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Draußen vor der Tür erklangen Schritte. Es hörte sich an, als schliche jemand auf Zehenspitzen über den Korridor der Hoteletage.
Lassiter schlug die Augen auf und lauschte angespannt. Die Geräusche vom Flur verstummten. Jemand hatte vor seiner Tür Halt gemacht. Lassiter langte nach seinem Revolver, der schussbereit neben der Bibel auf dem Nachttisch lag. Ganz leise stemmte er sich aus dem Bett.
Auf dem Gang knarrte eine lose Diele.
Barfuß tappte Lassiter zur Tür. Den Colt im Hüftanschlag, horchte er nach draußen. Er glaubte den unterdrückten Atem eines Menschen zu hören.
Jetzt! Mit einem Ruck riss er die Tür auf - und blickte in das kreisrunde Loch eines Pistolenlaufs.
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Seitenzahl: 130
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Cormans teuflischer Plan
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Boada/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-6639-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Cormans teuflischer Plan
Draußen vor der Tür erklangen Schritte. Es hörte sich an, als schliche jemand auf Zehenspitzen über den Korridor der Hoteletage.
Lassiter schlug die Augen auf und lauschte angespannt. Die Geräusche vom Flur verstummten. Jemand hatte vor seiner Tür Halt gemacht. Lassiter langte nach seinem Revolver, der schussbereit neben der Bibel auf dem Nachttisch lag. Ganz leise stemmte er sich aus dem Bett.
Auf dem Gang knarrte eine lose Diele.
Barfuß tappte Lassiter zur Tür. Den Colt im Hüftanschlag, horchte er nach draußen. Er glaubte den unterdrückten Atem eines Menschen zu hören.
Jetzt! Mit einem Ruck riss er die Tür auf – und blickte in das kreisrunde Loch eines Pistolenlaufs.
Die Pistole lag in der linken Hand eines rothaarigen Mädchens von Anfang zwanzig.
Sie trug eine abgewetzte Nietenhose und eine erdbraune Jacke mit Fransen an den Ärmeln. Ihr Zeigefinger krümmte sich um den Abzug der Waffe. Der Lauf des Derringers zielte auf Lassiters Bauch.
Er hielt seinen Revolver etwas höher. »Kann ich Ihnen helfen, Miss?«, fragte er.
In den grünlichen Augen der jungen Frau funkelte es unstet. »Oh, Verzeihung, mein Herr«, sagte sie mit texanischem Akzent. »Sieht so aus, als hätte ich mich in der Tür geirrt.« Sie lächelte dünn.
Lassiter blieb wachsam. »Zu wem wollten Sie denn?«, wollte er wissen.
»Tom Corman«, sagte sie knapp.
»Einen Tom Corman gibt es im Flint House nicht«, erklärte er. »Wahrscheinlich sind Sie im falschen Hotel, Miss.«
Die Texanerin blickte den Gang entlang. Neben dem Zimmer, in dem der Mann von der Brigade Sieben logierte, gab es noch drei weitere Unterkünfte. In einem Zimmer wohnte ein Vertreter aus St. Louis, in dem anderen zwei Girls aus Virginia, die in Charley’s Palace einen Job als Animiermädchen ergattert hatten. Das dritte Zimmer hatte ein reiselustiges Ehepaar aus New York in Beschlag genommen.
Lassiter ließ seinen Colt sinken. »Nehmen Sie bei Ihren Besuchen immer eine Waffe mit?«, fragte er.
»Nein, nicht immer«, sagte sie. »Nur dann, wenn ich um mein Leben fürchten muss.«
Er nickte. »Wer ist Tom Corman? Ihr Bräutigam?«
»Gott bewahre, Tom ist mein Bruder.« Ihre Miene verhärtete sich. »Hab noch ein Hühnchen mit dem Raffzahn zu rupfen.«
»Mit dem Schießeisen?«
Sie atmete tief durch. »Wenn Tom Whiskey getrunken hat, ist er zu Dingen fähig, die jede Vorstellungskraft übersteigen.«
»Und trotzdem suchen Sie seine Gesellschaft?«
Die Texanerin schwieg einen Augenblick, dann sagte sie: »Tom hat etwas, das mir gehört. Ich möchte es zurück, so schnell wie möglich.«
Von draußen drang das Wiehern eines Pferdes an Lassiters Ohren. Die junge Frau warf einen Blick durch das mannshohe Vorderfenster im menschenleeren Foyer. Dann richtete sie ihre Augen auf den halb angezogenen Mann mit dem großen Remington-Revolver. Der Anblick amüsierte sie, und über ihre Lippen glitt ein mattes Lächeln.
