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"Was hast du da?"
Marilyn erstarrte, als sie die Stimme des Stiefvaters hinter sich vernahm. Rasch schob sie den Brief und das Geldbündel zurück in den Kissenbezug. "Das geht dich nichts an!"
"Ach ja? Ich werd' dich lehren..." Mit drei Schritten war er bei ihr und packte sie an ihrem blonden Zopf. Marilyn schrie auf, als ihr Kopf in den Nacken gerissen wurde. Sie stürzte unsanft auf ihren Hintern, während er nach dem Kissen langte. Beim Anblick der Dollarnoten weiteten sich seine Augen ungläubig. Marilyn sah sich panisch um, bis ihr Blick auf den Kerzenleuchter fiel.
"All devils!", stieß er hervor. "Das sind doch mindestens ..."
Schlagartig verstummte er, weil der Hieb auf den Hinterkopf sein Leben so schnell beendete, wie die meisten, die Rhauol Cortez gekannt hatten, es sich schon lange wünschten.
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Seitenzahl: 150
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Rowlands Töchter
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Boada/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7359-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Rowlands Töchter
»Was hast du da?«
Marilyn erstarrte, als sie die Stimme des Stiefvaters hinter sich vernahm. Rasch schob sie den Brief und das Geldbündel zurück in den Kissenbezug. »Das geht dich nichts an!«
»Ach ja? Ich werd’ dich lehren …« Mit drei Schritten war er bei ihr und packte sie an ihrem blonden Zopf. Marilyn schrie auf, als ihr Kopf in den Nacken gerissen wurde. Sie stürzte unsanft auf ihren Hintern, während er nach dem Kissen langte. Beim Anblick der Dollarnoten weiteten sich seine Augen ungläubig. Marilyn sah sich panisch um, bis ihr Blick auf den Kerzenleuchter fiel.
»All devils!«, stieß er hervor. »Das sind doch mindestens …«
Schlagartig verstummte er, weil der Hieb auf den Hinterkopf sein Leben so schnell beendete, wie die meisten, die Rhauol Cortez gekannt hatten, es sich schon lange wünschten.
Marilyn ließ den schweren Kerzenleuchter fallen und starrte gebannt auf die Blutlache, die sich unter Cortez’ Kopf träge auf dem schmutzigen grünen Teppich vor ihrem Bett ausbreitete. Das Herz schlug ihr bis zum Hals hinauf und drückte die Kehle zu, sodass sie nur stoßweise atmen konnte.
Ihre Augen wurden groß und größer, und sie wagte es weder, ihren Blick abzuwenden noch sich zu rühren. Bestimmt würde er gleich wieder aufstehen und sie in die Ecke des Zimmers treiben, bevor er den Gürtel aus den Schlaufen seiner Hose zog und ihr eine Abreibung verpasste, die sich gewaschen hatte.
Wie so oft, seit er vor drei Jahren hier eingezogen war.
Sie kaute heftig auf ihrer Unterlippe und merkte nicht, wie ihre Zähne dabei winzige Wunden hervorriefen, bis sie Blut schmeckte.
»Na komm schon, Rhauol«, flüsterte sie. »Steh auf und gib’s mir, du Mistkerl.«
Doch der massige Körper bewegte sich nicht. Es lief nur noch mehr dunkelroter Lebenssaft aus der klaffenden Wunde und tränkte den Boden.
Sie holte aus und trat ihm zögernd mit dem nackten Fuß in die Seite.
Keine Reaktion.
Ihre linke Augenbraue hob sich skeptisch, und sie sah sich im Raum um, als gäbe es jemanden, der ihr beifällig zunicken und leise applaudieren konnte. Aber Marilyn war allein mit dem leblosen Mann.
Sie trat noch mal zu, diesmal kräftiger. Mit demselben Ergebnis.
»Heilige Mutter Gottes«, flüsterte sie, und die Hand fuhr zu ihrem Mund. Bestürzt, schuldbewusst, aber auch auf klammheimliche Art erleichtert. Hatte sie dieses Monster tatsächlich umgebracht?
