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Die Schachtel bestand aus hellbraunem Panamaholz, besaß einen rostigen Drehverschluss und war mit der Frachtbanderole der Riley & Tracy Freight Company versehen. Sie war eine Woche zuvor mit dem Dampfschiff aus der Essequibo-Kolonie in Niederländisch-Guyana gekommen und per Eilboten an Howard Brunswick zugestellt worden.
In der Schachtel lag ein Manzanillo-Zweig. Bereits ein einziger Tropfen seines Pflanzensaftes, so hatte Brunswick gelesen, konnte einen Menschen erblinden lassen. Die Kariben bezeichneten ihn sogar als Manzanilla de la muerte, als Apfel des Todes. Doch Blindheit reichte Brunswick aus.
Er wickelte den Zweig in das Packpapier zurück, verschloss die Schachtel sorgfältig und schob sie in die Schublade zurück.
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Seitenzahl: 130
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Blinder Zorn
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Boada/Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9689-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
BlinderZorn
Die Schachtel bestand aus hellbraunem Panamaholz, besaß einen rostigen Drehverschluss und war mit der Frachtbanderole der Riley & Tracy Freight Company versehen. Sie war eine Woche zuvor mit dem Dampfschiff aus der Essequibo-Kolonie in Niederländisch-Guyana gekommen und per Eilboten an Howard Brunswick zugestellt worden.
In der Schachtel lag ein Manzanillo-Zweig. Bereits ein einziger Tropfen seines Pflanzensaftes, so hatte Brunswick gelesen, konnte einen Menschen erblinden lassen. Die Kariben bezeichneten ihn sogar als Manzanilla de la muerte, als Apfel des Todes. Doch Blindheit reichte Brunswick aus.
Er wickelte den Zweig in das Packpapier zurück, verschloss die Schachtel sorgfältig und schob sie in die Schublade zurück.
Brunswick-Ranch, Arizona-Territorium, zwei Wochen zuvor
Der gusseiserne Schmortopf war zu zwei Dritteln mit Aztekengold gefüllt.
Sie hatten sich für eine aufwendig gearbeitete Krone entschieden, in die sie einige der birnenförmigen Amulette und den Sonnenkranz gelegt hatten. Die Lücken hatten sie mit Rindenstücken ausgestopft, damit das Gold nicht am Eisen scheuerte.
»Nummer sieben«, sagte Amanda Brunswick und schaute ernst zu ihrem Mann. Sie hatte sich das schulterlange blonde Haar zu einem Zopf gebunden. »Es ist alles verstaut.«
Die beiden Petroleumlampen über ihren Köpfen erhellten die Scheune nur spärlich. Das Licht reichte gerade aus, um die torfverschmierten Kisten und die übrigen Schmortöpfe im Blick zu behalten.
»Nummer sieben«, pflichtete Howard Brunswick bei und legte den Deckel auf den Topf. Er betrachtete die Kisten, die sie geleert hatten. »Man wird uns deswegen durch die halbe Welt jagen, Ammy.«
Die Rancherin hob den Kopf und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Der verdammte Schatz hat zweihundert Jahre im Moor gelegen. Er gehört uns. Er ist nicht gestohlen.«
Brunswick wusste, dass sie sich damit in die Tasche logen.
Vor dem Gesetz mochten sie das Aztekengold nicht gestohlen haben, doch dass sie davon erfahren hatten, war kein Zufall gewesen. Sie hatten sich einer geheimen Regierungsdepesche bedient, die im Postamt von Boulder City gelegen hatte und für den Territorial-Gouverneur bestimmt gewesen war.
»Bringen wir sie raus!«, seufzte Brunswick und griff zwei der Schmortöpfe. Er schleppte sie bis vor das Scheunentor und stellte sie ab. »Du nennst mir die Plätze, und ich vergrabe die Töpfe. Einen nach dem anderen, fünf Fuß tief.«
Das Gold der Azteken mochte tausende oder zehntausende Dollar wert sein, hätte es einen Käufer gegeben, dem Brunswick genügend vertraute. Er hatte mit einem Mexikaner gesprochen, der ihm siebentausend geboten hatte, danach mit einem Juwelier aus dem Nevada-Territorium.
