1,99 €
Dieser verdammte Regen! Er nahm einfach kein Ende! Paul Frenzeny äugte aus seinem Zelt. Fiebrige Schauer schüttelten seinen Körper, und einmal mehr bereute er es, sich mit seinem Kollegen auf dieses Wagnis eingelassen zu haben.
Wir sehen etwas von der Welt, hatte Jules gesagt. Wir werden reich, hatte er gesagt. In Wahrheit sahen sie nichts als durchnässte Bergarbeiter, die dem Tode näher als dem Leben waren, und ihr einziger Reichtum bestand aus einem Sammelsurium nasser Socken.
Obendrein klebte ihnen ein Trupp Revolverschwinger an den Hacken. Diese Halunken waren nicht zimperlich. Die würden sie bei der erstbesten Gelegenheit vom Leben zum Tode befördern. Und das alles nur, weil sie zufällig einen unglaublichen Fund gemacht hatten ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 140
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Showdown in den Blackwater Hills
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Faba / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9994-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Showdownin denBlackwaterHills
Dieser verdammte Regen! Er nahm einfach kein Ende! Paul Frenzeny äugte aus seinem Zelt. Fiebrige Schauer schüttelten seinen Körper, und einmal mehr bereute er es, sich mit seinem Kollegen auf dieses Wagnis eingelassen zu haben. Wir sehen etwas von der Welt, hatte Jules gesagt. Wir werden reich, hatte er gesagt. In Wahrheit sahen sie nichts als durchnässte Bergarbeiter, die dem Tode näher als dem Leben waren, und ihr einziger Reichtum bestand aus einem Sammelsurium nasser Socken. Obendrein klebte ihnen ein Trupp Revolverschwinger an den Hacken. Diese Halunken waren nicht zimperlich. Die würden sie bei der erstbesten Gelegenheit vom Leben zum Tode befördern. Und das alles nur, weil sie zufällig einen unglaublichen Fund gemacht hatten...
»Sie sind irgendwo da draußen«, brummte Paul Frenzeny. »Ich kann sie förmlich wittern.«
Sein Kollege stopfte seine Pfeife mit Tabakkraut. Zwischendurch hielt er inne, um in seinem Ohr zu pulen. »Was du witterst, ist der Fraß von Master Cheng, der von draußen hereinweht«, mutmaßte er. »Gemischt mit Männerschweiß und harter Arbeit.«
»Von wegen. Diese Halunken sind uns gefolgt. Sie wollen uns diese vermaledeite Karte abjagen.«
»Klar wollen sie das.« Jules riss ein Zündholz an seinem Stiefel an, hielt es an seine Pfeife und blies ein paar Mal, bis die ersten Rauchschwaden aufstiegen. Sein Kraut mischte er selbst nach einem Rezept, das er niemandem verriet. Nicht einmal Paul wusste, was sein Kollege alles hineinmischte. Auf jeden biss das Zeug in seinen ohnehin schon malträtierten Atemwegen.
Hustend spuckte er einen Schleimpfropfen aus.
»Ich finde, wir sollten ihnen die Karte überlassen.«
»Sie ihnen überlassen? Ist dir der Regen schon in den Schädel getropft, mon ami?«
»Ich meine es ernst. Sie bringt kein Glück. Sieh dir nur an, in welche Lage sie uns gebracht hat. Wir sitzen in diesem gottverlassenen Bergarbeiterkaff fest, in das man nicht mal seinen ärgsten Feind jagen würde. Seit Tagen schüttet es, was nur vom Himmel kommen kann. Die Trails sind überschwemmt. Und von unserer Ausrüstung ist kein einziges Stück noch trocken. Ganz zu schweigen von unserer Garderobe.«
»Das sind nur Unannehmlichkeiten. Die werden bald vergessen sein.«
»Ein Stein im Stiefel ist eine Unannehmlichkeit. Das hier ist eine ausgewachsene Katastrophe. Ich meine es ernst. Ich will mein Leben zurück, Jules.«
»Das wirst du. Und ein besseres obendrein. Stell dir nur mal vor, was wir uns alles leisten können, wenn wir die verborgene Stadt gefunden haben.«
»Gar nichts. Weil uns diese Halunken nämlich vorher den Bauch aufschlitzen werden.«
»So weit sind wir noch nicht.« Jules Tavernier zog gemächlich an seiner Pfeife, als gäbe es nicht den geringsten Grund, sich Sorgen zu machen. Sein üppiger Bart ließ ihn älter als neunundzwanzig wirken. Das jungenhafte Funkeln in seinen Augen verriet, dass er einem Vergnügen niemals abgeneigt war. Schon gar nicht, wenn dabei eine Frau im Spiel war. Geboren worden war er in Paris, aber er hatte Frankreich Anfang der Siebziger Jahre verlassen, um sein Glück in der Neuen Welt zu suchen. Als Illustrator war er ebenso wie Paul von dem New Yorker Magazin Harpers Weekly engagiert worden, um das alltägliche Leben im Westen zu dokumentieren. Seit einem halben Jahr bereisten sie die entlegensten Gegenden, in welche die Eisenbahn noch nicht vorgedrungen war.