Wäre ihr klar gewesen, wie einfach das sein konnte, hätte sie es womöglich schon früher getan. Bestenfalls ein paar Tage, nachdem Rhauol Cortez bei ihnen eingezogen war und sich das Leben der Rowland-Frauen binnen kürzester Zeit von einem harten Los in den Vorhof zur Hölle verwandelt hatte.
Draußen vor dem offenen Fenster hörte sie ein schrilles Quieken, das nach ein paar Sekunden erstarb. Sie ahnte, dass unten im Hinterhof gerade ein Ferkel sein Leben gelassen hatte. Lester Donahue, ihr Vermieter, klaute die jungen Tiere regelmäßig vom nahe liegenden Schlachthof und gab den Bewohnern seines Hauses genug davon ab, damit sie dicht hielten.
Geschlachtet wurde still und heimlich im Hof hinter dem Haus. Vermutlich würden Lester auch heute wieder der stumme David und seine Schwester Sarah dabei behilflich sein, die beiden Bürgerkriegswaisen, die unten im Erdgeschoss bei ihm wohnten.
Marilyn beugte sich vor und achtete darauf, nicht mit den Füßen in die Blutlache zu treten, als sie nach dem Kissen auf dem Bett angelte. Sie ergriff den Zipfel des Bezuges, wandte sich rasch von dem Toten ab und nahm das Geld und den Brief heraus, bevor sie das Kissen zu Boden fallen ließ und an die Kommode vor dem Bett trat.
Die alte lederne Reisetasche von Mutter stand bereits geöffnet daneben, mit den wenigen Kleidungsstücken gefüllt, die sie ihr eigen nannte. Wäre Cortez nur zehn Minuten später aufgekreuzt, hätte er sie wohl nicht mehr angetroffen.
Pech gehabt, Rhauol.
Außer dem Geld und dem Brief des Notars – beides versteckte sie sorgfältig unter den Wäschestücken – gab es nicht viel, was sie mitzunehmen gedachte. Das Leben in Chicago hatte ihr kaum Dinge beschert, die ihr etwas bedeuteten.
Sie nahm das Medaillon aus der Schublade, das ihre Mutter ihr zur Kommunion geschenkt hatte. Dann das zerschlissene Buch über die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn; sie kannte es fast schon auswendig, doch es würde ihr auf der langen Reise nach Kalifornien trotzdem die Zeit vertreiben. Die Ohrringe … sie strich bedächtig über die kleinen grünen Edelsteine, als würde sie damit eine Verbindung zu ihrer Großmutter herstellen können.
Dann hob sie den Kopf und starrte die Fotografie an, die in einem schmucklosen Rahmen über der Kommode hing.
Sie war so schön gewesen … als Marilyn mit ihrer Mutter nach Chicago gekommen war, hatte sie nicht verstanden, warum der Umzug in die große Stadt die Frau so traurig gemacht hatte. Erst mit den Jahren war Marilyn klar geworden, dass ihre Mutter nicht hoffnungsvoll in eine neue Zukunft gereist war, sondern ihrer Ansicht nach wohl eher alles Lebenswerte hinter sich gelassen hatte.
Du musst hier raus!
Die mahnende Stimme in ihrem Hinterkopf riss sie aus ihrer Versonnenheit und brachte sie in die Realität zurück. Sie nahm das Bild von der Wand, wickelte es sorgfältig in ein Leinentuch und legte es in die Tasche. Dann griff sie nach dem kleinen Colt, der in der Ecke der Schublade lag, und schob ihn in das Fach innen im Futteral. Zwei Schachteln mit Munition waren ganz hinten in der Lade versteckt, und sie packte auch die ein, bevor sie die Reisetasche schloss, den ledernen Griff umfasste und sich aufrichtete.
