Lassiter 2458 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2458 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Mit einem Stiefel in der Hölle

Das Land unter den Hufen seines Pferdes war wie Feuer. Risse zogen sich durch die trockene Erde. Die Sonne versengte die wenigen Halme, die abseits des Trails wuchsen. Ungefähr eine halbe Meile vor ihm kreisten Bussarde über einer kleinen Senke.
John Exley ließ sein Reittier anhalten und richtete sich im Sattel auf. Das Leder knirschte. Mit einer Hand hielt er den Zügel, während er die Augen verengte und einen merkwürdigen Klumpen im Staub gewahrte. Die Raubvögel stritten sich um etwas, das dort lag ...

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Seitenzahl: 133

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

Mit einem Stiefel in der Hölle

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: Boada/Norma

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-8501-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Mit einem Stiefel in der Hölle

Das Land unter den Hufen seines Pferdes war wie Feuer. Risse zogen sich durch die trockene Erde. Die Sonne versengte die wenigen Halme, die abseits des Trails wuchsen. Ungefähr eine halbe Meile vor ihm kreisten Bussarde über einer kleinen Senke.

John Exley ließ sein Reittier anhalten und richtete sich im Sattel auf. Das Leder knirschte. Mit einer Hand hielt er den Zügel, während er die Augen verengte und einen merkwürdigen Klumpen im Staub gewahrte. Die Raubvögel stritten sich um etwas, das dort lag …

Um etwas? Der Farmer kniff die Augen zusammen. Nein, um jemanden! Ein Mensch lag dort vorn im Staub – oder vielmehr das, was von ihm übrig war!

John Exley zerbiss einen Fluch auf den Lippen, spornte sein Pferd mit einem Zungenschnalzen an und ritt zu dem Toten hinüber. Es konnte keinen Zweifel geben: Der arme Teufel hatte sein Leben ausgehaucht. Furchtbare Wunden zeugten von den Raubtieren, die sich über ihn hergemacht hatten. Lediglich seine Statur verriet noch, dass es sich um einen Mann gehandelt haben musste. Staub haftete an seinen dunklen Haaren. Und seine Finger krallten sich in den Boden, als wollten sie ihm ein paar Tropfen kostbares Nass entringen.

Ob er hier draußen verdurstet war?

Sein Körper wies zahlreiche Wunden auf, aber die schienen von Schnäbeln und Krallen zu stammen. Vermutlich waren sie ihm erst nach seinem Tod zugefügt worden. Außerdem trug er nicht einen Fetzen Kleidung am Leib!

Die drei Bussarde flogen über John Exley hinweg und stießen schrille Rufe aus. Die Störung schien ihnen ganz und gar nicht zu behagen. Der Farmer zog seinen Colt aus dem Holster, lud durch und schoss einmal in die Luft. Mit kräftigen Flügelschlägen suchten die Vögel das Weite.

John Exley stieg vom Pferd und beugte sich über den Toten. Dabei fiel ihm der Siegelring an dessen linker Hand auf.

Zischend zog er den Atem ein.

Diesen Ring kannte er! Der gehörte dem Lehrer! Oliver Flint! Er hatte vor Jahren einmal erwähnt, dass es ein Erbstück war.

Grundgütiger, was hatte der Schulmeister hier draußen verloren?

Der Farmer rieb sich das bärtige Kinn.

Auf keinen Fall ist er einem Raub zum Opfer gefallen, überlegte er sich. Die Kerle hätten den schweren Goldring wohl kaum zurückgelassen. Was mache ich denn nun mit ihm? Eigentlich sollte ich weiterreiten, aber wenn ich ihn hierlasse, werden die Raubvögel zurückkommen und da weitermachen, wo ich sie gestört habe. Das kann ich nicht zulassen.

Der Farmer stapfte zu seinem Pferd, holte die Decke, die verschnürt am Sattel festgemacht war, und machte sich daran, den Lehrer hineinzuwickeln. Der Tote war schwerer, als er aussah. Schnaufend wuchtete John Exley ihn über den Rücken seines Pferdes. Dann schwang er sich wieder in den Sattel und ritt zurück zur Stadt.

Unterwegs prickelte sein Nacken.

