Lassiter 2485 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2485 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Als Penelope Copeland die Augen öffnete, wusste sie nicht, was sie geweckt hatte. Das Heulen eines Wolfes in den nahegelegenen Bergwäldern oder ein im Wind klapperndes Gatter? Beunruhigt richtete sie sich unter der Decke auf, und ihr Blick fiel automatisch nach links, doch neben ihr war das Bett leer. Ihr Gatte Victor war geschäftlich unterwegs und verbrachte die Nacht in Reno.
Ein Geräusch unterhalb des offenstehenden Fensters ließ sie herumfahren. "Ist da jemand?", stieß sie ängstlich hervor und legte die Hand auf ihr nacktes Dekolleté. Keine Antwort, stattdessen wieder ein kratzender Laut an der Hauswand. Es klang wie ein Scharren an den Holzpaneelen. Sie schob die Füße aus dem Bett, richtete sich auf und ging zaghaft zum Fenster.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Blutmond über Carson City

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: Boada/Norma

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-9302-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Blutmond über Carson City

Als Penelope Copeland die Augen öffnete, wusste sie nicht, was sie geweckt hatte. Das Heulen eines Wolfes in den nahegelegenen Bergwäldern oder ein im Wind klapperndes Gatter? Beunruhigt richtete sie sich unter der Decke auf, und ihr Blick fiel automatisch nach links, doch neben ihr war das Bett leer. Ihr Gatte Victor war geschäftlich unterwegs und verbrachte die Nacht in Reno.

Ein Geräusch unterhalb des offenstehenden Fensters ließ sie herumfahren. »Ist da jemand?«, stieß sie ängstlich hervor und legte die Hand auf ihr nacktes Dekolleté. Keine Antwort, stattdessen wieder ein kratzender Laut an der Hauswand. Es klang wie ein Scharren an den Holzpaneelen. Sie schob die Füße aus dem Bett, richtete sich auf und ging zaghaft zum Fenster.

Die kühle Brise, die von draußen ins Zimmer strömte, ließ sie frösteln und brachte die Knospen ihrer Brüste dazu, sich unfreiwillig aufzurichten unter dem dünnen Leinenstoff des Nachthemds. Eine Bodendiele knarrte leise unter ihren nackten Fußsohlen, und Penelope zuckte unwillkürlich zusammen.

Sie schluckte, doch der Kloß in ihrem Hals weigerte sich beharrlich, zu verschwinden.

Normalerweise lag der Revolver ihres Mannes griffbereit in der Schublade des Nachttisches nur zwei Schritte links von ihr, aber sie erinnerte sich, wie Victor das Schießeisen am Morgen herausgenommen und in sein Holster gesteckt hatte, bevor er ihr einen Kuss auf die Wange gehaucht und nach unten verschwunden war.

»Ist da jemand?«, fragte sie noch einmal. »Hören Sie, ich bin bewaffnet! Hauen Sie lieber ab, sonst werden Sie’s bereuen.«

Wieder blieb die Frage unerwidert. Jetzt stand Penelope direkt vor dem Fensterbrett, und sie atmete zweimal tief durch, bevor sie sich ein Herz fasste und rasch aus dem Fenster hinausbeugte.

Um im nächsten Moment scharf die Luft aus den Lungen zu lassen.

Der Hof lag im hellen Licht des Vollmonds unter ihr und war menschenleer.

Ihre Blicke wanderten über den Einspänner, der mit hochgestellter Deichsel neben dem Tor stand, die Regentonne an der Hauswand und den überdachten Verschlag mit dem gestapelten Feuerholz hinweg zu den dunkelgrünen Schatten der Kiefern, die den Hof auf der anderen Seite begrenzten.

Als sie direkt an der Wand des Hauses hinabschaute, entdeckte sie auch den Grund für das verdächtige Schaben, das sie beunruhigt hatte: Eines der Bündel mit Reisig war auseinandergefallen, wohl, weil sich die Hanfbänder, mit denen sie zusammengebunden waren, gelöst hatten. Nun kratzten die trockenen Äste unten an der Traufe und den Paneelen wie hartnäckige Bettler.

Erleichtert zog sie sich ins Schlafzimmer zurück und schloss das Fenster. Es war ohnehin viel zu kühl im Raum. Victor bestand stets darauf, das Fenster wenigstens einen Spalt breit offen zu lassen in der Nacht, aber ihr Gatte war schließlich nicht hier, um missbilligend die Nase zu rümpfen, weil sie gemütlicher Wärme vor frischer Luft den Vorzug gab.