Ein letzter Blick in Richtung Rhauol bewirkte, dass ihr übel wurde, ein leichter Schwindel sie ergriff und die Haut auf ihren Armen zu kribbeln begann, als würden tausende Ameisen darüber hinweg marschieren. Rasch schaute sie zur angelehnten Tür und atmete tief durch.
Als sie aus der Wohnung trat, schlug ihr die flirrend heiße Luft, die vom Innenhof zur Galerie aufstieg, wie ein betäubender Geruch entgegen. Seit einer Woche wurde Chicago von einer Hitzewelle heimgesucht, in Illinois eine äußerst seltene Wetterkapriole. Sie atmete durch den Mund und wollte sich zur Treppe wenden, als die schrille Stimme ihrer Nachbarin sie erstarren ließ.
»Lyn!«
Sie fuhr herum und schürzte die vollen Lippen. Olivia Banks stand drei Meter entfernt vor ihrer eigenen Wohnungstür und bot ein Bild des Elends.
»Was ist passiert?«, fragte Marilyn entgeistert, als ihr Blick auf das verschmutzte Kleid der Nachbarin fiel, das über dem Dekolleté von Blutspritzern bedeckt war.
»Der Mistkerl hat mich geschlagen«, schluchzte Olivia und taumelte auf sie zu. Sie blutete aus der Nase und ihr rechtes Auge begann bereits, sich über einem prächtigen Veilchen in einen Schlitz zu verwandeln.
Marilyn legte die Stirn in Falten, bevor sie nickte und die junge Frau kurzentschlossen mit der linken Hand am Oberarm packte. »Okay. Komm mit«, stieß sie hervor und zerrte Olivia mit sich in Richtung der Treppe.
Die beiden Frauen eilten an vertrockneten Pflanzenkübeln vorbei, die daran erinnerten, dass die Wohnanlage einmal ein respektables Hotel gewesen war, bevor es sich in eine miese Absteige verwandelt hatte, die größtenteils von Diebesbanden, Halsabschneidern und Zuhältern mit ihren Nutten bevölkert wurde – Mädchen wie Olivia, ihre Mutter – und natürlich Marilyn selbst.
Sie schaute sich um, als sie mit ihrer Nachbarin im Schlepptau den Treppenabsatz erreichte, und während sie einen wachsamen Blick auf die offen stehenden Türen ihrer beiden Wohnungen warf, schob sie Olivia voran auf die abgetretenen Stufen, die ins Erdgeschoss führten.
»Wer war dein Kunde?«, fragte sie den Hinterkopf der Frau, die unsicher vor ihr die Treppe hinunter hüpfte.
»Higgins«, kam die Antwort, und Marilyn durchfuhr es eiskalt.
Samuel Higgins. Ausgerechnet!
Jetzt verstand sie, warum Olivia zitterte wie Espenlaub. »Schneller!«, befahl sie, während sie selbst innehielt und ihre Tasche öffnete.
Ihre Hand zitterte, während sie den Colt hervorzog und die Trommel aufklappte, um zu sehen, ob die Waffe geladen war. Inzwischen hatte Olivia das Atrium erreicht und sah unsicher zu ihr hoch.
»Lyn?«
»Olivia! Warte, bis ich dich in die Finger kriege!«
Marilyn schob die volle Trommel zurück, hob den Kopf und sah Higgins direkt in die blutunterlaufenen Augen. Er stand oben auf der Galerie und hatte sich nicht die Mühe gemacht, etwas überzuziehen, bevor er die Hure verfolgte. Splitternackt stand er dort, und sein Gesicht war von lodernder Wut verzerrt. Blut lief ihm an der Seite des kantigen Schädels den Hals hinab.
»Verflucht noch mal … Mary? Halt dich da raus! Dieses ausgekochte Luder hat mir ins Ohr gebissen!« Er machte Anstalten, in Richtung Treppe zu kommen, und Mary hob den Colt in seine Richtung, während sie die Treppe hinab eilte und auf halber Strecke stehen blieb, um ihn nicht aus dem Blick zu verlieren.
