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Lassiter stand am Tisch seines spärlich möblierten Hotelzimmers. Er hatte seinen Revolver auseinandergenommen, ölte den Lauf mit einer dünnen Bürste aus Draht und wachste das Holster mit einem Spezialmittel, das er in dem Drugstore in der Mainstreet gekauft hatte. Da klopfte es an die Tür.
Er legte die Waffe ab, öffnete die Tür und erblickte eine junge rotblonde Frau auf dem Flur. Verlegen nestelte sie an ihrer Umhängetasche.
Das Mädchen gefiel ihm. "Kann ich etwas für Sie tun, Miss?"
Sie holte tief Luft, dann sagte sie: "Ich bin Jane Mullins vom Girls Ballet aus St. Louis. Ich komme zu Ihnen, weil ich Hilfe brauche. Sie sind unsere letzte Rettung, Mr. Lassiter."
Er hob die Brauen. "Sie machen mich neugierig. Was ist passiert, Miss Mullins?"
"Es geht um einen Mord", antwortete sie.
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Drei Kugeln ins Herz
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Prieto/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7124-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Drei Kugeln ins Herz
Lassiter stand am Tisch seines spärlich möblierten Hotelzimmers. Er hatte seinen Revolver auseinandergenommen, ölte den Lauf mit einer dünnen Bürste aus Draht und wachste das Holster mit einem Spezialmittel, das er in dem Drugstore in der Mainstreet gekauft hatte. Da klopfte es an die Tür.
Er legte die Waffe ab, öffnete die Tür und erblickte eine junge rotblonde Frau auf dem Flur. Verlegen nestelte sie an ihrer Umhängetasche. Das Mädchen gefiel ihm. »Kann ich etwas für Sie tun, Miss?«
Sie holte tief Luft, dann sagte sie: »Ich bin Jane Mullins vom Girls Ballet aus St. Louis. Ich komme zu Ihnen, weil ich Hilfe brauche. Sie sind unsere letzte Rettung, Mr. Lassiter.«
Er hob die Brauen. »Sie machen mich neugierig. Was ist passiert, Miss Mullins?«
»Es geht um einen Mord«, antwortete sie.
Das Hotel, in dem Lassiter abgestiegen war, trug den hochtrabenden Namen Majestic. Es lag ungefähr in der Mitte der Hauptdurchgangsstraße der kleinen Ansiedlung, die nach ihrem Gründer, dem texanischen Viehhändler Ephraim P. Smallwood benannt worden war. Lassiter war nach Smallwood gekommen, um sich mit seinem Kontaktmann Neil Baker zu treffen. Seit drei Tagen wartete er auf ihn.
Doch bis heute hatte ihn kein Lebenszeichen von Baker erreicht.
Lassiter sah Jane Mullins an. »Wie kommen Sie darauf, dass ausgerechnet ich Ihnen helfen könnte? Halten Sie mich etwa für einen Marshal oder einen Detektiv?«
Sie spähte den Gang entlang, als befürchtete sie, belauscht zu werden. Dann trat sie über die Türschwelle und zog rasch die Tür hinter sich zu. Mit einer unnachahmlichen Bewegung warf sie eine Strähne ihres langen Haars über die Schulter. »Meine Truppe hat hinter dem Majestic ihr Quartier bezogen«, sagte sie gepresst. »Unseren grünen Wohnwagen kennen Sie bestimmt. Er ist nicht zu übersehen. Gestern Nacht hat jemand versucht, einzubrechen. Wir waren gerade im Einsatz in der Sunshine Bar, bis auf Jamie, die über starkes Bauchweh klagte. Sie blieb im Wagen, und das … und das hat ihr das Leben gekostet.«
Das Mädchen kämpfte mit den Tränen.