Der miserable Leumund beider Männer hatte das Rancherpaar zögern lassen.
»Einen zur alten Kiefer«, sagte Amanda und wies in die Dunkelheit hinaus. »Du musst dich schonen, Howard. Lass mich den Schacht ausheben.«
»Kommt nicht in Frage!«, brauste der Rancher auf und griff nach dem Spaten. »Dieses Gold ist unser einziges Vermögen. Ich will es selbst vergraben.«
Sie hatten sich stets gegen ein Kind entschieden.
In den ersten Jahren war es ausschließlich um die Ranch gegangen, die gegen Indianerüberfälle und wilde Tiere geschützt werden musste, und als sie die ersten Schafherden verkauft hatten und zu bescheidenem Reichtum gekommen waren, hatte Brunswick gefürchtet, dass ein Kind alles durcheinanderbringen würde.
Amanda war oft einsam zumute deshalb.
Sie saß auf diesem öden Flecken Land fest, mit ihm, Howard Brunswick, einem schwerkranken Rancher, der an manchen Tagen kaum das Bein aus dem Bett brachte. Er hatte Amandas Geduld stets bewundert. Sie hatte ihm die aufgewärmte Milch gebracht, als der Rheumatismus schlimmer und schlimmer geworden war, und kein einziges Mal geklagt.
»Wie du willst«, sagte Amanda nur und wies auf die alte Kiefer am Haus. »Du vergräbst den Topf, und ich merke mir, wo die Stelle ist. So bleibt die Karte nur in unseren Köpfen.«
Wie die Bettler hatten sie in Boulder City geheiratet, mit einem aufgeschnittenen Jutesack als Brautkleid und vier Wicken als Strauß. Der Reverend hatte ihnen eine lange und glückliche Ehe gewünscht, und schon beim anschließenden Kuss hatte Brunswick festgestellt, dass es dieses Wunsches nicht bedurft hätte.
Hustend griff Brunswick nach dem Spaten und schleppte den Topf zur Kiefer hinüber. Er grub unter der Kiefer ein Loch von zwei Fuß Breite und ruhte sich nach einigen Spatenstichen aus.
Amandas schmales Gesicht leuchtete im Schein des Petroleumlichts.
Sie hatte eine feenhafte Schönheit mit ihrem langen Hals und den schlanken Gliedern, die sich so anmutig bewegten, selbst wenn sie nur Rancharbeit verrichteten. An manchen Tagen schaute Brunswick seiner Frau von der Veranda aus zu, wie sie das Pferd anspannte, und dann dachte er, dass er ein geradezu wahnwitziges Glück hatte.
»Willst du ins Haus gehen?«, fragte Amanda und brachte ihrem Mann die Feldflasche mit dem Tee darin. Sie strich ihm über die bärtige Wange und lächelte. »Es wäre nicht schlimm. Die übrigen Töpfe vergraben wir bei Tag.«
»Nein, nein, nein!«, protestierte Brunswick energisch und schüttelte den Kopf. »Der Territorial-Gouverneur wird bald jemanden schicken, der dieser Sache nachgeht. Das Telegramm könnte längst auf dem Weg sein.« Er fasste nach dem Spaten. »Wir müssen weitergraben.«
Fast der halbe Morgen verstrich, bis sämtliche Töpfe mit dem Aztekenschatz verschwunden waren. Sie hatten sich für Plätze auf der ganzen Ranch entschieden, jeder wenigstens fünfzig Fuß vom anderen entfernt. Die Kisten aus dem Torfmoor füllten sie mit Steinen und brachten sie ins Moor zurück.
»Zehn Jahre oder fünfzehn Jahre noch«, sagte Brunswick am Mittagstisch und griff nach dem Kaninchenbraten, den Amanda ihm hingestellt hatte. Er erwischte eine Keule und nagte den Knochen ab. »Uns wird niemand verdächtigen. Aber wir dürfen von dem Gold keinem erzählen. Es wird Gras über die Sache wachsen, und danach gehört der Schatz uns.«
Amanda sagte nichts und lächelte bloß, wie es ihre Art war, sobald Brunswick über Pläne für die Ranch sprach. Sie überließ ihm das Ruder, ohne sich zu beklagen oder seine Entschlüsse in Zweifel zu ziehen.
