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Höllenritt mit Julienne
Drückende Sommerhitze lastete auf der Wüstenlandschaft. Der Wind trieb Tumbleweeds über den kargen Sandboden. Jebediah Sheffield wirbelte die Peitschenschnur durch die Luft und feuerte seine Pferde an. Bis zum Abend musste die Postkutsche in Phoenix sein. Das waren noch gut dreißig Meilen.
Rumpelnd rollte das Gefährt südwärts. Eine Eidechse sonnte sich auf dem Trail, glitt jedoch pfeilschnell aus dem Weg, als sich das Gefährt näherte. Jeb stieß seinen Begleiter in die Seite, der mit der Winchester im Schoß neben ihm döste. "Fürs Pennen wirst du nicht bezahlt", knurrte er. Dabei entging ihm das verräterische Aufblitzen auf einem der nahen Hügel. Ein Signal, das Ärger verhieß ...
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Seitenzahl: 135
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Höllenritt mit Julienne
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Boada/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8322-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Höllenritt mit Julienne
Drückende Sommerhitze lastete auf der Wüstenlandschaft. Der Wind trieb Tumbleweeds über den kargen Sandboden. Jebediah Sheffield wirbelte die Peitschenschnur durch die Luft und feuerte seine Pferde an. Bis zum Abend musste die Postkutsche in Phoenix sein. Das waren noch gut dreißig Meilen.
Rumpelnd rollte das Gefährt südwärts. Eine Eidechse sonnte sich auf dem Trail, glitt jedoch pfeilschnell aus dem Weg, als sich das Gefährt näherte. Jeb stieß seinen Begleiter in die Seite, der mit der Winchester im Schoß neben ihm döste. »Fürs Pennen wirst du nicht bezahlt«, knurrte er. Dabei entging ihm das verräterische Aufblitzen auf einem der nahen Hügel. Ein Signal, das Ärger verhieß …
Sie würde hier sterben.
Da war sich Julienne absolut sicher. Sie würde in dieser Postkutsche verschmachten, denn die Hitze war schlichtweg unerträglich. Keine Wolke trübte den blauen Arizonahimmel. Und auch der Fahrtwind brachte keine Erleichterung. Im Gegenteil. Jeder Atemzug fühlte sich an, als würde Julienne ihn durch eine Schicht glühend heißer Baumwolle inhalieren.
Sie nestelte am engen Kragen ihres Reisekostüms und fing sich prompt einen strafenden Blick ihrer Mutter ein. Molly McGill war der Ansicht, dass eine Dame jederzeit tadellos aussehen müsse, selbst wenn es sie umbrachte. Und das würde es, daran zweifelte Julienne nicht. Inzwischen rann ihr der Schweiß in Rinnsalen zwischen den Brüsten hinab. Julienne sehnte sich nach einer Abkühlung. Oh, was würde sie jetzt für ein Glas mit gekühlter Zitronenlimonade geben! Ein Seufzer entfuhr ihr.
»Soll ich dem Kutscher zu verstehen geben, dass wir eine Pause wünschen?« Mister Longfellow saß ihr gegenüber und beugte sich fragend vor. Dabei streifte seine Hand wie zufällig ihr Knie. Mit seinem schmalen, bärtigen Gesicht und den grauen Augen erinnerte er Julienne an ein Wiesel. Während der Fahrt hatte er von den Geschäften erzählt, wegen denen er im Norden gewesen war. Er besaß mehrere Kupferminen und hatte neue Arbeiter rekrutiert. »Wir könnten eine Rast machen, damit Sie sich erholen können, Miss«, legte er nach.
Julienne spähte aus dem Kutschenfenster. In der hügeligen Weite gab es weder Schatten noch einen Unterschlupf. Vereinzelte Mesquite-Bäume sprenkelten die staubige Landschaft. Hier und da reckten mannshohe Kakteen ihre stacheligen Arme in den Himmel. Doch auch die wirkten nicht sehr einladend …
»Wir haben keine Zeit für eine Rast«, enthob ihre Mutter Julienne einer Antwort. »Wir müssen Phoenix noch vor Anbruch der Nacht erreichen. Also weiter!« Ihr Tonfall hätte eine Kompanie erschöpfter Soldaten zum Weitermarschieren bewegen können.