Und dabei hatten sie diese verflixte Karte entdeckt...
»Hör zu«, fuhr sein Kollege fort. »Wir sind am Leben, und so soll es auch bleiben. Solange wir haben, was diese Raufbolde haben wollen, werden sie uns nichts tun. Geben wir ihnen die Karte jedoch, ist unser Leben keinen Cent mehr wert.«
Paul presste die Zähne aufeinander, dass es in seinen Ohren knirschte, und musste sogleich wieder husten.
An dem Argument war etwas dran, auch wenn er sich lieber ein Stück seiner Zunge abbeißen würde, als das zuzugeben.
»Dich plagt wieder die Melancholie, mon ami.« Jules bewegte seine Pfeife zum Eingang des Zeltes. »Dagegen hat der Herrgott den Whiskey und die Frauen erfunden. Warum gehst du nicht rüber zu Miss Lien und genehmigst dir einen Drink und eine Massage? Frag sie nach dieser speziellen Lotusbehandlung. Danach ist man ein neuer Mensch. Vertrau mir.«
Paul schnaufte nur. Bei Miss Lien herrschte um diese Zeit allerhand Andrang, und er hatte nun wirklich kein Verlangen danach, sich in die Schlange einzureihen. Zumal sich sein Körper offenbar nicht entscheiden konnte, ob ihm nun heiß oder kalt war.
Ein Schauer nach dem anderen rieselte ihm über den Rücken.
Und er musste schon wieder husten.
»Das hört sich an, als würdest du gleich deine Lunge ausspucken«, stellte Jules fest.
So ähnlich fühlte es sich auch an, aber das behielt Paul für sich.
Bis vor wenigen Jahren war er Artillerieoffizier in Maximilians Armee gewesen und hatte in Mexiko gekämpft. Früher hatte er geglaubt, Soldaten würden immerzu nur kämpfen, aber so war es nicht. Nein, die meiste Zeit über war man dabei, zu warten. Auf einen Marsch, einen Kampf... Paul hatte die Warterei genutzt, um seine Kameraden und die Landschaft zu zeichnen, und dabei eine Begabung im Umgang mit Kohle und Pinsel in sich entdeckt. Nach der Hinrichtung des Kaisers war er aus der Armee ausgeschieden und Maler geworden.
Der Regen trommelte auf die Plane ihres Zeltes wie Geschützfeuer.
In das Prasseln mischte sich ein gedämpftes Grollen, das ihm Unbehagen bereitete. Es hörte sich an, als würde der Berg gegen ihr Eindringen aufbegehren.
Das Kaff, in dem sie gestrandet waren, hieß Silverton. Ein Lager von Bergarbeitern, das sich an schroffe Berghänge schmiegte und aus grob gezimmerten Hütten und Zelten bestand. Es gab eine Schmiede und einen Saloon, in dem sonntags der Reverend predigte und unter der Woche zwei Tanzgirls auftraten. Jeden Freitag wurde der Lohn verteilt. Die Arbeiter waren ausnahmslos Chinesen, die in die Mine einfuhren und das Risiko nicht scheuten, von herabstürzendem Gestein verletzt, verschüttet oder verstümmelt zu werden.
Jules hüllte sich in eine Wolke Pfeifenrauch.
Paul krümmte die Zehen in seinen klammen Socken. »Wären wir bloß nie hergekommen«, haderte er. »Hier gibt es nichts als Wasser und den Tod. Wenn es noch lange regnet, werden wir bald den ersten Fisch unter unseren Decken finden.«
»Es ist unser Job, das Leben hier draußen zu dokumentieren.« Jules legte seine Mappe auf seine Beine, legte ein Blatt Papier obenauf und begann einen der Arbeiter zu malen, der im Regen stand und sich nachdenklich auf seine Haue stützte.
