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Der Schrein der Roten Sonne
Die San Francisco Bay lag in dichtem Nebel, den die aufgehende Sonne in rötliches Licht tauchte. Der Schoner mit der kanadischen Flagge über dem Hauptmast hatte gerade erst angelegt, und am Nordende der China Basin, weit jenseits der Markthallen, war zu dieser frühen Stunde keine Menschenseele unterwegs. Was der Besatzung und den Männern, die die Escorial empfingen, sehr zupass kam. Dennoch trug der Mann im schwarzen Mantel eine unwillige Miene zur Schau, als er an Deck stiefelte und den Käpt'n begrüßte. "Ihr seid seit zwei Tagen überfällig", brummte er. "Was war los?"
"Unwetter vor Vancouver", gab der Angesprochene zurück und deutete auf eine dunkle Holzkiste, die seine Männer aus dem Frachtraum hinaufschleppten. Der Mantelträger nickte. "Gut. Schafft sie auf den Wagen und dann fort damit, ehe noch jemand neugierig wird."
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Der Schrein der Roten Sonne
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Boada/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7991-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der Schrein der Roten Sonne
Die San Francisco Bay lag in dichtem Nebel, den die aufgehende Sonne in rötliches Licht tauchte. Der Schoner mit der kanadischen Flagge über dem Hauptmast hatte gerade erst angelegt, und am Nordende der China Basin, weit jenseits der Markthallen, war zu dieser frühen Stunde keine Menschenseele unterwegs. Was der Besatzung und den Männern, die die Escorial empfingen, sehr zupass kam. Dennoch trug der Mann im schwarzen Mantel eine unwillige Miene zur Schau, als er an Deck stiefelte und den Käpt’n begrüßte. »Ihr seid seit zwei Tagen überfällig«, brummte er. »Was war los?«
»Unwetter vor Vancouver«, gab der Angesprochene zurück und deutete auf eine dunkle Holzkiste, die seine Männer aus dem Frachtraum hinaufschleppten. Der Mantelträger nickte. »Gut. Schafft sie auf den Wagen und dann fort damit, ehe noch jemand neugierig wird.«
Die Seeleute trugen die Kiste, die etwa die Form und Maße eines Kindersargs hatte und aus dunklem Holz bestand, das für eine normale Frachtkiste deutlich zu edel aussah, über die schwankende Planke hinüber auf den Kai. Dort erwarteten sie die Begleiter des Mannes im schwarzen Mantel, die um einen Murphywagen herumstanden und sich aufmerksam umsahen. Drei der sechs hielten Gewehre in den Händen und machten den Eindruck, als wüssten sie gut damit umzugehen.
»Ich will mein Geld«, knurrte der Kapitän der Escorial, drehte den Kopf zur Seite und spuckte einen Strahl Kautabak auf die Bootsplanken, bevor er sein Gegenüber mit regloser Miene in den Blick nahm.
»Jetzt.«
Wortlos zog der Mantelträger einen braunen Umschlag aus seiner Innentasche und hielt ihn dem Mann mit dem graumelierten Backenbart entgegen. Der öffnete das Kuvert und warf einen Blick hinein, bevor er verärgert die Stirn runzelte.
»Das ist viel zu wenig«, brummte er, und ein breitschultriger Kerl, der ein paar Schritte hinter den beiden Männern unter dem Hauptmast lehnte, straffte postwendend die Schultern und ballte seine Fäuste.
»Es ist genau die Hälfte, Kerouac«, entgegnete der Mantelträger und hob beschwichtigend die behandschuhten Hände. »Wie vereinbart. Wir müssen die Ware prüfen, und dann bekommst du den Rest.«
Der große Bursche hinter Kerouac war bereits auf zwei Yards herangekommen und hatte drohend seine schaufelartigen Fäuste erhoben, doch als der Käpt’n seine Hand hob, blieb er sofort wie angewurzelt stehen.