»Hörst du?«, fragte Brunswick und ergriff ihre Hand. »In einem Jahrzehnt könnten wir reiche Leute sein. Die Schafe brauchen wir nur noch ein paar Winter. Ich könnte mit dir nach Kalifornien gehen oder an die Ostküste.« Er hustete und verschluckte sich. »Was denkst du, Liebes?«
»Ich denke«, sagte Amanda und tippte mit der Gabel auf seinen Teller, »dass du etwas essen solltest.«
☆
Die Parfümerie von Fitzgerald & Kenyon befand sich im dritten Stock des eleganten Warenhauses und wurde vorwiegend von Handelsreisenden und Fabrikanten nebst ihrer Töchter und Ehefrauen aufgesucht. Die hölzernen Tischlein und Anrichten, auf denen Flakons und Gläser zu imposanten Stapeln aufgeschichtet waren, reichten bis zur Fensterfront, unter der die weniger betuchte Bevölkerung von Arizona City ihren Tagesgeschäften nachging.
Die Seidenhändlerin Ann Haggee indes flanierte nicht durch die Gänge.
Sie lag nackt und vornübergebeugt auf einem Stoffballen im Warenlager und krallte die Nägel ihrer rechten Hand in Lassiters Oberschenkel. Der Mann der Brigade Sieben stand hinter ihr, hielt den hochgeschlagenen Rock fest und stieß mit aller Kraft zu.
»O Lassiter!«, schrie Ann – oder Miss Haggee, wie sie sich ihrem Liebhaber vorgestellt hatte – und seufzte gleichzeitig. »Du hättest besser Seide von mir gekauft!«
Dass es dazu nicht gekommen war, hatte mit Lassiters Charme zu tun. Er war den Anweisungen eines Telegramms gefolgt, das ihn aus Washington erreicht und ihn gebeten hatte, sich bei Mr. Kenyon im Fitzgerald-&-Kenyon-Warenhaus zu melden. Mr. Kenyon war der hiesige Mittelsmann der Brigade Sieben und kannte die Einzelheiten der bevorstehenden Mission.
»Vier Dollar für eine Elle scheint mir teuer«, erwiderte Lassiter und griff in das kastanienbraune Haar der schönen Bostonerin. »Ich wollte ein gutes Geschäft machen.«
Angriffslustig warf Ann den Kopf zu ihm herum. Sie stieß ihn von sich, drehte sich um und griff ihn beim Kragen. »Machst du keines?« Sie spreizte verführerisch die Beine. »Du bekommst mehr als die meisten Geschäftsleute in Arizona.«
Den gleichen Blick hatte Ann Lassiter zuvor in der Parfümerie zugeworfen, zwischen einem Stapel Virgin Rose und einem Tisch voller Aphrodite's. Sie hatte ihm wortlos den Arm hingehalten, der mit zwei Düften besprüht war, und hatte gefragt, welchen von beiden ein Mann wie er bevorzugen würde.
»Welcher ist der Ihrige?«, hatte Lassiter gefragt und gelächelt.
Die übrige Unterhaltung zwischen ihm und Ann war rasch so schlüpfrig geworden, dass der Samtballen im Warenlager unausweichlich geworden war. Sie hatten es eine halbe Stunde im Liegen getrieben, bevor sich Ann umgedreht und den Rock in die Höhe geschlagen hatte.
»Fester!«, stöhnte die Händlerin jetzt und ließ eine Hand durch Lassiters Brusthaar gleiten. Mit der anderen hielt sie ihre rechte Brust umfasst und liebkoste sie mit dem Daumen. »Ich kann's kaum... aushalten.«
Über die Pflicht sann Lassiter in dieser Sekunde wenig nach, obgleich es nicht ausgeschlossen war, dass Kenyon im Warenlager erschien und seinen Agenten im Grunde auf frischer Tat ertappte. Das Telegramm hatte dringlich geklungen, dringlicher als sonst, aber man hatte ihm weder Ort noch Tageszeit für die Zusammenkunft genannt. Lediglich Kenyons Namen und dessen Stellung im Warenhaus.
