1,99 €
"Geh ins Haus, Charlie." Es war eine düstere Ahnung, die Thomas Burden dazu bewog, seine kleine Tochter von der Straße vor der Station wegzuholen, als die Reiter unten im Tal auftauchten. Während die Kleine gehorsam im Gebäude verschwand, warf ihm Gary Neame vom Bock der Wells-Fargo-Postkutsche aus einen milde spöttischen Blick zu. "Was ist denn los, Tom?"
Burden verengte die Augen. "Diese Kerle da", knurrte er leise. "Die sehen nach Ärger aus."
Neame drehte sich um und starrte über die Frachtkisten auf dem Dach der Concorde die Straße hinab. "Wüsste nicht, was an denen so bedrohlich aussieht", brummte er achselzuckend.
Und unterlag damit einem tödlichen Irrtum ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 147
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Sein letzter Auftrag
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Boada/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8085-9
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Sein letzter Auftrag
»Geh ins Haus, Charlie.« Es war eine düstere Ahnung, die Thomas Burden dazu bewog, seine kleine Tochter von der Straße vor der Station wegzuholen, als die Reiter unten im Tal auftauchten. Während die Kleine gehorsam im Gebäude verschwand, warf ihm Gary Neame vom Bock der Wells-Fargo-Postkutsche aus einen milde spöttischen Blick zu. »Was ist denn los, Tom?«
Burden verengte die Augen. »Diese Kerle da«, knurrte er leise. »Die sehen nach Ärger aus.«
Neame drehte sich um und starrte über die Frachtkisten auf dem Dach der Concord die Straße hinab. »Wüsste nicht, was an denen so bedrohlich aussieht«, brummte er achselzuckend.
Und unterlag damit einem tödlichen Irrtum …
Die Reiter näherten sich in einer dichten Staubwolke der Poststation, die im Niemandsland zwischen Gallup und Los Alamos ein etwas heruntergekommenes Zeichen der Zivilisation abgab. Außer der täglichen Kutsche der Wells Fargo und ein paar Reisenden verirrte sich kaum jemand in den einsamen Landstrich zwischen den Bergen, und Thomas Burden war normalerweise dankbar für jeden Gast, der eine Mahlzeit zu sich nehmen oder seinen Proviant auffüllen wollte.
Als er die Gebäude am Rande des Overlandtrails von seinem Onkel geerbt hatte, war die Freude über den unverhofften Besitz schnell der Ernüchterung gewichen. Denn die Einnahmen, die der Haltepunkt erbrachte, reichten kaum aus, um seine Familie zu ernähren.
Neben ihm selbst und seiner Frau Kathlyn waren drei weitere hungrige Mäuler zu stopfen: der jüngste Spross Michael, gerade erst vier Jahre alt, dann seine elfjährige Tochter Charlotte und nicht zuletzt der älteste – David, fünfzehn und inzwischen schon fast so groß wie sein Vater. Der Junge hatte den Appetit eines Bären nach dem Winterschlaf und fraß ihm regelrecht die Haare vom Kopf.
Erst vor drei Wochen war er nach Gallup gefahren und hatte bei der örtlichen Filiale der Western Union Bank um einen neuerlichen Kredit betteln müssen.
Justin Farlow, der milchgesichtige Bankvorsteher, hatte ihn zögerlich bewilligt. »Um der alten Freundschaft willen«, war seine Erklärung dafür gewesen, weil Thomas und er gemeinsam auf die Schule gegangen waren.
Und um der alten Freundschaft willen hatte Justin ihm den Zins um zwei Prozente erhöht und gleichzeitig eine Frist bis zum Herbst gesetzt, bis er die Hälfte seiner Schuld würde abtragen müssen.
Herzlichen Dank, Kumpel!
»Wenn ich ein wenig drüber nachdenke, magst du vielleicht doch recht haben, Tom«, ließ sich Gary Neame vernehmen, und Tom Burden hob den Kopf. Er schirmte die Augen mit der Hand vor der grellen Sonne ab und starrte zum Bock der Kutsche hinauf.
»Was meinen Sie, Sir?«
Beunruhigt registrierte er, wie Neame sein Fernglas sinken ließ, das Gewehr aus der Halterung neben sich zog und die Waffe überprüfte.
»Bin mir nicht sicher, Tom. Aber wenn wir Pech haben, sind das da unten The Hook und seine Kumpane.«
Burden wandte den Blick und starrte hinunter auf die Poststraße. Viel mehr als vage Silhouetten inmitten einer Wolke aus Staub waren nicht zu erkennen, doch die Reiter kamen in scharfem Galopp heran und würden die Station in weniger als vier Minuten erreichen.