»Du rührst dich nicht von der Stelle, Higgins!«, brüllte sie und war überrascht, wie entschlossen ihre Stimme klang. Sie sah zu Olivia hinunter und ihre Lippen formten zwei Worte: Hau ab!
Erleichtert registrierte sie, wie die junge Frau die Beine in die Hand nahm und kurz darauf unter den Arkaden im Erdgeschoss verschwand.
»Bist du noch ganz bei Trost?!« Higgins fuchtelte mit beiden Händen in der Luft herum, dann marschierte er unverdrossen auf die Treppe zu.
»Ich warne dich!« Marilyn zog den Hahn des Revolvers zurück und richtete die Mündung auf den korpulenten Burschen, der über ihr die Galerie entlanglief. »Ich rufe …«
» … den Sheriff?« Higgins lachte auf. »Was soll der Scheiß, Mary? Der steht vor dir, schon vergessen?!«
Als er den Treppenabsatz erreicht hatte, stemmte Higgins die Fäuste in die Hüften und schien sich seiner Nacktheit nicht zu schämen, während er mit breitem Grinsen auf sie hinab starrte.
»Willst du mich erschießen, Schätzchen?« Er senkte seine Stimme und klang jetzt amüsiert, fast leutselig. »Hast du heute vielleicht einen schlechten Tag gehabt? Ich verstehe schon, du möchtest unserer Olivia beistehen. Nett von dir. Aber jetzt lass es gut sein und geh mir aus dem Weg, bevor ich mit Rhauol reden muss.«
Marilyn hielt den 22er mit der Rechten gepackt, die Tasche in der Linken. Der stupsnasige Lauf zitterte ein wenig, und sie spürte, wie die Waffe mit jedem Atemzug schwerer wurde. Rückwärts tasteten sich ihre Füße hinab ins Erdgeschoss, bis sie die schmutzigen Kacheln des Atriums unter ihren Sohlen spürte.
Sie ließ die Tasche zu Boden fallen und packte den Colt mit beiden Händen.
Er ging zwei Stufen hinab auf sie zu, dann vier weitere.
»Ganz ruhig, Süße«, knurrte er. Sein Grinsen wirkte jetzt überhaupt nicht mehr freundlich. Es erinnerte an das Zähnefletschen eines Raubtieres. »Keine Sorge. Ich bin der Sheriff, das weißt du doch. Du musst keine Angst vor mir haben.«
Marilyn sah, wie die grauen Barthaare unter der Hakennase von Higgins zitterten. Sie sah das Flackern in seinem Blick und erkannte, dass die Waffe in ihrer Hand ihn nicht im Mindesten beeindruckte. Stattdessen schien sie seine Wut nur zu befeuern.
»Keinen Schritt weiter!«, zischte sie. »Sonst drücke ich ab.«
Higgins lachte, während er die Arme in Hüfthöhe hob und mit betonter Lässigkeit die Stufen herunterkam.
»Sei nicht dumm, Kindchen«, brummte er. »Gib mir dieses lächerliche kleine Schießeisen, und wenn du Glück hast, kommst du mit ein paar Maulschellen davon.«
Marilyn knirschte mit den Zähnen. Ihr Finger über dem Abzugsbügel schien plötzlich gefühllos zu sein. Blinzelnd hob sie den Colt noch etwas höher, bis er auf Higgins’ Kehle zielte. Sie wollte abdrücken, doch dann war er blitzschnell bei ihr und packte ihr Handgelenk mit einem eisernen Griff.
Sie stöhnte auf vor Schmerzen, als er ihr den Arm verdrehte, ließ den Colt aber nicht los. Higgins holte aus und verpasste ihr eine schallende Ohrfeige, der ihren Kopf zur Seite schleuderte. Es knackte in ihrem Nacken, und für einen Augenblick sah sie Sterne.