»Tut mir leid, dass ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe, Mister«, sagte sie. »Will hoffen, Sie nehmen mir meinen morgendlichen Überfall nicht allzu krumm.«
Er sah sie an und fand Gefallen an ihr. Mit ihrem rotblonden Haar, dem fein gezeichneten Mund und den großen, ausdrucksvollen Augen erinnerte sie ihn an die berühmte Theaterschauspielerin Lotta Crabtree, mit der er in Virginia City einige höchst vergnügliche Stunden erlebt hatte. In einem hübschen Kleid sähe die Rotblonde bestimmt zum Anbeißen aus.
Lassiter hatte Feuer gefangen. Er entschied, die Bekanntschaft zu vertiefen. »Die Sache mit Ihrem Bruder interessiert mich«, sagte er. »Wie wär’s, wenn wir gemeinsam frühstückten? Dabei können wir über die Angelegenheit reden.«
Die Texanerin runzelte die Stirn. »Aber ich kenne doch nicht einmal Ihren Namen«, gab sie zu bedenken.
»Lassiter«, sagte er und grinste.
Sie musterte ihn kritisch.
In seiner Unterwäsche kam er sich einen Moment lang lächerlich vor. »Ich bin Ihnen nicht böse, wenn Sie mir einen Korb geben«, erklärte er.
»Warum sollte sich?« Sie warf den Kopf in den Nacken. »Mein Vater sagte einmal: Verbündete und Freunde kann man nie genug haben. Übrigens, ich heiße Viola. Viola Corman.«
»Ich freue mich, Sie kennen gelernt zu haben, Miss Viola«, sagte Lassiter artig.
Sie lächelte hintergründig. »Warten Sie’s ab, Mr. Lassiter«, erwiderte sie.
☆
Als Lassiter den Gastraum betrat, war die Texanerin schon da.
Sie saß vor einem Becher Kaffee und rauchte eine dünne, lange Zigarette mit Mundstück. Außer ihr befanden sich noch zwei Männer in grauen Gehröcken in dem Esslokal. Sie hatten ihre mit Goldringen bespickten Finger um ihre Kaffeepötte gelegt, als wollten sie sich die Hände wärmen. Obwohl Lassiter bereits eine ganze Woche im Flint House wohnte, hatte er die Zwei bisher noch nicht zu Gesicht bekommen. Vermutlich handelte es sich um Laufkundschaft: Passanten von der Straße, die hier spontan einen Kaffee genießen wollten.
Lassiter setzte sich zu der Frau an den Tisch.
Im Lokal standen fünf Tische, mit jeweils vier Stühlen, Marke Eigenbau. Die beiden Fenster gingen zur Mainstreet hinaus und waren mit beigefarbenen Gardinen verhangen. Im Hintergrund befand sich die Durchreiche zur Küche. Ein Koch in langer Schürze stand am Kohleherd und briet Zwiebeln in einer Gusseisenpfanne mit einem langen, geriffelten Holzstiel.
Viola Corman rauchte noch einen Zug, dann drückte sie den Stummel im Aschenbecher aus. »Ich habe nicht viel Zeit«, sagte sie und legte das Mundstück neben ihre Tasse. »Die Sache mit meinem Bruder lässt mir keine Ruhe.«
»Wissen Sie schon, wo Sie ihn finden können?«, fragte Lassiter. »Im Hotel ist er ja nicht.«
»Stimmt.« Sie nickte. »Aber ich hab gerade mit Manuel, dem Koch, gesprochen. Er sagt, Tom wäre bei einer Sidewalkdohle im Vergnügungsviertel untergekrochen.«
»Ein Bordell im Rotlichtbezirk ist kein guter Ort für eine anständige Frau«, meinte Lassiter. »Am besten, Sie warten, bis Ihr Bruder seinen Unterschlupf verlässt.«
»Kommt nicht in Frage.« Sie hob abwehrend eine Hand. »Mit Prostituierten habe ich keine Berührungsängste. Nach dem Essen rücke ich dem Schlawiner auf den Pelz. Mit den Damen aus dem horizontalen Gewerbe komme ich schon zurecht.«
Der Koch erschien.