Julienne tastete nach ihrem Ridikül. In der Handtasche knisterte es leise. Sie trug den Brief vom Prescott Chronicle bei sich. Dabei hatte sie die wenigen Zeilen schon so oft gelesen, dass sie sich in ihr Gedächtnis eingebrannt hatten.
… halten wir Ihre journalistischen Bemühungen für durchaus lobenswert. Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass unsere Leser kein Interesse an Pannen bei der Bewässerung der Maisfelder im Süden haben. Sollten Sie jedoch einen Artikel schreiben, der für uns von Belang ist, freuen wir uns, von Ihnen zu hören …
Julienne grub die weißen Zähne in die Unterlippe.
Warum wollten die Leser des Chronicle denn nichts über die merkwürdigen Vorfälle lesen, die die Maisernte in ihrem Heimatort bedrohten? Shallow Water mochte ein kleiner Ort sein, aber er lieferte genug Mais, um die gesamte Region zu versorgen. Möglich wurde das durch ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem, mit welchem dem trockenen Wüstenland die Ernte entrungen wurde. Den Erbauern hatten Ruinen der Hohokam als Vorbild gedient. Seit einigen Wochen fiel die Bewässerung immer wieder aus. Man munkelte, dass jemand die Anlage sabotierte. Womöglich ein Minenbesitzer wie Mister Longfellow einer war. Jemand, der die Bodenschätze ausbeuten wollte, die unter den Feldern schlummerten, und dem die Farmer im Weg waren.
Julienne hatte einen Artikel über die Ereignisse verfasst. Sie brannte darauf, als Journalistin zu arbeiten, seitdem sie die Schule beendet hatte. Offenbar gab es in ihrem Heimatort jedoch nichts, das für die Zeitungsleute in Prescott von Interesse war. Die Enttäuschung darüber wühlte wie ein Nagetier an ihren Eingeweiden.
Mister Longfellow hatte eine Ausgabe des Chronicle neben sich auf den Polstern der Kutsche liegen. Als Julienne ihn bat, einen Blick hineinwerfen zu dürfen, schaute er sie indigniert an, überließ ihr das Blatt jedoch.
Während die Kutsche weiterfuhr, wurden die drei Passagiere im Inneren gehörig durchgerüttelt. Mit Fingern, lang und dünn wie Spinnenbeine, zog Mister Longfellow ein Taschentuch aus seiner Jacke und tupfte seine Stirn ab. Molly McGiff starrte grimmig vor sich hin. Julienne wiederum studierte die Zeitung und stieß dabei auf eine Annonce.
»Hier offeriert ein Zahnarzt seine Dienste.« Sie tippte auf die entsprechende Stelle. »Er reist umher und macht gerade in Phoenix Station. Diese Gelegenheit sollten wir nutzen.«
Ihre Mutter verzog das Gesicht, als wäre Julienne ihr geradewegs auf den großen Zeh getreten. Schon seit Wochen wurde Molly McGill vom Zahnweh geplagt. Inzwischen konnten weder Nelkenöl noch Spülungen mit Salzwasser oder Whiskey etwas dagegen ausrichten. Die Aussicht auf einen Besuch bei dem Zahnarzt schien sie jedoch nicht gerade zu erfreuen.
»Einen Zahn zu ziehen kostet bei ihm vier Dollar«, las Julienne laut vor. »Eine Wurzelresektion schlägt mit acht Dollar zu Buche. Dafür wird einem für einen versehentlich gezogenen gesunden Zahn nichts berechnet.«
»Wie beruhigend«, murmelte ihre Mutter.
»Vielleicht sollten wir die Fahrt in Phoenix unterbrechen und erst mit der nächsten Postkutsche nach Hause reisen?«
»Kommt nicht in Frage. Wir fahren wie geplant weiter. Nach unserem Besuch bei Tante Margery hat dein Vater uns lange genug entbehren müssen.«
»Aber der Zahnarzt wird bald nach Prescott weiterziehen.«
»Soll er. Einen fremden Quacksalber lasse ich ohnehin nicht an mein Gebiss. Die Schmerzen sind von allein gekommen, also werden sie auch von allein wieder verschwinden.« Damit war für Molly McGill die Sache erledigt. »Was steht noch in der Zeitung?«
»Banditen haben vor zwei Tagen die Poststelle in Phoenix überfallen und den Postmeister angeschossen. Danach haben sie sich mit zweihundert Dollar Beute aus dem Staub gemacht.« Julienne strich über den Artikel. »Oh, ich wünschte, ich wäre da gewesen, um darüber zu berichten.«
»Das wünschst du dir bestimmt nicht!« Ihre Mutter schnappte so entrüstet nach Luft, als hätte sie beschlossen, Hosen anzuziehen. »Das war ein Überfall. Und gefährlich!«
»Ich hätte trotzdem gern darüber geschrieben.«
Sie arbeiten für die Zeitung, Miss McGill?« Mister Longfellow zog eine dünne Augenbraue hoch.