Er spürte unwillkürlich, wie ihm die Knie weich wurden.
»The Hook? Sie meinen Seth Parker?«
Neame spuckte einen Strahl Kautabak aus, bevor er nickte. »Genau den, Tom. Besser, du gehst jetzt. Wenn ich richtig liege, wird es hier gleich ungemütlich.«
Tom Burden straffte die Schultern. »Kommen Sie mit. Diese Galgenvögel werden es nicht wagen, die Station zu stürmen, wenn wir ihnen klar machen, dass wir uns zu wehren wissen.«
Der Kutscher grinste humorlos. »Nur gut, dass ich heute keine Gäste befördere. Aber die Lohngelder für die Sheffield-Ranch. Verdammt, das muss den Galgenvögeln irgendjemand gesteckt haben.«
»Bitte, Gary.« Tom trat einen Schritt auf die Kutsche zu. In seinen Augenwinkeln wurde die Staubwolke größer, und das Hufgetrappel der Reiter klang bedrohlich näher.
»Kommen Sie. Gemeinsam können wir ihnen die Stirn bieten. Ich werde rasch die Türen und Fensterläden verrammeln.«
Neame warf ihm einen kurzen Seitenblick zu, bevor er den Kopf schüttelte. »Nicht dein Job, Tom. Und jetzt verzieh dich endlich. Denk an deine Frau und die Kinder. Na los!«
Der Kutscher legte den Hahn des Gewehrs zurück und duckte sich hinter die Kisten auf dem Kutschendach. Tom warf einen Blick die Straße hinab und erkannte, dass die Reiter nun nicht mehr als zweihundert Yards entfernt waren.
»Tom?« Die Stimme seiner Frau ließ ihn herumfahren.
Ihre angstvoll geweiteten Augen gaben den Ausschlag, und er ging mit raschen Schritten die verwitterten Stufen empor, bevor er sie erreichte und durch die geöffnete Tür zurückdrängte.
»Was ist denn nur?«, fragte ihn seine Gattin, als er sie beiseiteschob und das Gewehr fixierte, das neben der Eingangstür bereitstand. »Tom, rede mit mir!«
Sein Blick fiel nur kurz auf Charlotte, die auf einer der Bänke gegenübersaß und ihnen aus großen Augen entgegensah.
Er nahm seine Frau bei den Schultern und sah ihr eindringlich ins Gesicht. »Geht nach oben«, befahl er ihr. »Sofort!«
»Ich werde mich nicht von der Stelle rühren, bevor du mir erklärst, was vor sich geht.«
Die Stimme seiner Frau war so entschlossen wie ihre Miene, als sie ihm in die Augen sah. Tom unterdrückte ein Seufzen.
»Banditen«, zischte er so leise, dass seine Tochter es nicht hören konnte. »Sie haben es auf die Kutsche abgesehen, kapiert? Und jetzt geh endlich!«
Heftiger als beabsichtigt stieß er sie von sich, und als sie ohne ein weiteres Wort Charlie bei der Hand nahm und mit raschen Schritten über die Treppe nach oben verschwand, atmete Tom für einen Moment tief durch.
Der kleine Michael schlief oben in seinem Kinderzimmer, sein Ältester war seit dem frühen Morgen in den Bergen unterwegs, auf Hasenjagd. Und er war froh darüber, denn sonst hätte er sich noch mehr Sorgen machen müssen. David tat seit einiger Zeit sein Bestes, um seinem Vater zu zeigen, dass er dessen Autorität nicht mehr widerspruchslos anerkannte.
Das Schnauben von Pferden und die Laute von Hufen brachten ihn dazu, sich alarmiert umzuwenden und nach dem Gewehr zu greifen.
Durch die vom Staub der Straße halb blinden Fenster erkannte er mehrere Reiter, die neben der Kutsche ihre Pferde zügelten, und er duckte sich unwillkürlich hinter dem Fenster, als er die Stimme des Anführers vernahm.
»Gary Neame, richtig?«
»Wer will das wissen?«
»Du weißt, wer ich bin, Gary. Oder etwa nicht?«
»Und wenn dem so wäre … wüsste ich nicht, was wir miteinander zu schaffen hätten.«
»Wir sind sechs Männer, Kumpel. Also lass die Albernheiten und leg das Gewehr weg.«
»Ich fühle mich wohler damit.«
»Das könnte sich schnell ändern.«
»Ich denke, darauf lasse ich es ankommen.«
Ein kehliges Lachen ertönte, und Tom verengte die Augen, während er durch das Fenster hinaus starrte auf die Straße.
