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Als Lassiter aus dem Hotel trat, sah er sich von drei jungen Mädchen umringt. Sie standen da, als hätten sie auf ihn gewartet. "He, Mister", sagte die Kleinste und vertrat ihm den Weg. "Schönen guten Morgen. Wir sind pleite."
Lassiter sah sie sich genauer an. Alle drei waren wie Männer gekleidet, trugen blaue Cottonhosen und braune Westen aus ungegerbtem Rohleder. An ihren Gürteln baumelten Holster mit schweren Revolvern. Das Girl, das ihn angesprochen hatte, mochte knapp zwanzig Jahre alt sein, die anderen nur wenig älter.
Er trat einen Schritt zur Seite, um an den Mädchen vorbeizugehen. Doch im Nu hatten die Wegelagerinnen die Lücke geschlossen. "Wir sind in Not", teilte ihm die Kleine mit. "Geben Sie uns zehn Dollar, dann sind wir aus dem Gröbsten raus."
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Seitenzahl: 132
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Sheriff für einen Tag
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Boada / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9991-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Sherifffür einenTag
Als Lassiter aus dem Hotel trat, sah er sich von drei jungen Mädchen umringt. Sie standen da, als hätten sie auf ihn gewartet. »He, Mister«, sagte die Kleinste und vertrat ihm den Weg. »Schönen guten Morgen. Wir sind pleite.«
Lassiter sah sie sich genauer an. Alle drei waren wie Männer gekleidet, trugen blaue Cottonhosen und braune Westen aus ungegerbtem Rohleder. An ihren Gürteln baumelten Holster mit schweren Revolvern. Das Girl, das ihn angesprochen hatte, mochte knapp zwanzig Jahre alt sein, die anderen nur wenig älter.
Er trat einen Schritt zur Seite, um an den Mädchen vorbeizugehen. Doch im Nu hatten die Wegelagerinnen die Lücke geschlossen. »Wir sind in Not«, teilte ihm die Kleine mit. »Geben Sie uns zehn Dollar, dann sind wir aus dem Gröbsten raus.«
»Und obendrein hätten Sie ein gutes Werk getan«, sagte das zweite Mädchen.
Die anderen zwei grienten höhnisch.
Lassiter dachte sich sein Teil. Er war neu in Hayes City, trug seinen besten Anzug, und die Mädchenbanditen hielten ihn wohl für leichte Beute – einen Stutzer, den man nach Belieben ausnehmen konnte.
Er schüttelte den Kopf. »Ihr habt euch den Falschen ausgesucht, Ladys«, erklärte er. »Ich bin schon mit Hombres fertig geworden, um die ihr einen großen Bogen machen würdet.«
Die Kleine fand das komisch. »Hört, hört! Der smarte Gent hält sich für eine große Nummer. Er will, dass wir vor ihm zittern.«
Jenseits des Bohlensteges rumpelte eine Concord-Kutsche vorüber. Als der Fahrer die drei Mädchen sah, wandte er schnell den Blick ab. Offenbar besaß das Girlie-Trio nicht gerade den besten Ruf in der Stadt.
Plötzlich hielt die Kleine ein Messer in der Hand. »Wir wollen kein Aufsehen, Mr. Smart. Wir gehen jetzt zusammen um die Ecke, und Sie werden fünfzig Dollar lockermachen. Dann sind Sie uns los.«
»Vorhin waren es nur zehn Dollar«, meinte Lassiter.
»Jetzt wollen wir fünfzig«, beharrte die Kleine. »Geben Sie uns die Bucks und wir bleiben Freunde.«
»Andernfalls...« Das Mädchen hinter ihr legte bedeutungsvoll seine linke Hand aufs Holster.
Ein Mann im grauen Gehrock kam aus dem Hotel: Mr. Ledbetter, der Handelsreisende aus St. Louis, der das Zimmer neben Lassiter bewohnte. Mit einem Blick erfasste der Vertreter die brenzlige Situation. Eilends entfernte er sich in die entgegengesetzte Richtung.
»Wird's bald!«
Lassiter spürte die Spitze des Messers oberhalb seiner Gürtelschnalle. »Nimm den Zahnstocher weg, Baby Doll«, sagte er ruhig. »Nimm ihn weg, sonst erlebt ihr drei euer blaues Wunder.«
Die zwei Mädchen im Hintergrund kicherten, als hätte er einen Witz gerissen.
