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Ein Strick für Lorna Blane
Die Augen der Blonden waren verschleiert, fast blicklos. Seit sie ihr Bier Minuten zuvor zu einem Drittel geleert hatte, schaute sie abwesend durch die Fenster hinaus in die Dunkelheit. Dabei ignorierte sie die verstohlenen Blicke der Männer, die ihren von der offenen Weste kaum verhüllten Oberkörper taxierten. Dieses Glotzen war sie gewohnt. Wie die rote Weste mit den goldenen Säumen gehörte es zu ihrem Broterwerb.
Plötzlich verstummten die Gespräche, und hinter ihr knarrten die Bodendielen. "Lorna Blane?" Das war die Stimme von Buster Hanks, dem Deputy Marshal. "Nehmen Sie Ihren Revolver aus dem Holster, aber schön langsam. Und legen ihn auf den Tresen, okay? Sie sind verhaftet wegen Mordes. Und ich rate Ihnen, jetzt keinen Fehler zu machen."
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Seitenzahl: 142
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Ein Strick für Lorna Blane
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Boada/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7767-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Ein Strick für Lorna Blane
Die Augen der Blonden waren verschleiert, fast blicklos. Seit sie ihr Bier Minuten zuvor zu einem Drittel geleert hatte, schaute sie abwesend durch die Fenster hinaus in die Dunkelheit. Dabei ignorierte sie die verstohlenen Blicke der Männer, die ihren von der offenen Weste kaum verhüllten Oberkörper wie ein saftiges Steak taxierten. Dieses Glotzen war sie gewohnt. Wie die rote Weste mit den goldenen Säumen gehörte es zu ihrem Broterwerb.
Plötzlich verstummten die Gespräche, und hinter ihr knarrten die Bodendielen. »Lorna Blane?«
Das war die Stimme von Buster Hanks, dem Deputy Marshal. »Nehmen Sie Ihren Revolver aus dem Holster, aber schön langsam. Und legen ihn auf den Tresen, okay? Sie sind verhaftet wegen Mordes. Und ich rate Ihnen, jetzt keinen Fehler zu machen.«
Lornas Lächeln war zwar falsch, aber einigermaßen glaubwürdig, während sie tief einatmete und vorsichtig die Waffe aus dem Holster zog. Dabei schaute sie weiter hinaus durch die Fenster und kehrte dem Sternträger den Rücken zu.
Hanks hatte recht. Fehler hatte sie in letzter Zeit mehr als genug begangen. Und sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass der Deputy Marshal eine Waffe auf sie richtete und nicht zögern würde, sie zu benutzen, wenn sie eine falsche Bewegung machte.
»Geht klar, Buster«, ließ sie sich vernehmen und hob die linke Hand, während sie sich behutsam umdrehte und die Rechte mit dem langläufigen Navy Colt über dem Tresen erscheinen ließ. Für einen Augenblick schwebte die Waffe – eine von drei baugleichen Sonderanfertigungen, die sie ihr eigen nannte – in ihrer Faust waagerecht über dem blank polierten Tresen. Sie achtete darauf, mit dem Zeigefinger nicht in die Nähe des Abzugsbügels zu kommen, legte den Revolver vorsichtig ab und streckte nun auch die andere Hand sehr langsam in Richtung der Deckenbalken.
Das Schweigen im Schankraum des Ace of Spades war so erstickend, als wäre sämtliche Luft aus dem Saal gesaugt worden. Lorna Blane wandte leicht den Kopf und schaute in die Augen der Gäste, die ihr groß und rund entgegen starrten, bevor sie Buster Hanks in den Blick nahm, den Deputy Marshal von New Orleans und Geoffrey Cornillacs rechte Hand, der seinen mächtigen Peacemaker auf sie richtete und so verkniffen guckte, als hätte er Holzspäne zum Frühstück gehabt.
»Alles okay mit dir?«, fragte Lorna, und ihre Lippen kräuselten sich zu einem spöttischen Lächeln. »Du siehst aus, als wäre dir nicht ganz wohl.«
Hanks blinzelte. Sie erkannte glänzende Schweißtropfen auf seiner Stirn. »Wohl möglich, Ma’am. Ich habe gerade eine Leiche gesehen.«
»Deine erste?«
Der Deputy sah an ihr vorbei und ignorierte die Frage.
Lorna schaute direkt in die Augen von Barry McDonald, dem schnauzbärtigen Barkeeper. Barry senkte verschämt den Blick, was ihr irgendwie merkwürdig vorkam.
