Lassiter 2499 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2499 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Die Nachricht traf Lassiter wie ein Schlag.
Es war ein unscheinbares Briefkuvert, in dem die Botschaft der Brigade Sieben steckte. Lassiter sollte so schnell wie möglich nach San Antonio reisen, denn der Kontaktmann Joe Travers sei Opfer eines Anschlags geworden. Bei dem Attentat waren auch Joes Frau Blanche und sein Sohn Chris ums Leben gekommen.
Lassiter konnte es nicht fassen. Joe Travers tot, ebenso Blanche und Little Chris! Seine Hände ballten sich zu Fäusten.
"Alles in Ordnung, Sir?", fragte der Portier, der ihm das Telegramm eben gereicht hatte.
"Machen Sie die Rechnung fertig", sagte Lassiter grimmig. "Ich muss abreisen, und zwar sofort."

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Seitenzahl: 131

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Tod kennt viele Namen

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Boada / Norma

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9692-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Todkennt vieleNamen

Die Nachricht traf Lassiter wie ein Schlag.

Es war ein unscheinbares Briefkuvert, in dem die Botschaft der Brigade Sieben steckte. Lassiter sollte so schnell wie möglich nach San Antonio reisen, denn der Kontaktmann Joe Travers sei Opfer eines Anschlags geworden. Bei dem Attentat waren auch Joes Frau Blanche und sein Sohn Chris ums Leben gekommen.

Lassiter konnte es nicht fassen. Joe Travers tot, ebenso Blanche und Little Chris! Seine Hände ballten sich zu Fäusten.

»Alles in Ordnung, Sir?«, fragte der Portier, der ihm das Telegramm eben gereicht hatte.

»Machen Sie die Rechnung fertig«, sagte Lassiter grimmig. »Ich muss abreisen, und zwar sofort.«

Lassiter stand in seinem Hotelzimmer und war dabei, seine Sachen zu packen, als die Tür aufsprang.

Die Belmont-Schwestern stürzten herein. Liz, die Ältere, stemmte aufgebracht die Hände in die Seiten. »Du willst dich aus dem Staub machen, Lassiter? Was fällt dir ein? Wieso zum Kuckuck sagst du uns nicht Bescheid?«

Er hatte die zwei attraktiven Schwestern im Theater kennengelernt, bei einem Stück von Shakespeare, das »Wie es euch gefällt« hieß. Die berühmte Schauspielerin Margo LaVerne spielte die Hauptrolle. Nach der Vorstellung hatte sich Lassiter mit den Belmonts zu einem Absacker in Carson's Bar getroffen. Angeregt hatten sie über die Komödie geplaudert. Es war nicht bei einem Drink geblieben – und am Ende der Diskussion hatten sie sich in seinem breiten Bett wiedergefunden. Liz und Carol hatten ihm eine ergötzliche Nacht beschert, der bald weitere gefolgt waren.

Jetzt sahen ihn die beiden unwillig an. Offenbar hatte der geschwätzige Portier sie informiert.

»Wir haben dich für einen Gentleman gehalten«, sagte Carol, die Jüngere.

Er hielt inne und schaute von einem Mädchen zum anderen. »Tut mir leid, Ladys. Ich habe eben eine verdammt schlechte Nachricht bekommen. In San Antonio ist ein Freund von mir ermordet worden.«

Das Vorwurfsvolle in den Gesichtern der Mädchen war wie weggeblasen.

»Ermordet?« Liz riss die Augen auf. »Hat man den Täter schon gefasst?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nichts Näheres. Das gefällt mir nicht. Deshalb will ich so schnell es geht nach Texas.«

Carol nickte. »Den Angehörigen zur Seite stehen, nicht wahr?«

Er schwieg einen Moment, dann antwortete er: »Es gibt keine Angehörigen mehr. Joes Frau und sein Sohn sind ebenfalls getötet worden.«

Die Mädchen waren geschockt. Sie standen da und starrten ihn entsetzt an.

»Was... was willst du tun, Lassiter?«, hauchte Liz.

»Ich werde alles dransetzen, dass der Schurke, der das getan hat, zur Verantwortung gezogen wird.«

Liz trat einen Schritt näher. »Ich wünschte, ich könnte dir dabei behilflich sein.«

»Ich auch«, sagte Carol und nahm seine Hand.

