1,99 €
"Gordon!" Lightfoot duckte sich, keine Sekunde zu früh. Im nächsten Moment zersplitterte die Scheibe über ihm. Tausend Scherben regneten herab. All devils, das war knapp gewesen!
Er drehte sich zu Juliette um, und sein Grinsen geriet ein wenig schief. "Danke, mein Engel!", stieß er hervor und sah ihre Augen angstvoll im Halbdunkel des Schalterraums leuchten.
"Bist du okay?", hörte er sie fragen.
"Aber sicher!" Er fuhr sich durch das Haar und unterdrückte einen Fluch, als ihm Glassplitter in die Hand schnitten.
"Gordon Lightfoot? Ergebt euch, ihr habt keine Chance mehr!"
Lightfoots Finger schlossen sich um den Griff des Schofield-Revolvers. Er biss die Zähne zusammen und dachte ernsthaft darüber nach, erst Juliette und dann sich selbst eine Kugel durch den Kopf zu jagen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 136
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Requiem für einen Engel
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Boada / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9989-9
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Requiemfür einenEngel
»Gordon!« Lightfoot duckte sich, keine Sekunde zu früh. Im nächsten Moment zersplitterte die Scheibe über ihm. Tausend Scherben regneten herab. All devils, das war knapp gewesen!
Er drehte sich zu Juliette um, und sein Grinsen geriet ein wenig schief. »Danke, mein Engel!«, stieß er hervor und sah ihre Augen angstvoll im Halbdunkel des Schalterraums leuchten.
»Bist du okay?«, hörte er sie fragen.
»Aber sicher!« Er fuhr sich durch das Haar und unterdrückte einen Fluch, als ihm Glassplitter in die Hand schnitten.
»Gordon Lightfoot? Ergebt euch, ihr habt keine Chance mehr!«
Lightfoots Finger schlossen sich um den Griff des Schofield-Revolvers. Er biss die Zähne zusammen und dachte ernsthaft darüber nach, erst Juliette und dann sich selbst eine Kugel durch den Kopf zu jagen.
Zwei Tage zuvor, Vulture Valley, New Mexiko
Gordon Lightfoot lenkte seinen durstigen Palomino zielstrebig zu einer Tränke, die neben dem Brunnen mitten auf der verwaisten Mainstreet stand. Während sein Pferd den Kopf im Wasser versenkte und gierig soff, betrachtete er die eiserne Pumpe, aus der die Tränke gefüllt wurde.
Der Griff faszinierte ihn. Er war durchaus kunstvoll einer menschlichen Hand nachgebildet, und oben auf der Säule der Pumpe thronte ein stilisierter eiserner Pferdekopf, der fast noch beeindruckender war.
Das Kaff am Ende der Welt schien zumindest einen Menschen zu beherbergen, der bemerkenswerte Talente aufwies.
Obwohl der Ort derzeit so aussah, als wäre er von seinen Bewohnern fluchtartig verlassen worden.
Er schaute sich um, ohne eine Menschenseele zu entdecken.
Oder doch?
Das Knarren eines Lehnstuhls ließ ihn den Blick wenden, und er entdeckte einen klapperdürren Oldtimer, der im Schatten eines Vordachs eine Pfeife rauchte. Lightfoot glitt aus dem Sattel und schlenderte zu dem Alten hinüber. Er blieb ein paar Schritte vor den Stufen zum Sidewalk stehen, tippt sich grüßend an die Krempe seines Stetsons und sagte: »Howdy, Sir. Hübsches Städtchen haben Sie hier.«
Der Alte verengte die Augen, und auf der pergamentartigen Haut über seinen vorspringenden Wangenknochen vertiefte sich ein feines Faltennetz. »Vulture Valley? Ein hübsches Städtchen? Das ist ja mal ganz was Neues...«
Er beugte sich vor und musterte Lightfoot neugierig. »Was willst du hier, Söhnchen? Ist 'ne ganze Weile her, dass sich ein Fremder zu uns verirrt hat. Falls du auf der Flucht bist, würde ich zusehen, dass ich mich schnell wieder vom Acker mache. Mit unserem Sheriff ist nicht gut Kirschen essen, glaub mir.«
Lightfoot hob verblüfft die Augenbrauen und zeigte mit beiden Daumen auf seine Brust. »Auf der Flucht? Ich? Wie kommen Sie denn darauf?«
»Weil du 'ne Nase wie ein Windhund hast, Bürschchen«, erwiderte der Oldtimer, lachte aber kurz darauf meckernd und entblößte dabei ein Gebiss, das mehr Lücken als Zähne aufwies. »Schon gut, hab dich nur hochnehmen wollen.«
Lightfoot stimmte in das Lachen ein, um seine Erleichterung nicht zu offensichtlich werden zu lassen. Für einen Moment hatte er ernsthaft darüber spekuliert, ob die Texaner einen Steckbrief mit seinem Konterfei gedruckt und bis nach New Mexiko hatten verteilen lassen. Obwohl das mehr als unwahrscheinlich war.