»Ich zähle bis drei«, fuhr Lassiter fort. »Seid ihr dann immer noch in meiner Reichweite, liegt ihr in zehn Minuten im Hospital. In einem Dreibettzimmer. Das garantiere ich euch.«
Die Kleine mit dem Messer jauchzte vor Vergnügen. »So ein Spaßvogel! Hält sich wohl für Doc Holliday. Ich lach mich schlapp!«
Lassiter war die Lust zum Scherzen längst vergangen. Wären die drei Girls Männer gewesen, hätte er die Situation bereits bereinigt. Er war ein Frauenfreund und hatte Skrupel, Gewalt gegen das schwache Geschlecht anzuwenden.
Doch in diesem Fall kam er wohl aus der Nummer nicht ohne Gegenwehr heraus. Jedenfalls hatte er keine Lust, sich widerstandslos auf offener Straße ausplündern zu lassen.
Irgendwann musste Schluss sein – und zwar jetzt!
Lassiter wollte der Kleinen gerade das Messer aus der Hand schlagen, als der tiefe Brummbass eines Mannes an seine Ohren drang: »Die Buffin-Schwestern! Ruth, Jane, Kendra! Tod und Teufel! Gebt ihr drei Plagegeister denn niemals Ruhe?«
Die Mädchen wichen zurück, als hätten sie einen Geist gesehen.
Blitzschnell hatte die Kleine ihr Messer unter der Weste verschwinden lassen. Die älteren Mädchen traten beiseite, machten den Weg frei.
Die Kleine grinste schief. »Kein Grund zur Aufregung. Alles in Butter, Sheriff.«
Lassiter atmete auf. Endlich mal ein Sternträger, der zur rechten Zeit am rechten Ort war.
Der Hüter des Gesetzes war ein großer, massiger Geselle von knapp fünfzig Jahren. Er trug einen grau melierten Vollbart und hatte sein Haar wie Wild Bill Hickok bis über die Schultern wachsen lassen. Am linken Revers seiner Jacke prangte der Sheriffstern.
Als die Mädchen sich davonstehlen wollten, packte er die Kleine am Arm. »He, Kendra, hier geblieben! Muss mit dir und deinen Schwestern reden!«
Kendra stand wie angewurzelt. »Nichts für ungut, Mr. Selleck«, sagte sie respektvoll. »Das Ganze war nur ein Spaß. Wir wollten den Gent nicht beklauen, ihm nur ein bisschen Angst einjagen.«
»Ja, genau so war es«, pflichtete ihr das Mädchen bei, das neben ihr stand. »Wir sind doch keine Halsabschneider.«
»Nein, wirklich nicht?« Der Mann des Sterns schaute von einer zur anderen. »Wieso geratet ihr denn immer wieder in solche Situationen? Ihr werdet doch nicht ferngelenkt. Ihr seid alt genug, um selber zu denken.« Er sah das größte der Mädchen an. »Besonders du, Ruth, müsstest doch mehr Grütze im Kopf haben. Du bist die Älteste, wenn ich mich nicht irre. Wie alt bist du jetzt?«
Das Mädchen zögerte. In diesem Moment erklang von der Bahnstation das grelle Geräusch einer Dampfpfeife. Ruth fuhr erschreckt zusammen.
»Ich hab' dich was gefragt, Ruth«, knurrte der Sheriff.
»Zweiundzwanzig«, sagte sie.
»Zweiundzwanzig«, meinte Selleck, »da wird es höchste Zeit, dass du endlich Vernunft annimmst. Du, Jane und Kendra – ihr wollt doch nicht auf die schiefe Bahn geraten, oder?«
»Nein, Sheriff«, sagte Ruth kleinlaut.
Selleck krauste seine Stirn. »Hätte verdammt große Lust, euch drei ins Jail zu verfrachten.«
»Bitte nicht«, flehte Ruth. »Es ist doch gar nichts passiert.«
Lassiter musste schmunzeln. Seit dem Auftauchen des Ordnungshüters hatte sich das Verhalten der Mädchen auf wundersame Weise verändert. Jetzt wirkten sie wie ertappte Schulmädchen, die bei einer Prüfungsarbeit geschummelt hatten. Eigentlich waren die Buffin-Schwestern ganz hübsche Girls, doch in ihren groben Männersachen kamen ihre weiblichen Vorzüge kaum zur Geltung.