Bei ihrem Anblick empfand Lassiter eine Spur von Rührung. Die Belmont-Schwestern waren ihm sehr sympathisch, nicht nur als Liebesengel. Sie hatte ihm den Aufenthalt in Vaudeville erträglicher gemacht.

Jetzt blickten sie ihn an, als würden sie ihn am liebsten nach Texas begleiten wollen.

Er stopfte sein Hemd in den Reisesack und schnürte ihn fest zu. Liz nahm seinen Hut vom Haken und beulte die Krone aus. Derweil hielt Carol seinen Revolvergürtel in den Händen.

Binnen kürzester Zeit war er abmarschbereit.

»Wir bringen dich zur Bahnstation«, sagte Liz.

Carol nickte eifrig. »Vergiss ja nicht, uns zu schreiben, sobald du dieses Monstrum gefunden hast.«

»Das verspreche ich.« Er warf noch einen Blick durchs Zimmer. Dann nahm er Liz den Hut aus der Hand, setzte ihn auf und legte sich den Revolvergurt um. Schließlich schulterte er seinen prall gefüllten Reisesack.

Zu dritt steigen sie die Treppe zum Foyer hinunter.

»Beehren Sie uns bald wieder, Sir!«, rief der Portier, als sie an der Rezeption vorbei kamen.

Auf dem Weg zur Bahnstation wichen die Mädchen ihm nicht von der Seite. Die Männer, die ihnen entgegen kamen, warfen ihnen begehrliche Blicke zu. Kein Wunder, denn die Belmont-Schwestern waren sehr reizvolle, junge Frauen – vielleicht die hübschesten im ganzen County.

Lassiter bedauerte, Vaudeville so abrupt verlassen zu müssen. Liz und Carol werden mir fehlen, dachte er. So hingebungsvolle Girls sind dünn gesät.

Als sie das Bahngelände erreichten, stand der Zug schon da. Mit Asche vermischter Wasserdampf wallte über den Boden. Von der Lokomotive gellte die Dampfpfeife. Die Fahrgäste waren bereits eingestiegen. Nur noch wenige Menschen hatten sich auf dem Bahnsteig versammelt. Sie plauderten mit ihren Bekannten, die aus den Fenstern der Zugabteile sahen.

Lassiter wandte sich den Mädchen zu. Er nahm erst Liz, dann Carol in die Arme und drückte sie herzlich. Beide hatten mit den Tränen zu kämpfen.

»Ich hasse Abschiede«, sagte Liz.

»Und ich erst!« Carol drückte ihr Gesicht an Lassiters breite Brust.

»Einsteigen und die Türen schließen!«, tönte die Stimme des Bahnhofsvorstehers.

Lassiter küsste zuerst Liz, dann Carol noch einmal sacht auf die Wange, dann kletterte er auf die Plattform des vorletzten Waggons.

»Vergiss uns nicht!«, rief Carol, als sich der Zug in Bewegung setzte.

Die Schwestern gingen noch ein Stück neben den langsam rollenden Wagen her. Als der Zug Fahrt aufnahm, verschwanden sie in einer Wolke von milchigen Dampfschleiern.

Lassiter betrat das Abteil. Die Plätze waren nur zur Hälfte besetzt. Tabakrauch waberte unter der Decke. Im Gang stand ein Käfig, in dem Hühner gackerten. Ein Mann, der Wild Bill Hickok ähnelte, erzählte einen Doc Weston-Witz. Zwei junge Burschen, die wie Cowboys gekleidet waren, amüsierten sich über die Pointe des Ulks.

Lassiter wuchtete sein Gepäck auf die Ablage über der Sitzbank und ließ sich auf den ungepolsterten Holzsitz fallen.

Er saß kaum fünf Minuten, da überkam ihn eine nostalgische Vision. Er sah sich selbst, zusammen mit Joe und Blanche Travers an einem Lagerfeuer auf der Ranch seines Kontaktmannes sitzen. Sie aßen das Chili-Salza, das Blanche zubereitet hatte. Little Chris trabte jauchzend mit dem hölzernen Steckenpferd herum, das ihm die Eltern zum Geburtstag geschenkt hatten.

