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Dan Sharp hatte in seinem Leben schon oft in der Klemme gesteckt. Er war verletzt, verfolgt und verflucht worden. Eine Kugel steckte seit Jahren in seinem Brustkorb, hatte sich eingekapselt wie ein Schwarzbär im Winterschlaf. Seine Feinde nannten ihn Crooked Nose, seit seinem Kampf mit einem wütenden Haufen Kiowas. Irgendwie war es ihm immer gelungen, sich seiner Haut zu erwehren.
Diesmal lagen die Dinge jedoch anders. Diesmal saß er hinter Gittern und wartete auf den Galgen. Für einen Mord, den er nicht begangen hatte...
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Seitenzahl: 133
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Ein sündiges Erbe
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Ertugrul Edirne/Becker Illustrators
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9688-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Ein sündiges Erbe
Dan Sharp hatte in seinem Leben schon oft in der Klemme gesteckt. Er war verletzt, verfolgt und verflucht worden. Eine Kugel steckte in seinem Brustkorb, hatte sich dort eingekapselt wie ein Schwarzbär im Winterschlaf. Seine Feinde nannten ihn Crooked Nose, seit seinem Kampf mit einem wütenden Haufen Kiowas.
Irgendwie war es Dan Sharp immer gelungen, sich seiner Haut zu erwehren. Diesmal lagen die Dinge jedoch anders. Diesmal saß er hinter Gittern und wartete auf den Galgen. Für einen Mord, den er nicht begangen hatte…
»He, Abschaum!« Deputy Higgins fuhr mit dem wuchtigen Zellenschlüssel an den Gitterstäben entlang. Es klirrte metallisch. »Abendessen!«
Dan Sharp setzte sich vorsichtig auf der Pritsche auf. Sein Körper fühlte sich an wie ein einziger blauer Fleck. Die Kerle, die ihn vom Gericht in seine Zelle verfrachtet hatten, waren nicht zimperlich vorgegangen. In seinem Schädel dröhnte ein ganzer Schwarm wilder Bienen. Und eine Rippe schien auch gebrochen zu sein. Jedenfalls fiel ihm das Atmen verdammt schwer.
Der Deputy hielt einen Blechteller mit einer Mahlzeit in der Hand. Wenn man die gelbliche Pampe denn so nennen wollte. Vermutlich hätten selbst die Schweine der Farmer draußen vor der Stadt den Fraß verschmäht. Neben dem Eintopf gab es einen Kanten Brot für ihn. In dem gräulichen Klumpen ringelten sich Maden.
»Es ist serviert, der Herr. Sogar mit einer extra Fleischeinlage«, höhnte der Deputy. »Nur einen Moment noch.« Er zog geräuschvoll die Nase hoch und spuckte auf den Teller. Sein breites Grinsen entblößte schwarze Zahnstummel.
»Verdammte Sauerei, Ted«, brummte Marshal Gragg. Er starrte tadelnd von seinem Schreibtisch im Nebenraum herüber.
Sein Gehilfe zog die Schultern hoch. »Was denn? Lohnt sich nicht mehr, den zu füttern. Richter Jenkins hat ihn verurteilt. Der ist Wurmfutter, das steht mal fest.«
»Fünf Tage müssen wir ihn noch am Leben halten. Sonst bringen wir den Henker um seinen Lohn.«
»An mir soll’s nicht liegen. Hast du gehört, toter Mann? Fünf Tage noch. Dann hängst du.« Deputy Higgins schob den Schlüssel in seinen Gürtel, krallte die rechte Hand um seine Kehle und tat so, als würde er zudrücken. »Geschieht dir recht.«
»Recht? Ist es Recht, einem unschuldigen Mann das Leben zu nehmen?«
»Du bist so unschuldig wie die verdammte Cholera.«
»Ich habe aber niemanden umgebracht.« Zumindest nicht dieses Mal, fügte Dan Sharp in Gedanken hinzu.