Zumindest in der kurzen Zeit, seit er sich aus Lubbock davongemacht hatte. Das war schließlich nicht mal zwei Wochen her.
»Ich bin auf der Suche nach 'nem Job«, sagte er. »Als Cowboy, oder auch auf dem Feld. Was meinen Sie, gibt's da jemanden, den ich fragen könnte?«
Der Oldtimer wackelte unbestimmt mit dem Kopf. »Die Ernte ist längst eingebracht, Söhnchen. Dafür bist du mindestens drei Wochen zu spät dran. Ist eh nicht weit her damit in dieser Gegend.«
»Und Rinder hüten?« Lightfoot nickte mit dem Kopf in die Richtung, aus der er gekommen war. »Schien mir, als hätte ich vor der Stadt ein paar Longhorns in der Ferne gesehen.«
»Schon möglich. Sam Rickenbekker von der R'n'B-Ranch kann eigentlich immer ein paar kräftige Hände brauchen.«
»Hört sich gut an. Wo finde ich Mr. Rickenbekker?«
»Gar nicht.« Der Oldtimer zuckte die Achseln. »Der ist auf nem Viehtrieb rüber nach Texas. Aber sein Vormann Julius hält auf der Ranch die Stellung. Wenn du dich zwei, drei Stunden geduldest, wird er sicher unten im Saloon auftauchen.«
Er hob die von Gicht gekrümmte Hand und zeigte die Straße hinunter. Lightfoot folgte seinem halb ausgestreckten Finger und erkannte das verwitterte Schild über den Schwingtüren, gut einen Steinwurf entfernt.
Moody Trudy's, entzifferte er die blassen verschnörkelten Lettern und nickte.
»Verbindlichsten Dank«, brummte er, was der Oldtimer mit einem Wedeln seiner Pfeife quittierte.
Lightfoot führte seinen Palomino zum Mietstall hinüber und zahlte dem Stallburschen einen halben Dollar, damit er das Pferd mit Futter versorgte. Als er anschließend zum Saloon stiefelte, sah er, wie sich die Tür des Sheriff's Office öffnete und ein vierschrötiger Mann mit einem pechschwarzen Walrossbart hinaustrat. Er schien ihn aufmerksam zu taxieren, war aber zu weit entfernt, als dass Lightfoot etwas in der Miene des Sternträgers erkennen konnte.
Er stieß die Schwingtüren auf und betrat den Schankraum, in dem es kaum kühler oder weniger drückend war als draußen auf der Straße. Staubpartikel tanzten träge im schräg durch die von Tabakqualm und menschlichen Ausdünstungen halbblinden Fenster einfallenden Sonnenlicht. Ein korpulenter Mann in mittleren Jahren mit Stirnglatze, eng zusammenstehenden Augen und einer fleckigen Schürze über dem ausladenden Bauch schaute ihm gelangweilt entgegen.
Außer ihm und dem Bartender befand sich nur ein weiterer Gast im Raum; die attraktive junge Blondine saß am Tisch vor dem Fenster, eine Reisetasche stand zu ihren Füßen und ein Glas Wasser vor ihr auf dem Tisch. Sie starrte gedankenverloren aus dem Fenster und würdigte ihn keines Blickes, als er sich grüßend an den Stetson fasste.
Achselzuckend trat er vor den Tresen, legte beide Hände darauf und nickte dem Dicken zu. »›n Tag«, brummte er, und der Bartender musterte ihn ohne großes Interesse.
»Was darf's denn sein, Fremder?«
»Ein kühles Bier wäre schön. Und bekommt man bei Ihnen auch etwas zwischen die Zähne?«
»Wenn Sie Steak oder so was wollen – nicht vor sechs.«
»Und sonst?«
»Kann Ihnen 'n Sandwich mit Spiegelei machen.« Die Antwort klang, als spräche der Bartender über eine Doppelschicht im Steinbruch.
