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Sie war der weibliche Star der Wanderbühne, die seit einigen Tagen in Dry Wells gastierte. Die heutige Vorstellung war wieder restlos ausverkauft, das große Zelt bis auf den letzten Platz besetzt. Isabell de Roquefort, wie sich die junge Tänzerin und Schauspielerin nannte, erhielt wie gewohnt stürmischen Applaus.
Das größtenteils männliche Publikum war weniger wegen ihrer künstlerischen Leistung als wegen ihrer aufregenden Kurven herbeigeströmt. Sie war eine strahlende Schönheit. Nur mit einem fast durchsichtigen Schleiergewand bekleidet, zog sie jeden in ihren Bann.
Den stürmischsten Beifall spendete ihr der Rancher Rex Stone, der einen weiten Ritt auf sich genommen hatte, um die junge Künstlerin zu bewundern. Doch das war bei weitem nicht alles, was er sich erhoffte. Er wollte diese Frau besitzen. Und dazu war ihm jedes Mittel recht.
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Seitenzahl: 136
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Ein leichtes Mädchen aus Kentucky
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Boada/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7281-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Ein leichtes Mädchen aus Kentucky
Sie war der weibliche Star der Wanderbühne, die seit einigen Tagen in Dry Wells gastierte. Die heutige Vorstellung war wieder restlos ausverkauft, das große Zelt bis auf den letzten Platz besetzt. Isabell de Roquefort, wie sich die junge Tänzerin und Schauspielerin nannte, erhielt wie gewohnt stürmischen Applaus.
Das größtenteils männliche Publikum war weniger wegen ihrer künstlerischen Leistung als wegen ihrer aufregenden Kurven herbeigeströmt. Sie war eine strahlende Schönheit. Nur mit einem fast durchsichtigen Schleiergewand bekleidet, zog sie jeden in ihren Bann.
Den stürmischsten Beifall spendete ihr der Rancher Rex Stone, der einen weiten Ritt auf sich genommen hatte, um die junge Künstlerin zu bewundern. Doch das war bei weitem nicht alles, was er sich erhoffte. Er wollte diese Frau besitzen. Und dazu war ihm jedes Mittel recht.
Nach der abendlichen Vorstellung besuchte er Isabell in ihrer Garderobe im vorderen Teil des bunt bemalten Wohnwagens, den sie sich mit einer jungen Kollegin teilte. Diese stellte ihn bei Isabell vor und winkte ihn dann heran. Der Rancher musste den Kopf einziehen, als er den Wohnwagen über eine Klappstiege betrat, denn er war ein Riese von Gestalt. Mindestens zwei Meter maß er und mochte gut zweihundertfünfzig Pfund auf die Waage bringen. Und mit seinen fünfundvierzig Jahren befand er sich im besten Mannesalter.
Isabells türkisfarbene Augen weiteten sich bei seinem Anblick fast erschrocken, denn von Stone ging etwas Animalisches und zugleich Beherrschendes aus. Neben ihm wirkte sie klein und zerbrechlich.
Immer noch trug sie ihr gewagtes Tanzkostüm, in dem sie an eine Haremsdame aus dem fernen Orient erinnerte. Sie saß mit dem Rücken zum Spiegel vor ihrem mit allerlei Utensilien übersäten Schminktisch. Ihre junge Kollegin war nach hinten in das Schlafgemach verschwunden.
»Sie möchten mich sprechen?«, fragte Isabell. »Leider kann ich Ihnen keinen Platz anbieten. Sie sehen ja, wie beengt es hier ist. Aber ich bin gern bereit, Ihnen ein Autogramm zu geben.«
Der Hüne räusperte sich. »Deswegen bin ich eigentlich nicht gekommen.«
»Warum dann?« Isabell spürte instinktiv, dass der Besucher sie am liebsten nackt ausgezogen und anschließend vernascht hätte. Die Art, wie er sie anblickte, war beunruhigend.
»Ich bewundere Sie«, antwortete Stone auf ihre Frage. »Sie sind nicht nur schön, sondern auch sehr begabt. Ihre Darbietung hat mir jedenfalls außerordentlich gut gefallen.«
»Das freut mich«, erwiderte Isabell, die es zwar gewohnt war, Komplimente zu erhalten, sich aber trotzdem geschmeichelt fühlte.
