Lassiter 2405 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2405 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

"Sie spricht schon seit Jahren kein Wort mehr. Ich bin ihre Stimme. Können wir bitte nach draußen gehen?" Die Frau zeigte zur offenstehenden Tür, und nach kurzem Zögern folgte Jennifer Ferguson ihr auf die Terrasse. Sie gingen ein paar Schritte, bevor sie nebeneinander vor der Brüstung stehenblieben und auf die Wiese schauten, die sanft zum Ufer des Anacostia River hin abfiel.

"Was Sie mir geschrieben haben, klingt milde gesagt unerhört, Miss Bragshaw", sagte die Journalistin leise. "Aber sollten Sie dafür Beweise haben ..."
Die Frau wandte den Kopf und hob dabei ihre Mundwinkel, doch das Lächeln erreichte ihre Augen nicht. "Unerhört, sagen Sie? Was ich zu berichten weiß, wird die Geschichtsschreibung auf den Kopf stellen, Miss Ferguson. Und glauben Sie mir: Das sollte es auch."

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EPUB

Seitenzahl: 149

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Cover

Impressum

Wer ohne Sünde ist

Vorschau

Karte Washington D.C.

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: Prieto/Norma

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-6824-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Wer ohne Sünde ist

»Sie spricht schon seit Jahren kein Wort mehr. Ich bin ihre Stimme. Können wir bitte nach draußen gehen?« Die Frau zeigte zur offenstehenden Tür, und nach kurzem Zögern folgte Jennifer Ferguson ihr auf die Terrasse. Sie gingen ein paar Schritte, bevor sie nebeneinander vor der Brüstung stehenblieben und auf die Wiese schauten, die sanft zum Ufer des Anacostia River hin abfiel.

»Was Sie mir geschrieben haben, klingt milde gesagt unerhört, Miss Bragshaw«, sagte die Journalistin leise. »Aber sollten Sie dafür Beweise haben …«

Die Frau wandte den Kopf und hob dabei ihre Mundwinkel, doch das Lächeln erreichte ihre Augen nicht. »Unerhört, sagen Sie? Was ich zu berichten weiß, wird die Geschichtsschreibung auf den Kopf stellen, Miss Ferguson. Und glauben Sie mir: Das sollte es auch.«

»Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.«

Johannes 8,7

Washington kochte und brodelte. Einer riesigen Glocke gleich lastete die stickige Luft über der Hauptstadt und raubte ihren Einwohnern nicht nur den Atem, sondern auch ihre sprichwörtliche Gelassenheit.

Die Hitze hatte die Zahl der Gewaltdelikte in die Höhe schnellen lassen wie den Puls eines Herzinfarktpatienten, und in den überfüllten Zellen des Staatsgefängnisses traten sich die Häftlinge auf die Füße, bevor sie sich wie rasende Tiere an die Gurgeln gingen, sodass Town Marshal Sebastian Kruger bereits nach zehn Tagen die Reißleine ziehen musste und kurzerhand hundertzwanzig Inhaftierte, denen nur mindere Delikte zur Last gelegt wurden, ohne Verfahren wieder in die Freiheit entließ.

Einen Kotau vor dem Verbrechen nannte ein Kongressabgeordneter der Demokratischen Partei die Maßnahme bereits am nächsten Tag in der Washington Post, und der hochgewachsene, auffallend dünne Mann, der an diesem Morgen mit gebeugtem Haupt, aber eiligen Schrittes über die Maryland Avenue lief, fand diese Beschreibung so zutreffend wie hilflos.

Wenn es dem Herrn Abgeordneten gegen den Strich ging, dass die Gefängnisse überall im Land aus ihren eisernen Nähten platzten, warum beschlossen die so genannten Volksvertreter dann nicht Gesetze, die mehr Exekutionen erlaubten? Das Problem wäre damit sehr schnell aus der Welt geschafft, und diese Stadt, die seit Jahren schneller wuchs als ein Krebsgeschwür, würde wenigstens einen Teil des Gesindels loswerden und vielleicht ein wenig befreiter atmen können.