Die Banditen trugen Halstücher über ihren Gesichtern, und zwischen den tief in die Stirn gezogenen Hüten und ihrer Maskierung waren nur ihre Augen zu erkennen.
Der Rappe des Anführers, der einen langläufigen Schofield schwenkte, schnaubte verärgert und scharrte mit den Hufen, doch sein Reiter schien deutlich entspannter zu sein. Als Tom den eisernen Haken sah, der statt der linken Hand aus dem Jackenärmel des Mannes ragte, wusste er, dass Neame recht behalten hatte.
Es waren tatsächlich The Hook Parker und seine Bande, die da draußen vor seiner Station in den Sätteln saßen. Die meistgesuchten Banditen der ganzen Gegend. Glaubte man den Gazetten, gingen mindestens zwanzig Überfälle auf ihr Konto. Und ein halbes Dutzend Tote.
Ein Kloß entstand in seiner Kehle, und er schluckte heftig.
»Du scheinst mir lebensmüde zu sein, Gary. Warum rückst du nicht einfach die Kiste raus und lässt uns unserer Wege ziehen?«
Tom rückte näher an das Fenster und umklammerte dabei sein Gewehr. Als er Neame auf dem Kutschbock erblickte, hoffte er, dass der Mann diese Aufforderung befolgen würde.
»Du weißt genau, dass ich das nicht tun werde, Parker. Wenn du die Dollars willst, musst du mich schon umlegen.«
Der Mann auf dem Rappen nickte bedächtig. »Schade, Gary. Du machst einen nicht ungefährlichen Job und hast dafür ein bemerkenswert hohes Alter erreicht.«
Tom Burden zuckte zusammen, als unvermittelt ein einziger Schuss krachte und der Kutscher aus seinem Sichtfeld verschwand.
»Holt die Kiste«, hörte er den Anführer der Banditen knurren, während er atemlos hinter dem Fenster zu Boden sank. »Er wird sie unter der Kutschbank gebunkert haben.«
Burden umklammerte den Karabiner und bereitete sich darauf vor, die Leben seiner Familie mit seinem eigenen zu verteidigen. Er betätigte den Repetierhebel der Winchester und lauschte auf die Geräusche von Schritten, die ihm verraten würden, wenn die Banditen den Raum betraten.
Das Herz schlug ihm bis in den Hals hinauf, während sich die Gesetzlosen draußen mit leisen Stimmen unterhielten. Vereinzelt war Gelächter zu hören, und Tom hatte das Gefühl, dass sich Minuten zu Stunden dehnten. Sein Finger zitterte vor dem Stecher des Karabiners, und mehrfach war er kurz davor, aufzuspringen und an die Tür zu stürmen, um das lähmende Entsetzen in seinem Herzen endlich zu beenden.
Dann hörte er plötzlich das Seufzen der Dielenbretter vor der Tür und straffte postwendend die Schultern.
Er blinzelte die Schweißtropfen weg, die von seiner Stirn in die Augen liefen, biss die Zähne zusammen und erhob sich.
Es war soweit.
Seine Beine und Arme begannen, unkontrolliert zu zittern, doch Tom ignorierte die aufsteigende Panik und hob den Lauf des Gewehrs, bevor er sich gegen die Seitenwand lehnte und die Mündung auf die Tür richtete. Ein Schatten fiel durch die Scheiben der Tür auf den Bretterboden.
»Hey, Kumpel. Schön ruhig.«
Tom zwinkerte irritiert.
»Du hast uns nicht gesehen, kapiert? Ich lege hier etwas ab, das dir gefallen wird. Eine Freundschaftsgabe, verstehst du? Halt es in Ehren und erweise dich dankbar. Sonst …« der Mann machte eine kurze Pause, bevor er den Satz vollendete, » … sonst wissen wir, wo du wohnst. Okay?«
Tom Burden hielt das Gewehr in seinen Händen und versuchte, seinen Atem unter Kontrolle zu bringen, während er ungläubig registrierte, wie die Banditen vor seiner Tür in die Sättel stiegen.
Erst Minuten, nachdem der Hufschlag in der Ferne verstummt war, wagte er es, sein Gewehr zu senken, beiseitezustellen und die Tür zu öffnen.
Vor seinen Stiefeln lag ein prall gefüllter Umschlag, und als er ihn aufhob und öffnete, weiteten sich seine Augen.
Es mochten wohl an die hundert Dollar sein, die ihm die Mörder von Gary Neame hinterlassen hatten.