»Von einer Frau wie Ihnen habe ich schon immer geträumt«, erwiderte Stone. »Am liebsten würde ich Sie mit Schmuck überhäufen.«
»Tun Sie sich keinen Zwang an.« Die Tänzerin mit dem dunkelblonden Haar lächelte spöttisch.
»Lassen Sie sich überraschen. Ich mache keine leeren Versprechungen.« Während Stone sprach, ließ er Isabell keine Sekunde aus den Augen. Es waren verlangende Blicke, die ihr unter die Haut gingen. Sie war einiges gewöhnt und hatte mit liebestollen Männern ihre Erfahrungen gesammelt, dennoch errötete sie.
»Was wollen Sie wirklich?«, fragte sie ohne Umschweife.
Rex Stone verharrte einige Momente schweigend, als müsste er sich seine nächsten Worte erst zurechtlegen. Schließlich sagte er: »Ich möchte Ihnen ein Angebot machen …«
»Ein Angebot?«, wiederholte Isabell irritiert. »Und das wäre?«
Stone blickte kurz auf den Vorhang, der den vorderen Bereich des Wohnwagens vom hinteren Teil trennte und hinter dem das andere Mädchen ganz gewiss lauschte. Dann fuhr er, ohne seine kräftige Stimme auch nur um eine Spur zu dämpfen, ungeniert fort: »Ich möchte mit Ihnen schlafen, Isabell. Und ich bin bereit, mich das einiges kosten zu lassen. Ich biete Ihnen tausend Dollar für eine Liebesnacht.«
Die junge Schauspielerin war zu überrascht, um eine Antwort geben zu können.
»Ja, das wäre mir dieses Vergnügen wert«, bestätigte der Hüne und nickte ernst. »Ich weiß, das ist eine Menge Geld, aber ich bin kein armer Mann. Zwei Tagesritte von hier besitze ich eine große Ranch. Sie brauchen keine Sorge zu haben, dass ich Sie übers Ohr haue.«
»Ich … ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, kam es zögerlich über Isabells Lippen.
»Sie müssen mir nicht gleich eine Zusage machen«, versuchte Stone einzulenken, »denn ich bleibe einige Tage hier. Mir schwebt ein Treffen im hiesigen Hotel vor. Dort warten tausend Dollar auf Sie. Die können Sie doch sicher gut gebrauchen, nicht wahr?«
»Wer könnte das nicht?«, meinte sie kühl, aber mehr denn je unentschlossen. Sie war keine Dirne, die ihren Körper verkaufte. Genau genommen war das Anliegen des Ranchers sogar eine Unverschämtheit. Er war nicht unattraktiv, aber bildete er sich wirklich ein, mit seinen Dollars alles kaufen zu können? Zudem bestand für Isabell die Unsicherheit, dass er sie einfach flachlegen und dann lachend davonreiten würde. Nur ein Verrückter legte einen solchen Haufen Geld für eine Liebesnacht auf den Tisch. Jede Hure in der Stadt spreizte ihre Beine bereits für zehn Dollar.
»Werden Sie es sich überlegen?«, hakte der hochgewachsene Mann nach.
Isabell de Roquefort schaute ihn durchdringend an. »Sie sollten jetzt gehen, Mister Stone«, sagte sie nur und wandte sich wieder ihrem Schminkspiegel zu. Das enttäuschte Gesicht des Ranchers blieb ihr nicht verborgen. Doch wenn er es wirklich ehrlich meinte, ließ er es nicht bei der Abfuhr bewenden.
☆
Die Hitze New Mexicos wollte das Land ersticken. Schier endlos dehnte sich die Wüste in alle Richtungen. Der Schweiß rann Lassiter in Strömen übers Gesicht; seine Kleidung klebte am Körper, als wäre sie mit ihm verwachsen.
In den flirrenden Schwaden, die über der Wüste lagen, glaubte er, einen Tupfen zu erkennen. Eine Stadt vielleicht oder ein Dorf, womöglich auch nur eine verlassene Ortschaft, die in den sengenden Strahlen der Sonne kochte. Alamogordo aber, wo er den nächsten Auftrag der Brigade Sieben entgegennehmen sollte, konnte es nicht sein. Seiner Schätzung nach lag die Stadt noch gut hundert Meilen entfernt.