Der Mann trug trotz der brütenden Hitze einen dunklen Mantel, dessen hohen Kragen er um den Hals herum aufgestellt hatte. Das dünne Haar hatte er unter einem breitkrempigen Hut verborgen, und die geröteten Augen wären im fahlen Gesicht aufgefallen, wenn nicht eine dunkle Sonnenbrille mit kreisrunden Gläsern den Blick darauf verhindert hätte.

In den tiefen Schatten des neben ihm aufragenden Kapitols hastete er an Straßenhändlern, Spaziergängern und Trickdieben vorbei, bis er sich nach rechts in eine Gasse bewegte und kurz umschaute, bevor er an eine unscheinbare Tür klopfte. Unrat lag auf dem Kopfsteinpflaster verstreut, es stank nach verdorbenem Gemüse, und er schüttelte unwillig den Fuß, als der Wind ihm die schmutzigen Reste einer Zeitung gegen das Hosenbein blies. Als er sich davon befreit hatte und der Papierfetzen an ihm vorbei in Richtung der Hauptstraße segelte, nahm er die alte Schlagzeile zwar wahr, doch sie rang ihm nicht einmal ein müdes Lächeln ab.

Das Attentat lag schon Wochen zurück. Doch er wusste, dass der Kampf noch nicht zu Ende war, sondern jetzt in eine entscheidende Phase eintreten würde.

Es dauerte eine Weile, bevor das kleine Fenster sich vor ihm öffnete und er in ein argwöhnisch blinzelndes Augenpaar starrte.

»Kennwort?«

»Abschied.« Missmutig verzog er die blutleeren Lippen.

Ein Riegel wurde zurückgeschoben, und die schwere Tür schwang vor ihm auf. Er blickte sich noch einmal aufmerksam um, bevor er in das Halbdunkel trat.

Eine schmale Stiege führte zwischen rußgeschwärzten Ziegeln nach oben, und der dünne Mann folgte dem Wächter die Stufen hinauf. Dabei rümpfte er die Nase, weil der Schweißgeruch des korpulenten Burschen, der sich über ihm die Treppe hinaufschleppte, ihm schier den Atem nahm.

Sie erreichten einen nur von einer geöffneten Dachluke erhellten Korridor, und der Wächter streckte die Hand aus, bevor er sich gegen die Wand lehnte und ihm damit gerade genug Platz bot, um sich an dem vorspringenden Bauch vorbei zwängen zu können.

»Die Tür am Ende«, brummte der Dicke, »man erwartet Sie bereits.«

Der dünne Mann ging eilig durch den Flur und hielt kurz inne, als er vor der Tür stand. Dann straffte er die Schultern, hob die Hand und klopfte.

»Kommen Sie rein«, kam es vernehmlich zur Antwort, und er betrat einen Raum, der angesichts der Bedeutung seiner Insassen spartanisch aussah – wenn nicht sogar erbärmlich.

Das Zimmer – denn viel mehr war es nicht – maß vielleicht zwölf mal sechs Yards und wurde nur durch ein großes Oberlicht erhellt. Am Boden lag ein zerschlissener Teppich, dessen ursprüngliche Farbe nicht mehr erkennbar war. Und die Tische, die U-förmig vor ihm aufgebaut worden waren, sahen so aus, als hätte man sie in irgendeinem Ministerium weiter westlich als Sperrmüll ausgemustert. Natürlich wusste er, dass das heruntergekommene Ambiente dazu diente, ihm und anderen Soldaten den Eindruck von Bescheidenheit zu vermitteln, doch er fand diese Art der Selbstdarstellung heuchlerisch.

»Sie kommen spät«, brummte der Mann mit dem beeindruckenden Walrossbart, der ihm direkt gegenübersaß, und er nickte beflissen.

»Ich war praktisch schon auf dem Rückweg nach Louisiana, Messieurs, als mich Ihre Nachricht erreichte. Die Zugverbindung ist nicht gerade die beste, deshalb bitte ich um Entschuldigung«, entgegnete er und deutete mit fragendem Blick auf den Stuhl vor sich.