Seufzend fiel sie zurück auf die Kissen und zog sich die Bettdecke bis über den Hals. »Was bist du nur für ein Hasenfuß«, schalt sie sich selbst mit leiser Stimme und schloss die Augen.

Um sie nur zwei Minuten später wieder zu öffnen, als ein Geräusch von unten an ihre Ohren drang.

Das leise, verstohlene Knarren von Bodenbrettern unten in der Diele.

Penelope schüttelte langsam den Kopf. Nein, sie würde jetzt nicht aufstehen und runtergehen, auf gar keinen Fall.

Das Haus war alt, und seit zwei Tagen senkte sich das Thermometer stetig abwärts. Der Herbst stand vor der Tür, und es war völlig normal, dass das hölzerne Skelett ihres Heimes auf diese Temperaturschwankungen mit Ächzen und Stöhnen reagierte wie ein arthritischer Greis.

Vielleicht handelte es sich auch um Kasimir, ihren Kater, der von einem nächtlichen Ausflug heimgekehrt war und irgendwie einen Weg ins Innere des Hauses gefunden hatte.

Es knarrte noch einmal, diesmal direkt unter ihr in der Küche. Penelope drehte sich auf die Seite und schloss die Augen, entschlossen, dem kindischen Verlangen, sich Gewissheit zu verschaffen, nicht nachzugeben.

Tatsächliche kehrte Ruhe ein, und nach zehn Minuten döste Penelope allmählich zurück in den Schlaf.

Bis ein vernehmliches Quietschen von Scharnieren sie abermals weckte und im Bett hochfahren ließ.

»Jesus Christus«, murmelte sie erbost und wusste, sie würde keinen Schlaf mehr finden, wenn sie nicht nach unten ging und nachschaute.

»Kasimir, du gottverdammte Nervensäge. Dich werde ich lehren …«

Sie schlüpfte in ihre Pantoffeln und marschierte zur Zimmertür hinaus auf den schmalen Korridor, um am Treppengeländer herunter zu spähen. »Kasimir? Wo steckst du?«

Penelope griff nach einer Streichholzschachtel, riss eines der Hölzer an und entzündete damit den Docht der Petroleumlampe, die auf dem Tischchen neben der Schlafzimmertür stand. Sie nahm die Lampe am Haltegriff und stieg die Stufen der Treppe hinunter in die Diele.

Als sie die dunklen Schmutzflecken auf dem Läufer entdeckte, verengten sich ihre Augen, und ihr Puls schlug schneller.

»Kasimir?«, rief sie und hob die Lampe, um den zur Küche und dem Esszimmer führenden Korridor zu erleuchten.

Die Dreckspuren auf dem Teppich waren eigentlich zu groß für den Kater, und plötzlich hielt die Angst wieder ihr Herz umklammert.

Penelope musste sich zwingen, über den Flur voranzugehen. Unwillkürlich fiel ihr Blick auf den Schrank mit den Gewehren, der sich nur wenige Schritte vor ihr neben dem großen Spiegel befand.

Sie stellte die Lampe auf der niedrigen Kommode ab und starrte in das Halbdunkel der Küche.

»Kasimir?« Die eigene Stimme klang in ihren Ohren plötzlich fremd, wie ein furchtsames Reh, das ein Raubtier witterte.

Mit unsicheren Fingern öffnete sie die gläserne Tür der Waffenvitrine und nahm eines der Gewehre heraus, eine handliche Sharps-Rifle, von der sie wusste, dass sie stets geladen war.

Als sie das kühle Metall der Waffe in ihren Händen spürte, beruhigte sie sich ein wenig.

Dann ertönte wieder das leise Quietschen, und sie zuckte unwillkürlich zusammen.

Das war die Hintertür, die vom Stall aus in Victors Arbeitszimmer führte. Und Penelope war sicher, die Tür am Abend noch fest verschlossen zu haben.

Nun ja, ziemlich sicher. Der Riegel schloss nicht mehr richtig, und vielleicht hatte eine Windböe die Tür aufgedrückt.

»Himmel …«, wisperte sie tonlos und brachte die Rifle in den Hüftanschlag.

Victor hatte ihr den Umgang mit dem Gewehr beigebracht, aber wenn man mitten in der Nacht darauf gefasst sein musste, von der Waffe ernsthaft Gebrauch zu machen, war das etwas anderes, als auf Büchsen oder Flaschen zu feuern.