Als würde er heimlich beobachtet!

Er spähte umher, konnte jedoch niemanden ausmachen.

Da ist nichts, ermahnte er sich selbst. Mir spielt nur die Hitze einen Streich. Die hat schon so manchen Mann um den Verstand gebracht. Womöglich auch unseren Lehrer. Ich kann mir jedenfalls keinen anderen Grund denken, warum er splitternackt hier draußen herumlaufen sollte.

Der Farmer zog seinen Hut tiefer in die Stirn und trieb sein Pferd an. Er sehnte sich nach einem Becher Kaffee, einem Bad und seiner Frau.

Vorher musste er den Toten abliefern. Diese Aussicht behagte ihm nicht. Sheriff Sutter würde wenig erfreut sein über seinen Fund. Ein toter Schulmeister warf etliche Fragen auf. Fragen, auf die der Sheriff Antworten finden musste.

Einen anderen Lehrer gab es im Umkreis von über dreißig Meilen nicht. Das bedeutete, die Schule würde auf unbestimmte Zeit geschlossen werden. Nun, in diesem Fall konnte ihm sein Junge auf der Farm zur Hand gehen. Hilfe kam ihm immer gelegen. Gerade jetzt, wo der Boden kaum noch eine Ernte hergab.

Wozu hatten sie eigentlich eine Bewässerung, wenn sie nicht funktionierte?

Er war an diesem Morgen unterwegs, um die Kanäle zu überprüfen. Bislang war das Resultat seines Ritts niederschmetternd: Die Wasserläufe waren so trocken wie seine Kehle. Irgendwo musste der Zulauf unterbrochen sein. Wo, das wusste er noch nicht.

John Exley liebte dieses Land – und verwünschte es zugleich.

Er war in Irland aufgewachsen und kannte das Nagen des Hungers. Seine Familie sollte es einmal besser haben, deshalb hatte er einen Ozean durchsegelt und sich hier, im Süden von Arizona, etwas Land gesichert.

Es war mühsam, dem Boden eine Ernte abzuringen. Dazu brauchte es ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem.

Gemeinsam mit anderen Farmern hatte John Exley Kanäle gebaut und den Fluss umgeleitet, um den Lehmanteil im Boden zu erhöhen und ihn fruchtbar zu machen. Vorbild waren ihnen dabei die Anlagen der lange untergegangenen Hohokam-Kultur gewesen. Und sie hatten Erfolg. Zumindest in den ersten Jahren gediehen unter ihren Händen Mais, Bohnen und Gerste. Sogar Baumwolle. Ihre Farmen versorgten den gesamten Landstrich mit Nahrung und Viehfutter. Seit einiger Zeit verdorrte ihnen der Boden jedoch unter den Händen.

Ein Zufall war das ganz sicher nicht.

Nein, jemand sabotierte ihre Bewässerung!

Nachts kamen maskierte Reiter, sprengten Zuflüsse und legten Kanäle lahm. Und sie schossen jeden nieder, der sich ihnen entgegenstellte. Danach verschwanden sie wieder. Wie Geister. Es waren jedoch keine Geister, sondern Menschen, und das bedeutete, man konnte sie bekämpfen. Die Frage war nur: Wer sollte das tun? John Exley und seine Nachbarn waren Kleinbauern und keine Soldaten. Es war die Sache des Sheriffs, ihr Tal sicher zu machen. Der sah dem Treiben jedoch tatenlos zu! Und sobald sie einen Kanal repariert hatten, wurde der nächste verschüttet. Es war eine Katastrophe!

Verbissen krampfte der Farmer die Hände um den Zügel.

Der staubige Trail führte ihn zurück zu seiner Farm.

John Exley hatte sein Haus zwischen zwei Berghängen gebaut, wo es geschützt war vor den gefürchteten Nordweststürmen. Bis zur Stadt waren es von hier aus nur wenige Meilen. Ein Wetterhahn drehte sich auf dem Dach des Farmhauses. Schweine suhlten sich vor dem Stall. Und eine Schar Hühner stob gackernd auseinander, als der Farmer sein Pferd vor dem Haus anhalten ließ.