Paul wünschte, er könnte auch wieder malen, aber seine Finger zitterten vom Fieber dermaßen, dass er kaum einen Pinsel halten konnte.
Einmal mehr wünschte er sich zurück ins sonnige Paris, wo er jetzt am Ufer der Seine sitzen und den wunderschönen Frauen beim Flanieren zuschauen könnte.
Jules liebte das Abenteuer. Er hatte ihn überzeugt, den Auftrag der Harpers Weekly anzunehmen. Ein Jahr lang sollten sie durch den Westen reisen und das alltägliche Leben in ihren Illustrationen festhalten. Ihr europäischer Blick auf die Dinge war dem Herausgeber besonders wichtig. Sie malten Geistliche, die in den Rocky Mountains unter freiem Himmel predigten, einen irischen Holzfäller, der unter einen umstürzenden Baum gerät, eine Lehrerin, die ihre Schüler mit einem Seil aneinanderband und durch einen Schneesturm führte, Siedler, die auf ihrem Weg am Ende ihrer Kräfte waren, und von Gott und den Menschen verlassene Geisterstädte. Ihre Bilder zeugten vom harten Alltag im Westen – und stießen bei den Lesern im Osten auf ein ausnahmslos großes Echo. Ja, sie hatten Erfolg mit ihren Zeichnungen und Berichten. Doch um welchen Preis! Als Paul in den Auftrag eingewilligt hatte, war noch keine Rede von wochenlangen Regenfällen und überfluteten Landstrichen gewesen, die sie zwingen würden, hier oben Zuflucht zu suchen.
Während er innerlich grollte, wurden vor ihrem Zelt plötzlich Stimmen laut.
Zahlreiche Arbeiter strömten aus ihren Zelten und Hütten.
Paul steckte den Kopf aus seinem Quartier.
Unter wilden Rufen und besorgten Blicken trugen mehrere Männer einen chinesischen Bergarbeiter ins Lager und zur Hütte des Docs. Blutige Lappen am Kopf und an beiden Armen des Unglücklichen verhießen nichts Gutes. Anscheinend war wieder einer der Miner bei der Arbeit verletzt worden.
»Hier oben vergeht kein Tag ohne irgendeinen blutigen Zwischenfall«, murmelte Paul. »Diese Minen sind gefährlicher als eine Schwadron Bandoleros unten im Süden. Der Herr stehe dem armen Teufel bei.«
»Der Doc kümmert sich schon um ihn.«
»Eben«, gab Paul trocken zurück.
Sein Kollege streckte den Arm nach dem Whiskey aus und nahm einen langen Schluck. In der Flasche waren kaum noch zwei Handbreit enthalten.
»Wenn du so weiter trinkst, fließt bald purer Whiskey durch deine Adern«, warnte Paul.
»Das wäre nicht das Schlechteste«, gab Jules zurück und griente. »Ich trinke mir das Wetter schön.«
»So viel kann ein Mann gar nicht in sich hineinschütten, um diesen Wolkentürmen auch nur den kleinsten Sonnenstrahl zu entlocken.« Zweifelnd spähte Paul ins Freie. Ein Stück den Berg hinunter war Master Cheng dabei, unter einer Plane in einem geschwärzten Topf herumzurühren. Dampf stieg aus dem Gefäß auf, das groß genug war, um ein halbes Pferd auf einmal darin zu kochen. Cheng warf zwei Hände voll Kräuter hinein. »Ich möchte nicht wissen, welches Fleisch er in seine Suppe mischt.«
»Ich hab seine Vorräte gesehen«, erwiderte Jules, und sein Grinsen wurde noch eine Spur breiter. »Glaub mir, das willst du wirklich nicht.«
Paul nahm ihm wortlos die Flache ab und trank einen Schluck.
Dabei wurde er das Gefühl nicht los, heimlich beobachtet zu werden.
Seit Nevada ging das nun schon so!