Den Lauf voran gestreckt, ging sie langsam den Flur entlang bis zum Eingang der Küche. Erst von dort aus kam man ins Esszimmer und dann weiter zum Arbeitszimmer von Victor.

Die Sharps schwankte ein wenig in ihren Händen, als sie die Küche betrat und sich hastig umsah.

Nichts. Kein Kasimir, aber auch kein Einbrecher.

Neben dem Spülbecken trocknete Geschirr auf der Anrichte, und im fahlen Licht des Mondes schimmerte das Porzellan wie polierte Gebeine. Sie wandte sich nach rechts und schaute durch den offenen Durchgang ins Esszimmer.

Auch dort schien alles so zu sein, wie es zu erwarten war. Die weiße Tischdecke, sechs Stühle ordentlich angeordnet, in der Mitte der vergoldete Kerzenleuchter, ein Erbstück ihrer verstorbenen Mutter. Ansonsten nichts als Stille. Fast schon glaubte Penelope, sich die Geräusche nur eingebildet zu haben, als die Hintertür abermals leise quietschte.

Sie presste die Lippen aufeinander, trat ins Esszimmer und nahm sofort die Tür zu Victors Arbeitsraum in den Blick.

Sie war nur angelehnt und knarrte leise, als Penelope sich ihr näherte. Allmählich mutmaßte sie, dass das Haus selbst ihr Streiche spielte.

Unmittelbar vor der Tür hielt sie einen Moment inne, bevor sie sie mit dem Lauf der Rifle beherzt aufstieß und sofort danach das Gewehr hob.

Der schwere, massige Schatten von Victors Schreibtisch erhob sich vor ihr in der Mitte des Raumes, flankiert von Regalen, die bis zur Decke reichten. Die Vorhänge hinter dem Tisch waren zugezogen, doch durch den Spalt der offenen Tür fiel ein Keil aus Mondlicht auf die Bodendielen und den Teppich.

Ein leises Ächzen entrang sich Penelopes Brust, als sie stoßweise die Luft ausstieß. Es war ein Laut der Erleichterung, denn auch hier befand sich niemand. Außer einem zerzausten Bündel dicht vor der Hintertür.

Sie trat näher und beugte sich hinab, bevor sie angewidert die Lippen verzog und erkannte, um was es sich handelte: ein nächtliches Geschenk von Kasimir.

Die junge Krähe hatte einen gebrochenen Flügel, und der war ihr wohl zum Verhängnis geworden. Ob der Vogel aus dem Nest gefallen oder sich von einer Spiegelung hatte täuschen lassen und gegen eine der Fensterscheiben geflogen war – wie auch immer, offensichtlich hatte sich der Kater die leichte Beute nicht entgehen lassen und das Tier nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen, bevor er den Kadaver auf dem Teppich drapiert hatte.

»Kasimir, du Widerling«, murmelte sie und schürzte die Lippen, als ihr Blick auf die toten Augen des kleinen Vogels traf. Sie richtete sich auf und stupste den reglosen Körper leicht mit ihrem Pantoffel an.

Sobald Victor zurück war, musste sie ihn ermahnen, endlich diese vermaledeite Tür reparieren zu lassen. Wenn es selbst einem Kater gelang, sie zu öffnen, war das eine Einladung für gefährlichere Eindringlinge.

Wie auch immer, ihr würde nichts anderes übrig bleiben, als die sterblichen Überreste der Krähe zu beseitigen und danach einen Stuhl vor die Tür zu stellen. Denn Kasimir wollte sie vorerst nicht mehr im Haus haben. Das Mistvieh sollte nicht auch noch belohnt werden für seine zweifelhafte Liebesgabe.

Als sie sich umwenden wollte, legte sich unvermittelt ein Arm um ihren Hals und riss sie mit einem Ruck nach hinten.

Der Angriff kam derart unvermittelt und brutal, dass Penelopes Herz für einen Moment aussetzte und sie vergaß, zu atmen.

Erst der kräftige Tritt in ihre Nieren brachte sie dazu, japsend nach Luft zu schnappen. Doch der heiße Schmerz sorgte auch dafür, dass sich ihre Finger öffneten und die Rifle mit einem dumpfen Laut zu Boden fiel.