Sein Gegenüber nickte, und er nahm vor den Männern Platz. Der Stuhl knarrte unter seinem Gewicht, und er verzog die Lippen.

Soweit war es also schon gekommen: Ein rattenverseuchter Keller am Hafen hätte kaum schlimmer aussehen können.

Er ließ seinen Blick über die Reihe der Gesichter wandern, bevor er auffordernd die Hände hob. »Sie haben gerufen, und ich bin gekommen. Was also kann ich für Sie tun, Gentlemen?«

Der Mann, der vor ihm saß, fuhr sich mit einer eigentümlichen Geste durch die zurückweichende, pechschwarze Haarmähne, bevor er dem neben ihm Sitzenden zunickte. Der schob sich seine Brille über der Nase zurecht, während er auf die Papiere vor sich starrte.

»Ich denke, wir werden Ihnen nochmal eine Chance geben, obwohl Sie sich bei der Schießerei vor der St. Augustine Church vor ein paar Wochen nicht sonderlich geschickt verhalten haben.«

Er musterte den Mann vor sich mit eindringlicher Miene und rieb sich dabei über die gerötete Nase, bevor er zum Punkt kam: »Ihr guter Freund Lassiter wird in Kürze in Washington erwartet«, sagte er, und sein Gegenüber zuckte unwillkürlich zusammen, bevor er sich auf dem Stuhl vorlehnte.

»Lassiter? Er lebt also immer noch?« Seine Augen weiteten sich ungläubig, und er hatte Mühe, seine Freude über diese Neuigkeit zu verbergen.

Die Männer vor ihm starrten ihn interessiert an, bevor der Brillenträger fortfuhr.

»Leider Gottes«, gab er zur Antwort. »Da Sie derjenige von unseren Agenten sind, der ihn am besten kennt, haben wir uns entschieden, dass Sie diese Plage von einem Hundesohn endlich zur Hölle schicken. Obwohl er jetzt weiß, wie Sie aussehen, daher müssen Sie sich im Hintergrund halten. Nutzen Sie Ihre Kontakte und spüren Sie ihn auf. Danach erwarten wir, dass Sie nichts ohne Befehle unternehmen, klar?«

Howard Devon riss sich die Sonnenbrille vom Gesicht, und seine geröteten Augen funkelten erregt. Er hatte Mühe, sich im Zaum zu halten, während er antwortete: »Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, Gentlemen. Sagen Sie mir einfach, wo und wann, und ich werde diesen Bastard mit meinen eigenen Händen schlachten – mein Wort darauf!«

Lassiter erreichte Washington in den frühen Abendstunden. Und nach den Ereignissen der vergangenen Wochen sah er die Stadt mit anderen Augen. Er hatte sich noch nie wirklich wohl hier gefühlt, aber jetzt kam es ihm fast so vor, als würde er direkt in den Rachen des Bösen marschieren.

Während er sich seinen Weg durch das Gedränge der Bahnhofshalle bahnte, schaute er sich wachsam um und musterte jeden, der ihm verdächtig vorkam, eher drei- als zweimal.

Das Attentat, dem nicht weit von hier nahezu die gesamte Führungsriege der Brigade Sieben zum Opfer gefallen war, lag noch nicht lange zurück, und er wusste, dass die Hintermänner des feigen Anschlags es nicht dabei belassen würden. Sie hatten auch ihn bereits mehrfach ins Visier genommen und nichts unversucht gelassen, um ihn zu töten. Hank Willcox, Floyd Lester und sein Erzfeind Nevod – nur ein paar Namen auf einer Liste, die immer länger wurde.

Lassiters erste Amtshandlung in Washington wäre ein Rapport bei Brigade-Kontaktmann Nicholas Coleman gewesen, aber der Agent zog es, sich zuerst um eine andere Angelegenheit zu kümmern. Dem Uhrmachermeister sowie auch Charles D. Matthews war es immer noch nicht gelungen, einen Kontakt zu der Reporterin Jennifer Ferguson herzustellen. Sie wäre angeblich auf Reisen. Das aber ließ sich leicht feststellen.

