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Dave Meeks lehnte an der Theke im Golden Star Saloon, als plötzlich die Tür aufflog. Ein Mann stürzte in das Lokal. Er war klein und dünn, trug einen breitkrempigen Stetson, eine Weste aus Rohhaut und ein knallrotes Halstuch. Er steuerte geradewegs auf den Schanktisch zu, an dem neben Meeks noch ein Mann namens Patterson stand.
Geordie, der Barkeeper, duckte sich hinter die Theke.
Der Fremde riss seinen Colt aus dem Holster, zielte auf Patterson und feuerte.
Meeks sah voll Entsetzen, wie sein Nachbar zu Boden ging. Im Fallen fasste sich Patterson an seine linke Brustseite. Sein gelbes Baumwollhemd war blutdurchtränkt. Für einen Augenblick hatte Meeks das Gefühl, die Zeit wäre stehen geblieben...
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Seitenzahl: 130
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Lockvogel für Lassiter
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Boada/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-6305-0
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Lockvogel für Lassiter
Dave Meeks lehnte an der Theke im Golden Star Saloon, als plötzlich die Tür aufflog. Ein Mann stürzte in das Lokal. Er war klein und dünn, trug einen breitkrempigen Stetson, eine Weste aus Rohhaut und ein knallrotes Halstuch. Er steuerte geradewegs auf den Schanktisch zu, an dem neben Meeks noch ein Mann namens Patterson stand.
Geordie, der Barkeeper, duckte sich hinter die Theke.
Der Fremde riss seinen Colt aus dem Holster, zielte auf Patterson und feuerte.
Meeks sah voll Entsetzen, wie sein Nachbar zu Boden ging. Im Fallen fasste sich Patterson an seine linke Brustseite. Sein gelbes Baumwollhemd war blutdurchtränkt. Für einen Augenblick hatte Meeks das Gefühl, die Zeit wäre stehen geblieben …
Patterson lag stöhnend am Boden. Zwischen seinen Fingern quoll Blut hervor.
Der Mann mit dem Colt durchquerte den Raum, als wäre nichts geschehen. Er näherte sich dem Billardtisch, an dem zwei Cowboys standen und Biergläser in den Händen hielten. Der Killer brachte seine Waffe erneut in Anschlag. Die Cowboys rührten sich nicht vom Fleck. Fassungslos starrten sie den Todesengel an.
Jetzt war der Revolvermann an der Tür des Hinterzimmers angekommen. Er stieß sie auf.
Drei Schüsse krachten.
Meeks zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Er konnte nicht fassen, was sich da vor seinen Augen abspielte.
Aus dem Nebenraum schallten Schmerzensschreie.
Die Billardspieler ließen ihre Queues fallen. Sie rannten zum Ausgang. Laut klapperten die Flügel der Schwingtüren.
Meeks erwachte aus seiner Lethargie. Er überlegte, ob er nach seiner Waffe greifen sollte. Doch er war weder ein guter Schütze noch ein schneller Zieher. Er trug seinen Sechsschüsser mehr oder weniger als Schmuck mit sich herum. Bisher hatte er nur auf streunende Köter oder fresslustige Coyoten geschossen. Ein Duell mit einem Killer würde er wohl kaum überleben.
Patterson, der zu seinen Füßen lag, griff ihm ans Bein. »Hilf mir«, keuchte er.
Meeks kauerte sich neben ihn.
Patterson hustete Blut, das ihm in den struppigen Bart lief und auf sein Hemd tröpfelte.
In schneller Folge knallten Schüsse. Die Schreie der Männer aus dem Hinterzimmer verstummten.
Die Stille des Todes breitete sich aus.
Plötzlich tauchte Geordie hinter der Theke auf. Er war käseweiß im Gesicht und zitterte wie ein junger Hund. »Raus hier«, raunte er.
Ein einzelner Schuss zerriss die Stille.
Meeks spürte, wie die Hand, die sein Bein umfasste, von ihm abließ. Kraftlos fiel sie auf die Dielen. Patterson lag stumm, reglos. Ungläubig blickten seine weit aufgerissenen Augen an die Decke.
Geordie jagte wie ein angestochenes Kalb zur Tür. In dem Augenblick, als er die Straße erreichte, kam der kleine Mann mit seinem rauchenden Colt aus dem Nebenraum.
