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Es war schon dunkel, als Link Barlow die Idee kam, dem Gefangenen einen Besuch abzustatten. Der Kerl lag im Schuppen gleich hinter dem Wohnhaus.
Oh, wie ich diesen Lassiter hasse, dachte der Bandit. Am liebsten hätte Barlow ihn auf der Stelle erschossen. Doch der Boss war noch nicht fertig mit ihm. Er wollte wissen, wer der Auftraggeber des Schnüfflers war. Bisher hatte er kein Wort aus Lassiter herausbekommen.
Barlow öffnete die Tür. Im Schein des Mondlichts erkannte er die dicke Wolldecke, unter der sich der Gefangene verkrochen hatte. "He, steh auf", knurrte er. "Will 'ne Runde mit dir plaudern."
Unter der Decke regte sich nichts. Barlow kam näher, zog seinen Colt und riss mit der anderen Hand die Decke hoch.
Der Schlafplatz lag verwaist - der Gefangene war geflohen ...
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Seitenzahl: 139
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Serenade für zwei Colts
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Roca/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9298-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Serenade für zwei Colts
Es war schon dunkel, als Link Barlow die Idee kam, dem Gefangenen einen Besuch abzustatten. Der Kerl lag im Schuppen gleich hinter dem Wohnhaus.
Oh, wie ich diesen Lassiter hasse, dachte der Bandit. Am liebsten hätte Barlow ihn auf der Stelle erschossen. Doch der Boss war noch nicht fertig mit ihm. Er wollte wissen, wer der Auftraggeber des Schnüfflers war. Bisher hatte er kein Wort aus Lassiter herausbekommen.
Barlow öffnete die Tür. Im Schein des Mondlichts erkannte er die dicke Wolldecke, unter der sich der Gefangene verkrochen hatte. »He, steh auf«, knurrte er. »Will ’ne Runde mit dir plaudern.«
Unter der Decke regte sich nichts. Barlow kam näher, zog seinen Colt und riss mit der anderen Hand die Decke hoch.
Der Schlafplatz lag verwaist – der Gefangene war geflohen …
Er schlug die Augen auf.
Tiefe Finsternis umgab ihn. In seinem Schädel hämmerte ein Specht. Ihm war, als wäre das Dunkel lebendig und würde ihn mit aller Macht in den Schlaf zurückreißen wollen.
Er kämpfte dagegen an.
Es dauerte eine Weile, bis sich seine brennenden Augen an die Dunkelheit gewöhnten. In dem schwarznebligen Brei zeichneten sich dünne senkrechte Lichtstreifen ab. Er stützte sich auf einen Ellbogen, hob den Kopf und schnupperte.
Kein Zweifel, er befand sich in einem Raum aus Holzlatten. Das Pochen in seinem Hinterkopf schwoll an. Er verzog schmerzerfüllt das Gesicht.
Als er sich aufsetzte, raschelte übel riechendes Stroh unter ihm. Langsam wurde ihm klar, dass er sich in einem Viehwaggon befand. Sofort fragte er sich, wie er hier hereingekommen war.
Die Erinnerung blieb aus. Nicht mal ansatzweise dämmerte ihm, was mit ihm passiert war. Selbst als er sich seinen Namen ins Gedächtnis zurückrufen wollte, hüllte sich sein Denkapparat in Schweigen.
Plötzlich spürte der Mann Angst.
Er zog die Beine gegen die Brust und schlang die Arme um seine Knie. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er fror. Im Waggon war es kalt wie in einem Eispalast. Der Atem, den er ausstieß, verwandelte sich in kleine Dampfwolken, bevor er mit der Dunkelheit verschmolz.
Mit klopfendem Herzen rappelte er sich auf. Es kostete ihn einige Mühe, das Gleichgewicht zu bewahren. Seine Wirbelsäule schmerzte, und seine Beine schienen ohne Gelenke zu sein. Wie auf Stöckelschuhen tappte er ein paar Schritte hin und her.
Nach kurzem Suchen fand er die Tür.
Auf halber Höhe ertastete er einen verrosteten Eisenriegel. Als er ihn zurückschob, gab es ein hässliches Knirschen. Der Specht unter seiner Schädeldecke verstärkte sein Hämmern.
Ruckweise schob der Mann die Tür zur Seite.
Gleißendes Licht blendete ihn. Er riss abwehrend einen Arm hoch und presste sein Gesicht in die Beuge des Ellbogens. Sein Herz schlug, als wolle es zerspringen. Sekundenlang verharrte er, ohne sich zu rühren.