Auf einer Leine flatterte frisch gewaschene Wäsche im Wind. Sein Sohn saß auf dem Rand des Ziehbrunnens und hielt eine Schiefertafel auf dem Schoß. Seine Zungenspitze lugte zwischen seinen Lippen hervor, während er andächtig drei Buchstaben malte: Hun.

»Fehlt da nicht noch etwas, Abel?«

»Was denn, Pa?«

»Ein t am Ende.«

Abel musterte das Geschriebene. »Huhn schreibt man mit t?«

»Huhn nicht, aber Hund. Kannst du das Wort aufschreiben?«

Abel nickte eifrig und schrieb: Hunnt. Seine Kreide kratzte über den Schiefer.

»Ich glaube, ein n reicht.« John Exley stieg von seinem Pferd und band es an. Mit dem Schreiben stand er auf Kriegsfuß, aber seine Frau war der Ansicht, dass sein Sohn lesen und schreiben und noch ein paar andere Sachen lernen sollte, ehe er die Farm übernahm, also schickten sie Abel in die Schule.

In diesem Augenblick schwang knarzend die Haustür auf.

»John! Du bist schon zurück?« Seine Frau kam aus dem Haus. Sie trug ihre jüngste Tochter auf dem Arm. Baby Molly ruderte mit einer winzigen Faust durch die Luft, als würde sie einem Vogel nachwinken.

Der Farmer beugte sich vor und tupfte ihr einen Kuss auf das Köpfchen, was sie zu einem freudigen Quietschen veranlasste.

Ihre Mutter schaute derweil zu der Deckenrolle, die quer über seinem Sattel lag, dann wurde sie blass. »Wen bringst du uns denn da?«

»Unseren Lehrer«, gab er rau zurück.

»Mister Flint?« Hanna bekreuzigte sich hastig. »Was ist mit ihm passiert?«

»Kann ich nicht sagen. Hab ihn gefunden, als ich den Kanal abgeritten bin. Da war nichts mehr zu machen. Er lag schon seit ein oder zwei Tagen da, würde ich sagen. Ich bin gerade auf dem Weg zum Sheriff, aber vorher habe ich einen Auftrag für Abel.« Er wandte sich an seinen Sohn. »Kannst du etwas für mich tun, Junge?«

»Was denn, Pa?« Sein Sohn sprang auf.

»Räum deine Tafel fort und hol dir einen Eimer. Damit gehst du raus zum Maisfeld und sammelst die Maiswurzelbohrer von den Pflanzen. Ich hab Unmengen von den Käfern gesehen, als ich vorhin da langgeritten bin. Wir müssen sie ablesen, ehe sie uns den kümmerlichen Rest von unserer Ernte wegfressen.«

»Ist gut, Pa. Ich kümmere mich darum.« Abel trottete ins Haus.

Seine Mutter wiegte Baby Molly auf ihrem Arm. »Wurde unser Lehrer ermordet, John?«, fragte sie leise.

»Schwer zu sagen. Eine Schusswunde konnte ich nicht entdecken, aber er ist in einem schlimmen Zustand. Also – wer weiß?« Der Farmer wiegte bedächtig den Kopf hin und her. Dann schwang er sich wieder in den Sattel. »Ich muss weiter. Vielleicht kann der Sheriff herausfinden, was passiert ist.«

»Bitte sei vorsichtig, John.« Hanna streifte den Toten mit einem scheuen Blick. »In unserem Tal geht etwas vor, und es ist gewiss nichts Gutes.«

Die Hitze hielt während der folgenden drei Wochen an. In Dry Gulch machten zahlreiche Gerüchte über den Tod des Lehrers die Runde, aber etwas Genaues wusste niemand. Auch Lizzie Ashford nicht, die die Stelle ihres Kollegen übernahm und an diesem Tag zum ersten Mal vor den Kindern an der Tafel stand.

Im Klassenzimmer war es so still, dass das Summen einer Hummel überlaut wirkte. Das Insekt flog gegen die Scheibe, in der vergeblichen Suche nach einem Ausgang.