»Ob etwas passiert ist oder nicht«, setzte Selleck seine Standpauke fort, »das entscheidet Mr. Lassiter. Er ist der Geschädigte. Es liegt in seinem Ermessen, ob er gegen euch Anzeige erstattet oder die Sache auf sich beruhen lässt.«
Die Mädchen sahen Lassiter verstört an.
»Bitte, zeigen Sie uns nicht an«, flehte Ruth, die Älteste.
Auch ihre Schwestern baten um Nachsicht.
»Wir tun es nie wieder«, versprach Kendra.
»Wenn Sie wollen, können wir Sie beschützen«, schlug Jane vor. »Ich meine, damit kein anderer Ihnen etwas antut.«
Einen Moment lang sprach niemand ein Wort.
Dann, ganz unvermittelt, brach der Sheriff in schallendes Gelächter aus. Er lachte, dass ihm die Tränen in die Augen schossen.
Die Leute auf der Straße wandten neugierig die Köpfe.
»Ich halt's nicht aus!«, rief Selleck, als er wieder etwas mehr Luft zum Atmen bekam. »Ich halt's im Kopf nicht aus!«
Die Wegelagerinnen starrten ihn, als hätte er den Verstand verloren.
»Ihr Mädels seid goldig«, trompetete er. »Einfach zum Schießen!« Er hielt inne und blickte sie der Reihe nach an. »Wisst ihr eigentlich, wen ihr da beschützen wollt?«
»Als keine Antwort kam, nahm Selleck seinen Hut ab, fuhr sich mit gespreizten Fingern durch das Haar und setzte den Hut wieder auf. »Stellt euch vor«, sagte er. »Mr. Lassiter ist einer der härtesten Gunfighter westlich des Missouri. Vor nicht allzu langer Zeit ist er der Leibwächter des berühmtesten aller Westmänner gewesen.«
Die Mädchen musterten Lassiter prüfend.
»Doch nicht etwa Buffalo Bill?«, tippte Ruth.
»O doch, meine Liebe«, nickte Selleck. »Mr. Lassiter ist der Bodyguard von Buffalo Bill Cody gewesen. Ich glaube, das ist Empfehlung genug. Oder glaubt ihr, Mr. Cody hätte sich im Angesicht von drohender Gefahr von einem Greenhorn eskortieren lassen?«
Schweigen.
Sellecks Worte hatten Wirkung hinterlassen. Die Schwestern schienen am Boden zerstört. Die kleine Kendra wurde knallrot im Gesicht. Jane kaute nervös an ihrer Unterlippe. Ruth zupfte unablässig an ihrem linken Ohrläppchen.
Der Sternträger wandte sich an Lassiter. »Wie sieht's aus, Sir? Jetzt liegt es ganz bei Ihnen, wie es mit den Buffin-Girls weitergeht. Wollen Sie Anzeige gegen die drei Rüpel erstatten?«
Lassiter spürte die flehenden Blicke der Schwestern auf sich ruhen.
Im Grunde hatte er dem Dreigespann längst verziehen. So hübschen Mädchen konnte er nicht lange böse sein. Das lag einfach nicht in seiner Natur.
»Ich verzichte auf eine Anzeige«, verkündete er, »aber nur unter einer Bedingung.«
»Lassen Sie hören, Sir«, sagte Ruth und nahm die Hand vom Ohr.
»Am Samstag wird in Hayes City zum Tanz aufgespielt, im Grand Central Hotel. Ich möchte, dass wir zusammen dort hingehen und dass ihr eure schönsten Kleider tragt.«
»Wie? Was? Wir... wir sollen Kleider anziehen?« Die kleine Kendra zog ein Gesicht, als hätte man von ihr verlangt, nackt über die Mainstreet zu promenieren.
»Ihr habt die Wahl«, brummte der Sheriff. »Kleider oder eine Woche gesiebte Luft. Ich gebe euch genau drei Sekunden Bedenkzeit.«
Die Schwestern tauschten einen schnellen Blick aus.
»Am Samstag im Grand Central«, verkündete Ruth, die Älteste.
Kendra und Jane nickten beflissen.
»So.« Sheriff Selleck strich sich zufrieden über den Bart. »Damit wäre dieser unschöne Vorfall wohl aus der Welt geschafft. Was meinen Sie, Sir?«
Lassiter gab ein Zeichen seiner Zustimmung.