Dann zwang er sich, den Kopf aus der Beuge zu nehmen. Aus schmalen Augen spähte er an sich hinunter. Er erblickte ein Paar schmutzverkrustete Stiefel, die einmal braun gewesen waren. Die Beinlinge einer indigoblauen Baumwollhose steckten darin. Ein dicker Bindfaden hinderte die Hose am Rutschen. Das senfgelbe Hemd, das er trug, hing halb heraus. Eine zerkratzte Jacke aus Wildleder komplettierte sein Outfit.
Unwillkürlich griff er an seinen Kopf.
Ich habe keinen Hut, dachte er. Merkwürdigerweise machte ihm diese Erkenntnis sehr zu schaffen. Auch das Fehlen eines Halstuchs deprimierte ihn zusätzlich.
Instinktiv griff er an eine Stelle auf seiner rechten Hüfte. Er hätte schwören können, dass auch hier etwas nicht an seinem Platz war.
Was es war, wusste er nicht. Es war nur so ein vages Gefühl.
Nach einiger Zeit bekam der Mann einen Blick für die Umgebung.
Wie es aussah, befand er sich auf dem Abstellgleis einer Eisenbahnlinie. Die Schienen endeten mit einem Prellbock, an dem die Puffer des Waggons festgefroren waren. Das Gelände ringsherum war hügelig, überall gab es Geröll und hüfthohes Gestrüpp. Ein strahlend blauer Himmel, auf dem rundliche Wattefetzen schwammen, spannte sich über das Stillleben. Hie und da glänzte ein Tupfer verharschter Schnee auf dem bräunlich-grünen Untergrund. Die Luft war klar und frostig.
Menschen waren nirgends zu sehen.
Der Mann atmete tief durch. Er hatte keine Ahnung, wohin er seine Schritte lenken sollte. Die Kälte ließ ihn zittern. Prustend schob er die Hände in seine Hosentaschen.
In der rechten Tasche knisterte etwas. Er griff tiefer und brachte ein Stück Papier zum Vorschein. Es war zerknittert, doch er konnte drei verblasste Zeichen erkennen. Die Anfangsbuchstaben eines Wortes.
»Las…«, flüsterte er.
Er zerbrach sich den Kopf darüber, was das Wort zu bedeuten hatte. Waren es die ersten Buchstaben seines Namens? Oder der Name eines anderen, vielleicht eines guten Freundes? Warum trug er diesen Zettel in der Tasche?
Fragen über Fragen. Auch eine Weile intensives Nachdenken brachte ihn kein Stück weiter. Er wusste weder wer, noch was er war. Die Erinnerung an sein bisheriges Leben war einfach ausradiert.
Eine Welle aufblühender Panik erfüllte ihn. Seine Hände krallten sich so fest in die Schiebetür des Waggons, dass seine Fingernägel abbrachen.
»Was mache ich jetzt bloß?«, keuchte er.
Selbst der Klang seiner eigenen Stimme kam ihm fremd vor, so als hätte jemand anderes die Worte gesprochen. Wie ein kleines Kind kam er sich vor, dass sich im Straßengewirr einer Großstadt verlaufen hatte und nun verzweifelt auf der Suche nach seiner Mutter war.
Er gab sich einen Ruck und kletterte aus dem Waggon. Als er auf dem frostharten Erdboden stand, hüpfte er eine Zeit lang auf der Stelle. Dazu schlug er sich die Arme um die Seiten, um die Kälte zu vertreiben.
Diese Übungen taten ihm gut. Sein Kreislauf kam wieder in die Gänge. Er begann sich wohler zu fühlen. Zum Glück ließen auch die grässlichen Kopfschmerzen nach.
Mit neuem Schwung entschied er, dem Verlauf der endlos erscheinenden Schienenstränge zu folgen. Bevor er sich auf den Weg machte, warf er einen letzten Blick auf den Waggon. Es war der Ort, der ihm Zuflucht gewährt hatte.
Jetzt brach er auf ins Unbekannte.
Während der Mann von einer Schwelle zur nächsten sprang, murmelte er unablässig den Namen vor sich hin, den er auf seinem Unterarm entdeckt hatte. Von seinem bisherigen Dasein waren ihm nur drei Buchstaben geblieben.