»Ach nein? Der Richter war da anderer Meinung. Du hast Mister Reed auf dem Gewissen. Dabei hat er in dieser Stadt viel Gutes bewirkt. Verdammt viel Gutes sogar.«
»Er hat euch geschmiert, damit ihr bei seinem Treiben wegschaut, meinst du wohl.«
»Bastard!« Der Deputy knallte den Teller auf den Boden, dass der Eintopf nach allen Seiten spritzte. Er machte sich nicht einmal die Mühe, ihn unter dem Gitter durchzuschieben. Das sollte der Gefangene schön selber erledigen.
Nun, darauf würden sie lange warten.
Dan Sharp konnte sich an allen zehn Fingern ausrechnen, warum die Sternträger aus Paxton so schlecht auf ihn zu sprechen waren. Irgendjemand hatte Eugene Reed erschossen. Wer auch immer den Abzug betätigt hatte, hatte dem Marshal und seinen Deputies den Geldhahn zugedreht. Dieser Reed war ein zwielichtiger Geschäftemacher gewesen, darauf angewiesen, dass Justitia beide Augen zudrückte. Diesen Gefallen hatte sich Eugene Reed einiges kosten lassen. Nun war er tot. Hinterrücks erschossen. Der Täter auf der Flucht. Und bei Dan Sharp hatte man einen ganzen Beutel voller Silberdollar sowie eine Taschenuhr mit dem eingravierten Namen des Ermordeten gefunden. Außerdem war in der ganzen Stadt bekannt, dass Dan nicht gut auf Mister Reed zu sprechen gewesen war. Mehr als einmal waren sie in aller Öffentlichkeit aneinandergeraten. So, wie der Halunke die Girls behandelt hatte… Dan Sharp ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Richter Jenkings hatte ihn wegen Mordes und schweren Raubes verurteilt. Sein Tod am Galgen war eine beschlossene Sache.
Dabei war er nur aus einem einzigen Grund in die Stadt am South Platte River gekommen: Er wollte ein paar ruhige Tage verbringen. Wollte sich erholen, bevor ihn der nächste Job wieder sonst wohin führte. Tja, Ruhe würde er bald mehr haben, als ihm lieb war. Wie die Dinge nun einmal lagen, würde er nie wieder einen Auftrag ausführen. Das war Geschichte. Elf Jahren war er für die Brigade Sieben geritten. Hatte im Lauf der Zeit zahlreiche Verbrecher dem Gesetz zugeführt oder im Kampf über den Jordan geschickt. Und nun? Nun würde er einem falschen Urteil zum Opfer fallen.
Fortuna ist wirklich eine launische Lady, ging es ihm durch den Kopf. Auf sie ist so viel Verlass wie auf das Wetter.
Seine Auftraggeber in Washington würden ihm nicht helfen. Das war Teil des Jobs. Kein Außenstehender durfte von der Organisation erfahren. Nach außen würde man leugnen, ihn zu kennen, und erst recht keinen Finger für ihn krumm machen.
Fünf verdammte Tage noch.
Nachts fand er keinen Schlaf, sah die Schlinge schon vor sich, sobald er die Augen schloss. Er schmiedete Fluchtpläne, verwarf sie wieder, schmiedete neue. Bis jetzt ohne Erfolg. Die Sternträger ließen ihn nicht aus den Augen. Ahnten wohl, dass er alles tun würde, um seinem Schicksal zu entrinnen. Ohne Hilfe von außen würde er nicht aus dieser elenden Zelle herauskommen. Oder gar seine Unschuld beweisen können.
Er saß hier fest, bis der Henker eintraf.
Auf dem Boden seiner Zelle zeichneten sich Flecken ab, über deren Herkunft er lieber nicht so genau nachdenken wollte. Einer seiner Vorgänger hatte eine Frau in die Bretterwand geritzt. Er musste hier viel Zeit verbracht haben. Die Zeichnung war detailliert und verriet eine Vorliebe für üppig gebaute Girls, wie sie auch Dan gefielen.
Sein Blick flirrte durch die Gitterstäbe auf die staubige Straße. Die Sonne stand schon tief im Westen, tauchte die Stadt in ein sanftes Licht, das den Staub und die Häuser einladend und warm wirken ließ. Zahlreiche Passanten waren unterwegs, strebten dem General Store oder dem Three-Horses-Saloon zu. Ein Zeitungsjunge pries an der Ecke die Abendausgabe des Paxton Chronicle an.