»Noch nicht, aber ich möchte es gern.« Julienne hörte ihre Mutter etwas murmeln, das nicht zu verstehen war, sich aber eindeutig nach Protest anhörte. Im Gegensatz zu ihrem Vater war ihre Mutter absolut gegen ihre Ambitionen.
»Es ist nicht die Sache einer Frau, einer Arbeit nachzugehen«, fand Mister Longfellow. »Die Frau hat die Ehre, dem Mann beizuliegen und ihm Kinder zu gebären. Das genügt vollauf.«
»Manche Frauen möchten mehr aus ihrem Leben machen«, erwiderte Julienne.
Daraufhin sah ihr Gegenüber sie so verdutzt an, als wäre ihm dieser Gedanke niemals in den Sinn gekommen. »Was könnte eine Frau noch mehr erstreben wollen?«
»Oh, eine ganze Menge. Ich zum Beispiel möchte einen Beruf ergreifen, der mich glücklich macht.«
»Das wird die Aufgabe Ihres zukünftigen Ehemannes sein, Miss McGill. Frauen sollten ihren hübschen Kopf nicht durch zu viel Nachdenken belasten, dafür sind sie nicht gemacht. Das Denken schadet ihrer Schönheit, nicht wahr?«
Julienne widerstand dem Impuls, Mister Longfellow ihren ›hübschen Kopf‹ geradewegs in die Magengrube zu rammen. Sie suchte noch nach einer passenden Erwiderung, als vor der Kutsche plötzlich Schüsse peitschten.
»Indianer!«, stieß ihre Mutter hervor und wurde blass.
»Unmöglich«, ächzte Mister Longfellow. »Das würden sie nicht wagen. Wir sind nicht weit von Fort McDowell entfernt. In dieser Gegend sorgt die Army für Ordnung.«
Juliennes Mutter gestattete sich ein verächtliches Schnauben. »Seit dem Ende des Bürgerkriegs gibt es ständig Aufstände. Wir sollten nicht so dumm sein, die Indianer zu unterschätzen.«
»Oder die Armee zu überschätzen«, ergänzte Julienne, denn sie wusste genau, dass die Lage in der Region noch lange nicht sicher war. Sie hörte den Kutscher mit der Peitsche knallen. Er brüllte die Pferde an, schneller zu laufen. Julienne klammerte sich an den Rahmen des Fensters in der Wagentür und spähte hinaus. Der Anblick, der sich ihr bot, ließ ihren Magen vor Schreck einen Salto schlagen. Sieben Reiter preschten in vollem Galopp auf die Postkutsche zu. Ihre vermummten Gesichter ließen nichts Gutes ahnen. Banditen!
Die Kerle hielten jeder ein Schießeisen in der Faust und ballerten wild drauflos.
Kugeln zischten an Julienne vorbei wie wütende Bienen.
Hastig zog sie den Kopf zurück.
Ihre Mutter faltete die Hände und begann halblaut, den Psalm 23 zu murmeln.
»Das sind keine Indianer!«, gellte Mister Longfellow, der nun seinerseits aus dem Wagenfenster spähte. »Es sind Banditen! Sie wollen die Kutsche zum Anhalten zwingen!«
Falls das die Absicht der Kerle war, so scheiterten sie vorerst, denn der Kutscher ließ seine Pferde noch schneller laufen. Den Passagieren im Inneren verging Hören und Sehen, als sie dermaßen durchgerüttelt wurden.
Zischend zackte eine Kugel in das Holz der Kutschentür. Späne flogen und schrammten dem Minenbesitzer die Wange blutig. Ein derber Fluch entfuhr ihm.
Julienne bückte sich und tastete nach dem Messer, das sie in einer unter ihren Röcken verborgenen Scheide am Bein trug. Als eines der Räder durch ein Bodenloch fuhr, schlug die junge Frau mit dem Kopf gegen die Wagentür. Kurz blitzten Sterne vor ihren Augen auf.