Lassiters Lächeln erlosch. »Der Einbrecher hat sie umgebracht?«
Jane nickte traurig. »Die Würgespuren weisen darauf hin, dass er sie mit ihrem eigenen Strumpf erdrosselt hat. Danach hat er ihn mitgenommen.«
»All devils!« Lassiter runzelte die Stirn. »Das tut mir leid. Haben Sie den City Marshal informiert?«
Jane Mullins winkte ab. »Wollte ich, aber er ist derzeit auswärts, am Smoky River, um einen Todesfall auf der Blue-Fork-Ranch zu untersuchen. Im Moment gibt es nur einen Hilfspolizisten in diesem elenden Nest, Deputy Raymond.« Sie wischte sich eine Träne von der Wange. »Der Mann ist vollkommen unfähig. Er hat nur Whiskey und Weiber im Kopf. Ich wusste nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte. Da bin ich auf Sie gekommen, Mr. Lassiter. Ich sah Sie gestern bei unserem Auftritt in der Sunshine Bar. Sie saßen in der ersten Reihe.«
»Das stimmt.« Lassiter seufzte. Die Ballettgirls hatten eine wirklich gute Show geboten. Das Publikum hatte mit Beifall nicht gegeizt. »Nichts für ungut«, fuhr er fort, »aber mir will scheinen, Sie sind bei mir an der falschen Adresse, Miss Jane. Ich bin Geschäftsmann und kein Polizist, der Morde aufklärt.«
Die Rotblonde schüttelte den Kopf. »Sie verstehen mich falsch, mein Herr. Ich verlange nicht, dass Sie Jamies Mörder zur Strecke bringen.«
»Sondern?«
»Dass Sie uns vor weiterem Unheil bewahren«, platzte sie heraus.
Lassiter verstand. »Sie wollen also, dass ich Ihre Truppe beschütze?«
»Ganz recht.« Sie wies auf den Remington-Revolver. »Wir brauchen einen Mann wie Sie, Mr. Lassiter. Einen Mann, der uns vor Übergriffen von Desperados wie diesen Einbrecher bewahrt. Seit Jamies Tod haben die Mädchen schreckliche Angst. Sie trauen sich gar nicht mehr unter die Leute. Der Mörder ist unter uns. Was ist, wenn dieser Kerl noch einmal zuschlägt?«
Draußen vor dem Haus brandete Hufgetrappel auf. Ein schriller Pfiff ertönte. Eine übermütige Stimme brüllte: »Jipppiiih!« Das Rumpeln der Hufe klang wie Donnergrollen in einer schwülen Sommernacht.
Doch schnell verebbte das Getöse wieder.
Im Zimmer blieb es einen Moment lang still.
»Bitte, Mr. Lassiter.« Jane Mullins bedachte ihn mit einem flehenden Blick. »Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß. Es geht nur um diese Woche, in der wir in Smallwood gastieren. Sie brauchen es nicht umsonst zu tun. Wir legen alle zusammen und können ihnen ein gutes Honorar zahlen. Es soll nicht zu Ihrem Schaden sein.«
Lassiter war unschlüssig. Sobald sein Kontaktmann mit den Instruktionen von der Zentrale in Washington auftauchte, würde er mit ihm oder allein Smallwood verlassen müssen. Der Auftrag der Brigade Sieben hatte Vorrang. Da konnte er sich im Vorfeld nicht auf eine andere Mission festlegen.
»Helfen Sie uns«, bat die Frau.
Am Klang ihrer Stimme merkte er, wie ängstlich sie war. Die Not der Tanzmädchen rührte sein Herz. Er erwog das Für und Wider. Solange Neil Baker noch nicht aufgekreuzt war, könnte er ja den Aufpasser der Girls spielen. Natürlich würde er ihnen kein Geld abknöpfen. Er liebte die Frauen und wollte, dass es ihnen gut ging. Typen, die Mädchen mit Strümpfen erdrosselten, gehörten an den Galgen.
»Bitte, Mister, lassen Sie uns nicht hängen«, sagte Jane leise.
Gegen den flehenden Blick aus den schönen, grünen Augen war kein Kraut gewachsen.
Lassiter nahm seinen Colt vom Tisch, schob ihn ins Holster und legte beides auf das Fußende seines frisch bezogenen Bettes. »Also gut, Miss Mullins, unter Umständen bin ich bereit, auf Ihren Wunsch einzugehen. Ich schaue mir Ihren Wagen mal an.«
»Mr. Lassiter!« Sie trat auf ihn zu, um ihn vor Freude zu umarmen, dann, mitten im Vorwärtsgang, stoppte sie ihren Gefühlsausbruch und lächelte nur.
»Aber ich kann Ihnen nichts versprechen«, sagte er. »Ich stehe nämlich sozusagen auf Abruf. Ich warte auf meinen Geschäftspartner. Sobald er eintrudelt, muss ich mich seinen Richtlinien fügen. Das verstehen Sie sicher, oder?«
»Natürlich.« Sie schulterte ihre Tasche. »Geschäft ist Geschäft. Trotzdem bin Ihnen sehr dankbar, Mr. Lassiter.«
Drei Atemzüge lang versank er in den Anblick ihrer wundervollen, grün schimmernden Augen. Am liebsten hätte er ihr ein Kompliment gemacht, doch er verkniff sich die Anwandlung.
»Gehen wir«, sagte er knapp.