»Las… Las… Las…«
Aber der Mann war fest entschlossen, den Kampf gegen das Dunkel in seinem Kopf aufzunehmen.
Er konnte nur gewinnen …
☆
Wie eine dösende Eidechse lag die Bahnstation in der strahlenden Wintersonne. Ein Raubvogel hatte sich die Spitze der Fahnenstange, an der die zerfetzte Stars and Stripes hing, als Beobachtungsposten ausgesucht. Regungslos beäugte der Vogel den einsamen Mann, der sich von Nordwesten näherte. Der Reif auf den Schienen blinkte im fahlen Licht.
Als der Mann den verwaisten Bahnsteig erreicht hatte, erhob sich der Vogel krächzend in die Lüfte. Im majestätischen Flug segelte er davon.
Inzwischen war der Mann fest davon überzeugt, dass LAS ein Teil seines Namens war. Er war mit sich übereingekommen, sich selbst so zu nennen. Jedes Ding auf der Welt besaß einen Namen. Also war er jetzt Las. Basta.
Er rüttelte an der Tür, die vom Bahnsteig in das Gebäude führte. Sie war abgesperrt. Die Scheiben waren zugefroren und größtenteils so blind, dass man keinen Blick ins Innere des Hauses werfen konnte.
Las unterdrückte einen Seufzer. Da war er stundenlang durch die Gegend gezogen, um einen Menschen zu treffen. Jetzt hatte er sogar eine Bahnstation gefunden. Aber es sah fast so aus, als wäre sie aufgegeben worden.
Schleppenden Schrittes umrundete Las das Haus. Es gab noch zwei weitere Türen, an denen er rüttelte. Über die Erste war ein rauchgeschwärztes Brett genagelt, auf dem Dining Hall stand. Die zweite Tür schien in einen Privatraum zu führen. Auf Augenhöhe hatte jemand den Namen J. Miller auf das Holz gepinselt.
Als sich keine der Türen öffnen ließ, erhob Las die Stimme und rief. »Hallo?«
Fehlanzeige.
Es wurde zur quälenden Gewissheit. Er war der einzige Mensch weit und breit. Vor Enttäuschung grub sich eine tiefe Falte in seine Stirn. Während seines Marsches hatte er sich seinen Empfang in den schillerndsten Farben ausgemalt. Seine Fantasie hatte ihm vorgegaukelt, dass er ein bekannter Mitbürger war, den viele Menschen schmerzlich vermissten. Als er nun wieder da war, weinten die Frauen vor Glück, und die Männer schüttelten ihm aufmunternd die Hände. Im Nu hatten die Leute seine Erinnerungslücken gestopft. Alle waren unendlich froh, ihn wieder in ihrer Mitte zu wissen.
Las spürte, dass es kälter geworden war. Der Wind hatte aufgefrischt und wehte ihm eisig ins Gesicht. Vor Kälte fingen seine Zähne an zu klappern. Er hatte Durst, Hunger und sehnte sich nach einem warmen Schlafplatz.
Die Sonne näherte sich dem westlichen Horizont. Bald würde die Nacht hereinbrechen. Die Temperatur würde weiter sinken. Vielleicht gab es sogar neue Schneefälle.
Er konnte unmöglich die Nacht im Freien verbringen. In seiner unangemessenen Kleidung würde er höchstwahrscheinlich erfrieren. Ein warmer Schlafplatz war jetzt das Wichtigste.
Erneut umrundete Las das Bahnhofsgebäude. Unter einem zerbeulten Wellblechdach fand er aufgeschichtetes Brennholz. Das war doch schon was! Er durchforstete all seine Taschen auf der Suche nach einem Streichholz.
Als er keine fand, fluchte er lästerlich.
Er ging zum Eingang der Dining Hall zurück. Mit gerunzelter Stirn untersuchte er die Tür. Es half nichts, er musste sie mit Gewalt aufbrechen. Im Gastraum gab es garantiert einen Ofen, den er anheizen konnte. Wenn er Glück hatte, fand er auch eine Kleinigkeit zu essen.
Mittlerweile bohrte der Hunger wie mit glühenden Pfeilen in seinen Eingeweiden. Seine Kehle war so trocken, dass er ständig schlucken musste.
Las sah sich nach etwas um, das er als Brechstange benutzen konnte. Leider erwies sich das gestapelte Holz als ungeeignet. Die Kloben waren zu kurz, um sie als Hebel einzusetzen. Eine Axt oder ein Beil waren nirgends zu sehen. Aber eine armlange Querverstrebung des Stützpfeilers fand seinen Beifall.
