassiter würde den Mund halten. Da war sie sicher.
Schon kam er heran.
Sie blinzelte zu ihm auf und suchte nach einem Gesprächsthema. »Dad sagt, Sie wären der beste Schütze westlich des Missouri«, sagte sie schließlich.
»Ihr Vater übertreibt«, gab er zurück. »Es gibt Shooter, die viel besser sind als ich.«
»Lassen wir’s drauf ankommen.« Sie schaute sich um. »Sehen Sie mal dort vorn, den Baumstumpf, von dem der knorrige Zweig absteht, der wie ein Galgenbaum aussieht. Würden Sie den treffen?«
»Von hier aus?«
»Ja. Wie viel Yards mögen das sein?«
»Vierzig, fünfzig.«
Sie stülpte die Unterlippe Lippe vor. »Für einen Revolver ziemlich weit, he?«
Er neigte den Kopf. »Normalerweise benutzt man auf diese Entfernung eine Waffe mit einem langen Lauf: eine Flinte oder einen Karabiner.«
»Normalerweise.« Spöttisch kniff sie ein Auge zu. »Ich wette, Sie treffen den Ast auch mit einem Short Shooter.«