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"Einen Moment noch, Ma'am." Lassiter griff nach dem Arm der Frau an seiner Seite und verengte die Augen, während die Männer des Sheriffs an ihnen vorbei auf den Sidewalk hinaustraten. Sie hielten die Gewehre unauffällig, fast lässig im Hüftanschlag und sahen sich auf der menschenleeren Mainstreet um.
Die Tür der gepanzerten Abbot Downing stand bereits offen, als sich Benjamin Smith zu ihnen umwandte und unter dem grauen Bart die Lippen öffnete. "Die Luft scheint rein zu sein", knurrte er und nickte Lassiter zu, der daraufhin mit der Frau ins Freie trat.
Ein fataler Irrtum, wie sich Sekunden später zeigte.
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Seitenzahl: 143
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Nacht ohne Ende
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Boada / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9985-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Nacht ohne Ende
»Einen Moment noch, Ma'am.« Lassiter griff nach dem Arm der Frau an seiner Seite und verengte die Augen, während die Männer des Sheriffs an ihnen vorbei auf den Sidewalk hinaustraten. Sie hielten die Gewehre unauffällig, fast lässig im Hüftanschlag und sahen sich auf der menschenleeren Mainstreet um. Die Tür der gepanzerten Abbot Downing stand bereits offen, als sich Benjamin Smith zu ihnen umwandte und unter dem grauen Bart die Lippen öffnete.
»Die Luft scheint rein zu sein«, knurrte er und nickte Lassiter zu, der daraufhin mit der Frau ins Freie trat.
Ein fataler Irrtum, wie sich Sekunden später zeigte.
Der Kugelhagel, der über sie niederging, kam wie aus dem Nichts. Projektile zischten durch die Luft, bohrten sich in den Staub der Straße, fetzten Splitter von den Stützbalken des Vordaches ab, prallten auf die Metallplatten der Kutsche, um als jaulende Querschläger ziellos davonzufliegen.
Eines erwischte Ben Smith im Hals, und der Deputy schwankte seitwärts, als hätte ihn ein mächtiger Schwinger erwischt, während ein roter Strahl in großem Bogen über seinem Halstuch hervorschoss.
Lassiter überlegte nur eine Sekunde, dann packte er die Frau unter der Achsel und riss sie mit sich zur Kutsche, anstatt sich in das Sheriff's Office zurückzuziehen. Er tat sein Bestes, um die Lady mit dem eigenen Körper vor den Heckenschützen abzuschirmen, während sie die Stufen hinab in Richtung der Kutsche sprangen und die Frau mit aufgerissenen Augen nur einen gepressten Laut über die Lippen brachte.
Ein Geschoss riss Lassiter den Stetson vom Kopf, und er spürte die Hitze der Kugel an seiner Schädeldecke. Geduckt hastete er voran, dann waren sie an der Kutsche, und er stieß die Lady ohne Umschweife in den Font, der wegen der nur schießschartengroßen Fenster so dunkel wirkte wie ein Verlies.
»Rühren Sie sich nicht vom Fleck!«, befahl er ihr, und als er sich umwandte, sah er, wie Ben Smith drei Schritte vor ihm auf die Knie fiel und mit brechendem Blick nach vorn in den Staub stürzte.
Smiths Kollegen glaubten derweil, die Positionen der Schützen ausgemacht zu haben und gaben alles, um eine passende Antwort zu liefern. Ihre Winchester-Karabiner spuckten Feuer, während sie sich im Halbkreis um die Kutsche verteilten und mit an die Schulter gerissenen Kolben auf zwei Dächer zielten, die beide gut fünfzig Yards entfernt lagen.
Und tatsächlich erkannte Lassiter im nächsten Moment das aufblitzende Mündungsfeuer hinter dem Schild auf dem Dach des Saloons, bevor nahezu zeitgleich einen Schritt vor ihm ein Projektil in die lederne Gepäckplane auf der Rückseite der Abbot Downing einschlug.
Einen Fluch zwischen den Zähnen zerbeißend zog er das Scabbard mit seinem Karabiner von der Schulter und ließ die Winchester herausgleiten. Es klickte metallisch, als er den Repetierbügel betätigte und eine Kugel vor den Lauf beförderte. Er duckte sich, legte das Gewehr auf das linke Hinterrad der Kutsche und zwang sich dazu, einen Atemzug lang das unsichtbare Ziel anzuvisieren.