Jane Mullins atmete hörbar auf. Sie trat hinaus auf den menschenleeren Korridor, und Lassiter folgte ihr durch das halbdunkle Foyer des Boardinghouse auf die Mainstreet der kleinen Boomstadt.
Der Torweg, der auf den Wirtschaftshof der Herberge führte, verfügte über zwei gusseiserne Flügel, die beide weit offen standen.
Als Lassiter die Einfahrt passierte, erblickte er den grün angestrichenen Wagen des Girls Ballet. Zwei Mädchen in leichten Sommerkleidern waren dabei, Wäsche auf eine Leine zu hängen. Ein drittes Mädchen hockte auf einer Holzkiste und putzte Schuhe.
Beim Anblick der leicht bekleideten Evastöchter klopfte Lassiter das Herz ein paar Takte schneller.
Doch er gab sich reserviert. »Guten Tag, Ladys«, sagte er höflich. »Mein Name ist Lassiter, und ich möchte mich bei Ihnen einmal umsehen.«
☆
Die zwei Mädchen, die Wäsche aufhingen, hielten inne und blickten ihn neugierig an. Auch die hübsche Schuhputzerin unterbrach ihre Arbeit. Sie taxierte ihn argwöhnisch.
Jane trat neben sie. »Das ist meine Schwester Amalie«, sagte sie. »Und die anderen Zwei sind meine Kusinen Elsa und Macy.«
»Ein richtiger Familienbetrieb«, stellte Lassiter fest.
Jane biss sich auf die Lippe. »Jamie war auch meine Kusine«, sagte sie dann. »Sie ist nur dreiundzwanzig Jahre alt geworden.«
Lassiter sprach den Mädchen sein Beileid aus. Alle blickten betrübt zu Boden. Keine sprach ein Wort. Nach kurzem Zögern fuhren Elsa und Macy fort, die Wäsche aufzuhängen.
Amalie hingegen erhob sich und stellte sich zu ihrer Schwester. Aus schmalen Augenspalten musterte sie den bartlosen, hochgewachsenen Mann mit dem halblangen Haar und dem großen Revolver an der Hüfte.
Lassiter bemerkte den offenkundigen Argwohn in ihrem Blick. Offenbar missbilligte Amalie die Entscheidung ihrer Schwester, einen Fremden in die Mordsache einzubeziehen. Er konnte diese Gefühlsregung nachfühlen. Vermutlich hatte der Mord in dem Mädchen eine tiefe Abscheu gegen alles und jeden entfacht.
»Möchten Sie einen Blick in den Wagen werfen?«, fragte Jane Mullins.
»Ja, bitte.«
Sie führte ihn an die Stirnseite, wo sich die einzige Eingangstür befand. Im Inneren des Wagens erkannte Lassiter die gemütliche Einrichtung: drei Pritschen, auf denen bunt bestickte Kissen und Wolldecken lagen; mehrere Regale mit Krügen, Töpfen und Pfannen; Kleiderhaken, an denen die Trikots der Tänzerinnen baumelten. Der Fußboden bestand aus grob gehobelten Dielenbrettern. Hier und da lag das sauber gegerbte Fell eines Wildschweins. Auf dem Brett vor dem Fenster standen zwei Blumentöpfe mit gelb blühenden Pflanzen. Der Geruch von getrockneten Kräutern schwebte in der Luft.
Jane wies auf die vordere Bettstelle. »Hier ist Jamie gestorben«, sagte sie tonlos.
Lassiter betrachtete den Tatort. Der Eindringling hatte das junge Mädchen mit einem Strumpf erdrosselt. Die Vorstellung an diese sinnlose Untat entzündete Lassiters Fantasie. Unglaublich, zu welchen Grausamkeiten manche Menschen neigten.
Warum, zum Geier, brachte jemand ein kränkelndes, junges Mädchen um?
In Gedanken zählte Lassiter die gängigsten Mordmotive auf: Gier, Neid, Eifersucht. Er ließ seine Augen über die Einrichtung des Wagens schweifen. »Gibt es Sachen, die Sie vermissen?«, erkundigte er sich.
»Nein, gestohlen wurde nichts«, entgegnete Jane. Sie nahm eine Blechbüchse aus dem Regal und schüttelte sie, dass es laut klapperte. »Sogar unser Wirtschaftsgeld ist noch da. Neunzehn Dollar. Nicht ein einziger Cent fehlt.«
»Wurde Ihre Kusine missbraucht, bevor man sie umbrachte?«, hakte er nach.
Es war Amalie, die auf die Frage antwortete. »Nein, Gott sei Dank nicht«, sagte sie barsch und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Amalie hat Jamie gefunden«, erklärte Jane.