»Und jetzt«, knurrte Selleck die Mädchen an, »kratzt die Kurve, ehe ich es mir anders überlege.«
Die Mädchen stoben davon. Ihre Schritte polterten auf dem Stepwalk. Im nächsten Augenblick waren sie in einer Seitengasse verschwunden.
»Und lasst euch das eine Lehre sein!«, rief der Starman ihnen nach. Dann sah er Lassiter an. »Lust auf einen Kaffee im Maverick Saloon?«
Der Mann von der Brigade Sieben hob die Achseln. »Tut mir leid, Sheriff. Ich muss jemanden vom Zug abholen. Bin spät dran.«
☆
»Man wollte Sie tatsächlich ausrauben?«, fragte James Olson ungläubig.
Lassiter nickte. »Ja. Direkt am Eingang meines Hotels. Vor einer Viertelstunde.«
Sie saßen in der Dining Hall, nur einen Steinwurf vom Bahnsteig entfernt. Olson war Lassiter als Kontaktmann zugeteilt worden. Er war ein kräftig gebauter Mann mit rehbraunen Augen und einer gebogenen Adlernase. Er trug einen adretten Gehrock, dazu ein weißes Hemd und eine Weste aus Wildleder. Sein Reisegepäck bestand aus einem klobigen Koffer, auf dem bunte Aufkleber von Omaha, New Orleans und Memphis prangten. Er war nach Hayes City gekommen, um mit Lassiter die Einzelheiten über die neue Mission zu erörtern. Dabei ging es um Mädchenhandel und Prostitution. Angeblich befand sich in der Umgebung von Hayes City ein Umschlagplatz für junge Mädchen, die aus Waisenhäusern und sogenannten Internaten entführt worden waren. Die Opfer sollten an Bordellbetreiber verkauft werden.
Einem Mädchen jedoch war die Flucht gelungen. Es hatte seine Geschichte einem jungen Zeitungsreporter der Kansas Review erzählt.
Allerdings war die Story nicht abgedruckt worden. Der Reporter verschwand auf mysteriöse Weise. Offenbar hatte man ihn für immer zum Schweigen gebracht. Doch vorher hatte er seine Aufzeichnungen von dem Gespräch mit dem Mädchen dem Notar seines Vertrauens übergeben.
Dieser Mann hieß James Olson und war Kontaktmann der Brigade Sieben in Kansas.
»Wie ist Ihre Begegnung mit den drei Amazonen ausgegangen?«, fragte er Lassiter. »Mussten Sie Ihr Schwert zücken?«
»Zum Glück blieb mir das erspart.« Lassiter erzählte die Geschichte zu Ende. »Will hoffen, dass es bei den Buffin-Mädchen geklingelt hat und sie ihren Lebenswandel noch mal überdenken.«
Olson grinste. »Glauben Sie, dass die drei ihr Versprechen halten werden und mit Ihnen zum Tanz ins Central gehen?«
»Ich gehe davon aus«, antwortete Lassiter. »Sie haben einen Mordsrespekt vor dem Sheriff. Keine von ihnen ist scharf darauf, sich Sellecks Gitterkäfig von innen anzusehen.«
Die Bedienung kam und fragte, ob noch Kaffee gewünscht wurde. Lassiter bestellte noch zwei Becher. Als die Getränke serviert waren, griff Olson sofort zu und trank mit gierigen Zügen.
»Für eine anständige Tasse Kaffee würde ich einen Mord begehen«, sagte er, als er die Tasse absetzte.
Im nächsten Augenblick kam eine Gruppe Männer in das Lokal. Cowboys, die aus Texas Longhorns nach Kansas getrieben hatten. Sie setzten sich an die benachbarten Tische und begannen eine laute Unterhaltung.
Olson runzelte die Stirn. »Wir reden im Hotel weiter«, schlug er vor.
Lassiter nickte und stand auf.
Nachdem sie gezahlt hatten, verließen sie die Dining Hall. »Wie lange werden Sie bleiben, James?«, fragte Lassiter, als sie die Mainstreet entlang schritten.
»Höchstens drei, vier Tage«, sagte der Notar. »Ich mache Sie mit den Unterlagen des Reporters vertraut, und wenn die Sache angelaufen ist, fahre ich wieder nach Wichita.«
»Schade.« Lassiter wäre es lieber gewesen, wenn der Kontaktmann noch länger geblieben wäre. Es war angenehmer, einen Verbündeten in der Stadt zu wissen.
