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Aus dem Salonwagen des Zwölf-Uhr-Zuges der Hannibal & St. Joseph Railroad schlug den beiden Männern der würzige Geruch von gebratenem Lammfleisch und frisch aufgegossener Minzsoße entgegen. Sie nahmen am Tisch No. 19 Platz, den ein Reserved-Schild für sie freigehalten hatte, und blickten eine Zeitlang aus dem Fenster. Der Zug hatte gerade St. Louis passiert.
"Abteil 14A", sagte Charles D. Matthews und sah seinen breitschultrigen Tischgenossen an. "Wie ich Sie kenne, werden Sie leichtes Spiel mit dem Mädchen haben. Ich halte Ihnen den Rücken frei."
Der andere Mann nickte und winkte nach dem Kellner. Er bestellte einen Bourbon auf Eis und wandte sich wieder Matthews zu. "Sie ist eine gefährliche Frau. Ich muss sie aufhalten."
"Sie werden uns nicht enttäuschen, Lassiter."
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Seitenzahl: 126
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Der Tod ist der Sünde Sold
Vorschau
Karte Washington D.C.
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Boada/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-6854-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der Tod ist der Sünde Sold
Aus dem Salonwagen des Zwölf-Uhr-Zuges der Hannibal & St. Joseph Railroad schlug den beiden Männern der würzige Geruch von gebratenem Lammfleisch und frisch aufgegossener Minzsoße entgegen. Sie nahmen am Tisch No. 19 Platz, den ein Reserved-Schild für sie freigehalten hatte, und blickten eine Zeitlang aus dem Fenster. Der Zug hatte gerade St. Louis passiert.
»Abteil 14A«, sagte Charles D. Matthews und sah seinen breitschultrigen Tischgenossen an. »Wie ich Sie kenne, werden Sie leichtes Spiel mit dem Mädchen haben. Ich halte Ihnen den Rücken frei.«
Der andere Mann nickte und winkte nach dem Kellner. Er bestellte einen Bourbon auf Eis und wandte sich wieder Matthews zu. »Sie ist eine gefährliche Frau. Ich muss sie aufhalten.«
»Sie werden uns nicht enttäuschen, Lassiter.«
»Denn der Tod ist der Sünde Sold; aber die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Christo Jesu, unserm HERRN.«
Römer 6,23
Die gefährlichste Waffe, über die Ann Southwick verfügte, war nicht der mechanische und mit Petroleum gefüllte Flammenwerfer, den Lassiter zuletzt in den Händen der jungen Pennsylvanierin gesehen hatte. Es war auch nicht das Sharps-Gewehr, mit dem Ann in einem der prunkvollsten Bauten von Philadelphia, dem Tempel der Freimaurer, um sich geschossen hatte.
Es waren ihre kastanienbraunen Haare. Bei jeder Bewegung umspielten sie das schlanke und schön gezeichnete Gesicht, in dem sich Hass, Zorn und Hingabe gleichermaßen abzeichnen konnten, und manchmal fiel eine Strähne über Anns hohe Wangenknochen und tanzte bis zum Mundwinkel hinunter. Die Besitzerin dieses göttlichen Haares war sich dessen Macht allerdings wohlbewusst.
»Sie müssen mich für dumm halten«, sagte Ann Southwick und schlug die Beine übereinander. Sie trug ein längeres Abendkleid mit einem schwarzen Spitzensaum am unteren Ende. »Sie glauben nicht allen Ernstes, dass ich Sie vergessen hätte?«
Die Frage bedurfte keiner Antwort. Lassiter und Ann waren sich zuletzt auf dem Flussdampfer Natchez begegnet. Dort hatte sie ganz offen Stellung für die Supreme Society bezogen.
»Ich halte Sie nicht für dumm«, erwiderte Lassiter und trat langsam durch die Abteiltür. »Ich hatte nur gehofft, dass wir unsere … Streitigkeiten … aus Philadelphia beilegen könnten.«
Die Streitigkeiten hatten mit einem heimtückischen Attentat auf den Freimaurertempel von Pennsylvania begonnen, das Lassiter mit aller Macht vereitelt hatte. Zum Dank hatte Ann einen Informanten aus den eigenen Reihen erschossen, dem Lassiter tagelang auf der Spur gewesen war.