»Handschellen«, befahl Hanks, und jemand hinter Lorna zog ihr die Arme auf den Rücken. Kurz darauf schlossen sich eiserne Fesseln um ihre Handgelenke, und sie wurde aus dem Saloon geführt.
Sie nahm die Männer, die ihre Arme hielten und sie grob durch die Schwingtüren stießen, nur in den Augenwinkeln wahr. Draußen vor dem Saloon ließ sie der kalte Wind frösteln, und sie ärgerte sich darüber, nicht etwas übergezogen zu haben.
Hanks beeilte sich, an ihre Seite zu kommen, während sie über die nächtliche Mainstreet gingen.
Er musterte sie und hatte dabei seine liebe Mühe, den Blick von den nahezu blanken Brüsten abzuwenden, um ihr in die Augen zu schauen.
»Warum haben Sie das getan, Miss Blane?«, fragte er, und seine Miene drückte sowohl Kummer als auch Neugier aus.
Lorna fixierte ihn. »Wenn du mir verrätst, warum ich diese Handschellen trage, kann ich darauf vielleicht eine Antwort geben, Buster. Leider habe ich keine Ahnung, was hier gerade vor sich geht.«
Hanks erwiderte ihren Blick für ein paar Sekunden, bevor er sich kopfschüttelnd abwandte.
Auf der Straße blieben die wenigen Leute stehen, die zu dieser späten Stunde noch unterwegs waren, und sahen den Deputies neugierig dabei zu, wie sie die Frau in Richtung des Marshal’s Office führten.
»Hey, das ist Lorna Blane!«, rief ein Mann vom Kutschbock aus, und nun erkannten auch die anderen Passanten das Offensichtliche.
»Herrje, Buster«, murmelte Lorna Blane, und ein humorloses Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Besser, ihr beeilt euch, sonst gibt es noch einen Tumult.«
Sie erreichten das Büro des Gesetzeshüters, und Lorna wurde von den kräftigen Männern an ihrer Seite mehr die Stufen hinaufgezogen, als dass sie selbst ihre Beine benutzt hätte. Während Hanks die Tür aufriss, wandte Lorna den Kopf.
»Ich bin unschuldig!«, rief sie noch, dann zogen die Deputies sie durch den Eingang ins Büro, bevor sie die Tür zuschlugen.
Hanks sperrte die neugierigen Gesichter aus, die von der Straße aus durch die Fenster des Büros starrten, indem er die Jalousien herunterließ.
»Worum geht es hier eigentlich?«, fragte Lorna, doch Hanks blieb ihr die Antwort immer noch schuldig. Sein eisiger Blick ließ ihr Lächeln erstarren.
»Bringt Sie in Ihre Zelle«, knurrte Hanks und wandte sich ab.
Einer der beiden Deputies riss die schwere Tür zum Zellengang auf, während der andere ihr die Hand in den Rücken stieß und sie damit durch den Durchgang zwang. Lorna blinzelte, als sie sich im Zwielicht zu orientieren versuchte.
Vier Zellen rechts, kaum größer als Pferdeboxen. Links eine gemauerte Wand, von der aus ein schimmliger Geruch in ihre Nase stieg. Eine rußende Öllampe warf fahles Licht in den Gang.
Neben ihr ertönte ein klapperndes Geräusch, als einer der Deputies den Schlüssel in ein Schloss steckte.
Sie sah, wie sich auf der Pritsche der Zelle nebenan jemand rührte, während sie durch die Öffnung zwischen den Gitterstäben gestoßen wurde.
»Ich will meinen Anwalt sprechen!«, stieß sie hervor und meinte damit einen Advokaten, der eigentlich nur dafür zuständig gewesen war, ihre Verträge mit den Saloons und Theatern von New Orleans auszuhandeln, in denen sie auftrat. »Rufus Wainwright! Gebt ihm unverzüglich Bescheid, hört ihr?«
»Halt dein Maul, Schlampe«, brummte der Deputy, während er hinter ihr die Gittertür abschloss. »Morgen wirst du vom Richter angehört, und bis dahin rate ich dir, dich nicht um Kopf und Kragen zu quatschen.«
»Ich wüsste gern, was ich getan haben soll«, entgegnete Lorna mit gesenkter Stimme und schlug damit den Rat des Mannes in den Wind. Sie ließ sich auf der Pritsche nieder, die an der Wand stand. »Warum habt ihr mich verhaftet?«
»Hast du doch gehört«, knurrte der Deputy, während er den Zellengang hinunter stiefelte. »Mord. Du bist jetzt schon so tot wie der Mann, auf den wir hier alle unsere Hoffnungen gesetzt haben.«
Als er die Tür zum Büro öffnete, wandte der Deputy noch einmal den Kopf, und seine Miene war von mühsam unterdrücktem Hass verzerrt. »Ich hoffe, du wirst in der Hölle schmoren, Lorna Blane!«
Krachend fiel die Tür hinter ihm ins Schloss, und sie starrte entgeistert ins Leere.