Er wischte sich die salzige Nässe aus dem Gesicht und rieb sich über die Augen. Mehrmals musste er blinzeln, um wieder eine klare Sicht zu bekommen. Und als sein Blick aufs Neue geschärft war, musste er sich eingestehen, sich geirrt zu haben. Dieser Fleck in der weißen Einöde war weder eine Stadt noch ein Dorf – es war eine Gestalt, die schwerfällig durch den Sand kroch, ihn offenbar gesehen hatte und mit letzter Kraft eine Hand hob, um auf sich aufmerksam zu machen.
Lassiter trieb seinen Hengst an. Dieser Mensch, der ein paar Steinwürfe voraus alle Viere von sich streckte, benötigte dringend Hilfe. Als der Brigade-Agent nur noch wenige Yards entfernt war, erkannte er, wen er vor sich hatte. Der Anblick versetzte ihm einen Stich ins Herz.
Es war eine junge dunkelhaarige Frau, die lediglich noch Fetzen von Kleidung am Leib hatte. Ihre Bewegungen, mit denen sie sich über den Sand geschoben hatte, waren erlahmt. Die Hitze des feinkörnigen Untergrunds tat ein Übriges, sie zu schmoren und sie ihrer Kräfte zu berauben.
Der Mann der Brigade Sieben sprang aus dem Sattel, riss seine Feldflasche an sich und warf sich neben der Frau auf die Knie. Ihre Lippen waren spröde und aufgesprungen. Es musste eine Ewigkeit her sein, dass sie einen Tropfen Wasser getrunken hatte.
»Hilfe …«, röchelte sie brüchig. »Bitte … helfen Sie mir …«
Vorsichtig führte Lassiter die Wasserflasche an den Mund der Frau und beträufelte ihre Lippen. Gleich darauf benetzte er seine Hand und wischte ihr übers Gesicht. »Ich gebe Ihnen Wasser, aber Sie dürfen nicht zu hastig trinken«, sagte er. Schluck für Schluck flößte er der geschundenen Frau aus seiner Wasserflasche ein.
»Dieses Scheusal …«, ächzte sie. »Ich … ich bin ihm entkommen. Aber da sind noch viele andere …« Ihre Stimme versagte.
Lassiter bettete ihren Kopf auf seinem Unterarm. »Wie lautet der Name des Mannes, der Ihnen das angetan hat?«, fragte er. »Wo kann ich ihn finden?«
»Ranch …«, wisperte die Frau. Ihre Lider flatterten. Kraftlos strichen ihre zitternden Finger über die Wasserflasche. »Viele Männer … mit Waffen …« Sie schluckte hart. »Rawlins …«
Erneut wollte Lassiter ihr zu trinken geben, doch der Körper der Frau war bereits erschlafft.
Kalte Wut befiel den großen Mann. Sein brennender Blick war auf die Tote gerichtet, das Opfer eines skrupellosen Menschenhändlers. Das zumindest reimte sich Lassiter aus den Aussagen der Frau zusammen.
Der Auftrag der Brigade Sieben konnte warten. Erst musste dieser Kerl aus dem Verkehr gezogen werden, der unschuldige junge Frauen auf seiner Ranch gefangen hielt und ihnen womöglich Schreckliches antat.
Er nahm den Leichnam auf und legte ihn quer über sein Pferd. In der nächsten Stadt wollte Lassiter dafür sorgen, dass er würdevoll bestattet wurde.
☆
Rex Stone war überzeugt, dass die schöne Tänzerin und Schauspielerin Isabell de Roquefort sein großzügiges Angebot annehmen würde. Denn welche Frau konnte schon auf die Chance, sich in einer Nacht tausend Dollar zu verdienen, verzichten? Für eine solche Summe würden wohl die meisten schwach werden und ihre moralischen Bedenken über Bord werfen. Stone malte sich bereits aus, wie er die Liebesnacht mit ihr bei Champagner und Kerzenlicht verbringen würde, sie entblätterte und im weichen Hotelbett genüsslich vernaschte.
Doch zu seinem Leidwesen sollte es nicht dazu kommen, denn Isabell wurde am nächsten Tag von Sheriff Gilford verhaftet. Ihr Manager Laster Babcock war nämlich erstochen in seinem Wagen aufgefunden worden, und der dringende Verdacht, ihn ermordet zu haben, war auf Isabell gefallen. Nicht nur war bei ihr blutbefleckte Kleidung, sondern auch die Tatwaffe gefunden worden – ein mexikanischer Dolch. Das hatte dem Sheriff für ihre Festnahme ausgereicht.