»Jetzt hör mir mal zu, Blinder«, sagte Kerouac mit eisiger Miene. »Vereinbart war, dass wir eine Kiste mit heiklem Inhalt nach Frisco bringen. Okay, ist ja nicht das erste Mal …«
Er trat einen Schritt vor und stieß seinem Gegenüber den ausgestreckten Zeigefinger gegen die Brust. »Aber davon, dass uns in Sendai eine Horde wildgewordener Schlitzaugen auf die Pelle rückt, hast du nichts gesagt! Drei meiner Leute sind dabei draufgegangen, verflucht! Wir konnten nur mit knapper Not aus dem Hafen entkommen, während die dreckigen Reisfresser uns mit einem halben Dutzend Booten verfolgten! Hätten wir nicht unter vollen Segeln gestanden, hätten sie uns allesamt die Hälse durchtrennt und uns in Fischfutter verwandelt!«
»Was soll das heißen?«, fragte Blinder entgeistert und schob sich seinen schwarzen Stetson in den Nacken. »Niemand durfte davon wissen, dass ihr …«
»Ja, ich erinnere mich gut, dass du mir gegenüber genau das behauptet hast«, zischte Kerouac. »Eine ganz lockere Geschichte … praktisch ein Spaziergang … nur eine kleine Kiste, Daniel!«
Der Kapitän schnaubte vor Wut, und seine wasserblauen Augen schienen Funken zu sprühen. »Viertausend Dollar, Danny, hast du gesagt, praktisch im Schlaf verdient. Ich muss besoffen gewesen sein, weil ich da nicht sofort Lunte gerochen habe! Vier Riesen für ein Kinderspiel, ha!«
Blinder legte die Stirn in Falten, und sein Kehlkopf hüpfte hektisch unter seinem Schal in die Höhe. Kerouac war tatsächlich sturztrunken gewesen, als er ihn vor zehn Wochen für die Fahrt nach Japan gewonnen hatte, doch dieser Umstand musste jetzt nicht weiter vertieft werden. Viel entscheidender war es, dass der Raub und Abtransport der Ware nicht wie geplant im Geheimen erfolgte, sondern aufgedeckt worden war.
Das würde dem Boss ganz und gar nicht gefallen. Wenn die Japaner den Namen des Schoners kannten, würden sie wahrscheinlich auch den Zielhafen in Erfahrung bringen können. Obwohl sie in weiser Voraussicht ein kanadisches Schiff ausgewählt hatten, dessen Besitzer es mit Frachtpapieren und ähnlichen Formalitäten generell nicht so genau nahm.
»All devils«, stieß er hervor.
»Das kannst du laut sagen«, stimmte ihm Kerouac mit grimmiger Miene zu – in Unkenntnis dessen, dass sein Gegenüber aus ganz anderen Gründen aufgewühlt war als er selbst.
»Du wirst deinem Boss ausrichten, dass ich zwei Riesen mehr verlange. Fünfhundert für jeden Mann, den ich verloren habe, und fünfhundert für den Umstand, dass ich auf Jahre hinaus keinen Hafen mehr in Japan werde anlaufen können. Ist das klar?«
Fieberhaft überlegte Blinder, wie er dem Boss die Neuigkeiten berichten und trotzdem am Leben bleiben konnte.
»Ist das klar, Jacky?«, wiederholte Kerouac seine Frage, und Blinder nickte zerstreut.
»Sicher«, murmelte er. »Ihr bekommt euer Geld. Was habt ihr noch geladen und wie schnell könnt ihr die Fracht löschen?«
Irritiert starrte der Käpt’n ihn an, bevor er antwortete: »Ein paar Dutzend Reissäcke, Soja, Kräuter, Papier, Seidenstoffe, drei Kisten mit dem Bleizeug für euch … warum fragst du?«
Jacky Blinder warf seinem Gegenüber einen kurzen Blick zu. »Beeilt euch damit. Bis heute Abend müsst ihr aus dem Hafen verschwunden sein.«
Mit einem kehligen Lachen warf Kerouac die Hände in die Luft. »Aber klar, nichts lieber als das!« Dann schoss seine rechte Hand vor und packte den Kragen von Blinder. »Aber nicht ohne das Geld, mein Freund! Für diese Kiste da drüben«, er nickte zum Kai hinüber, »ist Blut geflossen. Ich habe keinen Schimmer, was sich da drin befindet und will es auch gar nicht wissen. Aber ihr bezahlt mir dafür.«
Die beiden Männer starrten sich eine Weile in die Augen, während von irgendwo hinter ihnen der klagende Laut eines Nebelhorns herüberdrang.
Blinder zwang sich zu einem Lächeln, als er die Faust des Seemanns umschloss und sich langsam, aber bestimmt von ihr befreite.
»Geht klar, Kumpel«, brummte er. »Wir treffen uns um zwölf im Fiddlers, okay?«
Kerouac ließ seine Hand sinken und nickte. »In Ordnung. Aber sei pünktlich.«
»Das bin ich doch immer.« Blinder zwinkerte, während er sich umwandte und mit raschen Schritten über den Bootssteg lief.
Dieses Versprechen würde er einhalten. Alles Übrige allerdings hatte nicht er zu entscheiden.
☆
Die Turmuhr schlug neun, als Lassiter träge die Augen öffnete und feststellte, wie sich kundige Finger an seiner morgendlichen Erektion zu schaffen machten.