»Woran denkst du?«, meinte Ann vorwurfsvoll und knöpfte ihr Mieder auf. Sie hatte einen straffen Bauch mit einem zarten Nabel, der wie das Innere einer Rosenblüte gelegt war. »Ich hatte gehofft, dass es kein bloßes Abenteuer für dich ist. Wie ich bereits sagte, bekommen die meisten –«
»Die meisten Geschäftsleute bekommen weniger als ich«, ergänzte Lassiter und betrachtete Anns Brüste. »Schläfst du mit vielen von ihnen?«
»Höchstens mit zweien«, flüsterte Ann und lächelte ebenfalls. »Sie sind jünger als ich und gescheite Liebhaber. Ich halte sie mir wie andere Leute einen Hund.« Sie lachte laut auf. »Es ist nur für das Vergnügen. – Was willst du bei Kenyon?«
Einen Augenblick lang hielt Lassiter in seinen Stößen inne. »Woher weißt du, zu wem ich möchte? Ich hatte dir nichts gesagt.«
»Ein Mann allein in der Parfümerie?«, erwiderte Ann amüsierte. Sie winkte ab und griff nach seinem steifen Pint. »Ich bitte dich, mein Lieber. Du kannst nur zu Kenyon wollen. Oder Fitzgerald.« Sie bewegte ihre Hand auf und ab. »Aber der alte Fitzgerald ist seit Wochen krank.«
Sie setzten zu einer weiteren Runde an, in deren Verlauf sich Ann auf Lassiter schwang und ihn mit aller Kraft ritt. Als der pralle Pint des großen Mannes einmal ganz in Ann verschwand, stöhnte die Händlerin voll Wollust auf.
»Mir sind Kenyon und Fitzgerald völlig gleich«, knurrte Lassiter und umfasste mit beiden Händen die schmale Hüfte seiner Geliebten. Er drückte sie ganz auf sich herunter, bis ihn ein feuriger Sturm packte und er zum Höhepunkt gelangte.
Ann kam es zur gleichen Zeit.
Sie legte den Kopf zurück, schloss die Augen und drückte Lassiter ihren feuchten Schoß entgegen.
»Verdammt!«, meinte Lassiter danach und ließ Ann langsam auf den Stoffballen herab. Er legte den Arm um sie und zog sie heran. »Ich hätte früher nach Arizona City kommen sollen.«
Ann hatte ein zufriedenes Lächeln im Gesicht. »Und ich mich nicht nur auf meine jungen Liebhaber verlassen...«
Sie lauschten eine Weile den dumpfen Geräuschen, die aus dem Warenmarkt herüberdrangen, und lachten dann laut auf, als sie sich vorstellten, dass niemand in der Parfümerie ahnte, was sich gerade ein paar Yards neben ihnen abgespielt hatte. Sie zogen sich an, und Lassiter knöpfte Ann die Korsage zu.
»Soll ich dich zu Kenyon bringen?«, fragte Ann und hielt zärtlich seine Hand fest. »Es fällt mir schwer, dich gehen zu lassen.«
»Du musst mich nicht gehen lassen«, gab Lassiter zurück. »Die Stadt ist voller Herbergen. Ich könnte mir ein paar Tage ein Zimmer nehmen.« Er schürzte die Lippen. »Aber das hängt von Kenyon ab.«
»Gibt er dir Arbeit?« Ann zupfte die Korsage zurecht und rutschte vom Stoffballen. Sie nahm ihr hellblaues Kleid, in dem sie noch vor zwei Stunden Seide verkauft hatte. »Er ist ein knurriger Kerl voller Geheimnisse. Ich würde lieber nicht für ihn arbeiten.«
Aus der Nebenkammer trat eine weitere Verkäuferin ein, die missbilligend zu Ann sah und vorgab, einige Gläser mit Duftwässern aus dem Regal zu holen. Als sie sich zum Gehen wandte, fiel ihr eines herunter.