»Haben Sie schon Essen bestellt, Miss?«, fragte Lassiter die Texanerin.
»Ich nehme Setzeier mit Speck, dazu Weizenbrot«, sagte sie.
Lassiter nickte. »Für mich bitte das Gleiche und einen Kaffee.«
Der Koch verschwand ohne ein Wort.
Viola sah ihm nach. »Manuel ist nicht gerade eine Quasseltasche«, sagte sie.
»Hauptsache, er versteht sein Handwerk.« Lassiter legte die Hände auf den Tisch. »Wie dem auch sei, ich habe heute nichts vor. Wenn Sie wollen, spiele ich Kavalier und eskortiere sie zum Freudenhaus.«
Sie nippte an ihrem Kaffee, wobei sie ihn aufmerksam beobachtete. »Darf man fragen, was Sie nach Topeka führt, Mr. Lassiter?«
»Geschäfte«, sagte er vage.
»Wie ein Geschäftsmann sehen Sie aber nicht gerade aus«, antwortete sie. »Eher hätte ich vermutet, dass Sie Offizier oder ein US-Marshal sind.«
»Fehlanzeige.« Er lächelte. »Ich bin nach Kansas gekommen, um für ein renommiertes Unternehmen aus Washington Geschäftsverbindungen zu knüpfen.«
Manuel brachte den Kaffee und ging zurück in Richtung Durchreiche. Auf halbem Wege blieb er stehen, hielt nach den anderen beiden Gästen Ausschau und trat dann an ihren Tisch.
»Zahlen«, sagte der Ältere von ihnen. Er zupfte an einem Ende seines gezwirbelten Schnurrbarts.
»Zwanzig Cents«, erwiderte der Koch.
Der ältere Mann legte eine Münze neben seinen Kaffeebecher, gab seinem Gegenüber ein Handzeichen und stand auf. Bevor er ging, sandte er einen flüchtigen Blick auf Lassiter und die Texanerin.
Der Mann von der Brigade Sieben hatte ein ungutes Gefühl. Das Verhalten der schweigsamen Gehrockträger kam ihm verdächtig vor. Für Typen dieses Kalibers hatte er im Laufe der Zeit einen sechsten Sinn entwickelt. Mit seinem geübten Auge hatte er entdeckt, dass sich die schemenhaften Umrisse von Revolvern unter den Schößen ihrer Jacken abzeichneten. Männer, die ihre Waffen verdeckt trugen, waren mit Vorsicht zu genießen. Möglicherweise handelte es sich bei den Burschen um Revolverhaie, die in Topeka eine Mission zu erfüllen hatten.
Manuel servierte die gebratenen Eier.
Nachdem Lassiter gesättigt war, tupfte er sich mit der Serviette die fettigen Lippen ab. Mit einem Schluck Kaffee spülte er das Essen hinunter.
Auch Viola Corman hatte die Mahlzeit beendet.
»Möchten Sie zum Abschluss noch ein Dessert?«, lockte Lassiter.
»Gut gemeint, aber ich verzichte.« Sie drückte ihr Rückgrat durch und senkte den Blick auf ihr Blusenhemd. »Mein Bauch fühlt sich schon an wie das Fell auf einer Indianertrommel.«
Ihr Humor gefiel ihm.
Und nicht nur das. Inzwischen hatte er festgestellt, dass sich unter Viola Cormans grober Hemdbluse und den leger geschnittenen Arbeitshosen überaus nett anzusehende weibliche Formen verbargen.
Sie rutschte unruhig hin und her. »Vielen Dank für Ihre freundliche Einladung«, sagte sie. »Aber jetzt wird es höchste Zeit für mich. Ich muss meinem rebellischen Bruder auf die Hühneraugen treten.«
»Was wollen Sie eigentlich von ihm?«, forschte Lassiter.
Sie rieb den Daumen am Zeigefinger.