»Himmel, Baby«, murmelte er verschlafen. »Hast du immer noch nicht genug?«
»Niemals«, gurrte die rassige Schönheit an seiner Seite, schob sich über ihn und richtete sich über seinen Lenden auf. Ehe er sich versah, glitt er bereits in ihre feuchte Höhle und sie begann ihn zu reiten. Lassiter stöhnte leise auf, streckte die Hände aus und umfasste ihre schweren Brüste, die verführerisch vor seinen Augen hin und her schaukelten. Dabei kehrte die Erinnerung an den vergangenen Abend zögerlich und verschwommen zurück.
Eigentlich hatte er den Tag nur mit ein oder zwei Drinks im Guts Inn ausklingen lassen und sich zeitig zur Ruhe begeben wollen. Schließlich war er nicht ohne Grund nach San Francisco gekommen, und der Kontaktmann der Brigade Sieben erwartete ihn schon heute, um einen Auftrag zu besprechen, der Lassiter so sehr persönlich am Herzen lag, dass er darauf bestanden hatte, ihn zu übernehmen, obwohl er eigentlich für eine andere Unternehmung eingeplant gewesen war.
Doch dann war da diese heiße Latina namens Ramona gewesen, die den Stutzern am Billardtisch gezeigt hatte, wie man mit Queue und Kugeln umging. Er hatte ihr und den jungen Männern eine Weile zugesehen, bis einer der Burschen sich als schlechter Verlierer erwies und Ramona nicht bezahlen wollte.
Ein Wort gab das andere, und binnen weniger Augenblicke war ein Disput im Gange, den Lassiter mit ein paar treffsicheren Faustschlägen beendete.
Nachdem die jungen Burschen vor die Tür befördert worden waren, bedankte sie sich bei ihm damit, dass sie einen Whiskey ausgab.
Und dann noch einen. Bis sie kurz darauf bei ihm im Zimmer landeten, sich aller störenden Stoffe entledigten und nach Herzenslust bumsten und weiter tranken. Und wieder bumsten.
Ramona war so feurig wie nahezu unersättlich, sodass ihn kaum mehr als zwei oder drei Stunden Schlaf vergönnt gewesen waren.
Sie krallte ihre Finger in sein dichtes Brusthaar, und ihr Becken hob und senkte sich nun immer schneller, während spitze Lustschreie sich den Weg durch ihre Kehle bahnten. Ihr schulterlanges, kastanienfarbenes Haar wirbelte durch die Luft, als sie den Kopf hin und her warf, und Lassiter spürte, wie sie sich dem Höhepunkt näherte. Er schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und ließ nun alle Zügel fahren.
Fast gleichzeitig brandete der Orgasmus über sie hinweg wie ein heißer Präriewind und sie warf sich auf seine muskulöse Brust. Ein Beben ging durch ihren Körper, dann breitete sich selige Ermattung in ihren Körpern aus.
Nach einer Weile zog er sich sanft aus ihr zurück und strich ihr lächelnd eine Haarsträhne aus dem geröteten Gesicht.
Dann erhob er sich und griff nach seiner Hose. »Ich bin schon lange nicht mehr auf so charmante Art geweckt worden, Honey«, bemerkte er und rieb sich über die verschwitzte Stirn. »aber es ist schon ziemlich spät.«
Während er in seine Klamotten schlüpfte, betrachtete er ihren nackten Körper, der sich lasziv auf der Matratze rekelte, und es rang ihm ein trauriges Lächeln ab, sie verlassen zu müssen.
Herrgott, diese Brüste! Die schlanken Rundungen ihres Körpers, der feine Schwung der dunklen Brauen über den geschlossenen Augen. Ramona war ein Gottesgeschenk, doch seine Zeit, dieses Geschenk zu genießen, musste nun leider ein Ende finden.
Er streifte sich die Stiefel über und band seinen Revolvergurt um die Hüften, als sie die Augen öffnete.
»Du willst doch jetzt nicht einfach verschwinden, oder?«, murmelte sie verblüfft.
»Es tut mir leid, Baby«, antwortete er und meinte es ehrlich. »Aber ich muss wirklich gehen.«
Ungläubig starrte sie ihn an und stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Bett ab. »Das darf doch nicht wahr sein, du … Mistkerl«, flüsterte sie, als würde sie zu sich selbst sprechen. Ihre grünen Augen funkelten, und als er zur Tür ging und ihr endgültig klar wurde, dass er es ernst meinte, stülpte sie wütend die Lippen vor.
»Ich lasse dir Frühstück aufs Zimmer bringen, Honey«, versprach er, riss die Tür auf und zwinkerte ihr zu.