Mit Hilfe eines Klotzes lockerte er die Verstrebung. Er riss die Latte vom Pfeiler ab, prüfte ihre Stärke und nickte befriedigt.
Rasch eilte er zum Eingang der Dining Hall zurück.
Es dauerte kaum fünf Minuten, und die Eingangstür hatte seinen Hebelattacken nichts mehr entgegenzusetzen. Mit einem wütenden Knirschton sprang sie auf.
Las trat in das Haus.
Der muffige Geruch, der ihm entgegen strömte, kam ihm wie der köstlichste Bratenduft in einem Feinschmeckerlokal vor. Tief beeindruckt blieb er stehen und schnupperte.
Dann ging er weiter. Offenbar waren die Wände der Dining Hall früher einmal weiß gewesen. Aber das schien unendlich lange her zu sein. Jetzt blätterte die Farbe ab, und die Bretterwand war morsch und rissig geworden. Glitzernde Spinnweben zitterten an der niedrigen Decke.
Irgendwo ertönte ein lautes Piepsen.
»Ratten«, sagte der Mann und wunderte sich im selben Augenblick, woher er das wusste.
Der Raum, den er durchquerte, war sehr groß und mit langen Tischen und klapprigen Stühlen vollgestellt. Der Staub auf den Möbeln lag daumendick. Las trat an einen der Tische und malte mit dem Zeigefinger einen Kreis in den Staub, in dessen Mitte er »B Seven« schrieb.
B Seven? Seltsam. Er hatte keine Ahnung, was das bedeutete.
Er starrte die Zeichen eine Weile an, dann wischte er mit der Manschette darüber weg. Er hielt Ausschau nach einem Heizofen, fand aber keinen. Auch eine Esse und installierte Rohre, durch die der Qualm abzog, waren nirgends zu sehen. Vielleicht hatte man den Ofen und das Zubehör einfach eingepackt und mitgenommen.
»B Seven«, murmelte er. Was zum Teufel sollte das heißen?
Am anderen Ende des rechteckigen Essenraumes befand sich eine Tür. Sie war nicht zugesperrt, und Las stieß sie auf. Krachend schwang sie wieder zurück. Gerade noch rechtzeitig bekam er die Hände hoch, um sich vor der zurückprallenden Tür zu schützen.
Las lehnte sich mit der Schulter dagegen. Mit aller Kraft drückte er die Tür so weit auf, dass er sich durch den Spalt in den Raum dahinter zwängen konnte. Er fand sich in einer Art Küche wieder. Das Hindernis entpuppte sich als Geschirrregal, das jemand mitten in den Raum geschoben hatte. Es war leergeräumt, nur noch eine Handvoll angeschlagener Tassen und Teller standen darin.
»Yeah«, entfuhr es Las, als er den Kohleherd bemerkte.
Im tranigen Halbdunkel erspähte er noch einige andere nützliche Dinge. Auf einer Konsole über dem Spülstein staubte eine deckellose Konserve vor sich hin. Darin fand er eine Packung Schwefelhölzer. Hastig langte er danach.
Er hatte Glück. Die Schachtel war halb gefüllt. Zur Probe riss er ein Hölzchen an seinem Fingernagel an. Aber die erwartete Flamme blieb aus. Der Schwefelkopf zerbröckelte und fiel zu Boden.
Die Hölzer waren nass geworden.
Verdammt! Las war zum Heulen zumute. Er besaß Brennholz, einen Herd und einen halbwegs annehmbaren Raum, in dem er übernachten konnte. Selbst eine Petroleumlampe war vorhanden. Sie hing über dem Hauklotz und verfügte über einen Tank, der zu drei Vierteln gefüllt war.
Aber ohne Zündhölzer kein Feuer.
Las sank auf einen dreibeinigen Holzschemel und ließ den Kopf hängen.
Er wusste nicht, wie lange er so dagesessen hatte, aber als er wieder aufsah, war es dunkel geworden. Nur noch schemenhaft erkannte er die Umrisse seiner Umgebung.
Irgendwo ertönte ein knirschendes Geräusch.
»Widerwärtiges Rattengeschmeiß«, knurrte Las.
Langsam wurde es für ihn zur quälenden Gewissheit: Er würde die Nacht ohne wärmendes Feuer überstehen müssen.
