Lassiter 2448 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2448 E-Book

Jack Slade

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mit den Stiefeln voran

Die Eingangshalle des Hauses erinnerte an ein Schlachthaus. Ben Traven hielt sich ein Taschentuch über Mund und Nase und ließ seinen Blick nur kurz über die Toten auf dem Boden und der Treppe wandern, bevor er sich abwandte und machte, dass er wieder ins Freie kam. "Welche Bestie hat das getan?", fragte er seinen Deputy, der ihn auf der Terrasse erwartete.
Cooper Jones schob das Kinn vor. "Das kann nur der Yankee gewesen sein. Mehrere Zeugen haben ihn zum Anwesen reiten sehen."
"Hat der Bastard etwa die gesamte Familie Islington umgelegt?"
"Alle bis auf Miss Peggy, Sir. Er muss sie in die Sümpfe verschleppt haben."
Traven ballte die Fäuste. "Trommeln Sie alle verfügbaren Männer zusammen, Coop. Wir werden ihn jagen und nicht ruhen, bis er zur Strecke gebracht ist."

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 141

Veröffentlichungsjahr: 2019

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Mit den Stiefeln voran

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: Boada/Norma

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-8211-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Mit den Stiefeln voran

Die Eingangshalle des Hauses erinnerte an ein Schlachthaus. Ben Traven hielt sich ein Taschentuch über Mund und Nase und ließ seinen Blick nur kurz über die Toten auf dem Boden und der Treppe wandern, bevor er sich abwandte und machte, dass er wieder ins Freie kam. »Welche Bestie hat das getan?«, fragte er seinen Deputy, der ihn auf der Terrasse erwartete.

Cooper Jones schob das Kinn vor. »Das kann nur der Yankee gewesen sein. Mehrere Zeugen haben ihn zum Anwesen reiten sehen.«

»Hat der Bastard etwa die gesamte Familie Islington umgelegt?«

»Alle bis auf Miss Peggy, Sir. Er muss sie in die Sümpfe verschleppt haben.«

Traven ballte die Fäuste. »Trommeln Sie alle verfügbaren Männer zusammen, Coop. Wir werden ihn jagen und nicht ruhen, bis er zur Strecke gebracht ist.«

»Freddy LaForge? Unmöglich!«

Lassiter schüttelte den Kopf und wischte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn, bevor er sich seinen Stetson wieder aufsetzte. »Dabei kann es sich nur um einen Irrtum handeln.«

Isadora Rubin faltete die Hände unter dem Kinn und schürzte die Lippen. »Nach dem, was wir über den Marshal von Alexandria erfahren haben, müssen wir das wohl ausschließen«, widersprach sie mit bedauernder Miene. »Es gibt eine Reihe von Zeugen, die Mr. LaForge schwer belasten. Er war in eine gewalttätige Auseinandersetzung mit den beiden Islington-Söhnen verwickelt, und kurz vor den Morden hat man ihn zum Anwesen reiten sehen.«

»Gewalttätige Auseinandersetzung? Eine Prügelei, oder was?« Lassiter stieß scharf die Luft aus. »Und dann geht er hin und schlachtet eine ganze Familie ab? Ich bitte Sie, Isadora – das glauben Sie doch selbst nicht!«

Die rothaarige Frau im eleganten Kleid lehnte sich auf dem Stuhl zurück und schaute auf die Straße hinaus. Gegenüber des Cafés, auf deren Terrasse sie saßen, hielt gerade eine Kutsche vor der Poststation, und unter den Hufen der Pferde stieg eine Staubwolke auf.

»Was ich oder Sie glauben, ist nicht von Belang«, sagte sie leise und nickte dem Kellner freundlich zu, als der zwei Kaffeetassen vor ihnen abstellte. »Relevant sind nur Tatsachen. Die sprechen nun mal eine andere Sprache und sagen uns, dass ein Agent der Brigade Sieben fünf Mitglieder einer hoch angesehenen Familie erschossen und das sechste entführt hat.«

»Ein verdammt fähiger Agent, den ich seit einigen Jahren kenne und schätze.« Lassiter starrte sie grimmig an. »In welcher Mission war Freddy denn überhaupt dort?«, fragte er und runzelte die Stirn, als Isadora mit den Schultern zuckte.