Meeks fuhr in die Höhe und rannte los. Er hetzte zur rettenden Tür, als wäre ein angeschossener Grizzly hinter ihm her.
Auf der Holzveranda traf er auf Geordie. Der Barkeeper übergab sich über das Geländer. Inzwischen hatte sein Gesicht die Farbe eines Maiskolbens angenommen.
Meeks packte den Salooner am Arm und zerrte ihn von der Veranda weg. Geordie taumelte wie ein Betrunkener. Hinter ihnen klapperten die Schwingtüren.
Der Killer kam!
Zwei Kugeln pfiffen dicht an Meeks’ Kopf vorbei.
»Ich will nicht sterben«, lamentierte Geordie.
Die Leute auf der Straße rannten nach allen Seiten davon. Ein Mann mit Schlapphut stolperte über das Bordholz des Sidewalks. Er fiel der Länge nach auf die Bohlen. Irgendwo, ganz in der Nähe, kreischte die gellende Stimme einer Frau.
Meeks stieß den Barmann unsanft über die Straße.
Dicht vor ihren Füßen peitschten Kugeln in den Sand. Die Leute liefen verängstigt in die Häuser und versperrten die Türen.
Geordie fing an zu beten. »Vater unser, der du bist im Himmel …!«
Immer wieder blieb der Barmann stehen, als wenn ihm die Kraft zum Laufen fehle. Offenbar stand er unter Schock. Meeks riss ihn mit sich. Er zerrte den Barkeeper zu einem Hauseingang.
Die Tür ließ sich nicht öffnen.
Verzweifelt rüttelte Meeks an dem Knauf.
»Verschwinden Sie!«, rief ein Mann von drinnen.
»Wir werden alle sterben«, jammerte der Salooner.
Eine Kugel surrte heran. Geordie schrie wie am Spieß. Meeks sah ihn an. Zum Glück nur ein Streifschuss. Ein Stück von Geordies Ohrknorpel hing lose herab.
Meeks wandte sich wieder zur Tür. Er gab ihr einen wuchtigen Fußtritt.
Die Tür sprang auf, und unter dem Protest der Leute im Haus wuchtete Meeks den betenden Barmann über die Schwelle in Sicherheit.
☆
Der Geschäftsmann Paul Tushing saß im Salon seines zweistöckigen Hauses in der Carson Street. Er hatte ein schlankes Mädchen auf dem Schoß, das außer der Unterwäsche nur ein Paar hochhackige Schuhe trug.
Tushing knutschte gerade ihren Hals, als die Tür aufging, und Cal McNabbs, sein Assistent, eintrat.
»He, kannst du nicht anklopfen«, murrte Tushing.
McNabbs, ein lang aufgeschossener Schwarzschopf mit langen Koteletten, grinste schief. »Die Sache ist gelaufen«, sagte er.
»So wie es geplant war?«, hakte Tushing nach.
»Kann man sagen«.« McNabbs rieb seine große Nase. »Dostal hat gewütet wie Billy the Kid in seinen besten Zeiten. Drei Typen hat er über die Klinge springen lassen.«
Eine Weile sprach keiner ein Wort.
Das Mädchen kraulte Tushing den Bart. Sie hieß Vera, und es machte ihr nichts aus, dass jemand gekommen war und nun zusah. Dostal mochte Vera, weil sie so verschwiegen war. Außerdem galt sie als hübschestes Mädchen in Wells Breck. Er gönnte sich jede Woche ein Schäferstündchen mit ihr. Wenn sie ihn mit ihren Liebeskünsten erfreute, fühlte er sich wie der Gewinner des Jackpots bei der Lotterie.
»Wo ist Dostal jetzt?«, fragte er.
McNabbs nahm seinen Blick von Veras halb entblößtem Busen. »Untergetaucht«, antwortete er. »Die können suchen, bis sie schwarz werden. Das Versteck ist erstklassig. Kein Aas wird ihn finden.«
Tushing nickte in Gedanken. Der Kunde wird zufrieden sein, sagte er sich. Die Nachricht von den Toten im Golden Star Saloon wird bald in aller Munde sein. Der Gouverneur wird den Sternträgern Beine machen. Sie werden Aufgebote formieren und die Gegend durchkämmen. Sicher werden auch private Kopfgeldjäger aufkreuzen, um sich die Prämie einzuheimsen. Aber die Hurensöhne werden nichts finden. Dostal war abgetaucht.