Das Hauptstadtbüro der New York Times befand sich in der Indiana-Avenue, nur wenige Fußminuten vom Bahnhof entfernt in einem schmucklosen Bürogebäude in Sichtweite zur Lincoln-Statue. Das Mädchen am Empfangstresen schüttelte auf seine Frage nach Jennifer Ferguson den Kopf, ohne sich dabei die Mühe zu machen, seinem Blick zu begegnen.

»Es tut mir leid, Sir«, behauptete sie wenig überzeugend. »Miss Ferguson hat sich schon länger nicht mehr hier blicken lassen.« Ihre Miene drückte Missbilligung aus. »Sie hat sich ohne Gründe verabschiedet, aber das passiert wahrlich nicht zum ersten Mal.«

Lassiter nickte. Jennifer war seit ihren Artikeln über eine Mordserie in den Südstaaten, an deren Aufklärung sie an seiner Seite zu einem guten Teil persönlich beteiligt gewesen war, fast schon zu einer Berühmtheit in Journalistenkreisen geworden. Und bereits zwei Jahre zuvor waren sie und Lassiter sich zum ersten Mal begegnet; damals hatten ihre Enthüllungen den damaligen Gouverneur von Wyoming sein Amt gekostet.

Doch es war nicht nur ihr Renommee als investigative Reporterin, das ihr gewisse Freiräume bei der Ausübung ihres Berufes erlaubte. Auch der Umstand, dass sie die Tochter von Reginald Ferguson war, amtierender Innenminister und eines der angesehensten Regierungsmitglieder des ansonsten nicht gerade beliebten Kabinetts von Präsident Benjamin Harrison, sorgte wohl dafür, dass ihre Vorgesetzten sie an der langen Leine laufen ließen.

»Hat Miss Ferguson denn hinterlassen, wo sie sich aufhält oder welchen Recherchen sie nachgeht?«, fragte er.

Die Sekretärin zuckte augenrollend die Achseln. »Das tut die werte Dame nie«, gab sie schnippisch zurück. »Aber wenn Sie wollen, fragen Sie Clifton Banks, den zuständigen Redakteur …«

Sie sah an ihm vorbei, und ihr Blick weitete sich. »Da kommt er ja gerade.«

Lassiter wandte sich um und sah einem Mann in mittleren Jahren entgegen, der schwungvoll die Tür hinter sich zuwarf und mit ausgreifenden Schritten an ihm vorbei wollte.

Lassiter streckte die Hand aus und hielt ihn auf. »Nur einen Moment, Mr. Banks«, sagte er.

»Keine Zeit, sorry«, knurrte Clifton Banks, »Lassen Sie sich einen Termin geben, und wir …«

Als er Lassiter anschaute, hielt er inne und schien sich anders zu besinnen. Er wandte sich seinem Gegenüber zu und musterte es neugierig. Eine Reaktion, die Lassiter in der Hauptstadt eher selten erlebte. Sein Äußeres bewog die Städter meistens dazu, argwöhnisch zurückzuweichen oder blasiert die Nase zu rümpfen.

»Mein Name ist …«

»… Lassiter, nehme ich an«, vollendete Banks den Satz mit gedämpfter Stimme und ergriff seinen Arm. »Kommen Sie.«

Überrascht folgte Lassiter dem Redakteur den Korridor entlang. Sie passierten vier winzige Büros, die nur durch Glasscheiben vom Flur getrennt waren, und Banks winkte den Männern und Frauen dahinter beiläufig zu, bis sie sein eigenes Refugium erreichten, das ganz am Ende des Ganges lag.

Der Redakteur hielt ihm die Tür auf, und Lassiter folgte der unausgesprochenen Aufforderung.