»Wenn ich den Kerl zwischen die Finger kriege, drehe ich ihm den Hals um«, fauchte Amalie.
»Beruhige dich«, mahnte Jane. »Wollen wir hoffen, dass dieses Ungeheuer nie wieder auftaucht.«
Lassiter stellte noch einige Fragen, was die Pläne des Mädchenballetts betrafen. Freimütig antwortete Jane, Amalie hörte mit verkniffenem Gesicht zu.
»Haben Sie sich Feinde in der Stadt gemacht?«, wollte Lassiter wissen.
Jane schüttelte den Kopf. »Nein, ganz im Gegenteil. Unsere Vorstellungen sind immer gut besucht. Unser Publikum mag uns. Jedes Mal müssen wir mehrere Zugaben einschieben, damit alle auf ihre Kosten kommen. Sie konnten sich doch selbst davon überzeugen.«
»Ja, das stimmt«, räumte Lassiter ein. »Die Männer sind ganz wild nach Ihnen. Aber was ist mit den Frauen?«
Jane machte große Augen. »Die Frauen?«
»Es gibt Frauen, die diese Art von Veranstaltungen verabscheuen. Manche schließen sich zu Gruppen zusammen und gehen sogar per Gerichtsbeschluss gegen Künstler wie Sie vor, Miss Jane.«
»Die vertrockneten, alten Schachteln können uns gestohlen bleiben«, mischte sich Amalie ein. »Das Tanzen ist unser Beruf. Wir leben davon. Sollen wir damit aufhören, bloß weil es ein paar alte Jungfern nicht in den Kram passt? Gott im Himmel, wir lassen uns von denen nichts vorschreiben.«
Lassiter sah sie prüfend an. »Gab es in letzter Zeit schon einmal eine Konfrontation mit diesen alten Jungfern, wie Sie sie nennen?«
Einen Augenblick herrschte Schweigen.
»Ja, die gab es«, erwiderte Jane. »Jetzt, wo Sie es sagen, fällt es mir wieder ein. Es war letzte Woche, am Freitag, als Mrs. McDonnell uns nach einem Auftritt zu Rede stellte, weil wir angeblich zu freizügig getanzt haben. Solche frivolen Einlagen wären nicht gut für die Moral im County, so meinte sie.«
»Dabei hat Jamie bloß ihr Oberteil gelüftet«, warf Amalie ein.
Lassiter merkte auf. »Wer ist Mrs. McDonnell?«, fragte er.
»Die Witwe eines reichen Viehhändlers, die hin und wieder nach Smallwood kommt, um den Leuten Moral zu predigen«, antwortete Jane.
»Was ist diese Mrs. McDonnell für eine Frau?«, forschte Lassiter. »Arbeitet sie für die Kirche oder einen gemeinnützigen Verein? Und überhaupt, wie weit würde die Dame Ihrer Meinung nach gehen, um ihren moralischen Ansprüchen Nachdruck zu verleihen?«
»Jedenfalls würde sie deswegen keinen Mord begehen«, sagte Jane Mullins. »Allein der Gedanke daran ist völlig absurd.«
Amalie funkelte sie an. »An deiner Stelle würde ich mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, Sweetheart. Ich traue dieser alten Vettel alles zu.«
»Natürlich bin ich keine Wahrsagerin«, gab Jane zurück. »Aber die Vorstellung, dass Mrs. McDonnell heimlich in unseren Wohnwagen schleicht, um Jamie mit einem Strumpf zu erdrosseln, scheint mir doch zu weit hergeholt.«
»Das mag sein«, meinte Lassiter, »aber in der Gegend gibt es todsicher eine Menge zwielichtiger Gestalten, die schon für wenig Geld anderen Leuten gewisse Gefälligkeiten erweisen.«
Jane Mullins wurde blass. »Wollen Sie damit sagen, dass jemand einen Killer bezahlt hat, um dem Girls Ballet einen Denkzettel zu verpassen?«
»Gut kombiniert.« Lassiter nickte langsam. »Das ist gut möglich.«
Amalie ballte ihre kleinen Hände zu Fäusten. »Ich werde zu dieser Mrs. Donnell gehen und …«
»Das wirst du hübsch bleiben lassen«, wies Jane die erzürnte Kusine zurecht. Sie sah Lassiter an. »Ich halte es für angebracht, Sie, Mr. Lassiter, für eine Woche als Leibwächter zu engagieren. Wie lautet Ihre Entscheidung? Können wir mit Ihnen rechnen?«
Er schaute in ihre grünen, funkelnden Augen. »Okay«, sagte er schließlich, »ich werde sehen, was ich für Sie und Ihre Truppe tun kann.«
Amalie krauste die Nase. »Was heißt das konkret? Gehen Sie auf Janes Angebot ein?«
Lassiter sagte: »Ja, das tue ich, Miss. Ab heute hat das Girls Ballet einen Leibwächter.«
Jane Mullins wandte sich an die zwei Mädchen, die Wäsche aufhingen. »Elsa! Macy! Habt ihr gehört, was der Gent eben gesagt hat?«
»Ja, wir haben jetzt jemand, der auf uns aufpasst!«, rief das Mädchen namens Macy.