☆
Die rosige Knospe direkt vor seinem Gesicht erschien Lassiter wie ein Ausblick auf das Paradies, und er schloss seine Lippen darum. Weich und warm wölbte sich ihm der Körper der Frau entgegen, und als er den Duft ihrer Erregung einsog, gab er den Gedanken auf, über ihren Namen nachzudenken.
Stattdessen nahm er sie in die Arme und konzentrierte sich auf das Wesentliche. Sie stöhnte auf vor Lust, als er sich tief in ihren Schoß versenkte, und vor dem geöffneten Fenster flatterten Tauben auf, als wäre die flammende Leidenschaft der beiden Menschen auf dem Bett ein Anlass dafür, mit ausgebreiteten Flügeln in den Himmel aufzusteigen.
Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken und zog ihn an sich, um sein Gesicht mit Küssen zu bedecken. Dabei verschränkte sie die Beine über seinen Lenden und nahm ihn in Gefangenschaft.
Lassiters heißer Atem fuhr an seinem Hals entlang, während er sich langsam und bedacht in ihr bewegte. Er spürte, wie sie immer wieder erzitterte, als sein harter Sporn in ihrer feuchten Höhle seinen Weg fand.
Sie küssten sich; seine Lippen und seine Zunge waren manchmal hart, dann wieder weich und nachgiebig. Das mochte sie, und immer, wenn er sich zurückzog, setzte sie nach und wollte mehr. Wie widerstreitende Schlangen führten ihre Zungen einen Kampf auf, der wie ein Tanz daherkam.
Er streichelte und massierte ihre vollen Brüste, senkte den Kopf und saugte an ihren rosigen Warzen, während sie mit Hingabe die Backen seines festen Hinterns knetete.
So viele Muskeln, die sich über ihr bewegten! Sie stöhnte lustvoll auf, und wieder ging ein Beben durch ihren Körper.
Ein langgezogener Seufzer entrang sich ihrer Brust, als er hingebungsvoll tief in sie hineinstieß.
Die Bettdecke sank von der Matratze zu Boden, ohne dass sie es bemerkten. Eine Taube kam zurück und ließ sich auf der Fensterbank nieder, um ihnen zuzuschauen, aber sie hatten keinen Blick dafür übrig.
Es klopfte an der Tür, doch ihr Stöhnen war lauter.
Ihre Bewegungen wurden schneller und heftiger. Sie begann zu schreien und warf den Kopf in den Nacken. »Ja! Ja! Ja! Ja!«
»Lassiter!«, klang es von draußen.
Der Mann der Brigade Sieben schloss die Augen, bevor er, beide Arme auf der Matratze abgestützt, widerwillig den Kopf wandte.
»Was?«
»Eine dringende Nachricht, Sir!«
Schwer atmend schüttelte er den Kopf und beugte sich hinab, um seine Lippen zärtlich zwischen die Brüste der Geliebten zu drücken, bevor er sich aus ihr zurückzog und am Rand des Betts zum Sitzen kam.
»Sir …?«
»Herrgott … Ja! Einen Moment!«
Lassiter warf seiner Gespielin einen entschuldigenden Blick zu, während er nach seiner Hose langte. Hastig streifte er sich die Beinkleider über und stolperte dabei in Richtung Tür.
Die junge Frau mit den rotblonden Locken zog sich währenddessen die dünne Decke über den nackten Oberkörper, stülpte die vollen Lippen vor und rollte mit den Augen.
Lassiter riss die Tür des Hotelzimmers auf und gab sich keine Mühe, seinen Unwillen zu verbergen.
»Was zur Hölle kann so wichtig sein, mich jetzt zu stören, Josh?«
Der schlaksige Bursche in der weinroten Uniform eines Hotelpagen, der vor ihm im Korridor stand, fuhr sich schuldbewusst durch die dunkelbraune Mähne.