»Geld?« Er hob die Brauen. »Schuldet Tom Ihnen Geld?«
Sie seufzte schwer. »Unsere Eltern sind bei einem Zugunglück in Texas ums Leben gekommen. Mein Bruder hat sich die Freiheit erlaubt, all ihre Ersparnisse an sich zu reißen, ohne mir einen lumpigen Penny zu lassen.«
»Gab es kein Testament?«
»Doch, gab es. Aber der Notar, in dessen Tresor es deponiert war, ist nach Nevada verzogen. Ich habe ihn gebeten, mir das Schriftstück per Expresspost zu schicken. Er hat versprochen, es unverzüglich zu tun, aber bis heute ist die Urkunde nicht angekommen.«
Lassiter wiegte den Kopf. »Vielleicht hat Ihr Bruder den Brief abgefangen?«
Viola zog eine Grimasse. »Ja, zuzutrauen wäre es ihm.« Mit diesen Worten erhob sie sich und rückte ihren Hosengürtel zurecht.
Lassiter rief nach der Bedienung.
Manuel trabte an, wischte sich die fettigen Hände an seiner Schürze ab und sah Lassiter fragend an.
»Die Rechnung, bitte!«
Der Koch nannte den Betrag, und Lassiter schob zwei Münzen neben seinen Teller.
Viola Corman stand auf und ging.
Lassiter folgte ihr zum Ausgang. Noch wusste er nicht, dass er auf dem Weg ins Verderben war.
☆
Es war am frühen Vormittag, und der Amüsierbezirk von Topeka lag da wie ausgestorben.
Die ungepflasterte Straße war mit dem Unrat der letzten Nacht bedeckt: Wo man hinschaute, leere Flaschen, Glasscherben, zerbrochene Gläser, weggeworfene Zigarrenstummel, zerknülltes Papier, dazu die Pferdeäpfel der Vierbeiner, die ihre vergnügungssüchtigen Reiter hierher gebracht hatten. Am Zügelholm vor dem Spielcasino baumelte ein zerrissenes Halfter. Aus den Häusern mit den falschen Fassaden drang kaum ein Laut. Die Töchter der Nacht lagen noch erschöpft im tiefen Schlummer.
Nicht ein einziger Mensch ließ sich auf der Straße sehen.
Viola Corman blieb vor dem Eingang eines Gebäudes stehen, über dem ein Emailleschild mit der Aufschrift Crazy House prangte.
»Hier ist es«, sagte sie.
»Crazy House.« Lassiter schob seinen Hut höher. »Drinnen ist es still wie in einem Beinhaus«, meinte er. »Alles schläft. Ich nehme an, auch Ihr Bruder wird noch an der Matratze horchen.«
»Das käme mir sehr entgegen.« Die Texanerin griff nach ihrer Pistole. »Ehe Tom merkt, wie ihm geschieht, habe ich ihn am Haken. Wenn ich Glück habe, trägt er die Bucks sogar am Mann.«
»Er wird den Zaster nicht freiwillig herausrücken«, warf Lassiter ein.
Sie wog den Derringer in der Linken. »Mit der Bleispritze am Kopf wird ihm gar nichts weiter übrigbleiben«, sagte sie hart.
Lassiter blieb nicht verborgen, dass die Stimme der Frau vor Erregung zitterte. Offenbar verspürte sie eine unbändige Wut auf ihren raffgierigen Bruder. »Was geschieht danach?«, fragte er. »Ich meine, wenn Sie das haben, was Sie wollten?«
»Ganz einfach, ich verlasse die Stadt und komme nie wieder.«
»So wie Sie Tom beschrieben haben, wird er den Verlust des Geldes nicht so ohne weiteres hinnehmen.«
»Ich nehme nur meinen Anteil«, sagte sie. »Die Hälfte vom Erbe, so wie unsere Eltern es im Testament verankert haben.«
»Was ist, wenn er sie verfolgt, um Ihnen die Beute wieder abzujagen?«
Sie ließ die Pistole um ihren Zeigefinger rotieren. »Ich bin eine gute Schützin«, verkündete sie. »Schon als kleines Mädchen konnte ich besser schießen als die anderen Kinder. Mein Dad hat mir auf unserer Ranch im Panhandle eine Menge beigebracht. Wenn Tom Krieg will, soll er ihn haben.«
Lassiter erwiderte nichts. Er fragte sich, wie weit Viola gehen würde, sobald sie ihren Bruder aufgescheucht hatte. Nach ihrem Reden war er ein unberechenbarer Hitzkopf. Womöglich würde es einen Kampf um Gedeih und Verderb gehen.
»Ich gehe jetzt rein«, sagte Viola und trat an die Tür.
Auf Verdacht löste Lassiter die Schlaufe an seinem Holster. Er wusste nicht, was auf ihn zukam. Auf alle Fälle wollte er gewappnet sein.