Das Schrillen der Dampfpfeife riss Lassiter aus seiner wehmütigen Erinnerung. Der Zug rumpelte an einem riesigen Maisfeld vorüber. Eine Weile saß Lassiter still da und starrte durch die ungeputzte Scheibe auf die grünen Stängel.

Dann fuhr er sich mit der Hand über die Augen, atmete tief durch und dachte an das, was auf ihn zukam.

»Tod und Teufel«, murmelte er.

Das Licht der Öllampen huschte über die Wände des feudal eingerichteten Kaminzimmers und warf Flecken auf das Gesicht des Mannes, der an der Stirnseite des rechteckigen Tisches thronte.

Der Mann hieß Ric Darby und hatte seine beiden engsten Vertrauten zum Rapport bestellt. Die zwei Revolverschwinger hockten auf ihren Plätzen und blickten respektvoll auf den wohl mächtigsten Mann von San Antonio. Spike Garrett kaute lässig auf einem Priem herum. Lance Macomber zupfte abwechselnd an seinen Fingern, bis es knackte.

»Well«, sagte Darby. »Ich möchte das Ganze noch einmal hören. Wie ist die Sache mit Travers gelaufen?«

»Aber ich hatte es doch schon beschrieben...«, begann Macomber.

Darby schlug mit der Faust auf den Tisch. »Verdammt! Hört ihr Kerle schwer? Ich will es noch einmal hören, von Anfang an.«

Die Revolvermänner tauschten einen verunsicherten Blick.

»Also«, begann Macomber aufs Neue, »Joe Travers ist keine Gefahr mehr für Sie, Mr. Darby. Wir haben sein Gehöft bis auf die Grundmauern dem Boden gleichgemacht. Bloß noch ein paar Trümmer sind übrig geblieben. Auch der Stall und die Scheune sind hinüber. Bei dem Feuerchen gab es keine Überlebenden.«

»Präzisionsarbeit«, quäkte Garrett.

»Genau.« Macomber grinste schief. »Als Travers merkte, was ihm blühte, kam er aus dem Haus gestürzt. Spike hat ihn mit drei Schüssen aus den Stiefeln geholt. Travers fiel um wie ein Sack Hafer auf der Tenne. Das Weibsstück habe ich aufs Korn genommen. Mit der ersten Kugel traf ich sie ins Bein, mit dem zweiten in den Schenkel. Da ist sie ins Haus zurück. Sie hat geschrien wie am Spieß, denn drinnen brannte es schon wie Zunder. Der Bengel schlug die Scheibe ein und wollte durchs Fenster verduften, aber Spike hat eine ganze Trommel auf ihn abgefeuert. Er fiel zurück in die Bude, und gleich darauf kam ein Balken runter. Danach war Ruhe im Schiff.«

»Ein Friedhof«, ergänzte Garrett.

Im Zimmer war es still geworden. Das Pendel der Wanduhr schwang hin und her. Irgendwo in einer Ecke summte ein Insekt.

Der Rechtsanwalt Joe Travers war Rick Darby auf die Schliche gekommen. Er hatte herausgefunden, dass der reiche Geschäftsmann seine Dollars auf nicht auf legale Weise verdiente. Nötigung, Erpressung, schwere Körperverletzung, bis hin zu Mädchenhandel, Zwangsprostitution und Waffenhandel. Die Liste seiner Verbrechen war so lang wie Galveston Island. Der rechtschaffene Travers hatte Beweise gegen Darby gesammelt. Aber zur Anklage reichte es noch nicht. Alles Brauchbare, was gegen Darby vorlag, lagerte in der Ranch des Anwalts, unweit der Castle Hills. Jetzt war das Anwesen samt seiner Bewohner ein Raub der Flammen geworden. All die Beweise, die Travers zusammengetragen hatte, waren vernichtet.

Garrett sammelte Tabaksaft im Mund und wollte ihn auf den Boden spucken, doch Darby warf ihm einen warnenden Blick zu. Der Priemer verstand und behielt den Saft fürs Erste im Mund.

»Sie sind also alle tot«, sagte Darby.

Die Revolvermänner nickten fast synchron.

»Mausetot«, sagte Garrett. »Ein Travers spuckt Ihnen nicht mehr in die Suppe, Boss.«

»Und ihr habt die Leichen der Drei eindeutig identifiziert?«

»Ein Coroner hätte es nicht besser gemacht«, erklärte Macomber und beschrieb das Aussehen der verglühten Leichname.