»Eine naheliegende Frage. Aber Mr. LaForge ist privat in den Süden gekommen. Er hat vor einem Monat in Washington um Urlaub gebeten und erklärt, dass er nach einem vermissten Onkel suchen wolle.«

Als sie die Veränderung in Lassiters Gesicht bemerkte, hob sie die Augenbrauen. »Klingelt da etwas bei Ihnen?«

Lassiter nickte nachdenklich. »Freddys Onkel Luther, ja. Er stammt aus Louisiana und war einer der ersten Sklaven, die während des Kriegs von den Plantagen in den Norden flohen. Freddy hat mir von ihm erzählt. Luther hat sich in Baltimore vom Tellerwäscher zum Geschäftsführer eines Delis hochgearbeitet und immer davon gesprochen, dass er in den Süden zurückgehen wolle, sobald er genug Geld gespart hätte, um sich in der alten Heimat etwas aufzubauen.«

Isadora Rubin verzog die Lippen. »Dieser Onkel Luther muss dann wohl einen gottgefälligen Blick auf die Menschen haben. Farbige stehen hier im tiefsten Süden immer noch nicht weit über Pferden und Rindern, und wenn sie sich anmaßen, von den Weißen als Gleichgestellte behandelt werden zu wollen, kann das sehr schnell böse enden.«

Lassiter nahm einen Schluck Kaffee. »Genau das ist wohl auch passiert, Isadora – wenn Freddy davon sprach, dass Luther vermisst wird.«

Sie nickte. »Es gab in der jüngeren Vergangenheit immer wieder Beispiele dafür, dass man Farbigen, die aus dem Norden zurückkehrten, übel mitspielte, wenn sie es auch nur wagten, ein Geschäft zu eröffnen. Als Bedienstete werden sie akzeptiert, und die Peitschen lässt man gemeinhin auch im Schrank, aber sonst hat sich seit dem Krieg nicht viel in den Köpfen verändert, vor allem jenseits der Städte nicht.«

Isadora seufzte vernehmlich. »Im letzten Winter hat man zwei Brüder aus Virginia tot aufgefunden, die mit einem kleinen Fuhrunternehmen die Strecke von Shreveport nach Alexandria bedienten. Sie hatten nur zwei Murphywagen und vier Pferde, waren also keine große Konkurrenz für die alteingesessenen Firmen. Doch um die Dollars ist es ihren Mördern wohl auch nicht gegangen. Es schien eine Frage des Prinzips zu sein. Jemand hat ihnen an einer unübersichtlichen Stelle aufgelauert, sie vom Bock geholt und an einem Baum aufgehängt, mit Schildern um den Hals, auf denen stand: Jemand zieht die Kutsche, und jemand hält die Zügel …«

»… und wer seinen Platz nicht kennt, der lernt es in der Hölle«, vollendete Lassiter das Zitat, das er in einer Zeitung gelesen hatte, mit bitterer Miene.

Er sah Isadora Rubin eindringlich an. »Auch nach dreizehn Jahren weigern sich viele hier unten immer noch, das Ende der Sklaverei zu akzeptieren. Es sind Menschen wie Sie, Mrs. Rubin, die dieses Denken verändern können.«

Sie erwiderte seinen Blick verblüfft, dann lachte sie leise. »Sie schmeicheln mir, mein Lieber. Das freut mich, obwohl Sie meine Möglichkeiten ganz gewaltig überschätzen.«

»Man sagt, Sie tragen sich mit dem Gedanken, für den Senatorenposten zu kandidieren.«

»Sagt man das …« Sie schmunzelte. »Nun, dann wird wohl etwas dran sein. Aber selbst wenn hier in Louisiana eine Frau in den Senat gewählt werden würde – was ich für nahezu unmöglich halte – dürfte das kaum dazu führen, dass sich die Rednecks mit einem Schlag in friedfertige und weltoffene Menschen verwandeln. Wir kämpfen gegen feste Glaubenssätze an, die seit über zwei Jahrhunderten gelten.«

»Mit einem Schlag wohl kaum«, gab Lassiter zu. »Aber Stück für Stück kann man die Dinge vielleicht zum Besseren verändern.«

Und das hatte Isadora Rubin bereits bewiesen, wie Lassiter, der ihren Werdegang in den Journalen interessiert verfolgt hatte, bewusst war.

Die Witwe eines Zeitungsverlegers hatte schon als junge Frau Eigensinn und Willensstärke bewiesen, als sie an der Universität Jura studierte und mit Auszeichnung abschloss. Damals war sie unter über vierhundert Studenten die einzige Frau gewesen – und die zweitbeste ihres Jahrgangs, als sie ihr Diplom entgegennahm.