»Streitigkeiten?«, wiederholte Ann despektierlich. »Ich muss Ihnen nicht sagen, dass dieses Wort eine lächerliche Untertreibung wäre. Ich muss Ihnen nicht sagen, dass Sie im Grund mein Feind sind.« Sie lächelte kühl. »Was wollen Sie in meinem Abteil?«
Gemäß Matthews’ Plan sollte Lassiter die feindliche Agentin zunächst verführen und danach gefangen nehmen. Die Brigade Sieben hatte in den Akten vermerkt, dass Anns Ehelosigkeit zugleich ihre Achillesferse war. »Sie, Miss, ich will nur Sie. Ich kenne keinen Mann, der Ihnen widerstehen könnte.«
»Sie haben mir in Philadelphia ganz gut widerstanden«, entgegnete Ann und lehnte sich ein Stück nach vorn. »Gut, zum Geschäft. Ich schlafe gern mit Ihnen, und Sie können Ihrem Vorgesetzten berichten, dass Sie mich herumbekommen haben.« Sie lächelte matt. »Aber dafür müssen Sie mich aus der Supreme Society holen.«
Einen Augenblick lang glaubte Lassiter, dass er sich verhört hatte. Er kannte die Supreme Society als eine Geheimorganisation, die keine Abtrünnigen hatte. Sie hatte dafür gesorgt, dass bei einem Sprengstoffanschlag auf die Kongressbibliothek der Führungsstab der Brigade Sieben fast gänzlich getilgt wurde. Sie musste über loyale Angehörige verfügen, wollte sie sicherstellen, dass Operationen wie diese gelangen.
»Sie wollen die Supreme Society verlassen?«, erkundigte sich Lassiter. Er konnte nicht alle Zweifel in der Stimme unterdrücken. »Niemand verlässt die Society.«
Die Pennsylvanierin erhob sich und kam mit wiegenden Hüften auf Lassiter zu. Sie löste die Hüftschnürung ihres Kleides, das von ihren Schultern rutschte und bis zu den Knöcheln herunterfiel. Sie war splitternackt darunter. »Ich würde gewiss nicht mit Ihnen schlafen, wenn ich mir davon keinen Vorteil erhoffte. Sie sind in der Lage, mich aus der Society heraus und an einen sicheren Ort zu bringen.«
Lasziv schlang Ann die Arme um Lassiters Nacken und setzte sich auf seinen Schoß. Sie rieb sich an ihn, bis die Ausbuchtung in seiner Hose verräterische Ausmaße angenommen hatte.
»Wie ich schon sagte«, flüsterte Lassiter und küsste Anns vollen Busen. »Niemand verlässt die Society ohne triftigen Grund. Ich würde den Ihren gern erfahren.«
»Die Society kennt keine Gnade«, hauchte Ann und öffnete Lassiters Hosenbund. Sie griff nach seinem Pint und ließ sich langsam darauf nieder. »Sie hat sich kein Zollbreit um meinen Bruder geschert, als er in Philadelphia starb. – Sie wissen es, noch, nicht wahr? Er starb in ihren Armen, Mr. Lassiter.«
Die Lust und die Begierde verdrängten Lassiters Gedanken an den toten Adam Southwick, der in seiner Gegenwart gestorben war, nachdem sie von Bewaffneten der Supreme Society angegriffen worden waren. »Ich weiß es noch, Ann. Aber was ich noch viel stärker weiß, ist –«
Die schöne Brünette stieß das Becken auf ihn herab und stöhnte auf. Sie legte beide Arme um seinen Hals und bewegte sich so ruckartig und entschlossen auf ihm, bis kein Zweifel daran bestand, dass sie vor ihm zum Höhepunkt gelangen wollte.
Plötzlich jedoch hielt Ann inne.
Sie hob den Kopf und lauschte auf das Rattern des Zuges, in das sich mit einem Mal das quietschende Geräusch einer Wagenbremse mischte. Sie starrte zu Lassiter, der die junge Frau rasch von sich herunterhob und nach seiner Hose griff. Als er den Holstergurt mit dem Remington umlegte, fasste ihn Ann bei der Hand »Bleiben Sie von den Fenstern weg, Mr. Lassiter! Sie müssen von den Fenstern wegbleiben!«
Verdutzt machte sich Lassiter von seiner Geliebten los und stürzte aus dem Abteil. Er traf auf Matthews, der einige Abteile weiter gesessen und auf die vorüberkommenden Passagiere geachtet hatte. Der Zug kreischte in den Spurkränzen und kam allmählich zum Stehen.