»Wenn's keine Umstände macht...« Lightfoot bemühte sich um ein Lächeln, das nicht erwidert wurde.
»Umstände nicht«, gab der Dicke mürrisch zurück, »aber achtzig Cent im Voraus.«
Lightfoot zählte die Münzen ab, und der Bartender strich sie ein, bevor er sein Bier zapfte und es vor ihm auf die zerkratzte Platte schob.
Es war alles andere als kühl, aber zumindest genießbar, wie Lightfoot nach einem vorsichtigen Schluck feststellte, während der Barkeeper hinter einem zerschlissenen Vorhang in der Küche verschwand. Er fingerte einen halb gerauchten, krummen Zigarillo aus der Jackentasche und zündete ihn mit einem silbernen Feuerzeug an.
»Sind Sie auf der Durchreise?«
Lightfoot hob überrascht den Kopf und wandte sich um.
»Eigentlich suche ich Arbeit«, antwortete er und lächelte freundlich, als er in das fragende Gesicht der jungen Frau blickte. Er zeigte auf ihre Tasche. »Und Sie? Warten Sie auf die Postkutsche?«
Sie schaute wieder zum Fenster hinaus, obwohl man durch den schmutzig gelben Film auf dem Fensterglas kaum mehr als Schemen erkennen konnte.
»Keine gute Idee...«, murmelte sie.
Lightfoot nahm einen Schluck aus dem Bierkrug, bevor er fragte: »Was meinen Sie?«
»Sich ausgerechnet hier einen Job zu suchen.« Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. »Keine gute Idee, glauben Sie mir. Besser, Sie steigen auf Ihr Pferd und verschwinden, ohne sich noch einmal umzuschauen.«
Ihre angespannte Miene bewog Lightfoot zu einem Stirnrunzeln. Er breitete die Arme aus und streckte die Handflächen vor. »Das hört sich ja ziemlich dramatisch an, Miss, aber ich verstehe wirklich nicht, warum...«
Er verstummte, als er die drei Männer bemerkte, die über den Sidewalk am Fenster vorübergingen. Auch die schöne Unbekannte sah sie kommen und erbleichte.
Sie machte Anstalten, aufzuspringen, doch als die Burschen durch die Schwingtüren traten, sank sie resignierend wieder auf ihren Platz zurück.
Der erste war der Hüne mit dem schwarzen Bart, den Lightfoot vor ein paar Minuten aus dem Sheriff's Office hatte kommen sehen. Er trug den Stern eines Deputies an seiner dunklen Lederweste und schüttelte tadelnd den Kopf, während seine Begleiter, ein schmächtiger Junge mit Pferdegesicht und fettigem, dunkelblondem Haar und ein untersetzter Kerl, dessen kantiger Schädel ansatzlos zwischen seinen Schultern steckte, sich mit reglosen Mienen einen Schritt hinter ihrem Anführer aufbauten.
»Was soll das werden, Juliette?«, knurrte der Hüne mit dem Walrossbart. Er deutete auf die Reisetasche, die neben der Frau am Boden stand, und hakte die Daumen hinter seinen Revolvergurt.
»Wonach sieht es denn aus?«, zischte sie und schob herausfordernd das Kinn vor. »Ich verlasse die Stadt, und ihr werdet mich nicht aufhalten.«
»Sie gehen nirgendwohin, Mrs. Priestley«, brummte Walrossbart stirnrunzelnd.
»Mein Name ist immer noch Knowles, Deputy Parker«, erwiderte die junge Frau. Lightfoot sah, wie ihre Unterlippe bebte, und erkannte daran, dass sie zornig, aber auch ängstlich war.
»Das Dokument, das der Friedensrichter vor drei Tagen unterzeichnet hat, sagt etwas anderes«, knurrte Walrossbart. »Sie sind – ganz offiziell – die Frau des Sheriffs, und Mr. Priestley wird nicht begeistert sein, wenn er heute Abend zurück in die Stadt kommt und erfährt, dass seine frisch angetraute Gattin sich mir nichts, dir nichts aus dem Staub gemacht hat.«
»Er wird damit nicht durchkommen, und die Urkunde, die der versoffene Crowley beglaubigt hat, ist das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben wurde. Ich werde mir einen Anwalt nehmen, es gibt immer noch Gesetze!«
Die Juliette Genannte ballte die Fäuste, und Lightfoot, den die Männer bisher völlig ignoriert hatten, rieb sich nervös mit dem Daumen über die Schläfe.