Sie überquerten die Straße und schritten auf das Milton Hotel zu. Das Gebäude war das drittgrößte nach dem Grand Central und dem Jasper House.
Der Portier des Milton erwartete sie schon. Lassiter hatte die Ankunft des Notars bereits am Morgen angekündigt. Neben dem Mann von der Rezeption stand ein Junge von knapp sechzehn Jahren.
»Billy wird Sie auf Ihr Zimmer geleiten, Sir«, sagte der Portier zu Olson. »Die Formalitäten für die Anmeldung erledigen wir später. Wenn Sie sich von der Fahrt ausgeruht haben.«
»Sehr freundlich.«
Olson und Lassiter schritten hinter dem Laufburschen her, bis der vor dem Zimmer am Ende des Korridors stehen blieb.
Billy schloss auf und wuchtete den schweren Koffer über die Schwelle. Olson gab ihm ein großzügiges Trinkgeld. Der Junge machte brav einen Diener und entfernte sich.
Als sie unter sich waren, fragte Lassiter nach den Aufzeichnungen des Reporters.
Olson öffnete den Koffer und brachte einen Beutel aus grünem Leinen zum Vorschein. Lassiter setzte sich an den Tisch, holte eine schmale Akte aus dem Beutel und schlug sie auf. Auf der ersten Seite fand er den Namen des Zeitungsmannes, der so plötzlich von der Bildfläche verschwunden war.
»John Coogan«, las er und seufzte. »Ich hoffe, dass der Bursche seinen Wissensdurst nicht mit dem Leben bezahlt hat.«
»Es sind Leute von der B Seven im Einsatz, die nach ihm suchen«, erklärte Olson.
»Hoffen wir, dass sie Erfolg haben.«
Olson knöpfte seinen Gehrock auf. »Zum Glück konnten wir das Mädchen rechtzeitig in Sicherheit bringen.«
»Wo ist es?«
»Bei einer loyalen Gastfamilie, auf einer abgelegenen Ranch in den Smoky Hills.« Olson hängte den Rock akkurat auf einen Kleiderbügel. »Weitab vom Schuss, so hoffe ich. Das arme Geschöpf hat einen neuen Namen und eine neue Biografie bekommen. Die Jungs aus der Zentrale haben ganze Arbeit geleistet.«
Lassiter schlug die erste Seite um. Er begann das Interview zu lesen, das Coogan mit dem Mädchen gemacht hatte.
Schon nach den ersten Zeilen begriff er, was das Mädchen durchgemacht haben musste. Es war als Waise in ein Kinderheim geschickt worden, nachdem seine Eltern bei dem großen Zugunglück in der Sierra Nevada ums Leben gekommen waren. Im Heim hatte es mehrere Jahre gelebt, bis es siebzehn Jahre alt war.
Bei einem Ausflug an einen Badesee unweit ihres neuen Zuhauses wurde es von maskierten Desperados gekidnappt. Die Entführer warfen es auf einen Wagen, zusammen mit drei anderen Mädchen, die woanders verschleppt worden waren. Sie waren tagelang unterwegs, bei denkbar schlechter Versorgung. Zwei der Mädchen wurden von den grobschlächtigen Kidnappern missbraucht, vor den Augen der anderen.
Die Odyssee endete in einer spanischen Mission, die vor Hunderten von Jahren von Mönchen an einem Fluss errichtet worden war. Hier wurden noch mehr Mädchen gefangen gehalten. Das Kommando in dem Kloster hatte eine schreckliche alte Frau, die aus Schottland stammte. In ihrer Jugend war sie am Sacramento Hure gewesen und hatte bei diesem Geschäft den Goldgräbern eine Menge Nuggets aus den Taschen gezogen. Doch wie gewonnen, so zerronnen. All ihr Hab und Gut hatte sie am Spieltisch in den Saloons wieder verloren. Ohne einen Penny in der Tasche war sie schließlich in der spanischen Mission gelandet. Dort fand sie sofort einen einträglichen Job: Sie brachte jungen Mädchen das Hurenhandwerk bei.
All ihre Schülerinnen mussten aufs Wort parieren, sonst gab es Prügel, Essenentzug und Dunkelhaft in der unterirdischen Gruft des Klosters. Nach einiger Zeit gelang der Ärmsten die Flucht. Das Mädchen, das mit ihr floh, ertrank bei dem Versuch, den Fluss zu durchschwimmen.