Lizzie stand auf dem kleinen Podest vor ihren neuen Schülern und blickte in neunzehn verschlossene Gesichter. Auf der linken Seite des Raumes saßen die Jungen, auf der rechten die Mädchen. Jeweils zwei Schüler teilten sich einen Tisch. Nur ein Junge hatte ein Pult für sich allein. Lizzie schaute jedes Kind an. Dabei bemerkte sie kein Lächeln. Nicht einmal Neugier auf die neue Lehrerin. Nur … Angst!

Damit habe ich nicht gerechnet.

Lizzies Magen flatterte.

Sie nahm die Kreide und schrieb an die schwarz gestrichene Tafel: Mrs. Ashford. Dann wandte sie sich wieder zu ihren Schülern um. »Nun wisst ihr, wie ich heiße, Kinder. Natürlich möchte ich auch gern euren Namen erfahren. Nehmt eure Tafeln und die Kreide und schreibt ihn auf. Danach haltet die Tafeln hoch, damit ich sie sehen kann.«

Folgsam griffen die Kinder zu ihren Tafeln und begannen zu schreiben. Manche in Schönschrift, andere mit Krakeln, als würde ein Huhn über den Schiefer huschen: Sam Finch, Mary Bloom, Emmeline Watson … Die Kreide kratzte und quietschte.

Lizzie öffnete das Fenster. Die Hummel flog hinaus in den warmen Sonnenschein. Frische Luft vertrieb den staubigen Geruch, der sie an diesem Morgen empfangen hatte. Lizzie atmete einmal tief ein. Es war ihr erster Tag als Lehrerin, und sie wollte ihre Arbeit so gut wie möglich erledigen.

Sie war erst am vergangenen Nachmittag mit der Postkutsche angekommen. Ein Inserat im Chronicle hatte sie auf die freie Stellung in Dry Gulch aufmerksam gemacht. Vorher hatte sie noch nie von dem Ort gehört und erst auf der Landkarte nachschauen müssen, wo er sich überhaupt befand. Es war eine kleine Stadt im hügeligen Süden von Arizona. Der Boden war reich an Erzen, deshalb wurde in der Gegend Bergbau betrieben. In der Mainstreet reihten sich Geschäfte, ein Saloon und ein Bordell aneinander. Am Ende der Straße ragte ein Kirchturm auf. Etliche Farmen säumten die nahen Berghänge, als hätte der Herrgott sie willkürlich dorthin gewürfelt.

Hier in der Schule gab es neben dem Klassenzimmer zwei Wohnräume für die Lehrerin. Sie waren nicht groß, aber Lizzie war zuversichtlich, dass sie ihr neues Zuhause behaglich einrichten würde. Die Habseligkeiten ihres Vorgängers waren verkauft worden, um den Undertaker zu bezahlen. Was übrig geblieben war, hatte man seinen Verwandten oben im Norden geschickt.

Lizzie hatte Gerüchte gehört, was ihm zugestoßen war: Angeblich war seine Leiche von Wunden übersät vor der Stadt gefunden worden. Wie er gestorben war, wusste niemand, aber gnädig war sein Tod wohl nicht gewesen. Es hieß, er hätte keinen Fetzen Kleidung am Leib gehabt. Aber warum hätte er nackt durch die Wüste marschieren sollen? Das ergab für Lizzie keinen Sinn, deshalb nahm sie an, dass hinter seinem Tod irgendein Geheimnis stecken musste.

Ihre Schüler hielten inzwischen die Tafeln mit ihrem Namen hoch. Lizzie straffte sich und ging durch die Reihen. Sie hakte die Namen der Kinder auf der Liste im Klassenbuch ab, das sie auf ihrem Schreibtisch gefunden hatte. Ihr Vorgänger hatte eine Handschrift wie ein Steinhörnchen gehabt, aber die meisten Namen konnte sie entziffern. Gleich vier Jungen trugen den Nachnamen Kinney, und mit ihren sommersprossigen Gesichtern waren sie unverkennbar Brüder.

Ein blasser Junge in einem Hemd, in das er gut und gern zweimal hineingepasst hätte, ließ seine Kreide unschlüssig über seiner Tafel kreisen. Er konnte nicht älter als fünf oder sechs Jahre sein.

»Wie heißt du?«, fragte Lizzie ihn freundlich.

Er antwortete nicht. Dafür rutschten einige andere Kinder hinter ihren Pulten tiefer, als wollten sie sich am liebsten unsichtbar machen.