Er war ein glatzköpfiger, stämmiger Mann mit gebogener Nase und rotem Spitzbart. In seinem nagelneuen Gehrock sah er wie ein Stutzer aus. Er arbeitete seit vielen Jahren für Darby. Schon so manchen Querulanten hatte er für seinen Boss aus dem Weg geschafft. Im nächsten Jahr wollte Darby für den Stadtrat von San Antonio kandidieren. In dieser Position würde er seine Macht im Bear County noch einmal vergrößern können. Macomber spekulierte auf einen gut bezahlten Posten in Darby Dunstkreis. Auch Garrett rechnete mit einem Karriereschub.

»Nun gut«, sagte Darby nun, »schließen wir das Travers-Kapitel, und schauen wir in die Zukunft.«

Die beiden Killer hingen an seinen Lippen.

Darby fuhr fort: »Es gibt da noch jemanden, der mir derzeit Kopfschmerzen bereitet. Ich denke, jeder von euch weiß, wen ich meine.«

»Brad Coverdale, der Rinderbaron?«

»Nein, Spike.« Darby schüttelte den Kopf. »Coverdale ist keine Gefahr für mich. Er will sein Geschäft nach Kansas verlegen. Dort stört er mich nicht.«

»Jill Hanson!«, platzte Macomber heraus.

»Well, so ist es, Lance.« Darby kniff die Augen zusammen. »Seit Jills Vater das Zeitliche gesegnet hat, mimt sie die Chefin des Mietstalls in der San Fernando Street. Eine erfolgreiche Geschäftsfrau, das muss der Neid ihr lassen. Aber...«, er machte eine Pause, »ich dulde keine Livery Stables in San Antonio, die mehr Kasse machen als mein eigener Mietstall.«

»Wir könnten der Lady einen Besuch abstatten«, meinte Garrett. Er stand auf, ging zu dem kalten Kamin und spie seinen Tabaksaft auf den Rost. »Wenn wir mit ihr fertig sind, sieht es bei Miss Jill genau so aus wie auf der Travers-Ranch.« Er lachte, als hätte er einen Witz gerissen.

»Schafskopf«, erwiderte Darby. »Im Moment ist es ratsam, die Füße stillzuhalten. Marshal Blane hat den Travers-Fall noch nicht zu den Akten gelegt. Ich kenne Blane, er ist kein Idiot. Er könnte Verdacht schöpfen. Wir dürfen nicht unvorsichtig werden.«

Eine Weile sprach niemand ein Wort.

»Können wir denn gar nichts machen?«, brach Garrett die Stille.

»Doch, das können wir«, erwiderte Darby. »Ihr beiden werdet Jill Hanson beobachten. Tag und Nacht, wenn's sein muss. Ich will alles über sie wissen. Irgendwo muss ihr Schwachpunkt sein.«

»Verstehe«, meinte Macomber. »Wenn wir herauskriegen, was oder wen sie besonders mag, können wir Druck auf sie ausüben.«

Darby grinste. »Du bist gar nicht so blöd, wie du aussiehst, Lance.«

Garrett sagte: »So viel ich weiß, führt sie ein recht arbeitsreiches Leben. Ihr einziges Interesse scheint dem Florieren ihres Mietstalls zu gelten.«

Darby sah das anders. »Unsinn. Jeder Mensch hat seine dunkle Seite. Ohne Ausnahme. Also findet heraus, wo man bei Miss Beauty ansetzen kann.«

Garrett lachte niederträchtig. »Es heißt, Jill Hanson hätte eine Vorliebe für kraushaarige, spanisch sprechende Muchachos.«

»Ja, davon hab ich auch gehört«, meinte Macomber. »Ein Serviermädchen aus Dolores' Cantina hat mal etwas in der Art fallen gelassen. Sie habe mal gesehen, wie Jill sich bei der Tränke im Corral mit ihrem Stallburschen Diego geküsst hat.«

Darby runzelte die Stirn. »He, Leute! Ich will keinen Klatsch hören, sondern eindeutig belegte Fakten. Geht los und fühlt Jill Hanson auf den Zahn – aber nicht so, dass sie es merkt. Comprende?«

Macomber hob die Brauen. »Jetzt gleich?«

»Nächstes Jahr ist es zu spät«, knurrte Darby.