Dann feuerte er in kurzer Folge drei Schüsse ab, die im Abstand von Handbreiten Löcher in das Schild des Saloons stanzten.
Zumindest einer davon tat mehr als das, denn eine Sekunde später riss jemand hinter dem Schild die Arme hoch, bevor er aus dem Schutz der Holztafel taumelte und zusammenbrach.
»Goddam, ein Blattschuss!« Jasper Gold, der jüngste der Deputies, kreischte fast vor grimmiger Begeisterung und sah mit breitem Lächeln zu Lassiter hinüber.
»Kopf runter, Junge!«, hatte der Brigadeagent gerade rufen wollen, als Jaspers Lächeln in einer blutigen Wolke verschwand und der Körper des jungen Mannes zwei Schritte weit nach hinten geschleudert wurde, bevor er an einer Regentonne herabsackte.
Lassiter wirbelte herum und hastete an der Kutsche vorbei zu den Pferden, die dem Krachen der Schüsse mit stoischer Reglosigkeit begegneten. Es waren altgediente Armeepferde, die schon einiges erlebt hatten, außerdem hinderten sie die Scheuklappen, die straff gezogenen Zügel und die beiden arretierten Bremsen an den Vorderrädern daran, auszubrechen.
Schon das Geräusch der ersten Schüsse hatte Lassiter verraten, wo sich die Heckenschützen befanden. Es waren mindestens zwei gewesen, die sich auf den weiter entfernten Gebäuden positioniert hatten und deshalb über Präzisionswaffen verfügen mussten, vielleicht mit Zielfernrohren ausgestattet.
Den Mann im Westen hatte er ausgeschaltet, blieb in jedem Fall noch einer, und der hockte vermutlich im höchsten Gebäude östlich vom Sheriff's Office.
Dem Kirchturm.
Ein kurzer Blick über die Schulter verriet ihm, dass die anderen Deputies das inzwischen ebenfalls kapiert hatten und daher so klug gewesen waren, sich in Deckungen zu begeben, die sie von Schüssen aus dieser Richtung absicherten.
Scharfer Pulvergeruch zog über die Mainstreet, doch kein Schuss wurde mehr abgefeuert. Ein Zeichen dafür, dass Lassiters Vermutung zutraf: Es gab nur zwei Schützen, und der Killer im Turm hatte jetzt keine Ziele mehr vor dem Lauf, die so leicht zu treffen waren.
»Lassiter?« Die Stimme kam aus dem Inneren der Kutsche und gehörte der attraktiven Lady, die den Grund für das morgendliche Bleigewitter geliefert hatte. Dafür klang sie bemerkenswert gelassen.
»War's das? Können wir aufbrechen?«
Lassiter verengte die Augen. »Können wir nicht. Und wagen Sie es bloß nicht, ihr hübsches Näschen rauszustrecken, klar?«
Als er eine Bewegung in den Augenwinkeln wahrnahm, drehte er den Kopf und erkannte Dakota Jim, das stämmige Halbblut, mit dem er am Abend zuvor noch auf das Gelingen der gemeinsamen Mission angestoßen hatte. Dakota Jim schlich sich im Schutz des Vordachs an der Bank vorbei, die neben dem Eingang des Offices stand, und nickte erst zum Kirchturm hinüber, bevor er Lassiter fragend anstarrte.
Lassiter nickte zurück und packte die Winchester mit beiden Händen. Dann sprang er auf und spurtete los.
Gebückt und wieselflink rannte er quer über die Mainstreet, während Dakota Jim fast ebenso schnell über die Sidewalks hastete.
Der Heckenschütze hatte darauf gelauert, dass seine Gegner sich aus der Deckung wagten, doch zwei sich gleichzeitig bewegende Ziele ließen ihn wertvolle Sekunden lang zögern.
Als er sich für Lassiter entschieden hatte, ließ eine Garbe aus Geschossen kleine Staubfontänen dicht neben und vor den Stiefeln des Brigadeagenten aufsteigen. Ein vierter Schuss riss das Leder seiner Jacke am linken Ärmel auf, bevor er sich unter das dichte Laub einer mächtigen Buche retten konnte, die den Platz vor dem Eingang zur Kirche bewachte. Schwer atmend presste er sich mit dem Rücken gegen den Stamm des Baumes und blickte zur anderen Straßenseite. Dakota Jim hockte geduckt hinter einem Murphywagen mit hochgestellter Deichsel und leerer Ladefläche und tippte sich mit zwei Fingern salutierend an die Stirn.