»Was ist los?«, fragte Lassiter und spähte unter der Markise des Schlafwagens hindurch. »Wer hat den Zug gestoppt?«
»Banditen«, sagte Matthews und zog Lassiter vom Fenster weg. »Oder einige waffenstarrende Kerle, die wir dafür halten sollen! Ich schlage vor, dass Sie besser hinauf in den Himmel schauen!«
Der amtierende Vorsitzende der Brigade Sieben deutete mit einer Hand auf die von Wassergräben durchzogenen Wiesen hinaus, die sich westlich von St. Louis erstreckten. Er führte die Hand so weit in die Höhe, bis sie fast in die Sonnenscheibe zeigte.
Dann sah Lassiter das Fluggerät.
Es glich einer Art Raubvogel mit hellen Segeltuchschwingen, die über ein dürres Holzgerüst gespannt waren. Die Schwingen wurden von Dutzenden Seilen gehalten, an deren unterem Ende wiederum ein Mensch hing.
Das Fluggefährt steuerte auf den Zug zu und nahm den Schlafwagen ins Visier.
»Raus hier!«, schrie Lassiter den anderen Passagieren zu. »Raus aus dem Wagen!«
Genau mit seiner letzten Silbe ging der Schlafwagen der Hannibal-&-St.-Joseph-Linie mit einem ohrenbetäubenden Donnerschlag in karmesinrotem Feuer auf.
☆
Die schwebenden Ascheflöckchen vor Lassiters Augen kamen mit summender Taubheit und der Abwesenheit jedes Schmerzes. Sie wirbelten in Dutzenden Gestalten über den Mann der Brigade Sieben hinweg, der eingeklemmt war unter einem anderen Körper und sich nicht zu rühren vermochte. Sie setzten sich in sein blutverschmiertes Haar, in die versengten Brauen, sogar mitten in die staubigen Wimpern.
Der geborstene Schlafwagen lag neben dem Gleis.
Er war von einer gewaltigen Faust zerquetscht und achtlos vom Bahndamm geworfen worden, fast wie ein Holzspielzeug, dessen ein riesenhaftes Kind überdrüssig geworden war. Aus den Fenstern hingen die toten Passagiere, zu Hunderten vielleicht; in seiner Benommenheit konnte Lassiter sie nicht zählen.
»Matthews?«, flüsterte Lassiter und warf den Toten, der auf ihm lag, zur Seite. »Sind Sie am Leben?«
Die Stille über dem verunglückten Zug war laut wie ein Schreien. Der Zwölf-Uhr-Zug der Hannibal & St. Joseph Railroad, dessen planmäßige Abfahrt um 12.04 Uhr vermutlich in sämtlichen Reisetagebüchern seiner Fahrgäste vermerkt worden war, hatte es gerade einmal zwölf Meilen aus St. Louis heraus geschafft. Er war von einer Dynamitexplosion zerfetzt worden, die sämtliche Waggondächer wie Ziehharmonikas aufgerollt und das Fensterglas in Scherben gerissen hatte.
Ächzend kroch Lassiter unter dem Leichnam hervor.
Er spie Asche und Schmutz in die Hand, hustete schmerzerfüllt und starrte der toten Frau neben ihm ins Gesicht. Sie besaß kastanienbraunes Haar, hatte die rot geschminkten Lippen einen Spaltbreit geöffnet und klammerte sich mit einer Hand am Gleis fest.
Es war Ann Southwick.
Ann …
Sie hatte die letzten Minuten ihres Lebens damit zugebracht, sich von ihm Schutz vor der Supreme Society zu erflehen, und Lassiter hatte nur darüber nachgesonnen, ob daraus Profit für die Brigade Sieben zu schlagen war. Er spürte pochende Schuld in sich aufsteigen, wie er sie zuletzt beim Tod von Kelly Dugan empfunden hatte.