»Was bist du nur für ein Dummchen«, flüsterte eine Stimme an ihrem Ohr, und sie riss panisch die Augen auf. »Rennst geradewegs in die Falle wie ein Rehkitz. Versteh einer die Frauen … eben noch benehmen sie sich wie Königinnen und glauben, alles besser zu wissen, und im nächsten Moment sind sie dämlicher als ein blökendes Schaf.«

Der Unbekannte hatte ihren Hals mit stählernem Griff umschlossen und zerrte sie bis an den Schreibtisch. Penelope war vor Panik wie gelähmt. Sie wollte sich wehren, doch ihr Körper schien keine Verbindung mehr zu ihrem Hirn zu haben. Arme und Beine fühlten sich auf einmal taub an und hingen an ihr herab wie tot.

Vage spürte sie, wie der Fremde ihr erst über den Busen, dann über den Bauch streichelte. Und dass diese Hand nicht leer war, sondern etwas umklammert hielt.

Etwas Kaltes, Scharfes.

Penelope wimmerte und begann, unkontrolliert zu zittern. Das schien ihrem Peiniger zu gefallen, denn er kicherte leise. Seine Stimme klang seltsam unnatürlich, als würde er sie verstellen und dabei übertreiben wie ein schlechter Schauspieler. Dennoch hatte sie das Gefühl, sie zu kennen.

»Bitte, ich … Sie …«, stammelte Penelope, als sie die Erregung des Mannes an ihrem Hintern spürte. »Lassen Sie mich am Leben, ich flehe Sie an! Tun … Sie, wonach Ihnen wohl der Sinn steht, aber … töten Sie mich nicht.«

Er lachte, doch seine Stimme klang nicht amüsiert. Es hörte sich an wie das Klagen einer gequälten Seele, die um Erlösung bat. Und das war weitaus schlimmer für Penelope, als hätte der Kerl ein lüsternes Lachen ausgestoßen. Denn der Klang seiner Stimme verriet ihr, dass der Mann, der sie in ihrer Gewalt hatte, nicht so einfach zu nehmen war.

Penelope hob den Kopf, doch sein Griff wurde sofort wieder fester. Sie roch Leder und Schweiß.

»Bitte …«, brachte sie mühsam hervor. »Was wollen Sie denn sonst? Tun Sie es doch einfach …«

»Später vielleicht«, flüsterte er, und sie spürte, wie die Messerspitze sich sanft in ihren Bauch bohrte.

Penelope schrie auf, und in einem verzweifelten Akt der Selbsterhaltung nahm sie alle Kräfte zusammen, hob ihren Arm und rammte dem Mann hinter ihr den Ellenbogen mit voller Wucht in den Magen.

Ein dumpfes Grunzen war die Antwort, und tatsächlich lockerte sich der Griff des Unbekannten für einen Moment. Mit einem Triumphschrei löste Penelope sich aus der Umklammerung und sprang nach vorn.

Drei Schritte bis zur Tür. Ihre Augen waren zu großen Kreisen aufgerissen, als sie die Hand vorstreckte, nach der Türklinke griff und in das Esszimmer stürzte. Sie wirbelte herum, und es gelang ihr tatsächlich, in derselben Bewegung die Tür zuzustoßen.

Fast.

Der dunkle Schatten war direkt hinter ihr und schob die zufallende Tür so mühelos beiseite wie einen fadenscheinigen Vorhang. Penelope wich heulend in Richtung Küche zurück und hob abwehrend die Hände. Unter ihren Füßen warf der dünne Teppich Falten auf den polierten Dielen, sie rutschte weg und geriet ins Stolpern.

Hart schlug sie mit dem Hinterkopf auf und sah sekundenlang Sterne. Als sie blinzelnd zum Fenster schaute, bewegte sich dort ein schwarzer Schatten, und kurz darauf starrte Kasimir ihr aus gelben Augen entgegen.

Der Unbekannte ließ sich schwer auf sie fallen, und als er den Arm hob, sah Penelope nicht mehr den Kater, sondern eine lange, unheilvoll im einfallenden Mondlicht glänzende Messerklinge.

»Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu«, zischte ihr Mörder, und Penelope schloss die Augen.

Es dauerte länger, als sie gehofft hatte.

Drei Monate später

Das Summen der Insekten, die über der klaffenden Wunde des Kadavers einen wilden Tanz aufführten, war so laut wie ein geschäftiger Bienenstock. Sheriff Mat Ambrose wedelte die Schmeißfliegen fort – eine Geste, deren Wirkung von sehr kurzer Dauer war – und presste die Lippen zu einem Strich zusammen.

»Wann ist das hier passiert, Roddy?«, wandte er sich an den Farmer, der zwei Schritte entfernt stand, die Daumen hinter den Gürtel gehakt hatte und düster vor sich hinstarrte.