Alles okay.
Lassiter blickte zurück auf die Mainstreet. Die anderen Deputies folgten ihnen und nutzten dabei jede Deckung aus. Auch der alte Sheriff Nathan Counter war jetzt aus dem Büro getreten und hielt ein Gewehr in der Hand, blieb aber im Schutz des Vordachs zurück. Angesichts seiner über siebzig Jahre nahm Lassiter ihm das nicht übel.
Wenn man berücksichtigte, dass ein verschlafenes Nest wie Kayleigh Hills nicht gerade ein perfekter Ort für eine Zeugin war, um Schutz zu suchen vor Nestor Bridget, dem gefürchtetsten Outlaw Kaliforniens, schlugen sich die Ordnungshüter hier bisher ziemlich wacker.
Dem Heckenschützen im Kirchturm dürfte mittlerweile klar geworden sein, dass er gescheitert war, wie Lassiter vermutete. Die Lady war für ihn nicht mehr zu treffen, der Überraschungseffekt des feigen Hinterhalts war dahin und es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die Kirche gestürmt werden würde und der Bastard...
Stirnrunzelnd drang das Knarren von Scharnieren an seine Ohren, er richtete sich auf und spähte um den Stamm des Baumes herum.
»All devils!«
Auf der im Schatten liegenden Seite der Kirche hatte sich eine Tür geöffnet, und Lassiter sah, wie sich eine dunkle Gestalt auf den Rücken eines Pferdes schwang, das ihm vorher entgangen war. Der Unbekannte gab dem Tier die Sporen, und Lassiter riss die Winchester hoch und zielte auf den Rücken des Reiters, doch im nächsten Moment war der bereits aus seinem Sichtfeld verschwunden. Während er die Waffe wieder sinken ließ und der Hufschlag schnell leiser wurde, verzog Lassiter resignierend die Lippen.
☆
»Ich verbürge mich für jeden hier in Kayleigh Hills«, brummte Sheriff Counter mit brüchiger Stimme, während sein Blick über Lassiters Schulter hinweg verfolgte, wie zwei seiner Deputies in schmucklose Särge aus hellem Kiefernholz gelegt wurden. »Wer auch immer Bridget verraten hat, dass die Lady sich hier bei uns befindet – es war keiner aus dieser Stadt.«
Lassiter klopfte dem Oldtimer auf die Schulter. »Das hat auch niemand behauptet, Sheriff. Es tut mir leid, dass Sie zwei Ihrer Männer verloren haben. Richten Sie den Angehörigen mein Beileid aus.«
»Dieses Gewehr von dem Burschen, den Sie erwischt haben... so etwas habe ich noch nie gesehen. Mit einem Fernrohr statt 'ner Kimme.« Counter fuhr sich durch das schlohweiße Haar, das dünn wie Spinnweben in der Morgensonne leuchtete. Er wirkte auch jetzt noch fassungslos; eine Stunde, nachdem der Pulverdampf über der Mainstreet sich verzogen hatte und die ersten Bürger sich wieder vor ihre Häuser trauten, um mit versteinerten Mienen hinüberzustarren zum Sheriff's Office, vor dem die gepanzerte Kutsche nach wie vor ihrer Abreise harrte.
»Obwohl Nestor Bridget in Sacramento hinter Gittern sitzt, kann er immer noch professionelle Killer losschicken, um Zeugen umlegen zu lassen. Jemand muss ihm Miss Corbyns Aufenthaltsort verraten haben«, sagte Lassiter. »Doch die undichte Stelle wird sich in der Hauptstadt befinden, nehme ich an.«
Ein grimmiges Nicken antwortete ihm. »Aber so lange Sie den Verräter nicht kennen, kann hinter jeder Ecke der nächste Mörder auf Sie warten, nicht wahr?«
Als Lassiter darauf nur die Achseln zuckte, setzte Sheriff Counter ein humorloses Lächeln auf. »Sie scheinen mir ein beinharter Hund zu sein, Sir. Gott stehe Ihnen bei.«
Sie verabschiedeten sich und brachen auf, Lassiter auf seinem Wallach, Dakota Jim mit Ricky James auf dem Kutschbock und Buster Pangborn, der eine Eskorte vervollständigte, die sich angesichts der Bedrohung recht bescheiden ausnahm.