»Überfall auf die Laymond-Farm. Lesen Sie!« Er wedelte mit einem der Blätter. »Rätselhafte Knochenfunde am North Platte River. Erfahren Sie alles! Nur bei uns!«
Knochenfunde? Dan Sharp spitzte die Ohren. Was mochten das für Knochen sein? Und was war an ihnen so rätselhaft? Deuteten sie auf einen Mord hin? Oder stammten sie vielleicht von uralten Wesen? Die verendet waren, bevor es überhaupt den ersten Menschen gegeben hatte? Rätselhafte Riesenbiber, von denen die Indianer Geschichten erzählten? In den Rockies sollte es die gegeben haben. Aber hier in Nebraska?
Manche glauben, es gibt abgelegene Täler, in denen noch ein paar von diesen Viechern leben. Ich wüsste zu gern, ob da etwas dran ist. Nun ist es wohl zu spät, um noch auf die Suche danach zu gehen… Während er grübelte, waren nebenan plötzlich Stimmen zu hören.
Frauenstimmen.
Seine Miene hellte sich unwillkürlich auf.
Womöglich hatte er hier doch ein paar Freunde.
Zwei junge Frauen in farbenfrohen Kleidern postierten sich links und rechts neben dem Schreibtisch des Marshals. Eve und Rhonda arbeiteten ein paar Häuser die Mainstreet hinunter. In Paxtons Palace. Dan war dort zu Gast gewesen, kurz bevor er hinter Gitter gewandert war. Dabei hatte er mitbekommen, dass der Boss die Girls nicht gut behandelte. Und er hatte sich eingemischt. Das schienen sie ihm nicht vergessen zu haben.
Eve zwinkerte ihm zu, während ihre Kollegin den Marshal und seinen Deputy in ein Gespräch verwickelte und sich dabei so weit vorbeugte, dass ihre drallen Brüste beinahe aus ihrem Mieder purzelten. Die beiden Sternträger bekamen Stielaugen, saugten sich mit ihren Blicken regelrecht an der schwarzhaarigen Schönen fest.
Eve huschte zu Sharps Zelle und tastete unter ihre Röcke.
Da drehte sich Deputy Higgins zu ihr um und brummte: »Was hast du denn da drunter versteckt, Süße?«
»Nichts, das umsonst zu haben wäre.«
»Das wollen wir doch mal sehen.«
»Hey, Finger weg!«
»Als Deputy ist es meine Pflicht, dich zu durchsuchen, ehe du den Gefangenen sehen darfst.« Ted Higgins tastete das Girl ab und pfiff unvermittelt durch seine Zahnstummel. »Was haben wir denn da?« Triumphierend brachte er einen Derringer hervor. Eve funkelte ihn wütend an.
»Netter Versuch, Süße.« Er wandte sich ihrer Kollegin zu und ließ ihr dieselbe Prozedur zuteilwerden. Dabei ging er durchaus gründlich vor.
Rhonda schlug seine Finger weg, aber es nutzte nichts. Er nahm ihr das Messer ab, das in ihrem Strumpfband steckte.
Derweil trat Eve vor die Zellentür. »Wie können wir dir helfen, Dan?«, stieß sie hastig hervor.
»Gar nicht, fürchte ich. Mein Schicksal ist besiegelt.«
»Es muss doch etwas geben, das wir tun können.«
Er wiegte den Kopf hin und her. »Wenn ihr mir etwas zu essen durchs Fenster schmuggeln könntet, wäre ich wirklich dankbar. Den Fraß hier rühren nicht mal die Ratten an.«
»Ist schon so gut wie erledigt.« Eve schenkte ihm ein Lächeln, das wie ein Sonnenstrahl durch die Gitterstäbe fiel. »Und wie können wir dich hier rausholen?«
»Lasst das lieber bleiben. Die Sternträger würden euch bei dem Versuch todsicher erschießen.«
»Gibt es denn keine Möglichkeit, um dir zu helfen?«
»Nun…« So ganz wollte er die Hoffnung noch nicht aufgeben. Eine Chance gab es vielleicht noch. »Könnt ihr für mich ein Telegramm schicken? Nach Washington?«
☆
»Ich halte das nicht mehr aus. Bitte, helfen Sie mir, Sally, sonst reiße ich mir das verflixte Ding noch raus.« Der Farmer sank auf den Schemel vor Sally nieder und drehte seine Mütze zwischen den Händen. Seine rechte Wange war angeschwollen, als hätte er ein Hühnerei in seinem Mund versteckt. »Diese Schmerzen wollen gar nicht mehr vergehen.«
»Verstehe. Öffnen Sie bitte Ihren Mund.« Sally nahm einen schmalen Holzspatel zur Hand und beugte sich vor.