»Du verkommenes Dreckstück!«, rief der Sheriff mit rauer Stimme. »Was glaubst du eigentlich, wer du bist?«
Er riss sein Knie hoch und wollte es ihr in den Unterleib rammen, doch Marilyn wich zurück und bog ihren Körper dabei geschmeidig durch, sodass sein Bein das Ziel verfehlte. Dabei geriet Higgins aus dem Gleichgewicht und wankte rückwärts, wobei er ihren Arm mit dem Revolver an sich riss.
Der Schuss hallte von den nackten Wänden des Atriums wider wie eine Explosion, und Marilyn klingelten die Ohren. Entgeistert spürte sie, wie sich die Hand des Sheriffs von ihrem Handgelenk löste und er mit weit aufgerissenen Augen vor ihr auf die Bodenfliesen sank.
»Was zur Hölle … hast du … getan?«
Er streckte ihr seine schaufelartigen Hände entgegen, die Augen anklagend aufgerissen. Dunkles Blut kam aus der Schusswunde zwischen den Fettwülsten in seiner Seite hervor.
»Was … hast … Du …?« Seine Stimme ging in ein Röcheln über. Marilyn taumelte mit aufgerissenen Augen einen Schritt rückwärts und schluckte schwer.
Higgins öffnete die fleischigen Lippen und schien etwas sagen zu wollen, doch stattdessen bahnte sich ein dunkelroter Schwall seinen Weg und lief ihm über das feiste Kinn. Dann kam ein Seufzen aus seiner Kehle, er hob die mächtigen Schultern, als würde er den Tod gleichmütig willkommen heißen, und sackte langsam vor ihr auf den Boden. Sein Nasenbein brach mit einem hässlichen Laut, als er auf die Kacheln schlug.
Marilyn ließ den Colt sinken, griff nach ihrer Reisetasche und sah sich fieberhaft um. Noch tauchte niemand auf, um nach dem Grund für den Schuss zu sehen. Schüsse fielen im Raisin Rose schließlich fast an jedem zweiten Tag.
Doch es würde nicht mehr lange dauern, bis sich die ersten Neugierigen aus der Deckung wagten.
Jetzt war wohl endgültig klar, dass sie Chicago auf dem schnellsten Wege verlassen musste.
☆
»Das ist doch nicht Ihr Ernst?«, fragte Lassiter mit konsternierter Miene.
Die reglosen Züge des Mannes, der ihm gegenübersaß, beantworteten die Frage im Grunde von allein. Dennoch öffneten sich die schmalen Lippen von Colonel Gaylord nach einer Weile zu einer Erwiderung.
»Ich wüsste nicht, wozu wir beide noch lange diskutieren müssen, Lassiter«, knurrte der Colonel. »Sie haben Ihre Order von höherer Stelle erhalten, und mir oblag allein die Aufgabe, Ihnen die genauen Details Ihrer Mission zu erläutern.«
Der Mann der Brigade Sieben zog sich den Stetson vom Kopf und fuhr sich durch das sandfarbene Haar, bevor er langsam nickte. »Selbstverständlich«, murmelte er. »Ich werde den Zauberstab schwingen und Schwarzer Speer und seine Krieger damit hypnotisieren, damit sie alles vergessen, was Ihnen in den vergangenen Jahren angetan wurde. Dann lasse ich einen Nebel über der Prärie aufsteigen, und wenige Augenblicke später ist die Welt wieder in Ordnung. Aus wütenden Indianern werden friedliche Mönche, die sich vor uns verneigen und um weitere Demütigungen betteln. Ist das in etwa Ihr Plan?«
Colonel Gaylord warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. Er schien nicht besonders amüsiert zu sein. »Ihren Sarkasmus können sie sich sparen, Lassiter. Aber in einer Hinsicht sind wir uns wenigstens einig: Ich finde Ihre Anwesenheit ebenso nutzlos wie Sie selbst. Allerdings haben weder ich noch Colonel Nabrasco Sie angefordert. Das war eine Idee aus Washington. Man hat mir mitgeteilt, Sie würden den Häuptling der Mescalero-Apatschen von früher kennen, und verspricht sich davon offenbar etwas.«