Denn die Lady, die im Inneren der Kutsche wie in einer kleinen Burg saß und einer Königin gleich seit dem letzten Schuss auf der Mainstreet huldvoll geschwiegen hatte, wurde vermutlich von einer Bande gehetzt, die der Staatsanwalt auf mindestens hundert Outlaws taxierte.
Der Weg aus der kleinen Stadt hinaus führte sie direkt in die Wüste, die sich öde und scheinbar endlos gen Westen erstreckte. Bis nach Sacramento waren es etwa vierzig Meilen, doch die Kutsche und ihre Bewacher hatten ein anderes Ziel.
Obwohl die Sonne nun zur Mittagszeit unbarmherzig vom Himmel brannte, waren sie froh darüber, die bewaldeten Berge hinter sich lassen zu können. Denn hier in der Prärie konnte man mögliche Angreifer wenigstens schon früh kommen sehen.
»Wann erfahren wir eigentlich, wohin es geht?«, fragte Ricky James und sah Lassiter dabei neugierig vom Bock her an. Der junge Deputy mit den wie Gold glänzenden Haarsträhnen, die ihm bis über die Schultern fielen, zupfte dabei an seinem Hemdkragen, unter dem ein Bolo Tie mit einem dunklen, silbergefassten Stein glänzte.
»Wenn wir ankommen«, grunzte Dakota Jim neben ihm trocken und nahm Lassiter damit die Antwort ab.
»Wenn man deine Mutter gefragt hätte, ob du uns begleiten sollst, und ihr verraten hätte, um wen es sich bei der Lady in der Kutsche handelt«, ließ sich Buster Pangborn vernehmen und strich sich dabei genüsslich über den graumelierten Bart. »Dann hätte sie vermutlich alles getan, um dich davon abzuhalten.«
Ricky wandte den Blick. »Was soll das heißen, Buster? Hältst du mich für ein Muttersöhnchen? Ich hab die Schießerei genau so wie du miterlebt.« Er schnaubte und reckte das Kinn vor. »Und von Mom lasse ich mir schon länger nicht mehr sagen, was ich zu tun habe.«
Buster warf ihm einen kurzen Blick zu und ließ die Zügel seines Pferdes los, um sich den Stetson in den Nacken zu schieben. Das Tier setzte stoisch seinen Weg fort, während der Mann mit den zwei Revolvern an der Hüfte sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn wischte und den Mund zu einem breiten Grinsen öffnete.
»Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, hast du dich die ganze Zeit hinter einer Tonne versteckt, als das Geballer losging, Kleiner. Aber du darfst mich gern korrigieren, wenn ich falsch liege. Außerdem war diese kleine Auseinandersetzung auf der Mainstreet nur ein Vorgeschmack auf das, was...«
»Halt's Maul, Buster!«, knurrte Dakota Jim, und die Stimme des Halbbluts war schneidend genug, um den Angesprochenen verstummen zu lassen.
Lassiter, der den Disput stumm zur Kenntnis genommen hatte, ahnte, wer bei dem Trio das Sagen hatte – und auf wen er ein Auge haben musste.
Das nun einsetzende Schweigen gab ihm die Gelegenheit, über die Umstände und den Inhalt des Auftrags nachzudenken, der ihn vor gerade einmal sechzig Stunden erreicht hatte. Es war ein Zufall gewesen, dass er sich ganz in der Nähe aufgehalten hatte und deshalb binnen kürzester Zeit nach Kayleigh Hills gelangen konnte.
Ein Zufall, der der Lady in der Abbot Downing möglicherweise das Leben gerettet hatte.
Nestor Bridget.
Obwohl der Name des Verbrechers seit Jahren bekannt war, hatte er seine dunklen Geschäfte selbst dann noch weiter betrieben, als bereits Steckbriefe mit seinem Konterfei in sämtlichen Sheriff's und Marshal's Offices aushingen. Der Grund dafür war nicht neu. Bridget hatte es geschafft, genug Geld mit seinen Verbrechen zu verdienen, um die Leute, die ihn davon abhalten sollten, damit weiterzumachen, mit Greenbucks davon abzuhalten, ihn dingfest zu machen.
Dafür musste man hier in Kalifornien, einer Region, die nach dem Ende des Goldrauschs im Niedergang begriffen war, nicht einmal große Summen aufbringen. Die Korruption blühte hier im Westen wie in kaum einer anderen Region, und mancher Pessimist in Washington behauptete, es gäbe mehr kalifornische Ordnungshüter auf Seiten der Verbrecher als auf der des Gesetzes.