»Wozu denn das?« Er beäugte den Spatel in ihrer Hand, als wäre es eine Klapperschlange.
»Ich möchte mir ein Bild vom Zustand Ihrer Zähne machen.«
»Ist das wirklich nötig?« Der Farmer rutschte auf seinem Platz herum. »Das Innere meines Mundes ist privat, wissen Sie.«
»Ich bin Krankenpflegerin. Vor mir müssen Sie sich nicht genieren.« Bei Gott, das musste er wirklich nicht. Es gab nichts, das sie in den vergangenen drei Jahren, in denen sie bei Doc Adams aushalf, nicht gesehen hatte. Von eitrigen Furunkeln über weggeschossene Nasen bis hin zu Würmern, die sich aus dem After ringelten. Sally bezweifelte, dass es noch etwas gab, das sie schockieren konnte.
»Also schön.« Der Farmer holte tief Luft. Dann öffnete er seinen Mund.
Sally schob seine Oberlippe mit dem Spatel nach oben und inspizierte sein Gebiss. Viel gab es da freilich nicht mehr zu sehen. Ed Wheeler hatte schon rund die Hälfte aller Zähne verloren. An seinem rechten unteren Backenzahn war das Zahnfleisch geschrumpft und gelblich verfärbt. Das musste der Übeltäter sein. Er sah ganz danach aus – und roch auch so. Bei jedem Atemzug schlug Sally ein fauliger Geruch entgegen.
»Den Zahn muss ich ziehen. Möchten Sie vor der Prozedur ein Glas Whiskey, Mister Wheeler?«
»Zu einem guten Whiskey sage ich bestimmt nicht nein. Das bringt Unglück, wissen Sie.« Der Farmer wedelte mit einer Hand, als sie ihm einschenkte. Sie sollte ruhig mehr eingießen. Er setzte das Glas an, kippte den Inhalt hinunter und ließ sich nachschenken. Während der Alkohol seine Wirkung tat, wusch Sally ihre Hände, griff nach der Zange und brachte sich neben dem Farmer in Position.
Diesmal öffnete er bereitwillig seinen Mund.
Mit einem kräftigen Zug hebelte sie den Zahn aus dem Fleisch.
Es ging leichter, als sie gedacht hatte.
Sally spülte die Wunde großzügig mit Whiskey, was dem Farmer ein scharfes Zischen entlockte. Dann drückte sie ihm ein zusammengerolltes Stück Stoff in die Wunde. »Beißen die da drauf, Mister Wheeler. Dann hört es auf zu bluten.«
Der Farmer nickte nur.
»Sagen Sie: Wie oft putzen Sie am Tag Ihre Zähne?«
Er konnte ihr wegen des Stoffs im Mund nicht antworten, sah sie jedoch verblüfft an, als wollte er fragen: Warum sollte ich das denn tun?
»Wenn Sie Ihre Zähne pflegen, haben Sie länger etwas davon.« Sally wandte sich zu dem Regal um, in dem Doc Adams seine Medikamente aufbewahrte. Hier reihten sich braune Flaschen und Kisten mit Utensilien aneinander. Sie nahm sich eine Zahnbürste, Zahnseife sowie eine Flasche mit einer Lösung, die sie selbst hergestellt hatte. Die Mischung enthielt Wasser, Alkohol und verschiedene Kräuter, wie Salbei, Thymian und Gewürznelken. All das stellte sie dem Farmer hin.
