Lassiter 2444 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2444 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Schäumend durchpflügten die Schaufeln zu beiden Seiten des Dampfschiffs das lehmbraune Wasser. Ed Weaver stand hinter dem Steuerrad und spähte angestrengt in den Nebel. Das allgegenwärtige Grau ließ seine Augen brennen. Trotzdem wagte er kaum, zu blinzeln. Eine einzige Unachtsamkeit genügte und sie würden auf eine Sandbank aufsetzen oder mit einem Baumstamm kollidieren. Dann drohte allen auf der Martha ein nasses Grab. Ed verstand sich kaum darauf, seinen Namen zu kritzeln, aber das Wasser, das konnte er lesen. Kleine Wellen verrieten ihm, ob sich Steine oder treibende Stämme unter der Oberfläche verbargen und eine Gefahr für das Schiff darstellten. Dafür musste er sie sehen - und genau das war das Problem: An diesem Abend wurde der elende Nebel immer dichter!

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Seitenzahl: 143

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

Telegramm von einem Toten

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: Boada/Norma

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-8087-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Telegramm von einem Toten

Schäumend durchpflügten die Schaufeln zu beiden Seiten des Dampfschiffs das lehmbraune Wasser. Ed Weaver stand hinter dem Steuerrad und spähte angestrengt in den Nebel. Das allgegenwärtige Grau ließ seine Augen brennen. Trotzdem wagte er kaum, zu blinzeln. Eine einzige Unachtsamkeit genügte und sie würden auf eine Sandbank aufsetzen oder mit einem Baumstamm kollidieren. Dann drohte allen auf der Martha ein nasses Grab. Ed verstand sich kaum darauf, seinen Namen zu kritzeln, aber das Wasser, das konnte er lesen. Kleine Wellen verrieten ihm, ob sich Steine oder treibende Stämme unter der Oberfläche verbargen und eine Gefahr für das Schiff darstellten. Dafür musste er sie sehen – und genau das war das Problem: An diesem Abend wurde der elende Nebel immer dichter!

»Verdammt noch mal!«, entfuhr es ihm.

»Was ist los, Ed?«, kam es von Sam Longhorn. Der junge Maat blickte ihn ganz erschrocken an.

»Da draußen ist es so finster wie unter den Röcken der Pfarrersfrau«, brummte Ed. Tatsächlich konnte er vom Ruderhaus aus kaum noch die Lichter sehen, die auf dem Wasser schwammen. Woran sollte er sich nun orientieren?

Sie hatten einen Gehilfen vorausgeschickt, um die Passage zwischen den Sandbänken hindurch zu markieren: Der Maat hatte angezündete Kerzen auf Holzstücke gesetzt und diese entlang einer für die Martha sicheren Fahrstrecke auf das Wasser gesetzt. Jedes der winzigen Flöße war mit einem langen Seil und einem Stein beschwert, damit es nicht abtrieb. Beim Passieren wühlte der Dampfer das Wasser auf und löschte die Kerzen.

So war es zumindest angedacht. Allerdings ließ der Nebel selbst die Kerzenlichter verschwimmen. Vor ihnen mäanderte der Fluss zwischen Schilfinseln und Sandbänken hindurch. Prustend brach sich das Wasser an den Schiffsplanken, wie der gleichmäßige Atem eines Ungeheuers.

Ed Weaver erspähte die nächste Kerze einige Yards weiter links und korrigierte den Kurs.

Die Martha stampfte voran.

»Gutes Mädchen«, murmelte er und bemerkte erst jetzt, dass er sekundenlang den Atem angehalten hatte.

Der Mississippi veränderte sich ständig. Das Flussbett verschob sich und damit blieb auch die Hauptfahrrinne niemals gleich. Eine weitere gefürchtete Plage waren entwurzelte Bäume, die unerwartet auftauchten und sich in den Schaufeln verfingen. Oder sie bohrten sich, was noch schlimmer war, in eine Sandbank und gewannen dort Halt, wo sie, unter der Wasseroberfläche verborgen, ein Schiff unter vollem Dampf durchbohren konnten. Die verdammten Dinger waren schon so manchem Dampfer zum Verhängnis geworden.

Die Ureinwohner sahen im Mississippi den Vater aller Gewässer. Eds Großvater, der den Fluss ebenfalls befahren hatte, hatte ihn halb ehrfürchtig, halb grollend Old Man River genannt. Für Ed war er wie eine launische Geliebte, bei der er nie so genau wusste, was als Nächstes auf ihn wartete.