☆
Zwei Monate später, Gallup, an der Nordgrenze von New Mexico
Der junge Mann am Tresen starrte in seinen Drink und wandte sich nicht um, als ein neuer Gast den Schankraum betrat.
»Milton«, brummte Lassiter. »Du hast mich ziemlich lange warten lassen.«
Milton Huxley trat neben ihn, schwang sich auf den benachbarten Barhocker und warf einen kurzen Blick durch den Saloon. Es gab nicht viel zu sehen, denn sie waren allein mit dem Bartender, der am anderen Ende der Theke gelangweilt Bierkrüge polierte. Huxley winkte dem Mann zu und zeigte auf Lassiters halbvolles Glas zum Zeichen, dass er dasselbe wünschte.
»Bin aufgehalten worden«, brummte Huxley und klopfte seinem jungen Rekruten freundschaftlich auf den Rücken. »Wie geht’s dir so, Junior?«
Lassiter verzog die Lippen. Obwohl Huxley vom Alter her durchaus sein Vater hätte sein können und ihn vor ein paar Monaten zur Brigade Sieben geholt hatte, hasste er es, vom Älteren wie ein Halbwüchsiger behandelt zu werden. Trotz seiner jungen Jahre hatte er bereits zur Genüge unter Beweis gestellt, dass er kein Greenhorn mehr war.
Doch er wusste auch, dass Huxley ihn nur hochnehmen wollte, und würde ihm nicht den Gefallen tun, sich darauf einzulassen.
»Bestens«, antwortete er deshalb betont gelassen. »Hab seit ein paar Wochen nichts mehr von dir oder der Brigade gehört, bis mich das Telegramm in Albuquerque erreichte. Was liegt an?«
Huxley nickte dem Barkeeper zu, als der den Whiskey vor ihm auf den Tresen stellte. »Keine große Sache. Wir sollen einen wichtigen Zeugen beschützen, der morgen im Prozess gegen Seth Parker aussagen wird.«
»The Hook?«
»Du kennst ihn?«
»Hab über ihn gelesen. Der Marshal von Los Alamos hat ihn verhaftet, richtig?«
»Ganz genau«, bestätigte Huxley und nippte an seinem Drink. »Sie haben ihn im Bett einer Nutte erwischt, und er kam nicht mehr dazu, seinen Revolver zu erreichen. War ziemlich dreist von ihm, sich in die Stadt zu wagen, schließlich hängen die Steckbriefe überall aus von hier bis nach Texas. Der Rest der Bande ist leider immer noch auf der Flucht. Aber ich schätze, nicht für lange. Hat man den Kopf der Schlange erstmal abgeschlagen …«
» … ist der Rest nicht mehr als ein hilflos zuckender Kadaver«, ergänzte Lassiter. »Ich kenne den Spruch bereits, alter Mann. Denk dir bei Gelegenheit mal was Neues aus.«
Huxley schob sich grinsend den Stetson in den Nacken. »Ich gebe mir Mühe. Hab draußen dein Pferd gesehen. Ein Wallach aus Armeebeständen. Immerhin merkst du dir meine Ratschläge.«
»Um was für einen Zeugen geht’s überhaupt?«, kam Lassiter zum Thema zurück. »Es wundert mich, dass jemand bereit ist, gegen Parker auszusagen.«
Huxley fingerte einen Zigarillo aus der Brusttasche seines Hemdes, riss ein Zündholz an und hielt es an den Glimmstängel. Er nahm einen Zug und blies den Rauch aus, bevor er antwortete.
»Nun ja, Kumpel, da hast du leider recht. Die Leute, die The Hook und seiner Bande begegnet sind, können meist nicht mehr darüber berichten. Er lässt selten jemanden zurück, der dazu noch in der Lage wäre. Und der Bursche, über den wir reden, hat sich auch lange gewehrt. Rudy Tuesday, der ihn verhört hat, musste dem Mann ziemlich gut zureden.«
»Rudy?« Lassiter warf Huxley einen kurzen Seitenblick zu. »Der Mann ist ein Arschloch. Was hat er getan? Den Zeugen gefoltert? Seiner kleinen Tochter ein Messer an den Hals gehalten?«
Huxley lachte kurz auf. Es klang wie das Bellen eines Hundes.
»Ich weiß, du magst Tuesday nicht, aber er ist ein guter Agent. Wenn man ihm eine Aufgabe überträgt, erledigt er sie. Seine Erfolgsquote …«
» … erarbeitet er sich gern mit Blut«, knurrte Lassiter. »Er ist ein skrupelloser Bastard.«
»Das war in diesem Fall nicht nötig«, entgegnete Huxley ungerührt und trank noch einen Schluck Whiskey. Im Spiegel hinter dem Tresen beobachtete er, wie Lassiter verdrossen auf die Thekenplatte starrte. Er wusste, es würde nicht leicht werden, Tuesday und Lassiter davon abzuhalten, sich an die Gurgeln zu gehen.