Isabell leugnete die Tat, aber das half ihr nichts. Immerhin musste sie zugeben, dass sie mit Babcock einen Streit wegen ihrer Gage gehabt hatte und damit ein Motiv, ihn zu töten. Unter Tränen beteuerte sie ihre Unschuld und behauptete, das Opfer einer gemeinen Intrige geworden zu sein. Ein anderes Mädchen der Künstlertruppe, eine gewisse Cheryl, war neidisch auf sie, weil Isabell der Star des Ensembles war. Diese Cheryl hatte es schon länger auf die Hauptrolle abgesehen, war beim Manager jedoch abgeblitzt und hätte daher ebenfalls einen Grund gehabt, ihm nach dem Leben zu trachten. Doch die belastenden Gegenstände waren nun mal nicht bei Cheryl, sondern unter Isabells Bett gefunden worden. Und Isabell war es gewesen, die man aus Babcocks Wagen hatte kommen sehen.
Nun wurde Isabell de Roquefort nach eingehendem Verhör in eine Einzelzelle im Town Jail gesperrt, welches dem Sheriffbüro angeschlossen war. Scheppernd fiel die Gittertür hinter ihr ins Schloss, und die schöne Isabell warf sich laut aufschluchzend auf die in der hinteren Ecke stehende Schlafpritsche.
Die Gefangenen in der Nebenzelle, zwei verkommen wirkende Kerle, begannen breit zu grinsen. Hier im Gefängnis so hübsche Gesellschaft zu bekommen, hatten sie nicht erwartet.
»Na, du Schöne, was hast du ausgefressen?«, fragte der Jüngere der beiden Gefangenen, als er an das Trenngitter herantrat und die junge Frau ungeniert musterte.
»Gar nichts«, schluchzte sie. »Ich bin unschuldig!«
»Unschuldig?«, rief der Typ und lachte. »Das glaubst du doch selbst nicht! Eine, die so aussieht wie du, kann gar nicht unschuldig sein.«
»Wahrscheinlich hat sie einem Freier die Brieftasche geklaut«, mutmaßte der andere Kerl. Ein zerkautes Streichholz zwischen den Zähnen, saß er auf einem Hocker und blickte ebenfalls interessiert in die Nachbarzelle. »So ist es doch, Schwester, nicht wahr?«
Isabell gab keine Antwort. Dass man sie für eine Prostituierte hielt, verletzte sie. Sie wischte sich die Tränen ab und drehte ihr Gesicht zur Wand.
»Sie will anscheinend nicht mit uns reden«, sagte der Mann, der sie zuerst angesprochen hatte. Er besaß ein derbes Gesicht, eine knochige Gestalt und lange Haare, die in fettigen Strähnen auf seine Schultern herabfielen. »Hält sich wohl für was Besseres. Aber der Stolz wird ihr noch vergehen.«
Als Isabell weiterhin schwieg und keine Notiz von ihm nahm, ließ er einige Minuten verstreichen, dann versuchte er von neuem, mit ihr ins Gespräch zu kommen.
»Du solltest nicht so tun, als wären wir nicht vorhanden«, brummte er. »Schließlich sind wir jetzt Zellennachbarn, sitzen sozusagen im selben Boot. Ich schätze, wir sollten uns miteinander bekannt machen. Ich heiße Mitch Crocker und wurde eingelocht, weil ich einen reichen Pinkel um seine Barschaft erleichtern wollte. Und der hier«, – Crocker zeigte mit dem Daumen auf seinen Zellengenossen –, »ist Mattie Hewitt. Er hat im Suff seinen Zechkumpan erschlagen. In nüchternem Zustand ist er recht friedlich, aber wenn er betrunken ist …«
»Musst du mich unbedingt herabsetzen?«, protestierte der bullige Kerl auf dem Hocker. Er hatte einen runden Kopf und eine Halbglatze. Seine restlichen Haare waren kurz geschoren und standen als zentimeterlange Stifte von seinem Schädel ab. »Die junge Lady soll doch keinen schlechten Eindruck von mir gewinnen.« Er erhob sich und trat neben den anderen ans Gitter, umklammerte mit beiden Händen die eisernen Stäbe und blickte zwischen ihnen hindurch auf die junge Tänzerin. »Jetzt weißt du, wer wir sind«, fuhr er fort. »Und wer bist du? – He, ich hab dich ganz höflich nach deinem Namen gefragt«, fügte er grantig hinzu, als die Gefangene weiterhin schwieg. »Willst du ihn nicht nennen?«
Die Tänzerin hob ihren Kopf, wischte sich die letzten Tränenspuren mitsamt der verwischten Schminke vom Gesicht und sagte: »Nennt mich einfach Isabell. Man will mir einen Mord anhängen, den ich nicht begangen habe. Und jetzt fragt mich nichts mehr, sondern lasst mich in Ruhe!«
»Einen Mord?«, rief Mitch Crocker. »Sieh mal einer an! Wenn das so ist, wird man dich ja ebenfalls in die County-Hauptstadt bringen, denn hier in diesem Kaff gibt es keinen Richter. Nein, hier finden keine Prozesse statt. Man wird dich gemeinsam mit uns nach Alamogordo bringen.«
Isabell wurde blass, als sie das hörte. Erneut begann sie zu schluchzen. Denn sie wusste, dass ihr im Falle einer Verurteilung eine lange Freiheitsstrafe drohte. Dieser Gedanke versetzte sie in Angst und Verzweiflung.