An diesem Tag wollten sie bis Hardbury kommen. Ed hielt bereits Ausschau nach den Lichtern der Stadt. Er wusste kaum noch, wie oft er die Tour von New Orleans herauf bereits hinter sich gebracht hatte. Selten hatte er dabei ein so flaues Gefühl in der Magengegend gehabt wie an diesem Abend.

»Wünschte, wir wären schon da«, grummelte er und rieb sich den graumelierten Bart.

»Warum hast du es denn so eilig, Ed?«, forschte der Maat. »Hast du ein Girl im Hafen von Hardbury?«

»Eines? Viele!« Ein breites Grinsen vertrieb seine Anspannung sekundenlang. Die feurigen Girls aus Mollys Etablissement wussten eben genau, was ein Mann wie er nach einem harten Tag brauchte. Am liebsten war ihm die Chefin selber. Was Molly mit ihren prallen Lippen alles anstellen konnte … Oha! Schon bei der Vorstellung wurde ihm das Beinkleid mächtig eng. »Ich werde Molly einen Besuch abstatten.«

»Und für die Liebe bezahlen? Nee, das ist nichts für mich. Ich warte lieber, bis die Richtige kommt, und dann heirate ich sie.«

»Eine Ehefrau kommt dich teurer zu stehen, mein Junge. Sie will ein Haus und ständig neue Sachen zum Anziehen. Molly wünscht sich nur Sachen zum Ausziehen.« Ed malte mit den Händen eine Sanduhr in die Luft. »Ein Mann hat besser zwei Ringe unter den Augen als einen an der Hand.«

Sam wirkte nicht überzeugt, aber der würde seine Lektion auch noch lernen. Daran zweifelte Ed nicht. Ed selber hatte zwei Ehen hinter sich und nicht vor, sich in eine dritte zu stürzen. Wozu auch, wenn es süße Girls wie Molly gab, die nicht mit dem Besen hinter der Haustür warteten, sobald er sich einmal verspätete. Nein, seine einzige Liebe war und blieb die Martha, die seinem Willen folgte und bei der nicht lange herumfragen musste, was sie wollte. Sie zeigte es ihm.

Leichter war das Geschäft in den vergangenen Jahren nicht geworden. Seit dem Ende des Bürgerkriegs war der verarmte Süden für den Norden kein lohnender Handelspartner mehr, deshalb hatten viele Schiffseigner zu kämpfen gehabt, aber sie hatten neue lohnende Wege gefunden, um ihr Auskommen zu sichern: vor allem den Transport von Viehfutter, Whiskey und Textilien. Dazu kamen die Passagiere, die gutes Geld an Bord brachten. Auch auf der Martha befanden sich Reisende, für deren Leben Ed verantwortlich war.

Wie viele andere Schiffe in der Nähe unterwegs waren, war unmöglich zu sagen. Hin und wieder drang der Klang einer Schiffsglocke durch den Nebel, so dumpf, dass Ed beruhigt war, weil er wusste, dass keine Gefahr einer Kollision bestand. Zusammenstöße waren auf dem Fluss fast so gefürchtet wie eine Explosion des Dampfkessels. Darüber zerbrach Ed sich jedoch nicht den Kopf. Für den Druck im Kessel war der Kapitän zuständig. Das lag nicht in seiner Hand.

Sam schrubbte den Boden des Ruderhauses. Auf seiner rechten Schulter saß Freckles, seine Ratte. Das Tier war zahm genug, nicht einmal dann zu flüchten, wenn er die Planken mit der Bürste bearbeitete.

»Komm mir bloß nicht zu nahe mit dem stinkenden Viech«, grummelte Ed.

»Freckles riecht besser als du«, grinste der Jüngere.

»Nur noch bis morgen. Dann nehme ich mein monatliches Bad.«

»Wer weiß, ob ich dich überhaupt noch wieder erkenne, wenn du so sauber bist.«

»Oh, ich bin der, dessen Rechte du gleich auf deinem Hinterteil spüren wirst, wenn du weiter so frech bist.«

Der junge Maat grinste noch breiter, rückte jedoch vorsichtshalber ein Stück von ihm ab.