Banks’ Büro war unwesentlich größer als die Kammern seiner Kollegen, doch es bot ein wenig mehr Privatsphäre. Lediglich ein Fenster in der Tür gestattete die Sicht hinaus auf den Korridor. Und als Banks die Jalousie herabließ, waren sie vor neugierigen Blicken geschützt. Der Journalist nahm einen Stapel frisch gedruckter Zeitungen von der Sitzfläche eines Stuhls und legte sie vor sich auf der Kante des Schreibtischs ab, die als einziges noch frei war von Papieren.

»Setzen Sie sich«, brummte er, ging um den Tisch herum und ließ sich auf seinem eigenen Stuhl nieder.

»Woher kennen wir uns?«, fragte Lassiter, obwohl er die Antwort ahnte.

Banks lächelte. »Gar nicht, jedenfalls nicht persönlich. Allerdings hat mir Jenni … ich meine, Miss Ferguson, einiges von Ihnen erzählt.« Er musterte Lassiter. »Und da sich nur äußerst selten Männer wie Sie in diese Räumlichkeiten verlaufen, war es nicht schwer zu erraten, wer Sie sind.«

Der Redakteur breitete die Hände aus. »Der geheimnisvolle Held, mit dem Jennifer die Bestie von Natrona und im letzten Jahr die Pik Dame jagte! Ich fühle mich geehrt, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Seine leicht spöttische Miene nahm dem Kompliment den größten Teil seiner Bedeutung.

»Schön, Mr. Banks«, brummte Lassiter und hoffte, dass Jennifer Ferguson ihrem Vorgesetzten gegenüber nicht allzu mitteilsam gewesen war. »Können Sie mir dann auch verraten, wo sich Jennifer gerade aufhält? Ich würde sie gern treffen, aber sie scheint wie vom Erdboden verschluckt worden zu sein.«

Banks strich sich mit dem Daumen über den gepflegten rotblonden Oberlippenbart, und er sah unwillkürlich an Lassiter vorbei zur Bürotür. »Nun, Sir«, entgegnete er, »das ist nicht so einfach.«

»Warum?«, fragte Lassiter. »Sie ist also irgendwo im Süden oder an der Westküste unterwegs?«

Banks schüttelte den Kopf. Seine Nervosität war mit Händen zu greifen. »Nein«, gab er zurück. »Sie befindet sich in Washington, aber …« Er zögerte und starrte Lassiter unsicher an.

»Was?«, fragte der und hob auffordernd die Hände.

Banks verzog die Lippen. »Hören Sie, ich weiß selbst nicht genau, an was für einer Geschichte Jennifer dran ist. Zuletzt hat sie sich vor drei Tagen bei mir gemeldet. Und sie hat mir mitgeteilt, dass sie bis auf Weiteres nicht mehr in die Redaktion kommen kann, weil das zu gefährlich sei.«

Lassiter horchte auf. Sollte Jennifer etwa der Verschwörung auf der Spur sein, die hinter dem Attentat auf die Brigade Sieben steckte? Das wäre ein bemerkenswerter Zufall, aber so, wie er sie kannte, gar nicht mal unwahrscheinlich.

»Sie hat mir eingeschärft, ich solle allen Mitarbeitern gegenüber behaupten, sie sei in Virginia unterwegs und würde über Tabakpflanzer schreiben«, fuhr Banks fort und schnaubte dabei, weil ihm diese dünne Legende offenbar genauso fadenscheinig vorkam wie Lassiter. »Niemand soll wissen, dass Sie hier ganz in der Nähe einer Recherche nachgeht. Und sie würde sich wieder bei mir melden, sobald die Story wasserdicht sei. – Ihre größte Geschichte! Das war ihr letzter Satz, bevor wir uns verabschiedeten.«

Banks hob die Augenbrauen. »Angeblich geht es dabei um das Lincoln-Attentat, und seitdem bin ich mir nicht mehr sicher, ob Miss Ferguson nicht dabei ist, den Verstand zu verlieren.«

Lassiter runzelte die Stirn. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Der Mord an dem Präsidenten lag fünfundzwanzig Jahre zurück, und man hatte alle Umstände damals lückenlos aufgeklärt. Die Bande der Attentäter war in einem aufwändigen Prozess zur Verantwortung gezogen worden, und obwohl es immer wieder Stimmen gab, die von einer unentdeckten Verschwörung sprachen, war Lincolns Ermordung im Ford’s Theatre ein abgeschlossenes Kapitel der jüngeren Geschichte.