Das sah nach gewaltigem Ärger aus, doch um sich davonzumachen, war es zu spät.
Juliette stand auf und ergriff ihre Reisetasche. »Die Kutsche kommt in zwanzig Minuten, und Sie werden mich jetzt gehen lassen, Parker. Oder es bitter bereuen!«
Sie wollte an ihm vorbei, doch der Hüne packte ihr Handgelenk und drückte so kräftig zu, dass sie das Gepäckstück fallen ließ und schmerzerfüllt aufstöhnte.
Aus den Augenwinkeln bemerkte Lightfoot, wie der Bartender auftauchte und den Teller mit seinem Sandwich klappernd auf die Ablage hinter dem Tresen fallen ließ.
»Was ist denn hier los?«, hörte er ihn tonlos sagen.
»Halt's Maul, Barney«, knurrte Parker und schien erst jetzt, als er den Kopf zum Tresen wandte, Lightfoot zu bemerken.
Der glitt gelassen vom Barhocker und erwiderte den Blick des Deputies ungerührt.
»Wie wär's, wenn Sie die junge Lady losließen?«, schlug er vor.
»Wie wär's, wenn du deinen Kopf in deinen Arsch steckst, du Filzlaus«, knurrte Parker und funkelte ihn drohend an. Dann brüllte er auf, denn Juliette hatte den Kopf gesenkt und biss ihm in seine fleischige Pranke.
Als er sie losließ und fluchend mit der Hand wedelte, rammte die junge Frau ihm entschlossen das schlanke Knie in den Schritt. Parker blähte die Backen und lief knallrot an.
Lightfoot hätte um ein Haar losgeprustet, doch das Lachen blieb ihm im Hals stecken, als er sah, wie der Pferdegesichtige seinen Revolver zog. In einer Sekunde fällte er eine Entscheidung, sprang nach vorn und verpasste dem hässlichen Jüngling eine mächtige Gerade, die ihm die Nase brach und rückwärts gegen seinen untersetzten Kumpan prallen ließ.
»Aufhören, sofort!«, ließ sich der Barkeeper entsetzt vernehmen, doch Lightfoot wusste, dass das nun nicht mehr möglich war.
Deshalb trat er dem Hünen in die Kniekehlen, und Parker sackte ächzend auf die Bretter. Juliette, die Reisetasche bereits wieder in Händen haltend, starrte auf den Mann hinab, dessen Schädel sich plötzlich unterhalb ihres Busens befand, und nutzte die Chance. Mit weit ausholendem Schwung zimmerte sie dem Riesen ihre Tasche gegen die Schläfe, und Parker ging bewusstlos zu Boden.
Lightfoot presste die Zähne zusammen und sprang über Parker hinweg, während dessen Begleiter versuchten, wieder auf die Beine zu kommen. Zielsicher traf sein Stiefel das bereits blutüberströmte Gesicht des Blonden, der daraufhin die Augen verdrehte und im Sturz einen Stuhl unter sich zu Bruch gehen ließ.
Der Untersetzte versuchte noch, seinen Revolver zu zücken, doch Lightfoot hatte bereits eines der Stuhlbeine gepackt und ließ es blitzartig auf den Schädel des Mannes niedergehen, der wie vom Blitz getroffen vor den Schwingtüren zusammenbrach.
»Jesus, Maria und Josef!«, jammerte Barney hinter der Theke. »Miss Juliette, sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Sie... ich kann Sie nicht gehen lassen! Sheriff Priestley wird mir den Hals umdrehen.«
Juliette bückte sich und zog Parkers langläufigen Schofield aus dessen Holster. Sie richtete die Waffe auf den Bartender.
»Dann probier doch mal, mich aufzuhalten, Barney.« Als Parker unten am Boden leise stöhnte und versuchte, sich aufzurichten, holte sie mit dem Fuß aus und trat dem Deputy mit aller Macht in die Seite. Der Hüne erschlaffte postwendend wieder.