Ed hatte währenddessen den Blick nicht vom Wasser gelassen. Allmählich tränten ihm die Augen vor Anstrengung. Er fluchte leise. »Der Nebel gefällt mir nicht.«

»Der tut dir nichts. Ist doch nur feuchte Luft.«

»Wenn’s nur so einfach wäre. Weiß der Himmel, was sich darin verbirgt.«

»Was? Glaubst du etwa die alten Schauermärchen von dem Ungeheuer, das bei Nebel aus dem Fluss aufsteigt?«

»Von wegen aufsteigt. Der Fluss selbst ist das Ungeheuer. Er zeigt es nicht gleich, aber wehe, du gibst nicht Acht, dann reißt er sein nasses Maul auf und verschlingt dich mit Haut und Haaren. Du … Oh! Verdammt! Was ist das?«

»Was denn?«

»Na, da vorn!«

Sam richtete sich auf und reckte den Hals. »Ich seh nichts.«

»Gleich dort! Vor uns!« Ed starrte auf das bleiche Etwas, das vor ihnen im Wasser trieb. Im Dunst verschwammen die Konturen zu einem blassen Schemen. War das ein Baumstamm? Nein, dafür war es zu hell. In dem elenden Nebel war einfach nichts Genaueres zu erkennen. Eines der Flöße trieb zwei, drei Armlängen davon entfernt im Wasser.

Kurz drauf schälten sich die Umrisse des Ruderbootes aus dem Nebel, in dem der Maat saß, der ihnen den Weg bezeichnen sollte. Er war so bleich wie der Bauch eines toten Herings.

Was zum Kuckuck …

Das Etwas im Wasser drehte sich plötzlich. Ein knochiges Gesicht tauchte auf oder zumindest das, was das Wasser und die Fische davon übrig gelassen hatten. Nun, endlich, erkannte Ed auch, was da im Fluss trieb.

Es war kein Baumstamm. Es war ein Mensch!

»Der Herr stehe uns bei!« Sam bekreuzigte sich hastig. Dann beugte er sich vor und würgte sein Mittagessen wieder aus.

Ed wurden die Knie gewaltig weich. Das Schiff steuerte geradewegs auf den Toten zu. Der arme Teufel dort im Wasser würde von den Schiffsrädern völlig zermalmt werden!

Ed reagierte gedankenschnell.

»Ausweichen! Wir müssen ausweichen!«, brüllte er und drehte hastig das Steuerrad.

Hardbury

Bei seiner Gründung im Jahr 1789 war der Ort nicht viel mehr als eine Ansammlung von Holzhütten an den Ufern des Mississippi gewesen. Inzwischen war die Stadt zu einem blühenden Handelshafen gewachsen.

Die Siedlung hatte zwei große Brände überstanden und noch einer weiteren Bedrohung die Stirn geboten: den Flusspiraten. Jahrelang hatten ihnen die dichten Wälder rings um Hardbury als Unterschlupf gedient. Sie hatten ihre eigenen Gesetze gemacht und den Boden rings um den Ort mit Blut getränkt. Schließlich hatten sich die Bewohner zusammengetan und waren gegen die Banditen vorgerückt. Ihrem entschlossenen Handeln war es zu verdanken, dass endlich das Gesetz in der Gegend regierte. Nun blühte die Stadt auf! Handel und Passagierdampfer, Theaterschiffe und schwimmende Spielhöllen schwemmten Geld in die Kassen. Die anlegenden Schiffe mussten mit Holz und Vorräten versorgt werden. Auch das bescherte Einkünfte.

Ein Mann war im Kampf gegen die Flusspiraten besonders hervorgetreten: Arthur Cunningham. Einst ein General der Nordstaatenarmee, war er nun der Besitzer einer Reihe von Dampfschiffen. Er hatte eine Mannschaft engagiert, um seine Schiffe zu schützen und die Flusspiraten dingfest zu machen. Das war ihm letztlich auch gelungen. Für einen horrenden Preis: Er hatte sich gefährliche Feinde gemacht.

Und nun hatte er Lassiter um Hilfe gebeten.

Die Dinge mussten schlecht stehen in Hardbury.

Verdammt schlecht sogar.

Das Telegramm mit der Bitte um Hilfe knisterte in Lassiters Tasche. Arthur Cunningham war ein Mensch, der sich zu helfen wusste. Dass er nun um Unterstützung bat, sagte einiges aus.

Lassiter war noch nicht persönlich mit dem General bekannt, hatte jedoch von ihm gehört. Er war gespannt, worin sein Auftrag bestehen würde. Vor morgen früh würde er das jedoch nicht herausbekommen. Der Nebel hatte ihn auf dem Weg nach Hardbury überrascht und zwang ihn, eine Nacht in der Stadt Station zu machen. Arthur Cunningham lebte reichlich abgeschieden. Es wäre leichtsinnig, in der fremden Umgebung aufs Geratewohl weiterzureiten, wenn er kaum über die Ohren seines Pferdes hinausschauen konnte.