»Kennen ist zuviel gesagt«, knurrte Lassiter und starrte hinunter auf den Exerzierplatz des Forts. Auf dem knapp zweimal zweihundert Yards umfassenden Areal marschierte ein Trupp Uniformierter auf und brachte sich in Stimmung; Befehle wurden gebrüllt und Gewehre geschultert, während im Hintergrund vor den Stallungen Männer damit beschäftigt waren, die Pferde der Soldaten abzusatteln, die kurz zuvor wohl für eine Manöverübung benutzt worden waren. »Außerdem ist das ein paar Jahre her. Damals war Schwarzer Speer nur ein Mann unter vielen.«
Das war ein wenig untertrieben. Als er sich an das Zusammentreffen mit dem Mescalero-Apatschen erinnerte, stiegen blutige Bilder in seinem Geist auf. Die Kriege zwischen Weißen und Roten hatten damals unzählige Opfer gefordert, und er dachte ungern daran zurück. Der junge Krieger, der heute den Stamm anführte, war ihm aber als ebenso tapferer wie bedächtiger Mann in Erinnerung geblieben. Mehr noch – er war einer derjenigen gewesen, der auf Seiten der Indianer dafür gesorgt hatte, dass das Blutvergießen ein Ende nahm. Tatsächlich hatte Lassiter als Begleiter der Abordnung unter Führung von General Hunter Schwarzer Speer gegenübergesessen, als der Friedensschluss binnen zweier Tage und Nächte mühsam verhandelt und schließlich besiegelt worden war.
Dabei hatte sich gerade Schwarzer Speer, der überraschenderweise recht gut englisch sprach, als ein ebenso zäher wie auch diplomatischer Verhandler erwiesen.
»Ich verstehe ohnehin nicht, woher die neuen Konflikte mit den Indianern rühren«, brummte er und starrte den Colonel fragend an. »Seit Jahren herrschte hier Frieden.«
Gaylord nickte und strich sich über den stahlgrauen Bart. »So ist das eben mit den Indsmen, Lassiter. Wenn es ihnen zu gut geht, müssen sie Ärger machen. Das liegt in ihrer Natur, verstehen sie?«
Lassiter schüttelte den Kopf, ohne etwas darauf zu erwidern. Das verstand er eben nicht. Es musste Gründe geben für einen Aufstand der Mescaleros, doch von Gaylord würde er sie nicht erfahren.
Als er sich aus dem Stuhl erhob und zum Abschied an die Krempe seines Stetsons tippte, warf der Colonel ihm einen unwilligen Blick zu.
»Sie brechen morgen in aller Frühe auf. Meine Männer sind für alles gerüstet, und Sie unterstehen dem Kommando von Captain Walker. Mein bester Mann, daher wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie sich auf dem Weg nach Fort Sioux auf sein Urteil verlassen würden.«
Lassiter rang sich ein schiefes Lächeln ab. »Aber sicher, Colonel.« Mit einem Sprung überwand er die Treppenstufen vor dem Kommandanturgebäude und landete geschmeidig auf dem Boden, bevor er gemächlich über den Exerzierplatz schlenderte. Hinter dem Wachturm im Westen senkte sich die Sonne dem Horizont entgegen, während er an den strammstehenden Reihen der Soldaten vorbei marschierte und den Offizier auf seinem Pferd geflissentlich übersah.
Ein paar der jungen Burschen konnten sich ein schmales Grinsen nicht verkneifen, als er ihnen zuwinkte.
»Präää …sen …tiert das Gewehr!« brüllte der Offizier hinter ihm, als er an der Truppe vorbei war, und Lassiter hatte das Gefühl, dass der Mann in diesem Moment damit liebäugelte, ihn standrechtlich erschießen zu lassen.