Oder etwa nicht?

»Wo steckt sie, Mr. Banks?«, fragte er nachdrücklich.

Der Redakteur hob die Achseln. »Ehrlich, ich weiß es nicht. Sie sagte, es sei besser für sie und für mich, wenn ich ihr Versteck nicht kenne. Aber wir haben eine Möglichkeit vereinbart, Kontakt aufzunehmen. Und da wir beide wohl die Einzigen sind, denen sie rückhaltlos vertraut …« Er sah Lassiter mit ernster Miene an. »Kennen Sie sich unten an der Eastern Branch ein wenig aus? An den westlichen Docks im Fischerviertel gibt es eine kleine Kneipe namens Tattlers Inn. Der Bartender heißt Bryan und trägt eine Augenklappe. Er arbeitet nur von Mittwoch bis Samstag dort, daher werden Sie ihn erst morgen wieder antreffen. Fragen Sie nach den Goldkrabben aus Nantucket, und er wird Ihnen weiterhelfen.«

Ein melodisches Klingeln ertönte, als die Tür des kleinen Uhrmacherladens in der Westminster Street geöffnet wurde. Der weißhaarige Mann an der Werkbank ließ die Lupe sinken und spähte durch das offene Regal, das die Werkstatt vom Vorraum trennte, in dem er seine Kunden empfing.

Als er den Besucher erkannte, erhob er sich, zog den Vorhang beiseite und trat hinter die Empfangstheke.

»Lassiter«, brummte Nicholas Coleman und streckte den Arm aus. »Sie sind zurück, und unverletzt, wie es den Anschein hat.«

Die Männer schüttelten sich die Hände.

»Nicht mehr als die üblichen Blessuren«, antwortete Lassiter gleichmütig. »Aber leider bin ich auch nicht viel klüger als bei unserem letzten Treffen. Dennoch würde ich mich gern mit Matthews treffen.«

Der Uhrmacher schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich fürchte, das wird nicht so schnell möglich sein, Lassiter. Er ist derzeit nicht in der Stadt, aber er hat mir aufgetragen, dass Sie sich bereithalten sollen.«

»Was meint er damit?«, fragte Lassiter ungehalten. Er war davon ausgegangen, dass sein Bericht über die jüngsten Ereignisse dringend erwartet wurde und er im Gegenzug Instruktionen über das weitere Vorgehen erhalten würde.

Coleman wackelte unbestimmt mit dem Kopf. »Es liegt etwas in der Luft. Sie sind nicht der einzige Agent, dem ich diese Botschaft übermittelt habe. Offenbar denkt Matthews, all seine besten Männer bald hier in Washington zu benötigen.«

»Aber mehr wissen Sie natürlich auch nicht«, gab Lassiter zurück, ohne auf diese rhetorische Frage eine Antwort zu erwarten.

Coleman zwinkerte durch die dicken Brillengläser hindurch. »Nichts, soweit es Matthews betrifft«, gab er zu. »Aber was Sie angeht …«

Lassiter stützte die Hände auf dem Tresen ab und beugte sich zu dem leicht korpulenten Mann herunter. Er grinste schmal. »Neuigkeiten aus der Gosse?«, fragte er.

Coleman erwiderte seinen Blick, nicht aber Lassiters Lächeln. »So ist es«, bestätigte er seufzend. »Gestern ist ein alter Bekannter wieder in der Stadt gesichtet worden.«

»Wie heißt der Mann?«, fragte Lassiter, obwohl er die Antwort bereits zu kennen glaubte.

Coleman lächelte jetzt doch, aber seine Miene entbehrte jeglichen Humors. »Keiner weiß es, es sei denn, Sie glauben an John Smith, Jack Jones oder Nat Taylor.«