»Man hat … mir gesagt … da- dass es keinen Aufschub duldet«, stotterte Josh, blickte verstohlen an Lassiter vorbei zum Bett und senkte dann rasch den Blick. »Bitte entschuldigen Sie«, murmelte er noch einmal und streckte die Hand vor.
Lassiter starrte einen Moment auf den Umschlag in der Hand des Pagen, bevor er ihn entgegennahm.
Er erkannte den Stempel der Brigade Sieben sofort und nickte.
»Ist schon okay, Josh«, brummte er, schob zwei Finger in die Hosentasche und förderte einen halben Dollar zutage, den er dem jungen Mann in die Hand drückte.
Josh tippte sich salutierend an die Stirn und eilte über den Korridor davon.
Stirnrunzelnd setzte sich Lassiter an den Tisch, der dem Bett gegenüberstand, und riss das Kuvert auf. Eigentlich hatte er nicht damit gerechnet, so bald bereits wieder mit einer Mission betraut zu werden. Seinen letzten Auftrag hatte er erst vor knapp einer Woche erfolgreich abgeschlossen.
»Was ist denn jetzt los, Großer«, maulte das Mädchen. »Sag bloß, das war’s schon? Wir hatten doch gerade erst …«
Lassiter hob die Hand und brachte sie damit zum Schweigen, während er das Dossier aus dem Umschlag zog. »Gib mir ein paar Minuten, Marlene«, brummte er und begann zu lesen.
Als sein Blick auf einen Namen fiel, der bereits am Ende des ersten Absatzes rot unterstrichen war, weiteten sich seine Augen.
»Lorna Blane«, murmelte er ungläubig. »Das kann doch nicht wahr sein.«
»Lorna Blane?« Marlene hob neugierig die Augenbrauen. »Die berühmte Sängerin? Was ist mit ihr?«
»Sie hat Probleme«, entgegnete Lassiter abwesend, während er weiter las. »Große Probleme, wie mir scheint.«
»Was für Probleme?« Marlene legte besorgt die Stirn in Falten. »Wirst du ihr helfen? Das wirst du doch, oder? Ich bin ihr größter Fan«, beteuerte die junge Frau. »Sie ist so schön und stolz und – ach! – eben ein wahrer Star! Ich habe sie letzten Sommer hier im Divine Theatre gesehen, es war einfach famos. Sie hat dem Pianisten einen Apfel vom Kopf geschossen, ist das nicht unglaublich? Und der Bursche hat dabei nicht einen Ton ausgelassen! Er wusste genau, sie würde ihr Ziel nicht verfehlen, das passiert nie.«
Marlenes Blick wurde schwärmerisch. »Und dann erst diese Stimme … die Männer vor der Bühne sind ihr allesamt verfallen gewesen. Du hättest sie sehen sollen, sie hätte jeden von ihnen haben können. Natürlich waren auch fast nur Männer da im Publikum. Für diese Art von Vaudeville-Veranstaltungen bringen sie ihre Frauen nicht mit, wenn du weißt, was ich meine.«
Marlenes Blick verengte sich, als sie zu Lassiter hinübersah. »Hallo? Hörst du mir überhaupt zu?«
Lassiter nickte zerstreut, ohne den Blick von den Seiten zu heben. »Sicher, Honey«, murmelte er. »Du bist eine große Bewunderin von Miss Blanes Show«, murmelte er.
»Die größte«, gab sie enthusiastisch zurück. »Und verrätst du mir jetzt, was für Probleme sie hat?«
Lassiter seufzte. »Warum nicht? Du wirst es wohl ohnehin sehr bald in den Gazetten lesen. Man hat sie verhaftet. Sie steht unter Mordverdacht.«
»Mord?« Entsetzt schlug sich Marlene die Hand vor den Mund. »Himmel, das kann doch nicht sein. Hat sie etwa … hat sie etwa jetzt doch den Pianisten erschossen?«
»Keineswegs«, entgegnete Lassiter und musste ein Schmunzeln unterdrücken. »Das wäre dann wohl auch kein Mord, sondern eher ein Betriebsunfall, würde ich sagen. Nein, es geht um Geoffrey Cornillac.«
Nachdenklich legte Marlene die Stirn in Falten. »Cornillac … ist das nicht dieser attraktive junge Marshal aus New Orleans, der Senator werden will? Ich habe erst vor ein paar Tagen einen Artikel im Baton Rouge Dispatcher über ihn gelesen.«
»Genau der«, antwortete Lassiter. »Den Sitz im Senat wird jetzt jemand anders einnehmen, soviel steht fest.«
Er erhob sich und griff nach seinem Baumwollhemd. Marlene schürzte enttäuscht die Lippen. »Sag bitte nicht, dass du sofort aufbrechen musst.«
»Sorry, Babe. Die Pflicht ruft«, brummte er und zog das Hemd über, während er sich nach seinen Stiefeln umsah.