Lassiter nahm sich ein Zimmer über dem Stockwood Saloon. Es hatte die Nummer neun. Vor seinem Fenster breitete sich die Mainstreet aus, auch wenn davon im Nebel kaum mehr zu erkennen war als verschwommene Umrisse von Dächern und das blasse Licht der Straßenlaternen. Selbst das Poltern der Stiefeltritte auf den Bohlen des Gehwegs drang nur gedämpft herauf. Der Mietstall wenige Häuser weiter, in dem Lassiter sein Pferd untergestellt hatte, war hinter dem wabernden Grau nicht einmal mehr zu erahnen.

Aus der unteren Etage drang das Klimpern eines Pianospielers herauf. Lassiter verstaute das Bündel mit seinen wenigen Habseligkeiten neben dem Bett und wusch sich an der Schüssel den Staub aus dem Gesicht. Dann beschloss er, seine von der Reise trockene Kehle mit einem Whiskey zu spülen. Er lenkte seine Schritte aus seinem Zimmer nach unten. Der Saloon war gerammelt voll, aber Lassiter hatte Glück und fand den letzten freien Stuhl in der Nähe der Bühne.

Nebenan starrten vier Männer auf ihre Pokerkarten. Zwei Tische weiter lud ein Oldtimer eines der Girls zu sich ein. Daraufhin ließ sich die Rothaarige auf seinen Schoß plumpsen und flüsterte ihm etwas ins Ohr, was seine bärtigen Wangen aufleuchten ließ wie Signallampen.

Lassiter bestellte sich ein Glas Whiskey bei einem der Mädchen. Da hob sich der rote Samtvorhang und eine Tänzerin betrat die Bühne.

Sogleich ließen die Männer von ihren Spielkarten und Gläsern ab und schauten zur Bühne. Was sie dort sahen, hob ihre Laune. Und nicht nur die! Die Tänzerin bewegte sich mit sinnlichem Kreisen ihrer Hüften zu der Musik. Dabei fuhr sie sich durch die langen blonden Haare, spielte damit und ließ ihr Becken rotieren, sodass sich so mancher Zuschauer in den Schritt fasste, um sein Beinkleid zurechtzurücken.

Das rote Kleid der Schönen war nur ein dünnes Fähnchen, das mehr enthüllte, als es verbarg. Und ihr üppiger Busen wackelte im Rhythmus mit. War das ein Wippen und Wogen! Fast schien der dünne Stoff der herrlichen Pracht nicht viel länger standzuhalten.

Die Tänzerin warf ein Bein in die Luft. Ihre Röcke flogen und ließen die Glücklichen unter den Gästen ahnen, was sie darunter trug: nichts als hauchdünne Strümpfe und seidenweiche, weiße Haut!

Wie gebannt schauten die Männer zur Bühne. Einem fiel sein Zigarillo aus dem Mund. Einem anderen klappte der Unterkiefer herunter, denn die Frau tanzte nicht nur, nein, sie zog sich dabei aus! So etwas hatten die meisten von ihnen noch nicht gesehen. Daheim hieß es immer, das Licht auszumachen, sobald auch nur das Halstuch fiel, und hier, hier zeigte die bildschöne Tänzerin ihren prachtvollen Körper im allerbesten Licht!

Sie streckte ein Bein vor und streifte ihren Strumpf ab. Das Strumpfband ließ sie einmal um den Finger kreisen, während sie mit den Hüften wackelte. Dabei traf ihr Blick Lassiter, und ihr Lächeln ging ihm messerscharf unter die Haut.

In seinen Lenden begann es zu pochen. Oh, gern wäre er mit diesem Prachtweib allein. Als sie sich nun mit ihrer kleinen rosa Zunge über die prallen Lippen leckte, war es endgültig um ihn geschehen. Sein Schwanz zuckte bei der Vorstellung, wie sich die flinke rosige Spitze wohl auf seiner Haut anfühlen würde.

Sie zwinkerte ihm zu und warf ihr Strumpfband in seine Richtung.

Geschickt fing er es auf – und erntete etliche neidische Blicke.

Ein blumiger Duft stieg von der Spitze auf. Die Tänzerin warf Lassiter einen Blick unter halb gesenkten Lidern hervor zu und fuhr sich wie zufällig über ihren vollen Busen.