Ihr Gatte, Mycroft Rubin, hatte Isadoras Ambitionen nie im Weg gestanden, sondern sie auch gegen Widerstände in der eigenen Familie unterstützt. Deshalb war sie zunächst mit verantwortungsvollen Aufgaben im Verlagshaus betraut worden, bis sie eine Anwaltskanzlei in Washington aufbaute und sich bald als »streitbare Kämpferin für die Rechte des kleinen Mannes« hervortat, wie die Washington Post sie einmal in einem Artikel tituliert hatte.

Als ihr Mann, Kongressabgeordneter und vehementer Verfechter von Bürgerrechten, einem Attentat zum Opfer fiel, hatte sich Isadora Rubin aus der Hauptstadt zurückgezogen, um in ihrer Heimat Louisiana weiter für ihre Ideale zu streiten. Ihre Prominenz hatte den Demokraten vor zwei Jahren überraschend zu einem Sieg verholfen, sodass sie nun als attraktives Aushängeschild ihrer Partei bei den bevorstehenden Senatswahlen galt.

Während ihrer Zeit in Washington hatte sie enge Beziehungen zu liberalen Regierungsmitgliedern gepflegt, was schließlich dazu führte, dass man sie darum bat, als Kontaktperson der Brigade Sieben im Süden der Staaten zu fungieren. Sie hatte diese Aufgabe bereitwillig übernommen, einerseits aus patriotischem Pflichtgefühl, andererseits, weil diese konspirative Aufgabe ihrer Begeisterung für Abenteuer und dem Kampf gegen das Verbrechen jenseits von Gerichtssälen entsprach.

Außerdem traf sie hier in der Provinz nur selten auf so attraktive und aufregende Männer wie Lassiter. Das Leben einer wohlhabenden, politisch engagierten und relativ jungen Witwe in Louisiana gestaltete sich im Allgemeinen nämlich weit weniger ereignisreich, als man glauben mochte.

Während sie am Kaffee nippte, musterte sie Lassiter unauffällig über den Rand der Tasse hinweg. Der Agent der Brigade Sieben hatte das Dossier vor sich liegen und studierte die beiden Seiten aufmerksam. Sie registrierte, wie eine Schweißperle über seine gerunzelte Stirn hinablief und in der rechten Augenbraue hängenblieb.

»Hoffentlich komme ich nicht zu spät«, brummte er, ohne aufzusehen. »Die Islingtons scheinen in der Gegend ja so etwas wie Halbgötter gewesen zu sein.«

»Untertreiben Sie nicht, Lassiter«, erwiderte Isadora sarkastisch. »Das Wort des alten Walter Islington hatte dort mehr Einfluss als die Bibel, darauf würde ich wetten. Dem Clan gehören praktisch sämtliche Ländereien im Umland und der Großteil von Newchurch.« Sie zögerte einen Moment, bevor sie hinzufügte: »Den Sheriff eingeschlossen, fürchte ich. Wäre nicht zufällig ein Deputy Marshal aus Alexandria in der Stadt gewesen, hätten wir möglicherweise gar nichts von dieser Geschichte erfahren.«

Lassiter schaute auf. »Sobald sie Freddy greifen, werden sie also wahrscheinlich kurzen Prozess mit ihm machen.« Er klopfte mit dem Finger auf das Dossier. »Wann hat sich dieses Dilemma denn abgespielt?«

»Vor drei Tagen«, antwortete Isadora. »Es ist ein Glücksfall, dass Sie gerade in der Gegend waren.«

Lassiter verzog die Lippen und erhob sich. »Das wird sich noch zeigen, Isadora. Drei Tage sind eine lange Zeit, wenn man mit Bluthunden durch die Sümpfe gehetzt wird.«

»Sie wollen sofort aufbrechen?«

»Natürlich.«

Isadora nickte. Das war bedauerlich, aber nachvollziehbar.

Er sah sie eindringlich an. »Gibt es in Newchurch jemandem, dem wir vertrauen können?«

Ihr humorloses Lächeln war Antwort genug.

»Hey, Mädchen! Wo bleibt mein Bier?!«

Das Mädchen haut dir gleich die letzten Zähne aus dem Gesicht, du stinkender Esel!, dachte Deborah Wilkins, während sie dem Mann vor der Theke ein schmales Lächeln zuwarf und höflich nickte. »Kommt sofort, Mister …«

»Mit dem Mister kannst du dir deinen knackigen Hintern abwischen«, knurrte ihr einziger Gast und grinste anzüglich. »Aber warte damit, bis ich mein Glas vor mir stehen habe.«

Sie schob einen der Krüge unter den Zapfhahn, senkte den Kopf und rollte mit den Augen, sobald das Bierfass sich zwischen ihr und dem Besucher befand. Als sie den Hebel nach unten zog, lief das Bier ins Glas und brodelte dabei leise.