»Was für ein Pech!«, rief Ann aus und eilte zu Hilfe. »Teuerste, Sie sollten –«
»Verschwinden Sie!«, gab die Bedienstete barsch zurück. »Von einem Flittchen wie Ihnen lasse ich mir nicht helfen! Dass Sie jedem Mannsbild nachsteigen, ist eine Schande!« Sie klaubte die Scherben zusammen. »Eine Schande, jawohl, eine rechte Blamage!«
Kaum war sie wieder durch die Tür, brach Ann in lautes Gelächter aus. Sie kam zu Lassiter zurück und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. »Jeden Tag geht's mir so, seit ich den jungen Mr. Tornow verführt habe. Er ist ein Russe und eine wahre Augenweide.« Sie deutete beiläufig zur Tür. »Manch eine kann es mir nicht gönnen.«
»Ich gönne es dir«, entgegnete Lassiter. »Flittchen sind meine Schwäche.«
☆
Die Trauergemeinde auf der Brunswick-Ranch, fünf Meilen hinter dem Goat Canyon, bestand aus alten Freunden des Ranchers und dem kläglichen Rest seiner Verwandtschaft, nämlich dem altersschwachen Bruder und der dazugehörigen Schwägerin. Sie alle hatten sich um das blumengeschmückte Grab versammelt, das die Witwe Amanda Brunswick hatte ausheben lassen, und sangen einen Choral, der noch trauriger war als der frühe Tod von Howard Brunswick.
Going home, ye friend so ol', sang Amanda mit geschlossenen Augen und spürte die Hand der Schwägerin in der ihren. The bell was rung, the bell was rung.
Die vier Strophen gingen qualvoll langsam vorüber, und nach den letzten Zeilen trat Amanda nach vorn, sprach dem Reverend ihren Dank aus und nahm zitternd den Fetzen Brotpapier zur Hand, auf dem sie hastig ihre Gedanken notiert hatte.
Die Trauernden schwiegen beklommen.
»Nichts hat meinem Mann Howard mehr bedeutet«, begann Amanda mit brüchiger Stimme, »als am Abend auf der Veranda zu stehen und von künftigen Zeiten zu träumen. Er mochte die Sterne und das Mondlicht, weil sie davon kündeten, dass ein Tag vorüber war und ein neuer bevorstand.«
Die Blicke der Trauergäste schweiften über das Grab und die benachbarte Ranch, deren Holzbohlenhäuser im letzten Nachmittagslicht leuchteten. Vor allem Purgy konnte die Tränen nicht zurückhalten, der – so hatte es Amanda stets empfunden – Howards bester Freund gewesen war.
»Niemand kannte den Goat Canyon und die Wiesen ringsum besser als mein Mann«, fuhr Amanda leiser fort. Sie heftete den Blick auf das Holzkreuz mit Howards Namen darauf. »Er liebte die Ausritte und den Proviant, den ich ihm dabei einpackte. Er sagte mir oft, dass eine Scheibe Brot und ein Stück trockenes Fleisch das Höchsten oben in den Bergen wäre, denn es stamme von mir.«
Durch die Reihen der Anwesenden ging ein leises Raunen, manchmal ein Schluchzen oder ein leiser Laut des Bedauerns. Howards Bruder war ein kräftiger Mann Mitte fünfzig und verkniff sich die Tränen ohne Erfolg.
»Der Tod nahm ihn mir«, flüsterte Amanda fest. »Und er nahm ihn auch euch. Er nahm euch einen hoffnungsfrohen Mann, der sich seinen Gebrechen nie ergeben hat.«
Die übrige Trauerzeremonie setzte sich aus einem Requiem, einer Predigt des Reverends und den Abschiedsbekundungen der Gäste zusammen. Die Feier hatte das schlichte Gepräge, das sich Amanda für ihren Mann gewünscht hatte, und als alles vorüber war, fand sich die Rancherin im Gespräch mit Purgy wieder.
»Er war ein guter Mann«, sagte Purgy und strich sich mit der Hand durch das rotblonde Haar. Er war Ire oder Norweger, so genau hatte Howard sich nicht festgelegt. »Ich wünschte, dass er unter uns geblieben wäre, bis ihr Kinder hättet. Er hätte uns etwas hinterlassen können.«
»Gräm dich nicht deshalb«, machte Amanda ihm Mut und wollte zugleich innerlich zerbrechen. »Er hat getan, was nötig war, um uns ein glückliches Leben zu ermöglichen. Ich... ich...« Sie kämpfte gegen einen Weinkrampf und setzte sich auf die Verandabank. »O Purgy, ich bin ganz und gar nicht glücklich.«