Hinter der Frau trat er ins Haus.
Im Vorraum herrschte ein traniges Halbdunkel. Vor den Fenstern hingen dunkle Vorhänge. Es gab eine aus Walnuss getäfelte Schanktheke, auf der eine Handvoll ungespülter Gläser standen. Der Geruch von kaltem Tabakrauch und verschüttetem Bier lag in der Luft.
Lassiter blickte sich spähend um.
In der Sitznische neben einer unscheinbaren Seitentür hockte ein Mann mit zerzausten Haaren, den Kopf auf dem Tisch, und schlief seinen Rausch aus.
Viola Corman ging zu ihm.
Lassiter blieb an dem Pfeiler vor dem Tresen stehen. Er sah zu, wie die Frau dem Schlafenden an der Schulter rüttelte.
»He, Mister! Wachen Sie auf!«, rief sie. »Ich muss Sie was fragen!«
Der Mann hob schläfrig den Kopf. »Wie? Was zum Henker …?«
»Ich suche Tom Corman«, fuhr sie ihm über den Mund. »Den kennen Sie doch, oder?«
»Yeah«, lallte der Wuschelkopf und bleckte seine gelblichen Zahnstumpen. »Tommyboy hat sich die rote Nora unter den Nagel gerissen. Zehn Dollar hat er dem Hürchen hingeblättert. Was für eine Verschwendung.«
Die Texanerin fluchte wie ein Bierkutscher.
Erst jetzt bemerkte der wach gerüttelte Freier die Waffe in der Hand der Frau. »Wozu brauchen Sie denn das Schießeisen, Miss?«
»Vielleicht will ich jemand umlegen«, lautete Violas Antwort.
Der Mann rieb seine rote Säufernase. »Bei allen Teufeln! Sehen Sie sich vor, kleine Miss! Tom hat gestern ordentlich einen hinter die Binde gegossen. Ich kenne ihn. Er mag es überhaupt nicht, wenn er anderntags vor Mittag geweckt wird.«
»Auf seine Befindlichkeiten kann ich keine Rücksicht nehmen«, sagte sie. »Noras Zimmer, wo ist es?«
Der Mann wies mit dem Kopf zur Tür neben der Nische. »Dahinter ist ein kleiner Flur mit einer Wendeltreppe in den zweiten Stock. Wenn Sie oben sind, die erste Tür rechts, gleich neben der Garderobe mit dem Gobelin. Wenn ich mich nicht irre, ist darauf die Jungfrau Maria abgebildet.« Er schnaufte durch, während er auf ihren gezückten Zweischüsser blickte. »Bei allen Teufeln! Sie sollten jetzt nicht da hinaufgehen, kleine Miss!«
Doch Viola Corman schlug den Rat in den Wind. Sie wirkte fest entschlossen.
Im nächsten Augenblick stand sie an der Zwischentür und griff nach dem Knauf. Bevor sie ihn niederdrückte, warf sie einen Blick über ihre Schulter.
Lassiter ging zu ihr.
»Wäre nett, wenn Sie mir Rückendeckung gäben«, sagte sie. »Nur für alle Fälle.«
»Sind Sie auf eine Schießerei aus?«, fragte er. »Immerhin ist Tom Ihr Bruder.«
Sie ignorierte die Frage. »Also, ich gehe jetzt hoch und scheuche ihn aus den Federn. Wäre gut, wenn Sie an der Garderobe blieben und ein Auge auf ihn haben.«
Er überlegte. Der Plan gefiel ihm überhaupt nicht.
Du solltest jetzt nicht hier sein, meldete sich seine innere Stimme.
Doch zur Umkehr war es bereits zu spät. »Lassen Sie mich zuerst gehen«, schlug er vor.
Sie zögerte. »Es ist eine Familiensache.«
»Trotzdem«, beharrte er. »Ich würde mir ewig Vorwürfe machen, wenn Ihnen etwas passierte.«
»Ich bin hart ihm Nehmen«, gab sie zurück.
Lassiter zog seinen Remington. »Ich gehe zu Tom, nagle ihn fest, und dann können Sie die Angelegenheit im Guten mit ihm klären.«
Viola Corman kniff die Lippen zusammen. Im trüben Licht bemerkte Lassiter, dass ihre Augen wieder so unstet auffunkelten wie bei ihrer ersten Begegnung vor der Tür seines Hotelzimmers.