Die Augen quollen dem wieselartigen Mann auf den gegenüberliegenden Polstern beinahe aus dem Kopf, als sie unter ihre Röcke griff. Durch die wilden Auf und Ab Bewegungen der Kutsche bekam sie ihr Messer nicht gleich zu fassen und tastete weiter unter ihren Röcken.
»M-Miss McGill?«
»Julienne? Was um alles in der Welt tust du denn da?«
»Oh, verflixt noch mal …« Da! Endlich hatte sie ihr Messer in der Hand. Sie packte es, bereit, sich im Fall der Fälle zu verteidigen.
»Julienne?« Ihre Mutter sah sie entsetzt an.
Mister Longfellow zog den Revolver aus seinem Gürtel. »Machen Sie sich keine Sorgen, Miss McGill. Ich werde Sie erschießen, bevor sich die Kerle an Ihnen vergehen können. Darauf haben Sie mein Wort.«
»Wagen Sie es ja nicht«, schnaubte Julienne.
»Aber es ist meine Pflicht …« Weiter kam der Unternehmer nicht, weil sich die Kutsche unvermittelt heftig nach rechts neigte. Ein scharfer Ruck ging durch das Gefährt. Und bevor sich einer der Passagiere besinnen oder irgendwo festhalten konnte, wurde die Kutsche plötzlich wie von einer Urgewalt gepackt und durch die Luft gewirbelt!
Oben und unten vermischten sich.
Schreie gellten und übertönten sogar die Schüsse draußen.
Dann prallte die Kutsche hart auf dem Erdboden auf. Staub wirbelte herein. Das Gefährt rutschte noch etliche Yards weiter und blieb auf einer Seitentür liegen.
Benommen blinzelte Julienne. Staub kroch in ihre Atemwege und reizte sie zum Husten. Oh … Ihr Körper fühlte sich an wie ein einziger blauer Fleck. Immerhin war noch Atem in ihr. Ein leises Wimmern kroch in ihrer Kehle hoch. Ihr Kopf! Er fühlte sich an, als wäre er mitten entzweigebrochen. Sie tastete nach ihrer Schläfe, spürte eine warme, klebrige Flüssigkeit und einen scharfen Schmerz. Ihre blonden Locken hatten sich aus der Hochsteckfrisur gelöst. Energisch schob sie sich die Strähnen aus dem Gesicht und kämpfte gegen die Schmerzen an.
Neben ihr regte sich ihre Mutter mit einem Stöhnen.
Julienne stemmte sich hoch. Auch ihr Mitreisender rappelte sich keuchend auf. Sein Atem pfiff, als hätte er ein Loch im Brustkorb. Blut floss über seine rechte Wange.
Sie hatte ihr Messer losgelassen, als sich die Kutsche überschlagen hatte. Wo war es nur abgeblieben?
Julienne schaute sich um, konnte es jedoch nicht entdecken.
Dafür wurde die Kutschentür aufgerissen, und ein mit einem Tuch maskiertes Gesicht tauchte in der Öffnung über ihr auf. Dunkle Augen musterten sie prüfend. Dann wurde sie gepackt und unsanft aus der Kutsche gezerrt.
»Lassen Sie mich los!« Julienne strampelte und kratzte, aber der Vermummte ließ sich nicht beeindrucken. Er stellte sie im Freien auf die Füße und beugte sich wieder über die Kutsche.
Julienne drehte den Kopf – und bereute es sofort, denn nur wenige Armlängen von ihr entfernt lag der Kutscher im Staub. Sein Kopf war unnatürlich nach hinten verdreht. Er musste sich bei dem Unglück das Genick gebrochen haben.
Wenige Yards weiter rechts lag sein Begleiter. Sein Hemd war dunkel vom Blut. Eine Kugel hatte seinen Unterkiefer weggerissen. Hastig wandte Julienne den Blick ab. Trotzdem stieg es sauer in ihrer Kehle hoch.
Ihre Mutter kletterte aus der Kutsche. Keiner der Banditen hielt sie davon ab.
Rasch fasste Julienne nach ihrem Arm und half ihr beim Aussteigen.
Matt sanken sie nebeneinander auf den staubigen Trail.
Der Schock ließ Juliennes Atem rasen. Die Pferde … Ihr blutete das Herz. Zwei der Tiere regten sich nicht mehr. Sie schienen bereits tot zu sein. Die beiden anderen bluteten aus etlichen Wunden. Sie stießen klägliche Laute aus und versuchten, wieder auf die Beine zu kommen, aber die versagten ihnen den Dienst.