»Lassiter …!«
Die knarrende Stimme seines Vorgesetzten riss Lassiter aus seinen Gedanken. Sie kam von der anderen Seite des Bahndamms.
»Charly?«, rief Lassiter und drückte Ann zur Seite. »Sind Sie das?«
»Verdammt ja!«, tönte es von der anderen Dammseite zurück. »Ich muss mir etwas am Bein getan haben. Wie steht’s mit Ihnen? Haben Sie das seltsame Ding am Himmel gesehen?«
Das raubvogelartige Fluggerät stürzte in Lassiters Erinnerung erneut auf den Zug herunter und ging im infernalischen Lichtschein einer Dynamitexplosion in Flammen auf. Die Spannweite der Flügel musste fünfzehn oder zwanzig Fuß betragen haben. »Sahen Sie es nicht? Was ist mit Ihrem Bein?«
Hinter dem Bahndamm erschien der braune Haarschopf von Matthews, in dem sich wie bei Lassiter dicke Ascheflocken gesammelt hatten. Das markante Gesicht des einstigen Senators mit dem spitz zulaufenden Kinnbart tauchte danach auf.
»Charly!«, rief Lassiter und kroch zu seinem Vorgesetzten herüber. »Ich hatte bereits befürchtet, Sie niemals wieder zu sehen.«
»Nicht an diesem gottverdammten Tag«, zischte Matthews und hievte das rechte Bein aufs Gleis. Es hatte eine tiefe Fleischwunde im Oberschenkel davongetragen. »Sie dürfen nicht ohne mich zur Minotaurus-Ranch.«
Die Minotaurus-Ranch lag einige Meilen westlich von St. Louis und war eine der bedeutsamsten Niederlassungen der Supreme Society, von der die Brigade Sieben jemals erfahren hatte. Sie galt als streng bewacht und diente der Society vor allem als spirituelle Klausur und strategischer Kommandostand. Erst Jane Archer, die untreue Gattin General Archers, hatte die entscheidenden Hinweise gegeben.
»Lassen Sie!«, schimpfte Matthews und zog sein verletztes Bein zurück. Er stöhnte vor Schmerzen auf und drückte das Gesicht aufs Gleis. »Sie haben … haben ihre eigenen Leute zur Strecke gebracht. Die Society muss wahnsinnig geworden sein.«
Mühsam stemmte sich Lassiter in die Luft und kroch weiter auf Matthews zu. Er betrachtete die Wunde im Bein des Älteren und riss ein Stück Stoff aus seinem Hemd. »Sie müssen den Fetzen auf die Wunde drücken und wieder zu Kräften kommen.« Er reichte Matthews das Stoffstück. »Ich sehe mir Ann genauer an.«
»Sie geben wohl niemals auf?«, schrie Matthews und gehorchte Lassiters Anweisungen. »Ich … Mit einem verletzten Mann können Sie nicht zur Minotaurus-Ranch. Ich binde Ihnen lediglich einen Klotz ans Bein.«
Zwischen den Unterröcken der toten Ann Southwick fand sich das Leibtäschlein, das die Pennsylvanierin schon in Philadelphia bei sich getragen hatte. Es war mit zwei Riemen an einem Gürtel befestigt, den Lassiter mit zwei Fingern langsam öffnete. »Soll Memphis ganz umsonst gewesen sein? Ich lasse diese Kerle nicht mehr ziehen, wenn wir so nah vor dem Ziel stehen.«
Fast schon schrie Matthews. »Sie sehen doch, wohin uns dieser Eifer bringt! Die Minotaurus-Ranch liegt irgendwo westlich von St. Louis. Sie ist ein Rätsel, Lassiter!« Er drückte den Hemdfetzen auf seine blutende Wunde. »Niemand von uns ist je dort gewesen.«
»Ann war dort«, meinte Lassiter und hielt die Leibtasche der Toten in die Höhe. »Sie hat Blanko-Passierscheine dabei. Sie muss in wichtiger Mission auf der Ranch gewesen sein.«
»Gott, haben Sie nie genug?«, resignierte Matthews und ließ sich auf die Schienen sinken. Seine einstige Zuversicht schien ernsten Schaden genommen zu haben. Er schaute zu den entgleisten Eisenbahnwagen, in denen sich noch immer nichts regte. »Ann Southwick wollte die Supreme Society verraten. Sie hat ihren Zorn heraufbeschworen.« Er deutete zu den Waggons. »Sie hat all diese Toten auf dem Gewissen.«
»Ann ist selbst tot«, versetzte Lassiter knapp. »Sie wollte mit uns kooperieren, und wir dürfen dieses Ansinnen nicht mit Füßen treten.« Er steckte die Leibtasche ein und reckte den Hals. »Wir müssen zehn Meilen nach Nordwesten.«
Die beiden Männer stützten sich gegenseitig und richteten sich neben dem zertrümmerten Schlafwagen auf. Sie schritten nacheinander die leblosen Passagiere ab. Für keinen dieser Menschen gab es auch nur den Hauch einer Hoffnung.