»Putzen Sie zwei Mal am Tag Ihre Zähne und spülen Sie mit der Lösung nach. Das wird Ihren Zähnen gut bekommen. Und Ihr Atem wird danach wunderbar frisch riechen. Ihre Frau wird gar nicht genug von Ihren Küssen bekommen können.« Sally zwinkerte ihm zu.
Er nuschelte etwas, das sich durchaus erfreut anhörte. Kurz beäugte er die Zahnbürste, dann stemmte er sich von dem Schemel hoch, legte Sally zwei Dollar hin und stopfte die Sachen in seine Taschen. Schließlich stiefelte er davon.
Sally war sich ziemlich sicher, dass er es nicht erwarten konnte, die Wirkung der Zahnpflege auf seine Frau auszuprobieren.
Nun war nur noch ein einziger Patient da. Der achtjährige Sohn der Davenports litt an Diphtherie. Sally nannte die Erkrankung bei sich nur Würgeengel der Kinder, denn genau das tat diese verflixte Krankheit: Sie schnürte den kleinen Patienten die Atemwege zum, bis diese elend erstickten.
Doc Adams kümmert bereits um den Jungen. Der Atem des Kindes kam schwer und keuchend. Seine Lippen verfärbten sich bereits blau. Lange würde er nicht mehr durchhalten. Doc Adams war gezwungen, einen Luftröhrenschnitt zu wagen. Eine sorgenvolle Furche grub sich zwischen den buschigen grauen Augenbrauen des Arztes ein, während er zur Tat schritt.
»Wird er es schaffen?«, fragte Sally leise.
»Das liegt nicht in unserer Hand.« Doc Adams wackelte sorgenvoll mit dem Kinn. Er war ein kleiner Mann mit rundem Rücken, dessen graue Augen hinter der runden Brille prüfend und auch ein wenig misstrauisch blickten. Er hatte eine Schwäche für mexikanische Zigarillos und roch nach Tabak.
Doc Adams hatte Sally nach dem Eisenbahnunglück wieder zusammengeflickt. Ihren Mann hatte er nicht retten können, aber sie hatte er wieder auf die Beine gebracht und bei sich aufgenommen. Seitdem ging sie ihm zur Hand. Abends, wenn keine Patienten mehr kamen, saß sie mit seinen Büchern am Feuer und las alles, was sich über Medizin lernen ließ.
Doc Adams behandelte überwiegend Goldgräber, die mit Schmerzen in den Gelenken zu ihm kamen. Hin und wieder waren auch Schusswunden zu versorgen. Die Farmer litten häufig unter hartnäckigem Husten und Verletzungen, die von ihrer Arbeit herrührten. Ab und zu galt es auch, ein verletztes Pferd zu verarzten. Doc Adams schickte niemanden weg.
Das Haus des alten Arztes stand am Rand der Goldgräberstadt Stone Bluff im Norden von Nebraska. Von den Fenstern auf der Nordseite aus hatte man einen guten Blick auf die imposanten Sandsteinstrukturen außerhalb der Stadt. Davor lag der Stiefelhügel.
»Vorhin ist ein Brief für Sie gekommen, Sally«, sagte er und tastete nach dem Herzschlag seines kleinen Patienten. »Liegt da drüben. Neben dem Glas mit den Blutegeln.«
Sally drehte sich um, nahm das gelbe Kuvert zur Hand und drehte es unschlüssig zwischen den Fingern. »Von einem Anwalt aus Paxton. Was kann er denn von mir wollen?«
»Nichts Gutes vermutlich. Diese Rechtsverdreher wirtschaften sich am liebsten in die eigene Tasche und nehmen anderen das Geld ab. Sie sollten auf der Hut sein.«
Sally brach das Siegel und riss den Umschlag auf. Er enthielt ein Schreiben, das in einer markanten Handschrift verfasst war. Sie überflog die Zeilen, stutzte und las erneut.
»Hier steht, dass mein Onkel gestorben ist.«
»Sie haben einen Onkel? Das wusste ich gar nicht.«
»Ich habe ihn auch nicht gekannt. Meine Eltern haben nur über ihn gesprochen, wenn sie dachten, ich würde es nicht hören. Sie haben gesagt, er wäre ein Bandit, aber in meiner Fantasie war er immer so etwas wie ein Abenteurer.«
»Wie war sein Name?«