»Diese elende Karte. Ich wünschte, du hättest sie nie gefunden.«
»Das war einfach Glück. Meine alte Pfeife haben diese verflixten Roten zerstört. Also brauchte ich Ersatz und habe mir eine andere besorgt. Woher hätte ich wissen sollen, dass die irgendwann einmal diesem Alvarado gehört hat? Und dass der darin ein zusammengerolltes Pergament versteckt hat?«
»Das war kein Glück, sonst säßen wir wohl kaum hier fest, nicht wahr?«
»Wir sitzen nicht fest. Wir kommen nur momentan nicht weiter.«
»Und welchen Unterschied macht das?«
»Sobald die Flut zurückgeht, setzen wir unsere Suche nach dem verborgenen Tal fort, das auf der Karte verzeichnet ist.«
»Falls es überhaupt existiert.«
»Das tut es. Daran zweifle ich nicht. Du hast die Zeichen doch gesehen. Die Karte weist den Weg zu einer geheimen Stadt, und wenn ich mich nicht sehr täusche, besteht sie aus reinem Gold. Oder doch zumindest enthält sie eine Menge Gold.«
»Selbst wenn das stimmt, wissen nun nicht mehr nur wir beide davon, sondern auch diese Halunken, und das nur, weil du Mund nicht halten konntest.«
»Ich habe zu niemandem ein Sterbenswort gesagt. Nur zu Ava.«
»Und nun wissen es sämtliche Revolverschwinger westlich des Sacramento River.«
»Ich konnte doch nicht ahnen, dass sie alles ausplaudern würde.« Jules nahm die Pfeife herunter. »Wir werden das Tal finden und es uns ansehen, Paul. Das wird ein Abenteuer!« Sein Kollege hatte kaum ausgesprochen, als in der Nähe plötzlich erneut Schreie gellten. Ein dumpfes Rauschen mischte sich hinein, wurde rasch lauter und schwoll zu einem ohrenbetäubenden Tosen an.
Die Flut! Die Flut kam!
Julies riss den Kopf hoch und spähte aus dem Zelt. Als er wieder hereinschaute, war er so bleich wie der Mond in einer kalten Winternacht.
»Das war's«, murmelte er. »Für uns ist die letzte Messe gelesen. Nun werden wir nie erfahren, was es mit der geheimnisvollen Stadt aus Gold auf sich hat. Der Herr stehe uns bei. Das Wasser kommt!«
»Und wenn schon«, knurrte Paul. Er sprang auf seine Füße und verbiss das wilde Schwindelgefühl, das ihn sogleich packte wie ein Wolf, der sich in seine Beute verbiss und sie hin und er schüttelte. »Du hast selbst gesagt: Noch sind wir nicht tot.«
»Wir sind hier eingeschlossen.« Sein Kollege schaute vielsagend auf seine Füße. Das Wasser schlich sich in das Zelt wie ein ungebetener Gast. »Es ist aus mit uns. Wir können nirgendwohin.«
»Das«, meinte Paul entschlossen, »wollen wir doch mal sehen!«
☆
Vierzig Tage Regen. Der Pazifische Nordwesten wird derzeit von einer verheerenden Flut überschwemmt. Von Sacramento bis zum Columbia River sind Flüsse und Bäche über ihre Ufer getreten. Stellenweise steht das Wasser dreißig Fuß hoch. Die Telegraphenverbindung New York – San Francisco ist zusammengebrochen. Viele Rancher haben ein Viertel ihres Viehbestandes verloren. Und das Wasser steigt weiter. Eine Bergarbeitersiedlung nördlich von Sacramento wurde weggefegt. Mindestens zwanzig Miner starben bei der Zerstörung ihres Lagers...
»Haben Sie noch einen Wunsch, Sir?« Ein zarter Duft nach Sommer und Frau ließ Lassiter von seiner Lektüre aufblicken. Die bildhübsche Blondine, die im Dry Gulch Saloon bediente, war neben seinem Tisch stehengeblieben und schenkte ihm Kaffee nach. Dabei zwinkerte sie ihm zu. »Noch ein Stück Apfelkuchen vielleicht?«
Der große Mann griente. »Ich bin satt. Vielen Dank.«
»Sagen Sie es mir, wenn Sie Lust auf einen Nachtisch haben, ja?« Damit beugte sie sich vor und brachte ihr reizvolles Dekolletee geradewegs vor seine Nase. War das ein Wippen und Wogen! Dieser Anblick verfehlte seine Wirkung durchaus nicht. Nun, gegen diese Art von Nachtisch hätte er wirklich nichts einzuwenden gehabt.