»Was soll das überhaupt heißen?« Argwöhnisch starrte sie ihn an. »Du hast mir erzählt, du seist in der Eisenwarenbranche tätig.«
Er grinste und griff nach dem Revolvergurt, der zusammengerollt auf dem Tisch lag. Den Remington hervorziehend, wackelte er vieldeutig mit den Augenbrauen. »Im weitesten Sinne betrachtet stimmt das ja auch.«
☆
Jedediah rannte um sein Leben.
Das wusste er, obwohl die Maskierten ihm zugerufen hatten, dass er stehenbleiben solle, dann würde er mit einer milden Bestrafung rechnen können.
Schwachsinn! Sie trugen ihre Masken nicht ohne Grund. Und er war beileibe nicht der erste, den sie hetzten.
Mit ausgreifenden Schritten floh er über das Kopfsteinpflaster in Richtung Hafen, während er hinter sich Hufschlag vernahm. Die Haken, die er auf dem Weg durch die verwinkelten Gassen von Storyville geschlagen hatte, hatten ihm nur einen kleinen Vorsprung verschafft.
Hier unten an den Ufern des Ol’ Man River spendeten nur noch ein paar vereinzelte Gaslaternen Licht, und selbst das wurde vom dichten Nebel, der über den Sümpfen aufstieg, fast zur Gänze verschluckt. Ein Umstand, der ihm in die Hände spielte und seine geringen Chancen, den Vigilanten zu entkommen, ein wenig erhöhte.
Er erreichte ein paar halb verfallene Fischerhütten, bremste seine Schritte und wäre um ein Haar auf den feuchten Steinen ausgerutscht. Das Herz klopfte ihm bis in die Kehle hinauf, während er hinter einer schimmligen Bretterwand Deckung suchte und schwer atmend um die Ecke zurück spähte.
Die Hufgeräusche wurden lauter, und im diffusen Zwielicht tauchten helle Punkte auf. Fackeln, die die Reiter mit sich führten.
Er versuchte, zu schlucken, doch ein faustgroßer Stein schien ihm im Hals zu liegen. »Heilige Mutter Gottes«, flüsterte er und sah sich verzweifelt um.
Sie waren wie aus dem Nichts aufgetaucht, als er mit seiner Beute von den Landestegen gekommen war. Nur ein paar Kleinigkeiten hatten sich in dem Stoffbeutel befunden: Ein halbes Dutzend Konservenbüchsen, ein lederner Gürtel mit einer hübschen Gürtelschnalle, der Geraldine, seiner Verlobten, bestimmt ein Lächeln abgerungen hätte. Ein gutes Fischermesser, zwei Schachteln mit Nägeln. Eine Schachtel mit Nähzeug.
Nichts Besonderes, keine üppige Diebesbeute, für die es sich zu sterben lohnte.
Doch seine Verfolger waren da offenbar anderer Meinung. Und sie kamen näher. Jetzt hörte er bereits ihre Rufe.
»Hey, Nigger! Wir wissen, du bist da irgendwo. Wir kriegen dich ohnehin, also gib auf und stell dich wie ein Mann!«
Jedediah wich zurück und starrte hinter sich in den Nebel. Der schmale Pfad führte an den dunklen Schatten der Hütten vorbei in Richtung des Lake Pontchartrain. Dorthin würden sie ihm mit ihren Pferden nicht folgen können. Er kannte sich hier oben im Nordwesten von New Orleans nicht besonders gut aus, aber er wusste, dass das dicht bewaldete Seeufer ihm die besten Chancen bot, den Häschern zu entkommen.
Mit geballten Fäusten huschte er an den feucht schimmernden Bretterwänden der Fischerhütten entlang, bis er die Planken einer schmalen Brücke erreichte, die über einen stinkenden Abwasserkanal führten.
In seinem Rücken vernahm er das Klappern von Pferdehufen auf dem Kopfsteinpflaster, Wiehern, ärgerliche Stimmen. Dann stoppten sie und stiegen aus den Sätteln.
Verdammt, die Vigilanten waren nur noch einen guten Steinwurf hinter ihm!