Die Revolvermänner standen auf und griffen nach ihren Hüten. Ihre Stühle schurrten auf dem polierten Parkett. Die Versammlung war beendet.

Als Garrett und Macomber aus dem Haus traten, tönte aus Richtung Bahnstation gerade der Pfiff einer stampfenden Lokomotive.

Der Zug war angekommen.

Noch wussten die Gunslinger nicht, was auf sie zukam. Aus dem Zug stieg der Mann, der ihr Leben auf den Kopf stellen sollte...

Jill Hanson ritt langsam auf den Corral zu. Sie stellte sich in den Steigbügeln auf, um nach Diego, dem Stallburschen, Ausschau zu halten.

Von Diego war nirgends etwas zu sehen.

Die Pferde, Maultiere und Esel hatten sich fast auf der gesamten Fläche des Areals verteilt. Sie grasten friedlich. Auf dem Holztrog der Tränke hüpften krächzende Krähen umher.

Die Mietstallbesitzerin ließ sich aus dem Sattel gleiten und ging in das Gebäude. Links und rechts befanden sich die mit Lattenwänden geteilten Pferdeboxen. Alle waren mit sauberem, kurzgehäckselten Stroh ausgelegt. Mehr als die Hälfte der Vierbeiner war ausgeliehen, der Rest befand sich auf der weitläufigen Koppel jenseits des Stallgebäudes.

»Diego? He, Diego?«

Keine Antwort.

Jill Hanson spürte, wie Unmut in ihr aufstieg. Wo steckte dieser Bursche bloß wieder? Sie war eine groß gewachsene Blondine, deren Haar einen Stich ins Rötliche ging. Bekleidet war sie mit groben Baumwollhosen, einer indigofarbenen Hemdbluse und kakaobraunen Schnürstiefeln. Wie gewöhnlich trug sie einen großen Revolver bei sich. Bewaffnet fühlte sie sich sicherer. Hin und wieder gab es in San Antonio Auseinandersetzungen, bei denen Schusswaffen zum Einsatz kamen. Es war noch nicht lange her, da hatte eine verirrte Kugel einen Postboten verletzt, der Telegramme austrug.

Jill wollte einfach nur gewappnet sein. Vorsicht ist besser als Nachsicht, lautete ihre Devise.

Endlich entdeckte sie den Stallknecht.

Diego hockte in einem Kabuff am Ende des Ganges. Er striegelte einem braunen Fohlen das Fell: Sunny, ein junger Hengst, der kürzlich Peyote gefressen und eine heftige Magenverstimmung bekommen hatte. Diego summte dem genesenden Tier ein schwermütiges, mexikanisches Wiegenlied ins Ohr.

Jills Ärger war im Nu verraucht.

Der Anblick des Burschen, der so liebevoll mit dem Jungtier umging, erwärmte ihr Herz. Sie wusste nicht, wie lange sie ihm zugeschaut hatte, da blickte er plötzlich auf.

»Oh, Miss Jill!«, rief er erschrocken.

Sie lächelte. »Das machst du gut«, erklärte sie. »Ich wünschte, jeder meiner Jungs würde seine Arbeit so ernst nehmen wie du, Amigo.«

Das Fohlen schnaubte leise und wackelte mit den Ohren. Diego stand auf, wischte sich die Hände an den Hosen ab und rückte seinen verrutschten Hut zurecht. »Ich habe alles erledigt, was Sie mir aufgetragen haben, Miss Jill«, sagte er. »Nachher muss ich bloß noch das Wasser in der Tränke auffüllen.«

»Das hat keine Eile.« Jill gab ihm einen Wink. »Komm mit, ich gebe einen Kaffee aus.«

»Ja, Miss Jill.«

Jill Hanson atmete tief durch. Jedes Mal, sobald sie Diego traf, klopfte ihr Herz ein paar Takte schneller. Sie wusste nicht, welcher Teufel sie ritt, aber sie empfand starke Gefühle für Diego – so stark, dass sie wehrlos dagegen war.

Auf der Tenne der Scheune stand ein Petroleumkocher. Jill machte Feuer und schob den Topf auf die Flamme. Derweil wusch sich Diego im Regenfass die Hände.