»Zehn Meilen?«, fragte Matthews und hielt sich an Lassiter fest. »Sie werden mir helfen müssen.«
Der Blick des Mannes der Brigade Sieben glitt über die trostlose Szenerie, die sich zwischen dem zwölften und dem dreizehnten Meilenschild der Hannibal & St. Joseph Railroad darbot. »Dafür bin ich da, Charly.«
☆
Der hagere Mann im George-Washington-Room verschwamm beinahe mit dem Halbdunkel, in dem er seit einer geschlagenen Stunde wartete. Er hatte sich von den Bediensteten der Minotaurus-Ranch einen Drink bringen lassen, einen Old Taylor Whiskey, der scheußlich wie Hühnerpisse schmeckte, obwohl ihn ein Verwandter des einstigen US-Präsidenten Zachary Taylor gebrannt haben sollte.
Eine vornehme Herkunft allein jedoch bedeutete nichts.
Sie konnte kein Urteil fällen über die künftigen Taten eines Mannes, konnte nichts über seinen Leumund oder seine Aufrichtigkeit sagen. Sie konnte seichte Gemüter allenfalls blenden, wie es bei den Königsdynastien im alten Europa geschah, oder sie konnte einem Türen aufschließen, die sonst versperrt waren.
»Mr. Devon?«
Aus einer Seitentür des George-Washington-Salons, der mit Schlachtengemälden und Landschaftsmalereien dekoriert war, trat General Samuel Archer und schritt auf Howard Devon zu. Er hatte den schneidigen Gang eines Mannes, dessen Macht nicht im Mindesten zu erschüttern war.
»General«, salutierte Devon knapp und hielt den Blick gesenkt. »Es ist mir eine Ehre, in diesen Tagen auf der Ranch sein zu dürfen.«
»Reden Sie keinen gequirlten Bullendreck!«, schnitt Archer ihm scharf das Wort ab. Er lief um den Besprechungstisch herum, an dem sonst die Befehlshabenden der Supreme Society Platz nahmen. »Sie können sich die Höflichkeiten sparen, nachdem Sie nun meine Frau auf dem Gewissen haben.«
Mittels eines kurzen Seitenblicks vergewisserte sich Devon, dass Archer die Bemerkung scherzhaft gemeint hatte. Er hatte die junge und schöne Frau des Generals bei seinem letzten Einsatz tatsächlich beseitigen müssen, nachdem es Zweifel an ihrer Loyalität gegeben hatte. »Ich habe nur meine Pflicht getan.«
»Mehr als das«, schnaufte Archer und nahm an der Stirnseite des Besprechungstisches Platz. Er faltete die Hände und sah Devon eine Weile an. »Wir können von Glück reden, dass wir dieses Flittchen losgeworden sind, ehe es uns Schaden bereiten konnte. Sehen Sie …« Er lächelte. »Ich bin ein Mann und als solcher vor der Sündhaftigkeit des Fleisches nicht gefeit.«
Die Sündhaftigkeit der bezaubernden Mrs. Archer hatte sich vor allem darin gezeigt, dass sie sich auf einem Flussdampfer mit Devons Erzfeind, dem Brigade-Sieben-Agenten Lassiter, eingelassen hatte. Es war ein doppeltes Vergnügen für Devon gewesen, dieses Weibsbild aus der Welt zu schaffen.
»Wie geht es Ihrem Tumor?«, fragte Archer und deutete auf den Drink in Devons Hand. »Sie sehen wie gewohnt schlecht aus.«