Juliennes Augen füllten sich mit Tränen.
Sechs Reiter umringten die Kutsche, jeder hielt einen Revolver in der Faust.
Aus dem Inneren des Gefährts drangen die Schmerzensrufe von Mister Longfellow.
Der siebte Halunke stand noch immer auf einem der Kutschenräder. Mit seinem Revolver zielte er in das Innere der Kutsche. Dann gab er zwei Schüsse ab.
Jäh brachen die Schmerzenslaute ab.
Julienne rieselte ein Schauder über den Rücken.
War dies das Ende, das die Kerle auch für sie vorgesehen hatten?
Der Bandit stieß etwas auf Spanisch hervor. Es klang wie ein Fluch.
Bevor Julienne länger über die Bedeutung seiner Worte nachgrübeln konnte, richteten die Banditen ihre Revolver unvermittelt auf sie – und drückten ab!
Julienne schrie vor Entsetzen. Ihr Herzschlag sprengte beinahe ihre Brust.
Wenige Lidschläge später dämmerte ihr, dass sie immer noch atmete, und sie erkannte, dass die Kerle nicht sie ins Visier genommen hatten.
Sie hatten auf ihre Mutter gezielt!
Molly McGill sank mit einem Wehlaut in den Staub. Ein Zucken lief noch durch ihre Gestalt. Dann lag sie reglos und starrte mit gebrochenem Blick in den blauen Arizonahimmel.
»Nein!« Verzweifelt beugte sich Julienne über ihre Mutter und rüttelte sie an den Schultern. »Nein, bitte … Lass mich nicht allein. Bitte …« Einer der Kerle lenkte sein Pferd neben sie, packte Julienne und zerrte sie unsanft vor sich auf sein Pferd.
»Neeein!« Julienne wollte sich seinem Griff entwinden, aber er hielt sie gepackt wie eine Stahlklammer. Weder ihr Schluchzen noch ihr Flehen schienen zu ihm durchzudringen. In der einen Hand hielt er die Zügel, mit der anderen hielt er Julienne fest, während er seinem Pferd die Schenkel in die Flanken presste.
Gefolgt von der Horde ritten sie los.
☆
Lassiter döste im Sattel.
Die Eintönigkeit der staubigen Wüstenlandschaft wirkte einschläfernd. Die Umgebung bot kaum mehr als trockene Büsche und Kakteen. Seit etlichen Meilen war er keiner Menschenseele mehr begegnet. Ein Wunder war das nicht. Wer setzte sich schon freiwillig dieser sengenden Hitze aus?
Lassiter blieb keine andere Wahl, denn er wurde erwartet. In seiner Tasche knisterte das Telegramm, das ihn am vergangenen Tag erreicht hatte: ein Hilferuf eines alten Bekannten. Vincent McGill, seines Zeichens Anwalt und ein ehemaliger General, hatte ihn kontaktiert. Lassiter sollte ihn aufsuchen, um die Details seiner neuen Mission zu erfahren.
Lassiter ritt im Auftrag der Brigade Sieben und kümmerte sich um Verbrechen, an denen sich die örtlichen Sternträger die Zähne ausbissen. Bei seiner Arbeit war er auf sich gestellt, aber das störte ihn nicht. Er arbeitete am liebsten allein.
Nachdem er die Nacht über durchgeritten war, hatte er sein Ziel beinahe erreicht.
Sein Pferd trabte gemächlich voran. Lassiter hatte den Pinto einem alten Fallensteller abgekauft. Wegen seiner Größe und seinem braun-weiß gefleckten Fell hatte der Oldtimer das Reittier Big Paint genannt. Der Hengst war eigenwillig, verfügte jedoch über gute Instinkte. Hier draußen war ein Mann gut beraten, sich auf sein Pferd zu verlassen. Dessen Sinne bemerkten eine Gefahr meist früher als der Reiter. Solange der Pinto sich ruhig verhielt, konnte Lassiter ziemlich sicher sein, dass keine unliebsame Überraschung in der Nähe lauerte.
Eine Staubwolke hinter sich her ziehend, ritt er südwärts.
Plötzlich ruckte der Kopf seines Pferdes nach oben.
Die Ohren des Hengstes spielten, als hätte er etwas gehört!
Lassiter schaute sich wachsam um.