Barney riss die Hände zur Decke und wimmerte, gab aber seinen Protest auf. Juliette nahm Lightfoot in den Blick, und ihre Miene veränderte sich.
»Sie müssen mir helfen, bitte«, sagte sie leise.
Lightfoot starrte auf den Revolver in ihrer Faust, bis sie die Waffe senkte und ihm kurzentschlossen in die Hand drückte. Er glotzte entgeistert erst den langläufigen Revolver an, um danach ratlos auf die Bewusstlosen am Boden zu blicken.
»Also, bei aller Liebe, Miss«, murmelte er, »ich weiß ehrlich nicht, was mich das hier angehen sollte...«
»Tausend Dollar«, zischte sie.
»Was?« Lightfoot glaubte, sich verhört zu haben.
»Ich zahle Ihnen tausend Dollar, wenn Sie mich aus der Stadt bringen.«
Lightfoot musterte sie und zögerte mit einer Antwort.
»Ich habe das Geld, glauben Sie mir. Das Erbe meines Vaters, es liegt auf der Bank in Ponds«, raunte sie mit einem Blick über seine Schulter in Richtung von Barney. »Und Sie werden es brauchen, wenn mein sogenannter Gatte davon erfährt, dass Sie mir bei der Flucht geholfen haben.«
Das habe ich doch gar nicht, wollte Lightfoot gerade antworten, als ein weiterer Blick auf die Männer am Boden ihn eines Besseren belehrte.
Juliette hob die Achseln und grinste humorlos. »Schätze, wir sitzen in einem Boot. Ob Sie das nun wollen, oder nicht.«
»Also gut«, brummte er schließlich und betrachtete die schwere Waffe in seiner Hand, als würde es sich um ein gefährliches Tier handeln. »Aber nicht mit der Postkutsche.«
☆
Hundert Meilen nordöstlich, Amarillo, North Texas
Ein letztes Beben durchfuhr den nackten Körper der Frau, und über ihre Lippen kam ein Stöhnen, in dem sich Wehmut mit Erlösung mischte. Ihr Rücken spannte sich wie ein Bogen, und als Lassiter die Augen öffnete, sah er, wie sich eine einzelne Schweißperle, im Licht der Abendsonne glitzernd wie ein Diamant, von ihrem Kinn löste.
Sie sank auf ihm nieder, und er vergrub seine Hände in dem kupferroten Haar, das sich seidig glänzend über seiner Brust ausbreitete. Ihr Herz klopfte noch eine ganze Weile heftig gegen seine Rippen wie der Hufschlag eines fliehenden Ponys, und als sie schließlich ihre Stimme wiederfand, kamen die Worte immer noch ein wenig atemlos aus ihrer Kehle.
»Du lieber Himmel... ich hatte doch wirklich... fast vergessen, wie es mit dir ist, Großer...«
Lassiter grinste schief, während sie sich zögernd, fast widerstrebend von ihm löste und ihre schlanken Beine über die Bettkante schob, um sich seufzend neben ihm aufzusetzen.
Aus halb geschlossenen Augen betrachtete er die Rundungen ihres Körpers, das amazonenhafte Profil mit der geraden, vielleicht etwas zu großen Nase und dem kräftigen Kinn, die wie flüssiges Gold glänzenden Lichtreflexe auf ihrer nur leicht gebräunten Haut.
»Vielleicht sollte ich jetzt ein klein wenig gekränkt sein«, brummte er ironisch, »aber es ist ja auch schon vier Jahre her.«
»Fast viereinhalb«, korrigierte sie ihn und ließ dabei ihren Blick für einen kleinen Moment auf seiner Körpermitte verharren, in der sich seine Männlichkeit immer noch aufrecht hielt wie ein Steuermann nach einem Sturm auf See, der ein wenig erschöpft, aber noch nicht am Ziel war und den Hafen fest im Blick behielt.
Dann sah sie ihm in die Augen, und ihre Miene wurde ernst. »Vielleicht erinnerst du dich noch an das Versprechen, das ich dir damals gegeben habe.«
Er stützte die Unterarme auf dem Bett ab und richtete sich ein wenig auf. Auch aus seinen Zügen verschwanden nun die Nachwehen der Leidenschaft und machten Platz für angespannte Erwartung.
»Soll das etwa heißen, du hast ihn aufgespürt?«
Sie erhob sich und langte nach dem Unterkleid, das über dem Fußteil des Bettrahmens hing.