Kaum war er auf dem Korridor und hatte kaum die Tür hinter sich geschlossen, als auch schon eine der beiden Weinflaschen, die noch vom gestrigen Abend auf dem Nachttisch gestanden hatten, auf der anderen Seite lautstark gegen das Holz prallte und in tausend Teile zerplatzte.
Lassiter stieß scharf die Luft aus. Jetzt zeigte sich ihre Heißblütigkeit auf weniger sinnliche Weise.
»Ich hasse dich, du Bastard!«, hörte er sie noch schreien, während er eilig die Stufen ins Foyer hinunterstieg und dabei froh war, dass er sein Gepäck im Mietstall gelassen hatte.
»Mr. Lassiter, Sie wollen uns schon verlassen?«, fragte der junge Portier hinter dem Empfangstresen, und Lassiter nickte eifrig.
»Allerdings. Die Pflicht ruft«, antwortete er mit einem schmalen Lächeln und zog ein paar Greenbucks aus der Innentasche seiner Jacke. »Würden Sie der Dame oben auf meinem Zimmer bitte noch ein großes Frühstück servieren?« Er legte die Scheine auf die Theke.
»Die … Dame?« Der Portier warf einen Blick in Richtung der Treppe. »Ich wusste gar nicht, dass Sie … dass Sie nicht allein waren.«
»Jawohl, die Dame.« Lächelnd klopfte Lassiter dem Mann auf die Schulter. »Man sieht sich.«
Er hastete hinaus auf die Mainstreet, während sich über ihm ein Fenster öffnete. »Du bist ein verkommener Hurensohn, Lassiter!«, machte Ramona mit lauter Stimme ihrer Empörung Luft, und er zog sich den Hut ins Gesicht, während er über die Sidewalks hinunter rannte und die Leute auf der Straße überrascht nach oben schauten.
»Missgeburt! Stinkender Auswurf! Fahr zur Hölle!«
Ein kurzer Blick über die Schulter zeigte ihm, wie die zweite Weinflasche aus dem Hotelfenster segelte und auf dem gegenüberliegenden Vordach des Liquor Stores landete.
Er beschleunigte seine Schritte, bis er endlich um eine Häuserecke verschwinden konnte und es steil bergab in Richtung des Büros von Abraham Denison ging.
☆
Der Anwalt bedachte Lassiter mit einem forschenden Blick, als der Agent der Brigade Sieben sein Büro betrat.
»Sie kommen ein wenig spät, Mr. Lassiter«, sagte er und deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch, während er seinen Besucher musterte.
Alle Linien im faltigen Gesicht von Denison schienen abwärts zu weisen, was ihm das Aussehen eines Bassets verlieh, der um sein verstorbenes Herrchen trauerte. Selbst das dünne graue Haar, das sein kahles Haupt umrahmte, hing in schlaffen Strähnen bis auf den gestärkten Hemdkragen hinunter.
Doch Lassiter war bewusst, dass er selbst nach der feuchtfröhlichen langen Nacht nicht wie das blühende Leben daherkam, und rang sich ein höfliches Lächeln ab. »Bitte verzeihen Sie, Sir. Es, ähm, war ein langer Ritt von Carson City hierher. Saß ein paar Tage im Sattel, deshalb …«
Denison winkte ab, und ein paar der Falten in seinem länglichen Gesicht bewegten sich, was wohl als Ausdruck von Freundlichkeit verstanden werden wollte. »Sicher, kein Problem«, brummte er und warf einen kurzen Blick auf die Papiere vor sich, bevor er den Ordner schloss und die Hände darüber faltete.