»Aber Wasser wird es hier doch wohl geben«, schimpfte er laut vor sich hin. »Ich befinde mich in einer Dining Hall, da wird es wohl zumindest einen verdammten Tropfen Wasser geben.«
In diesem Augenblick knarrte die Tür, und eine brüchige Stimme fragte: »Was suchst du hier, Stranger? Die Bude gehört mir …«
☆
»Lisa ist eine Hure«, sagte Sharon Holt.
»In erster Linie ist sie deine Schwester, Schatz«, entgegnete ihr Ehemann George. »Im Testament deines Vaters steht es schwarz auf weiß: Lisa und du, ihr werdet das Vermögen zu gleichen Teilen ausbezahlt bekommen.«
»Der Gedanke daran macht mich rasend!«, fauchte Sharon. »Zwanzigtausend Dollar in den Händen eines Flittchens! Einer Frau, die sich mit wildfremden Männern auf der Matratze wälzt. Die für eine Hand voll Bucks vor jedem dahergelaufenen Vagabunden ihren Schlüpfer lüftet! Gütiger Gott, George, ich könnte an die Decke gehen …«
»Beruhige dich, Schatz.«
Der Gleichmut ihres Gatten erzürnte Sharon. Jähzornig riss sie eine Hand hoch, um ihm ins Gesicht zu schlagen. Aber George kannte die Marotten seiner besseren Hälfte zur Genüge. Blitzschnell packte er zu und drückte ihren Arm zurück.
Sharon schossen die Tränen in die Augen.
»Du darfst dich nicht so aufregen, Liebes«, sagte der Mann besänftigend.
Vor wenigen Minuten war Sharons Vater gestorben. Der Leichnam von Gerald Ryan befand sich noch in ihrer Villa, oben im Schlafzimmer. Der herbeigerufene Arzt füllte gerade den Totenschein aus. Seinen Tod vor Augen, hatte der Sterbende der Tochter und dem Schwiegersohn seinen letzten Willen kundgetan. Sharon und ihre jüngere Schwester Lisa sollten sich das Erbe teilen. Das Testament war von einem Notar beglaubigt worden und besaß volle Gültigkeit.
»Eine gottverfluchte Hure ist sie«, wisperte Sharon.
»Ja, sie ist eine Hure«, erwiderte George und strich seiner Frau sacht über das Haar.
Sie standen im Salon, vor den mit schwerem rotem Samt verhangenen Fenstern. Der Kronleuchter spendete anheimelndes Licht. Im Kamin prasselte Feuer. Das Perpendikel der Standuhr schwang monoton hin und her. Es war Viertel nach acht. In dem weitläufigen Haus herrschte die Stille des Todes.
Sharon spürte, wie ihr Zorn langsam verrauchte. Sie war eine hochgewachsene, schlanke Frau von dreißig Jahren, mit blauschwarz schimmernden Haaren und gleichmäßigen Zügen. Ihre reizvollen Rundungen wurden von dem engen, geschlitzten Rock und der perfekt sitzenden Bluse noch betont. Sharon war eine Schönheit, und sie war sich dessen voll bewusst. Nicht zuletzt verdankte sie es ihrer hinreißenden äußeren Erscheinung, dass sie immer das bekam, was sie wollte.
Fast immer.
Sie stieß ihren Mann zurück und starrte ihn an. »Wir müssen das Testament anfechten. Hörst du, George?«
»Den Willen deines Vaters solltest du …«
»Schnickschnack!« Sie fuchtelte wild in der Luft herum. »Der Alte ist tot und kommt nicht wieder. Er hat sein Leben gehabt, jetzt bin ich am Drücker. Und das lasse ich mir nicht von einem besudelten Täubchen kaputtmachen.«
George nestelte betreten an seiner Krawatte. »Schatz, du solltest bedenken, dass dein Vater noch im Hause ist. Es erscheint mir pietätlos …«
Wieder gebot Sharon ihm, den Mund zu halten. »Ich will, dass du jedes Register ziehst, damit dieses Weibsstück nicht einen lumpigen Cent bekommt. Immerhin bist du Anwalt. Es dürfte kein Problem für dich sein.«
»Noch weiß Lisa nicht einmal, was passiert ist. Wir sollten sie schleunigst benachrichtigen.«
Sharon ballte ihre weißen Hände zu Fäusten. »Niemals werde ich mit dieser Hure ein Wort reden. Soll sie bleiben, wo der Pfeffer wächst.«
»Es ist unsere Pflicht.«