Ihre Stimmung besserte sich erst wieder ein wenig, als Hilfssheriff Tom Hadley ihr das Abendessen brachte. Er war ein schlaksiger Bursche in den Dreißigern, mittelgroß, dunkelblond und schlank.
»Für Sie«, sagte er kurz angebunden und schob einen gefüllten Blechnapf unter der Zellentür hindurch. »Das Zeug sieht nicht toll aus, ist aber durchaus genießbar. Also lassen Sie es sich schmecken, Miss … Wie war doch gleich Ihr Nachname?«
»Den hat sie uns erst gar nicht verraten«, rief Crocker aus der Nebenzelle. »Sie zeigt sich leider recht zugeknöpft.«
»Sie muss sich auch gar nicht mit euch Halunken unterhalten«, knurrte der Hilfssheriff. »Lasst sie bloß in Ruhe! Haltet eure Zungen im Zaum. Oder habt ihr sie bereits mit unzüchtigen Reden belästigt? He, Miss, gibt es einen Grund, sich über die beiden Kerle zu beschweren?«
»Nein«, antwortete Isabell. Sie hatte den Essnapf an sich genommen und auf den Zellentisch gestellt, rührte ihn aber nicht an. »Es ist alles in Ordnung, Deputy.«
Tom Hadley grinste sie durch die Gittertür freundlich an. Es war klar ersichtlich, dass sie ihm gefiel. Seine Stimme klang ausgesprochen sanft, als er erwiderte: »Dann bin ich beruhigt. Die Umstände lassen es leider nicht zu, Sie gegen die anderen Gefangenen abzuschirmen, denn wir sind hier in Dry Wells auf weibliche Gefangene nicht eingestellt. Aber ich werde mich bemühen, Ihnen den Aufenthalt hier so erträglich wie möglich zu machen. Sollten Sie einen Wunsch haben, den ich erfüllen kann, dann sagen Sie es mir.«
»Ja, ich habe einen Wunsch«, sagte Isabell. »Bitte bringen Sie mir eine saubere Decke, von der ich mich nicht ekeln muss.«
»Gern«, erwiderte der Hilfssheriff und brachte ihr statt einer gleich zwei Decken, für die sie sich mit einem Lächeln bedankte, was ihn noch zugänglicher stimmte.
»Wenn ich noch etwas für Sie tun kann, so lassen Sie es mich wissen«, sagte er. »Sie sollen hier fair behandelt werden. Bitte verzweifeln Sie nicht«, tröstete er sie. »Wie sagt doch ein altes Sprichwort? Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.«
Er warf ihr noch einen aufmunternden Blick zu und ermahnte dann die beiden Sträflinge in der anderen Zelle erneut, sich ihrer Mitgefangenen gegenüber anständig zu verhalten. Danach verließ er das Jail und begab sich hinaus ins Sheriff’s Office.
☆
Der Mord am Manager der Wanderbühne und die in diesem Zusammenhang erfolgte Verhaftung der schönen Isabell war in Dry Wells das Gesprächsthema Nummer eins. Ob in den Saloons, im Mietstall, beim Barbier oder in den verschiedenen Läden – überall sprach man von nichts anderem.