Die beiden Männer waren sich seit ihrer ersten Begegnung in tiefer Abneigung verbunden.
»Ein paar ganz simple Ermittlungen haben die Argumente geliefert, um Thomas Burden zum Umdenken zu bringen. Parkers Bande hat eine Kutsche der Wells Fargo überfallen, direkt vor Burdens Poststation oben in den Bergen. Der Kutscher hat’s nicht überlebt, Burden und seine Familie hingegen schon. Das gab dem Kollegen natürlich zu denken.«
»Parker hat nicht jeden umgelegt, der sich in der Nähe aufhielt, wenn er eine Kutsche ausgeraubt hat.« Lassiter leerte sein Glas. »Gerade bei Frauen und Kindern hat die Bande sich meistens zurückgehalten.«
»Mag sein«, brummte Huxley. »Das macht trotzdem keinen Heiligen aus ihm, oder?«
»Die Zeugen haben bisher immer geschwiegen. Womit hat Tuesday diesen Tom Burden umgestimmt? Der Mann riskiert Kopf und Kragen, wenn er gegen The Hook aussagt.«
»Burden hatte Schulden bei der Bank«, antwortete Huxley. »Und ein paar Tage nach dem Überfall marschierte er in die Filiale der Western Union und löste fast die Hälfte seines Kredits aus.« Er schnippte mit den Fingern. »Einfach so.«
Huxley grinste humorlos. »Wo mag das Geld wohl hergekommen sein, was meinst du?«
Lassiter zuckte die Achseln. »Parker hat ihm Schweigegeld hinterlassen, nehme ich an. Na und? Das macht ihn nicht zum Mittäter. Sicher, wenn es aus der Beute des Überfalls stammt, wird es den rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben werden müssen.«
»Well …«, bemerkte Huxley gedehnt und nahm noch einen Zug von seinem Zigarillo. »Tuesday hat gegenüber Burden eine etwas andere Version präsentiert. Nämlich die, dass der Mann die Kutsche bewusst aufgehalten hat und von Anfang an in den Überfall eingeweiht war.«
Lassiter wandte den Kopf und starrte seinen Nebenmann aus verengten Augen an. »Ich habe schon lange nicht mehr einen derartigen Blödsinn gehört, Milton. Kein Richter nimmt euch so eine Räuberpistole ab.«
Die beiden Männer sahen sich sekundenlang in die Augen, bis Huxley schließlich nickte. »Damit dürftest du recht haben, Lassiter. Aber Burden glaubt es, und nur das zählt. Einen Anwalt kann er sich nicht leisten, weil Parkers Greenbucks für seine Schulden draufgegangen sind. Deshalb denkt er, ihm blühen zehn bis fünfzehn Jahre Zuchthaus, wenn er nicht mit uns zusammenarbeitet.«
Lassiter griff nach seinem Glas und leerte es auf einen Zug. »Das ist wirklich zum Kotzen, Milton.«
Huxley hob ergeben die Hände. »Wohl wahr. Aber leider unvermeidbar. Ohne Burdens Aussage würde The Hook in zwei Tagen als freier Mann aus dem Gerichtssaal spazieren. Willst du das? Er und seine Bande haben mindestens sechs unschuldige Menschenleben auf dem Gewissen.«
»Und was ist mit Burden? Und seiner Familie? Parkers Bande ist immer noch auf freiem Fuß, verdammt!«
Huxley legte Lassiter die Hand auf die Schulter, doch der wischte sie brüsk zur Seite, und der Ältere runzelte die Stirn.
»Jetzt entspann dich mal, Junge«, brummte er. »Wo bist du abgestiegen – drüben im Hazards Rest? Die haben hübsche Mädchen dort. Iss etwas, vögel ein bisschen und denk nicht so viel nach, okay? Ich hole dich morgen früh ab, und dann tun wir unseren Job.«
Er warf ein paar Münzen auf die Theke und glitt vom Barhocker.
»Wir sehen uns«, brummte er und stieß die Schwingtüren auf.
Lassiter hob den Kopf und sah Huxley durch die Fenster nach, als der die Mainstreet in Richtung des Sheriff’s Office überquerte. Mit düsterer Miene wandte er sich dem Barkeeper zu.
»Noch einen Doppelten«, knurrte er.
☆