Bevor sie jedoch dazu kamen, das Dessert genauer zu besprechen, polterte der Salooner hinter der Theke: »Schwing deinen Hintern hier rüber, Sally. Das Essen verteilt sich nicht von alleine!«
Sally richtete sich wieder auf und schenkte Lassiter ein sinnliches Lächeln, das ihm »Später« zu versprechen schien.
Dann kehrte sie hüftschwingend an ihre Arbeit zurück.
Lassiter beugte sich wieder über die Zeitung. Die Nachrichten spiegelten das wieder, was er am eigenen Leib erfahren hatte: Das halbe Land stand unter Wasser! Dort, wo es normalerweise nur Grün oder gar staubige Wüsten gab, drangen nun die Fluten vor und rissen alles mit sich, das ihnen in den Weg geriet.
Lassiter hatte einen höllischen Ritt hinter sich.
Zahlreiche Trails und Schienen waren überschwemmt. Er hatte meilenweite Umwege reiten müssen. Auch Sacramento war überschwemmt. Augenzeugen sprachen bereits vom Lake Sacramento, und das war nicht übertrieben. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie das Wasser in die Stadt vorgedrungen war.
Sein neuer Auftrag hatte ihn tief in das Flutgebiet hinein geführt. Er sollte zwei Korrespondenten aufspüren, die für das New Yorker Magazin Harpers Weekly aus dem Westen berichteten: Paul Frenzeny und Jules Tavernier. Ihre letzte Nachricht war ein Hilferuf aus Silverton, einem Bergarbeiternest nordöstlich von hier gewesen. Die Siedlung war von den Fluten weggerissen worden. Kein Mann hatte überlebt. Die beiden Reporter wurden seitdem vermisst. Gerüchte besagten, sie hätten das Unglück überlebt und wären auf ihrer Reise auf ein Geheimnis gestoßen, hinter dem auch zahlreiche Banditen her waren. Eine Karte sollte es sein, die zu einem verborgenen Schatz führte. Lassiter gab nichts auf diese Gerüchte, aber für seine Auftraggeber war genug daran, ihn in Marsch zu setzen, um sie zu finden.
Unterwegs hatte er den Weg der Cahill-Bande gekreuzt. Ray, Rick, Ronnie und Roxane Cahill hatten zahlreiche Halunken um sich geschart, Schläger, denen ein Menschenleben nicht viel galt, und die Tochter eines Russen als Geisel genommen, um ein Lösegeld für sie zu erzwingen. Lassiter hatte ihren Plan vereitelt und die Bande zerschlagen. Zwei der Brüder waren dabei zu Tode gekommen. Damit hatte er sich Roxane Cahill und ihren Bruder Ray zu erbitterten Feinden gemacht.
Die Flut hatte ihre Wege getrennt.
Wenn sie überlebt hatten, waren sie sich vermutlich nicht das letzte Mal begegnet.
Nachdenklich nahm Lassiter einen Schluck Kaffee.
Nach einem viel zu trockenen Sommer brachte der endlose Regen nun die Wende. Unaufhörlich trommelte er von draußen gegen die Fenster des Saloons. Die kleine Stadt am Feather River war ein wichtiger Handelsposten. Etliche Schiffe und Züge führten von hier weg. Die Bürgersteige waren mit Planken verstärkt worden, aber das Holz war mittlerweile nass und rutschig und bot Passanten kaum noch Halt. Und die Mainstreet schien nur noch aus Schlamm und Wasser zu bestehen. Ein Stück die Straße hinunter war eine Kutsche mit den Rädern stecken geblieben. Drei Männer stemmten sich dagegen und mühten sich, sie wieder flott zu machen. Ruckelnd bewegte sich das Gefährt vorwärts – und alle drei landeten bäuchlings im Schlamm!
Lassiter hatte sich mit dem Rücken zur Feuerstelle gesetzt. Allmählich trocknete seine durchnässte Garderobe. Das Abendessen im Saloon hatte aus einem Teller Eintopf bestanden und seinen Magen gefüllt. Nun leerte er seinen Kaffeebecher und ließ den Blick durch die Gaststube schweifen. In einer Ecke klimperte ein Pianospieler auf seinem Instrument. Etliche Gäste schaufelten hungrig ihr Essen in sich hinein, ohne nach links oder rechts zu blicken. An der Bar saßen einige Männer und rauchten, stierten in ihre Gläser oder unterhielten sich.