Vera leckte mit der Zungenspitze an seinem Ohr.
»Lass das.« Tushing schüttelte sich und schob sie unwirsch zurück. »Geh in die Küche, Baby. Mach uns Dreien etwas zu essen.«
»Eier mit Speck?«, fragte sie mit dünner Stimme.
»Eier mit Speck«, nickte er.
Ohne ein weiteres Wort räkelte sich das Mädchen von seinem Schoß. Sie strich sich kokett über die Hüften, bedachte McNabbs mit einem herausfordernden Augenaufschlag und ging hüftwackelnd hinaus.
McNabbs schob schnaufend seinen Hut höher. »Was für ein Weib!«, schnaufte er. »Stell dir vor, neulich hab ich sogar von ihr geträumt.«
Tushing interessierten die Träume seines Vasallen nicht. »Wer sind die Leute, die Dostal umgelegt hat?«, hakte er nach.
»Nobodys. Zwei Rancharbeiter und ein Glücksritter, der sich Patterson schimpfte.«
Tushing stutzte. »Roy Patterson?«
»Möglich.« McNabbs verschränkte die Arme über der Brust. »Ist doch egal, wie die Kerle hießen. Jetzt sind sie weg vom Fenster. Kein Hahn kräht nach ihnen.«
Tushing ballte die Fäuste. »Dostal hat Roy Patterson erschossen? Roy Patterson?«
McNabbs wurde unsicher. »Keine Ahnung, ob der Kerl mit Vornamen Roy hieß. Bin ja kein Hellseher …«
Tushings Faust traf exakt die Kinnspitze seines Assistenten, und McNabbs taumelte schwankend durchs Zimmer. Halt suchend hielt er sich an einer Verzierung der Standuhr fest.
»Mach, dass du in die Spur kommst, du Schwachkopf!«, brüllte Tushing. »Ich will wissen, ob der Kerl Roy Patterson hieß. Finde es heraus. Auf der Stelle, ist das klar?«
»Ja, Boss«, keuchte McNabbs und rieb sein schmerzendes Kinn.
Er beeilte sich, dass er hinauskam.
☆
Einen Tag später saß Lassiter im Zug nach Wells Breck.
In der kleinen Boomstadt am Smoky River war einer der Kontaktleute der Brigade Sieben ermordet worden. Niedergemäht von einem Killer, der auch zwei andere Männer im Saloon erschossen hatte.
Lassiter sollte die genauen Umstände der Bluttat herausfinden. Ein gezielter Auftragsmord oder der Amoklauf eines Irren? Die Zentrale in Washington wollte der Sache auf den Grund gehen.
Der Zug, der aus einem halben Dutzend Waggons bestand, rumpelte gemächlich über die scheinbar endlose Prärielandschaft. In Lassiters Abteil roch es nach verschüttetem Bier, getrockneten Gewürzen und Tabakrauch. Es befanden sich ungefähr vierzig Fahrgäste in dem Wagen. Alle Sitzplätze waren belegt. Einige Leute starrten durch die schmutzigen Scheiben auf das wogende Grün des Büffelgrases. Andere spielten Karten oder schliefen, den Kopf an die Schulter des Sitznachbarn gelegt. Hier und da entspann sich ein halblautes Gespräch.
Lassiter döste mit halb geschlossenen Augen vor sich hin. Bis Wells Breck waren es noch knapp zwei Tage Fahrzeit. Dann fuhr der Bummelzug weiter bis Denver, Colorado. Lassiter fragte sich, wer ihn wohl auf der Station in Wells Breck in Empfang nahm. Roy Patterson war aus dem Rennen und kam nicht wieder. Ob es schon jemanden gab, der seinen Platz eingenommen hatte?
Lassiter wusste es nicht.
Die Tür auf der Stirnseite des Wagens ging auf.
Der Zugschaffner geleitete eine junge Frau herein. Die Passagiere drehte die Köpfe und musterten sie abschätzend.
»Ist noch irgendwo ein Platz frei?«, rief der Schaffner.
Die Leute schüttelten die Köpfe. Auch auf Lassiters Bank war kein Platz.
»Komm auf meinen Schoß, Honey!«, rief ein Rotschopf mit Hasenscharte.
Einige lachten.