»Mein Name ist Randy«, informierte er sie. »Alles klar? Einfach Randy, keine Misterscheiße. Du bist hier in Newchurch, Schätzchen, da redet man nicht so geschwollen daher.«

Der Schaum lief über den Rand des Krugs. An ihrer Technik würde sie noch arbeiten müssen, was kein Wunder war, denn sie hatte nie zuvor hinter einer Theke gearbeitet.

Deborah schob den Hahn zurück und atmete einmal tief durch, bevor sie aus der Deckung des Fasses kam und das Bier auf den Tresen stellte.

»Okay, Randy. Mein Name ist Deborah«, sagte sie und gab sich Mühe, dabei so rustikal zu klingen, wie man es vermutlich von einer Barkeeperin im tiefsten Süden erwartete.

Der Mann am Tresen strich sich belustigt über den graumelierten Stoppelbart. Eigentlich wirkte er gar nicht so unsympathisch, trotz der schlechten Zähne und seiner ungepflegten Kleidung. »Debby, ja? Gefällt mir, der Name …« Unverfroren starrte er auf ihre Brüste, die sich unter dem Stoff abzeichneten. Selbst das weit geschnittene Männerhemd konnte ihre üppige Oberweite nur unzureichend verbergen. »Und wie heißen diese beiden knackigen Teilchen da?«

Sie sah Randy reglos in die Augen, während der sich schamlos die Lippen leckte.

»Wenn sie reden könnten, würden sie sich vielleicht vorstellen wollen und deine Nüsse fragen, wie deren Namen lauten«, sagte sie und schaute im nächsten Moment zur Decke, als müsse sie über ihre Worte nachdenken.

»Aber nein, das würden sie wohl doch nicht. Weil die ja wohl so klein sind, dass sie selbst unter deinem winzigen Schwanz verschwinden … wie sollten sie sie da bemerken?« Herausfordernd starrte sie ihrem Gegenüber in sein von tiefen Falten zerfurchtes Gesicht.

Dem Mann blieb der Mund offen stehen, und er glotzte sie sekundenlang verblüfft an, bevor er lauthals losprustete. Der Lachanfall ließ ihn auf dem Barhocker vor und zurück schwanken, und über Brust und Bauch spannte sich der Stoff seines Hemds bedrohlich.

»All devils, Debby«, brachte er nach einer Weile hervor. »Du bist nicht auf den Mund gefallen, das muss der Neid dir lassen!«

Seine Miene veränderte sich, während er sich die Tränen aus den Augen wischte, und wirkte nun wohlwollend auf fast väterliche Art. Er beugte sich vor und streckte ihr über die Theke hinweg die Hand entgegen. »Also nichts für ungut, okay … Randolph Scott, mir gehört der Eisenwarenladen unten an der Straße. Willkommen in Newchurch, Miss Debby …«

Sein schiefes Grinsen brachte sie zum Lachen, und sie schlug ein. »Sind Sie so eine Art Späher, Randy? Oder trinkt man sein Bier in Newchurch erst nach Sonnenuntergang?«, fragte sie mit einem kurzen Blick durch die Fenster. Seit sie denSaloon vor zwei Stunden aufgemacht hatte, waren ihr die neugierigen Blicke der Männer und Frauen draußen auf der Straße nicht entgangen, doch Randy war der einzige gewesen, der den Weg durch die Schwingtüren gefunden hatte. Dafür, dass die einzige Kneipe in Newchurch nach Wochen erstmals wieder Besucher empfing, war das gelinde gesagt eine verhaltene Reaktion.

Scott wedelte mit der Hand in der Luft und zwinkerte. »Damit liegst du nicht so weit daneben«, erwiderte er und nahm einen kräftigen Schluck Bier. Er schien es im Mund zu prüfen, bevor er es die Kehle hinablaufen ließ und anerkennend nickte.

»Ist besser als die Plörre, die man bei Hunter vorgesetzt bekam«, brummte er.

»Hunter war mein Onkel«, entgegnete Debby, und Scott nickte achselzuckend. »Das weiß ich doch, Mädchen. Seine letzte noch lebende Verwandte, hab ich recht?«

»In einer so kleinen Stadt gibt es wohl wenige Geheimnisse«, bemerkte sie lächelnd, doch darauf schüttelte Scott den Kopf.