Auch der zweite Strumpf fiel. Nun machte sie sich daran, die Schnüre ihres Mieders zu lösen. Mit schaukelnden Hüften bewegte sie sich auf der Bühne.

Die Männer schauten nach oben, als wäre ihnen soeben ein Engel erschienen. Ein Unschuldsengel war die Blonde jedoch ganz sicher nicht. O nein. Ihr wackelndes Hinterteil trieb den Zuschauern den Schweiß auf die Stirn.

Plötzlich schob sich ein sehniger Kerl in grünen Hosen und grauer Weste zur Bühne durch. Sein schwankender Schritt verriet, dass er nicht nur einen Whiskey intus hatte, sondern einen nach dem anderen. Ein paar Tropfen hingen noch in seinem dunklen Schnurrbart.

»Komm her zu mir, Süße!«, grölte er und grapschte nach einem der schlanken Beine der Tänzerin.

Unmutige Rufe wurden laut. Die Störung des Auftritts gefiel den Gästen ganz und gar nicht.

Die Tänzerin entzog sich seinem Griff und wollte mit ihrer Darbietung fortfahren, da schwang der Störenfried ein Bein auf die Bühne, zog sich hoch und ratschte ihr mit einem Griff das Kleid vom Körper! Nun hatte sie nur noch ihr dünnes Unterkleid an. Der Trunkenbold packte ihren Arm, so fest, dass sie schrie.

Die Pianomusik brach ab.

Die Tänzerin stieß den Unbekannten vor die Brust und riss ihren Arm von ihm weg. Womöglich hätte es damit genug sein können, aber sein Rausch ließ ihn rotsehen.

»Niemand weist mich ab«, brüllte er. »Niemand!« Auf einmal hielt er ein Messer in der Hand und drückte es ihr an die Kehle!

Ein Aufstöhnen lief durch die Gäste.

»Sadie!« Eines der anderen Girls wurde kreidebleich.

Lassiter reagierte gedankenschnell. Mit Reden war dem Betrunkenen nicht beizukommen, das war ihm klar. In seinem Zustand war der Unbekannte zu allem fähig.

Mit einem geschmeidigen Satz sprang Lassiter auf, schnellte auf die Bühne und hieb mit seiner Handkante hart und schnell auf das Handgelenk des Bärtigen. Der Griff des Trunkenbolds löste sich. Das Messer flog im hohen Bogen durch die Luft und landete, ohne Schaden anzurichten, auf dem Boden. Das aber behagte dem Betrunkenen ganz und gar nicht! Mit einem wütenden Röhren fuhr er zu Lassiter herum.

Die Tänzerin erkannte ihre Chance und reagierte genauso, wie der große Mann gehofft hatte: Sie duckte sich weg und stürmte aus der Reichweite ihres Angreifers.

Der hatte das Girl jedoch offenbar bereits vergessen, denn er stierte Lassiter an, als wollte er ihn mit Blicken durchbohren. Und er war schneller, als sein Zustand vermuten ließ. Blitzartig schoss seine Faust vor und bohrte sich in Lassiters Magengrube. Dem blieb kurzzeitig die Luft weg, aber er hatte schon weitaus Schlimmeres weggesteckt. Mit einem tiefen Atemzug erholte er sich wieder und schmetterte seine Rechte gegen die Schläfe des Betrunkenen. Dem knickten die Beine weg und seine Augen verdrehten sich in Richtung Decke.

Lassiter packte ihn und zerrte ihn am Kragen zur Schwingtür. Er wuchtete den Trunkenbold aus dem Saloon und warf ihn draußen in die Pferdetränke.

»Schlaf deinen Rausch aus, ehe du dich wieder hier blicken lässt«, empfahl er ihm und stiefelte zurück in den Saloon.

Die Tänzerin kam Lassiter entgegen und blickte ihn aus glänzenden Augen an. »Danke, dass du mir geholfen hast. Das war unglaublich nett von dir, aber auch dumm.«

»Dumm? Warum glaubst du das?«

»Weißt du denn nicht, wer der Kerl war?«

»Nein. Ich bin vorhin erst angekommen und kenne kaum jemanden in Hardbury.«

»Das war Adam Cunningham.«

»Ist er zufällig mit Arthur Cunningham verwandt?«

»Und ob. Er ist sein Sohn. Du kennst die Familie also?«

»Hab von ihnen gehört.«