Der Schaffner zuckte mit den Achseln. »Tut mir leid, Miss. Sie sehen selbst. Alles besetzt, bis auf den letzten Platz.«
»Aber ich kann doch nicht die ganze Zeit stehen«, gab die Frau zu bedenken.
»Wir probieren es im Gepäckwagen«, entgegnete der Mann in Uniform.
»Wie bitte? Ich soll bei den Pferden und Hühnern reisen?« Die Frau hatte die Stimme erhoben.
Ihre Entschlossenheit ließ Lassiter aufhorchen. Er schaute sie genauer an: rotblonde, hochgesteckte Haare, ein mintgrünes Kleid mit Rüschen am Kragen, eine mausgraue Jacke und erdbraune, spitze Stiefeletten.
Ihre Blicke trafen sich.
Sie packte die Griffe ihrer Reisetasche fester und sagte: »Alles erledigt, Schaffner. Sieht so aus, als hätte ich ein Plätzchen entdeckt.« Nach diesen Worten bahnte sie sich einen Weg durch den mit Gepäck vollgestellten Mittelgang.
Der Schaffner zog sich zurück.
Vor der Bank, auf der Lassiter saß, blieb die Frau stehen. Sie sah ihn an. »Wenn Sie ein wenig zur Seite rücken, reicht es bestimmt auch für mich.«
Lassiter lächelte. Die Rotblonde gefiel ihm. Prompt erwachte der Kavalier in ihm. Er stand auf und nahm seinen Hut in die Hand. »Nein, das ist für Sie nicht zumutbar, Miss. Wissen Sie was? Ich überlasse Ihnen meinen Platz.«
»Wir könnten uns abwechseln«, schlug sie vor. »Eine Stunde sitzen Sie, die andere ich.«
Der Mann, neben dem Lassiter gesessen hatte, lachte heiser. »Darauf würde ich mich nicht einlassen, Mister. Sie bieten Ihren Platz an, und was bekommen Sie als Gegenleistung? Nichts. Nada.«
Lassiter ignorierte den Ratschlag. »Bitte nehmen Sie Platz, Miss.«
Sie lächelte matt. »Bis wohin fahren Sie?«
»Wells Breck.«
In ihren Augen funkelte es auf. »Ich nehme Ihr Angebot an.« Sie schob sich an ihm vorbei, setzte sich und nahm die Tasche auf den Schoß.
Lassiter inhalierte den dezenten Duft ihres Parfüms. Er kannte den Geruch. Lotta Crabtree, die berühmte Theater-Schauspielerin, benutzte das gleiche Duftwasser. »Mein Name ist Lassiter«, sagte er.
»Ich bin Hanna Shields«, sagte die Rotblonde. »Wären Sie so freundlich, meine Tasche ins Gepäcknetz zu stellen?«
»Sehr gern.« Lassiter wuchtete die Tasche in das Fach über der Sitzbank.
Hanna Shields musterte ihn. »Kavaliere wie Sie findet man westlich des Mississippi nicht oft.«
Der Mann, der neben ihr saß, schüttelte den Kopf und wandte sich zum Fenster.
Lassiter fand immer mehr Gefallen an der Frau. Eine hübsche Reisebekanntschaft, die einen das Blut in Wallung brachte, war nicht zu verachten. Da verging die Zeit wie im Fluge. »Im letzten Waggon gibt es so etwas Ähnliches wie einen Speisewagen«, erklärte er. »Ich lade Sie zum Diner ein. Was halten Sie davon?«
Sie sah ihn prüfend an. »Aber Sie kennen mich doch gar nicht.«
»Beim Essen könnten wir das ändern.« Er setzte seinen Hut auf und rückte ihn zurecht. »Also, wie wär’s? In einer Stunde im Speisewagen?«
Sie zögerte einen Moment, dann nickte sie. »Gut, aber nur unter einer Bedingung.«
»Die wäre?«
»Jeder bezahlt seine Rechnung selbst.«
Das war ungewöhnlich. Frauen, die darauf bestanden, ihre Rechnung allein zu gleichen, waren Mangelware. »Gut, wenn Sie darauf bestehen. Er lächelte. »Wir sehen uns in einer Stunde.«
»Bis gleich.« Hanna Shields hob eine Hand und winkte ihm mit dem kleinen Finger.
☆
Als Lassiter bald darauf in das Speiseabteil trat, war Hanna Shields noch nicht da.