Das machte den Aufrechten die Arbeit nicht leichter und hatte es Nestor Bridget ermöglicht, fast so etwas wie eine zweite Macht im Bundesstaat zu werden, die der Regierung Konkurrenz machte.
Ein Staatsanwalt aus Los Angeles hatte sich vor ein paar Wochen vertraulich an Washington gewandt, als er glaubte, genügend Beweise gegen Bridget und die Leute in der Politik in der Hand zu haben, die den Banditen schützten oder zumindest gewähren ließen, um das Nest aus Korruption und Verbrechen auszuheben.
Und gleichzeitig ahnte, dass er aus eigener Kraft nicht in der Lage sein würde, dem Einhalt zu gebieten.
Sein Name war Albert Holyfield, ein blasser Bursche aus gutem neuenglischen Hause, der erst zwei Jahre zuvor an die Westküste gezogen war. Er hatte in England Jura studiert, bevor es ihn zurück in die Heimat zog und die Kanzlei seines Großvaters ihn damit beauftragte, eine Dependance auf der anderen Seite der Vereinigten Staaten zu eröffnen.
Die Pläne der Familie schlug er schnell in den Wind – und wechselte die Seiten, indem er als Staatsanwalt kandidierte und sensationell gegen einen alteingesessenen Rivalen ins Amt kam.
Holyfield wusste um die Erwartungen der Bevölkerung, die auf ihm ruhten wie eine schwere Bürde, während er die seines Vaters bitter enttäuscht hatte, der entrüstet und postwendend mit ihm brach.
Es gab nur eins: den Blick nach vorn, ohne Kompromisse.
Lassiter hatte bereits einiges über den streitbaren Ankläger in diversen Gazetten gelesen, bevor die Brigade Sieben ihm den Auftrag erteilt hatte, die Lady bis zum Beginn des Prozesses gegen Nestor Bridget in Sicherheit zu bringen.
Nach den letzten Missionen hatte es Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und der Brigade gegeben, nicht nur einmal; vor einem halben Jahr war er deshalb kurz davor gewesen, der Brigade Sieben kurz und schmerzlos Adieu zu sagen, als er feststellen musste, wie skrupellos seine Auftraggeber bereit waren, Unschuldige zu opfern für ein nur scheinbar höheres Ziel.
Nach wie vor war er sich nicht sicher darüber, ob sein Job bei der Brigade Sieben tatsächlich das war, was er tun wollte. Doch im Fall der Lady hegte er keine Zweifel.
Albert Holyfield war ein Mann von Ehre. Und Nestor Bridget stand jenseits jeder Moral, verkörperte alles, was Lassiter verabscheute. Da gab es kein Überlegen.
Allerdings gab sich Lassiter auch keinen Illusionen darüber hin, was das Verhältnis zwischen ihm und der Brigade Sieben anging.
Nach den Eskapaden der letzten Monate galt er in Washington wahrscheinlich als unzuverlässiger Kantonist, und deshalb trauten die Befehlshaber ihm wohl genau so wenig über den Weg wie er ihnen. Im Telegramm hatte man angekündigt, dass ihn andere Agenten der Brigade am Zielort erwarten würden, ohne dass Namen genannt wurden.
Wie auch immer. Der Auftrag war eindeutig, und er würde ihn erfüllen: Die Lady musste zum geheimen Versteck gebracht werden und überleben, bis sie vor Gericht gegen Nestor Bridget aussagen und dafür sorgen konnte, den Banditen an den Galgen zu bringen.
Koste es, was es wolle.
☆
Das Rasseln der Ketten an Händen und Füßen hallte durch den Besucherraum bis in den Zellengang, während Nestor Bridget Zähne bleckte, die in seinem dunkelhäutigen Gesicht glänzten wie Perlen. Er spannte die mächtigen Muskeln an, bis der fadenscheinige Stoff der gestreiften Gefängniskluft über den breiten Schultern zu zerreißen drohte, und legte die wulstige Stirn in Falten.
»Wurde auch mal Zeit!«, rief er dem untersetzten Mann zu, nachdem die stählerne Tür geöffnet worden war und man den Advokaten hindurch ließ, der sofort die linke Hand hob, während die rechte mit einem Lederkoffer wedelte.