Roddy McDougall spuckte einen dunkelbraunen Strahl Kautabak in das kniehohe Gras der Weide. »Muss heute Nacht gewesen sein, Sheriff. Gestern Abend war noch alles in Ordnung, als ich hier oben nach dem Rechten gesehen habe. Jetzt sind meine fünf besten Rinder fort, und diese Bastarde schlachten das sechste einfach so ab, als würde es nicht reichen, mir das Vieh zu stehlen.«

Ambrose nickte grimmig. Das Jungtier, dem die Viehdiebe den Hals aufgeschlitzt hatten, wirkte in der Tat wie eine grausame Verhöhnung. Vor allem, wenn man die Schmierereien zur Kenntnis nahm, die auf der Bretterwand des Unterstands neben dem Gatter hinterlassen und offenbar mit dem Blut des toten Tieres geschrieben worden waren.

»Sieht aus wie die Tat eines Irren«, knurrte McDougall und rieb sich bestürzt über den graumelierten Vollbart. »Meinen Sie, das hat etwas mit den Frauenmorden zu tun?«

»Das«, erwiderte Ambrose und ließ seinen Blick nachdenklich über die Weide wandern, bis er auf den Gebäuden der Stadt unten im Tal liegen blieb, »scheint mir etwas weit hergeholt, Roddy.«

McDougall bewegte den Kopf in Richtung der blutigen Malereien auf der Wand. »Können Sie damit etwas anfangen? Buchstaben erkenne ich jedenfalls keine darin.«

Der Sheriff war sich nicht sicher, ob McDougall des Lesens überhaupt mächtig war, dennoch hatte er recht. Bei den Linien und Kreisen handelte es sich nicht um Schrift im hergebrachten Sinne. Er kratzte sich am Hals und zuckte die Achseln. »Sinnloses Geschmiere scheint es aber auch nicht zu sein. Sieht mir aus wie irgendwelche Symbole.«

»Vielleicht stecken ja die Rothäute dahinter«, brummte McDougall und wackelte mit den buschigen Augenbrauen. »Wäre nicht das erste Mal, dass die Ärger machen.«

»Das ist fast zwei Jahre her, Roddy«, widersprach der Sheriff und warf dem Farmer einen mahnenden Blick zu. »Und da hat Danny Hayes ihnen verdorbenes Getreide angedreht. Eines ihrer Kinder wäre damals fast gestorben.«

»Sie haben Hayes die Scheiben eingeworfen und seinem Sohn den Arm gebrochen!« McDougall legte empört die Stirn in Falten und war unwillkürlich etwas lauter geworden.

»Der junge Hayes ist mit einem Beil auf die Indianer losgegangen«, erwiderte Ambrose. »Außerdem war der Arm nicht gebrochen … Himmel, Roddy, wer erzählt bloß so einen Scheiß? Danny Hayes hat sich geweigert, den Paiute ihr Geld zurückzugeben, obwohl Richter Loxley ihn dazu verdonnert hat. Schätze, da wärst du auch auf die Barrikaden gegangen.« Er breitete in einer ebenso umfassenden wie unbestimmten Geste die Arme aus. »Das hier sieht jedenfalls anders aus.«

Eindringlich nahm der Sheriff sein Gegenüber in den Blick. »Hattest du vor kurzem mit irgendjemandem Ärger, Roddy? Etwas, das mir entgangen ist?«

McDougall starrte ihn entrüstet an. »Blödsinn! Mit wem sollte ich streiten?«

»Keine Ahnung, sag du’s mir.«

»Da gibt es nichts zu sagen!«

»Was ist mit Victor Copeland? Ihr habt euch schon öfter wegen der Wasserrechte in den Haaren gehabt, oder nicht?«

McDougall verschränkte die Arme vor der Brust und zuckte die Achseln. »Ihr Schwager und ich haben uns längst geeinigt, Sheriff. Wenn Sie mir nicht glauben, können Sie ihn ja selbst fragen.« Er grinste humorlos. »Falls Sie ernsthaft denken, dass Copeland auf die Idee kommt, mir nachts mein Vieh zu stehlen und eins davon abzustechen.«

Ambrose winkte ab, denn das dachte er natürlich nicht.

»Besser, du kümmerst dich bald darum, den Kadaver zu entsorgen.« Er nickte in Richtung des Bachs, der nur wenige Schritte entfernt am Rand der Weide verlief. »Nicht, dass unser gutes Quellwasser Schaden nimmt.«