»Als man mir telegrafierte, dass Sie die Mission übernehmen würden, wurde auch erwähnt, Sie hätten mit dem Anführer der Bande, um die es geht, schon mal zu tun gehabt.«
Lassiter legte den Kopf schief. »Nun ja, zumindest indirekt«, erwiderte er. »Es ging um eine Bande, die im Norden von Nevada ihr Unwesen trieb und die Silberlinge genannt wurde. Sie raubten Züge und Kutschen aus, die das Edelmetall aus den dortigen Minen transportierten. Delarue galt als der Mann, der im Hintergrund die Fäden zog, leider ist es uns nicht gelungen, ihn zu fassen.«
Denison seufzte. »Damit stehen Sie nicht allein, Lassiter. Dieser Delarue ist wie ein Gespenst. Sein Name fällt ständig, ob es nun um Opiumschmuggel, Mädchenhandel, illegales Glücksspiel oder wie im aktuellen Fall um Falschmünzerei geht – er scheint seine Finger in nahezu jeder kriminellen Unternehmung zu haben, die man sich vorstellen kann. Und das scheinbar über mehrere Bundesstaaten hinweg, wie Ihre Erfahrung in Nevada belegt. Doch selbst mit größtem Aufwand konnte man seiner in all den Jahren nicht habhaft werden.«
Er lachte humorlos. »Schlimmer noch, wir wissen nicht einmal verlässlich, wie der Mann aussieht. Es kursieren die abenteuerlichsten Beschreibungen von ihm: Mal spricht man von einem fettleibigen, aufgeschwemmten Ungetüm, das von einem Bett aus seine Geschäfte betreibt. Dann soll er plötzlich ein kultivierter, gutaussehender Gentleman sein, der im Stil eines französischen Landadeligen gekleidet ist und mehrere Sprachen fließend beherrscht.«
»Ich habe noch ein halbes Dutzend anderer Beschreibungen von ihm gehört, eine abstruser als die andere. Obwohl es nur wenige Menschen gibt, die ihn persönlich getroffen haben und danach noch befragt werden konnten«, erwiderte Lassiter. »Weil ihre Lebenserwartung nach einem Treffen mit Delarue rapide sinkt.«
»Wie es scheint, wissen Sie bereits genauso viel wie ich, und dieses Dossier hier«, er klopfte auf den Ordner, »wird Ihnen daher nicht viel Neues verraten können.«
»Wir haben damals schon vermutet, dass hinter dem Silberraub Methode steckte«, entgegnete Lassiter. »Eine Handvoll falscher Dollars wurde hier im Hafen von San Francisco entdeckt, und ein paar Hinweise wiesen darauf, dass das Silber, das die Falschmünzer für die dünne Schicht, mit der die Geldstücke ummantelt waren, aus Nevada stammte.«
»Dieser Verdacht hat sich mittlerweile erhärtet«, bestätigte Denison. »Und aus der Handvoll, die Sie erwähnen, sind inzwischen Mengen geworden, die geeignet sind, die Stabilität unserer Währung in Gefahr zu bringen.«
Der Anwalt beugte sich vor und sah Lassiter eindringlich an. »Die Falschmünzen sehen bemerkenswert echt aus, und einige sind sogar bereits an der Ostküste aufgetaucht. Delarue rüttelt an den Grundfesten unserer Nation, Lassiter! Wenn die Menschen ihrem guten alten Dollar nicht mehr vertrauen können, kann das dramatische Auswirkungen haben.«
»Sicher«, stimmte ihm der Brigade-Agent zu, obwohl er Denisons Meinung zumindest für ein wenig zu dramatisch hielt. »Sie glauben also, das Netz von Delarue läuft hier in San Francisco zusammen, und irgendwo in der Stadt befindet sich auch die Fälscherwerkstatt?«
Denison nickte. »Town-Marshal Emery Coulder verfügt über ein dichtes Netzwerk von Spitzeln, und die Hinweise darauf haben sich in den letzten Wochen verdichtet. Alle Spuren führen zu den Asiaten, einer japanischen Verbrecherbande, um genau zu sein. Diese äußerst konspirativen Verbindungen nennen sich …«
»Triaden, ich weiß«, brummte Lassiter. »Eigentlich ein chinesisches Phänomen, aber die Japaner hier in den Staaten haben deren Prinzipien und Regeln übernommen. Schwierig, in diese Kreise vorzudringen. Sie sind äußerst verschlossen und misstrauisch, leben in ihrer eigenen Welt.«
»Die Bande, über die wir hier sprechen, nennt sich der Bund der Vier Affen.« Indigniert hob Denison die Achseln. »Muss mit dieser alten japanischen Legende zu tun haben. Sie wissen schon – nichts sehen, nichts hören, nichts sagen, nichts fühlen. Coulders Informanten sagen, sie haben ihr Hauptquartier in einem Etablissement namens Sieben Jadeblüten, so eine Art Badehaus mit diskreten Separees, in denen man sich von zierlichen Damen verwöhnen lassen kann.«
Lassiter grinste. »Also ein Bordell, das sich nach außen als Hygieneanstalt darstellt.«
Dem Anwalt gelang eine süffisante Miene, die man wohlwollend als Lächeln deuten konnte. »Es ist Teil eines verwinkelten Gebäudekomplexes, der wie ein Labyrinth daher kommt. Dazu gehören eine große Wäscherei, Teestuben, Garküchen, mindestens ein Dutzend kleine Wohnungen und Gott weiß was noch. Das Viertel oben zwischen der China Basin und der Market Street ist unübersichtlicher als ein Ameisenhaufen – und es geht dort mindestens genau so hektisch zu.«