Er blickte sich um und fand alle Tische besetzt. Der Geruch von gebratenem Fleisch stieg ihm in die Nase.
Der Steward kam. »Bedaure, Sir. Im Moment ist nichts zu machen. Vielleicht in einer halben Stunde.«
Lassiter zeigte ihm einen Vierteldollar.
Der Steward rollte mit den Augen. »Ich würde Ihnen gern helfen, Sir, aber sehen Sie selbst, nirgendwo ein freier Platz.«
Lassiter erhöhte sein Angebot.
Die Augen des dienstbaren Geistes wurden kugelrund. Er ließ seinen Blick durch das Revier wandern. »An Tisch drei habe ich kassiert. Die Gäste werden hoffentlich gleich aufbrechen. Bis dahin könnten Sie solange an der Bar warten, Sir.«
»Na, das ist doch ein Wort.«
Mit spitzen Fingern steckte der Steward die Münze in seine Hosentasche, deutete eine knappe Verbeugung an und entfernte sich.
Lassiter stellte sich an den Schanktisch. Der Waggon geriet ins Schlingern. Die Strecke war einfach miserabel. Lassiter hielt sich an der Reling fest.
Zum Glück dauerte die Rüttelei nur einen kurzen Augenblick. Aus dem Fenster hinter dem Büfett sah Lassiter eine Schar chinesische Gleisbau-Arbeiter in blauen Anzügen. Sie hantierten mit Schaufeln, Spitzhacken und Stampfern.
Hanna Shields erschien.
Bei ihrem Anblick ging Lassiter das Herz auf. »Gleich wird ein Tisch frei«, empfing er sie. »Wir können uns derweil einen Drink gönnen.«
»Ich nehme Limonade«, sagte sie.
Der Steward kam.
»Bringen Sie uns zwei Limonaden«, bestellte Lassiter.
Sekunden später standen die Getränke bereit.
Hanna Shields hob prostend ihr Glas. »Ich fahre auch nach Wells Breck«, sagte sie, als sie getrunken hatte.
»Na, das nenne ich Zufall.« Lassiter hob die Brauen. »Darf man fragen, was Sie in diesem kleinen, unscheinbaren Prärienest vorhaben?«
»Geschäfte«, sagte sie einsilbig.
»Oh, Sie sind Geschäftsfrau.« Er lächelte. »Und Sie reisen allein? Ohne männliche Begleitung. Das ist sehr ungewöhnlich in dieser unzivilisierten Gegend. Und gefährlich. Haben Sie keine Angst, so allein?«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin es gewohnt, auf mich selbst aufzupassen.«
»Alle Achtung.« Er nippte an seinem Glas. »Ihr Mut ist bewundernswert. Tragen Sie eine Waffe bei sich?«
»Bei jedem Wetter.« Sie klopfte auf ihre Handtasche, in der es metallisch klirrte. »Mein Remington ist mein bester Freund«, erklärte sie.
»Oh, Sie haben einen Remington?« Lassiter stellte das Glas ab. »Zufällig bin ich auch ein großer Freund von dieser Marke.« Er schob seinen Rockschoß beiseite und ließ sie einen Blick auf seine Waffe werfen.
Sie pfiff leise durch die Zähne. »Oha, ein 44er Frontier, Spezialausführung, mit Rankengravur und Elfenbeingriff. Nicht übel, die Bleispritze.« Auf einmal waren ihre Augen ganz schmal. »Wie schnell können Sie ziehen?«, fragte sie.
»Warum fragen Sie das?«
»Weil ich neugierig bin«, erwiderte sie.
Lassiter zog den Revolver gemächlich aus dem Holster.
Die Frau verzog das Gesicht. »Spielen Sie nicht den Unschuldigen. Ich sehe Ihnen an der Nasenspitze an, dass Sie es viel schneller können.«
Er grinste. »Mag sein.«
»Zeigen Sie’s mir«, drängte sie. »Keine falsche Bescheidenheit.«
Er nahm Grundstellung ein, konzentrierte sich drei Sekunden und riss dann den 44er aus dem Leder. Die Mündung des Laufs zeigte auf das Mädchen auf der Bierreklame, die über dem Bartisch hing.
»Bravo!« Hanna Shields spendete kurz Applaus. »Eine reife Leistung, Mister.«
Er winkte bescheiden ab.