»Da täusch dich mal nicht, Mädchen.« Er wich ihrem Blick aus, indem er aus dem Fenster sah. »Hunter war ein feiner Kerl«, sagte er mit leiser Stimme, in der aufrichtiges Bedauern mitschwang. »Tragisch, dieser Unfall.«

Sie nickte. »Wissen Sie mehr darüber? Man hat mir nur mitgeteilt, dass er in den Sümpfen ertrunken sei.«

»Ja, die Sümpfe sind tückisch.« Scott hatte ihr immer noch den Rücken zugewandt und stützte sich mit dem rechten Arm auf dem Tresen auf, während er einen weiteren Schluck aus dem Bierkrug nahm. »Besser, du hältst dich fern von ihnen, Debby. Wer sie nicht kennt, den verschlingen sie mit Haut und Haaren und geben ihn nie wieder her.«

Das war keine Antwort auf ihre Frage gewesen, doch sie ahnte, dass ein Nachhaken seinen Unmut erregen würde, und verspürte keine Lust, die zarten Bande, die sie zu ihrem ersten Gast geknüpft hatte, zu gefährden. Also wechselte sie das Thema und hoffte, das Gespräch damit in unverfänglichere Gefilde zu lenken.

»Heute Morgen hat der Sheriff mit einer Gruppe von Reitern die Stadt verlassen. Wohin wollten die denn, Randy? Sie wirkten sehr …«, sie zögerte, während sie nach dem passenden Wort suchte, »… entschlossen.«

Scott drehte sich um und musterte sie forschend. »Sag bloß, du hast davon nichts mitbekommen?«

Debby hob die Achseln. »Ich bin doch erst Anfang der Woche nach Newchurch gekommen. Und die letzten drei Tage war ich in Alexandria, Vorräte einkaufen.« Sie deutete auf den Bierkrug in seiner Hand und lächelte. »Unter anderem ein halbes Dutzend Fässer von dem Bier da, das offenbar deinen Geschmack trifft.«

Ihr Lächeln wurde nicht erwidert. Stattdessen starrte Scott mit düsterer Miene in seinen Krug. Für fast eine halbe Minute breitete sich ein unheilvolles Schweigen zwischen ihnen aus, bis er endlich antwortete.

»Die Islingtons. Sie wurden ermordet. Die ganze Familie, regelrecht abgeschlachtet von diesem miesen Schwein aus dem Norden.«

»Die … was …?« Debbys Augen weiteten sich entsetzt. Obwohl sie neu in der Stadt war, sagte ihr der Name Islington natürlich etwas. Und sie glaubte auch, zu wissen, wen Randy mit dem »Schwein aus dem Norden« meinte.

Scott nickte und schob sich den Hut in den Nacken. »Ich erspare dir die Details«, brummte er mit einer wegwerfenden Geste. »Das ist nichts für junge Mädchen wie dich. Aber es ist wahr – sie sind alle tot, bis auf Peggy.« Er warf Debby einen kurzen Blick zu, und seine bekümmerte Miene ließ sie erschaudern. »Sie müsste in etwa in deinem Alter sein. Der Bastard hat sie wohl entführt und versteckt sich jetzt irgendwo in den Sümpfen im Westen. Sheriff Traven, sein Deputy und ein Dutzend Freiwilliger suchen seit gestern nach ihnen, aber bisher ohne Erfolg.«

Scott ballte die Faust. »Ich bete darum, dass sie ihn kriegen, aber mehr noch, dass er dem armen Mädchen nichts zuleide getan hat.«

Debby runzelte ungläubig die Stirn. Denn es schien unvorstellbar, dass der höfliche junge Mann, der sich ihr als Freddy LaForge vorgestellt hatte, ein kaltblütiger Mörder sein sollte.

Als sie sich an die Fahrt mit der Postkutsche erinnerte, die sie und LaForge von Alexandria nach Newchurch gebracht hatte, tauchten die markanten, stets leicht spöttisch wirkenden Züge des schneidigen Mannes in ihrem Geist auf, und sie schüttelte leicht den Kopf.

Er hatte ein wenig mit ihr geflirtet und sie mit amüsanten Anekdoten unterhalten, doch dabei war ihr nicht entgangen, dass sich hinter seiner scheinbar unbeschwerten Art etwas verbarg – eine unsichtbare Bürde, die auf seinen Schultern zu lasten schien.