Elsa schwenkte einen tropfnassen, hellrosa Unterrock. »Willkommen beim Girls Ballet, Mr. Lassiter.«
☆
Ben Boulder blickte mit zusammengekniffenen Augen durch das Fenster auf den weitläufigen Platz hinter dem Majestic.
Der Kerl, der in Nummer elf wohnte, stand schon eine Viertelstunde bei den Mädchen von der Tanztruppe und palaverte mit ihnen. Dieser Schnüffler hatte sogar den Wohnwagen der Girls inspiziert.
Boulder war nicht wohl in seiner Haut. Er war auf der Hut. Vermutlich hatte Jane Mullins diesen Lassiter als Beschützer engagiert, weil sie und ihre Mädchen es nach dem Mord mit der Angst zu tun bekamen.
Auf dem Tisch in Boulders Hotelzimmer lag ein brauner Lederbeutel, der mit einem dunklen Damenstrumpf verschnürt war. Darin befand sich die eine Hälfte des Blutgeldes, das Boulder für den Mord an dem Tanzgirl kassiert hatte.
Die andere Hälfte würde er heute Abend erhalten.
Der unbekannte Auftraggeber wollte ihm einen Kurier schicken, der den restlichen Betrag übergab.
Der Mörder beobachtete, wie der Gast von Zimmer elf sich von den Mädchen verabschiedete und den rückwärtigen Hof verließ.
Rasch trat Boulder hinter die Gardine zurück.
Seinen ersten Mord hatte er vor fast genau zehn Jahren verübt, in einem verruchten Saloon in Wichita. Damals war er noch ein Grünschnabel gewesen, knapp zwanzig Jahre alt und den Kopf voller Flausen. Der Mann, den er ins Jenseits beförderte, war ein betrunkener Cowboy gewesen, der beim Pokern eine Menge Bucks eingeheimst hatte. Über zweihundert Dollar. Der leichtsinnige Kerl verließ den Saloon allein, um seinen Gaul aus dem Mietstall zu holen. In der Pferdebox hatte Boulder sich den Glücksspieler geschnappt. Mit seinem Bowiemesser hatte er die Sache klargemacht. Die zweihundert Dollar wechselten ihren Besitzer. Tote brauchen keine Moneten. Nach der geglückten Flucht aus Wichita hatte er eine Zeitlang von dem erbeuteten Geld gelebt. Obwohl er sparsam damit umging, herrschte bald wieder Ebbe in seiner Börse.
Er hatte den nächsten Coup gelandet.
Diesmal war er in das Wohnhaus eines Farmers eingedrungen. Der Bauer und seine Familie waren nicht zu Hause. Der Rancharbeiter, der die Wirtschaft in Abwesenheit der Farmer in Gang hielt, war ein alter Mann und leistete nur geringen Widerstand. Boulder warf die Leiche seines Opfers in den Brunnen, nachdem er seinen Beutezug beendet hatte. Unerkannt und ungehindert machte er sich aus dem Staub.
Boulder horchte auf. Im Treppenhaus tönten die Schritte seines Zimmernachbarn. Dann klappte eine Tür, und Boulder hörte jenseits der dünnen Wand eine lose Diele knarren.
Er spürte, dass er nervös wurde. Sein Instinkt witterte Gefahr. Der Kerl von Zimmer elf war ihm nicht geheuer, ein harter Bursche, der nie ohne Schießeisen aus dem Haus ging. Am besten, er zog heute noch aus, bevor der Schutzengel der Tanzmädchen auf ihn aufmerksam wurde.
Dummerweise fehlte ihm die zweite Hälfte des Blutgeldes.
Bullshit! Der Überbringer sollte erst bei Einbruch der Dunkelheit kommen. Bis dahin waren es noch ein paar Stunden.
Boulder steckte in der Zwickmühle. Er ballte die Fäuste. Eher ging ein Kamel durch ein Nadelöhr, als wenn er auf die Dollars, die ihm zustanden, verzichtete.