»Kannst du sprechen?«, fragte Lizzie.

Wieder schwieg er.

Dafür stach der Junge, der neben ihm saß, einen Finger in die Luft. Auf seiner Tafel stand Sam Finch.

»Ja, Sam?«

»Das ist Robby. Robby Grayson.«

»Vielen Dank, Sam.« Lizzie beugte sich zu dem schmächtigen Kind. »Robby, fühlst du dich nicht wohl?«

»Doch, Mrs. Ashford«, wisperte er.

»Kannst du mir deinen Namen aufschreiben?«

Anstelle einer Erwiderung füllten sich die Augen des Jungen plötzlich mit Tränen. Er schüttelte den Kopf. »Bitte schlagen Sie mich nicht, Mrs. Ashford.«

»Warum sollte ich dich denn schlagen?«

»Weil … weil …« Robby zitterte. Sein Blick wanderte zu dem Rohrstock, der neben der Tafel lehnte. Lizzie dämmerte, warum die Kinder so schüchtern wirkten: Sie erwarteten Schläge!

»Hat Mister Flint euch geschlagen, Kinder?«

»Oft. Wenn wir einen Fehler gemacht haben. Und manchmal auch, wenn wir keinen Fehler gemacht haben.« Robby senkte den Blick. »Er hat gesagt, der Rohrstock wäre der beste Lehrer.«

»Nun, diese Ansicht teile ich nicht. Fehler gehören zum Lernen dazu. Es ist wichtig, dass man daraus lernt.« Lizzie hielt Schläge für eine überholte Lehrmethode. Sie hatte das Buch eines Lehrers aus dem Osten gelesen, der sich gegen körperliche Züchtigung aussprach und argumentierte, dass Angst das Gehirn lähmte, während Freude es neues Wissen bereitwillig aufnehmen ließ. Das schien Lizzie einleuchtend.

Sie ging nach vorn, nahm den Rohrstock zur Hand und brach ihn vor der Klasse mitten durch.

Ihre Schüler sahen sie mit offenen Mündern an.

»Ich verspreche, euch nicht schlagen. Und ich möchte, dass ihr mir im Gegenzug auch etwas versprecht: Gebt im Unterricht euer Bestes. Einverstanden?«

»Einverstanden«, kam es einhellig zurück. Ein ungläubiges Strahlen breitete sich auf den Gesichtern der Kinder aus. Offenbar hatte sie gerade einige Herzen erobert.

Robby kritzelte auf seine Tafel: Roby Grysohn.

Nun, das war immerhin ein Anfang.

Lizzie sah ihre Liste durch.

»Es fehlt noch ein Junge namens Abel Exley. Ist Abel hier?«

Marys Arm ruckte hoch.

»Ja, Mary?«

Das Mädchen sprang auf. »Abel ist nicht da, Mrs. Ashford.«

»Dann werde ich nach dem Unterricht nach ihm sehen. Vielleicht hat seine Familie noch nicht gehört, dass die Schule wieder geöffnet hat. Kannst du mir sagen, wo seine Familie wohnt und wie ich dahin komme?«

»Sein Pa hat eine Farm außerhalb der Stadt. Sie müssen die Straße rechts an der Kirche vorbei in Richtung Norden nehmen, dann können Sie sie gar nicht verfehlen.«

»Vielen Dank, Mary.« Lizzie hatte den Satz kaum zu Ende gebracht, als von draußen ein dumpfes Krachen hereindrang.

Der Boden vibrierte wie unter Kanonendonner.

Ihr Blick flirrte zum Fenster. Grundgütiger! In der Ferne stieg eine Staubwolke auf. Wie nach einer Explosion!

Ihre Schüler begannen zu tuscheln.

Hatte es womöglich ein Unglück in einer der Minen gegeben?

Durch das offene Fenster drangen nun alarmierte Rufe herein. Menschen liefen auf die Straße. Die Kinder sprangen von ihren Plätzen auf und drängten hinaus, aber Lizzie hielt sie zurück.

»Setzt euch wieder hin und wartet! Ich werde nachsehen.« Sie raffte ihren langen Taftrock und eilte aus dem Schulgebäude.