Lassiter 2513 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2513 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Wie eine angreifende Klapperschlange zuckte der geflochtene Lederriemen durch die Luft und landete mit einem scharfen Knall auf den nackten Schultern des Mannes, der an straff gespannten Seilen zwischen den beiden Pfosten hing. Er stöhnte auf, doch der schwache Laut - ebenso wie der von unzähligen blutigen Striemen malträtierte Rücken - verrieten, dass dieser Schlag nur der letzte von vielen gewesen war und der Gepeinigte kurz davor stand, das Bewusstsein zu verlieren.
Was den Besitzer der Peitsche offenbar nicht weiter scherte, denn er grinste nicht nur, sondern hub sofort zum nächsten Hieb an. Erst als er sich nähernden Hufschlag vernahm, senkte er den Arm und schaute aus verengten Augen zum Hügel hinauf.


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EPUB
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Seitenzahl: 146

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Im Hass geboren

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Ertugrul Edirne / Becker-Illustrators

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9995-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Im Hassgeboren

Wie eine angreifende Klapperschlange zuckte der geflochtene Lederriemen durch die Luft und landete mit einem scharfen Knall auf den nackten Schultern des Mannes, der an straff gespannten Seilen zwischen den beiden Pfosten hing. Er stöhnte auf, doch der schwache Laut – ebenso wie der von unzähligen blutigen Striemen malträtierte Rücken – verrieten, dass dieser Schlag nur der letzte von vielen gewesen war und der Gepeinigte kurz davor stand, das Bewusstsein zu verlieren.

Was den Besitzer der Peitsche offenbar nicht weiter scherte, denn er grinste nicht nur, sondern hub sofort zum nächsten Hieb an. Erst als er sich nähernden Hufschlag vernahm, senkte er den Arm und schaute aus verengten Augen zum Hügel hinauf.

Der Westwind blies eine Staubwolke über den Kamm, in der sich ein Reiter der Ranch näherte. Die Sonne stand hoch am Himmel und zwang Dave Holbrooke, zu blinzeln, während er dem Ankömmling entgegen blickte.

Die beiden Cowboys, die an den Pfosten standen wie Folterknechte, schauten nun ebenfalls in Richtung des Weges.

Der Delinquent hing derweil mit ausgebreiteten Armen an den Seilen wie ein Gekreuzigter ohne Kreuz, die Knie eine Elle über dem Boden, und rührte sich nicht mehr. Blut tropfte vom zerfleischten Rücken herab und versickerte im Staub.

Der Reiter näherte sich zügig, aber scheinbar ohne Eile dem Eingangstor, dessen Flügel wie immer offen standen. Er war groß, trug einen dunklen Stetson und eine abgewetzte, hüftlange Lederjacke. Sein Pferd, ein hochbeiniger Brauner mit auffälliger weißer Blesse zwischen den Augen, wirkte zwar ein wenig erschöpft, trug seinen Reiter aber mit jener Mischung aus Gleichmut und Disziplin heran, die eine Vergangenheit als Armeepferd vermuten ließ.

Die Cowboys legten die Hände auf die Griffe ihrer Revolver und schauten Dave Holbrooke fragend an, doch der schüttelte unmerklich den Kopf.

Sein Vater hatte ihm den fremden Besucher bereits am Morgen angekündigt.

Trotzdem starrte er den Mann feindselig an, als der sein Pferd vor ihm zügelte, und fragte: »Was wollen Sie, Mister?«

Der Reiter ließ sich Zeit mit einer Antwort, stattdessen warf er einen langen Blick auf den Besinnungslosen. »Was hat der Bursche denn verbrochen? Vieh gestohlen?«

»Er hat genug getan, um bestraft zu werden«, knurrte Dave Holbrooke unwillig und schob das breite, von einem dunklen Bart bedeckte Kinn nach vorn.

»Okay...«, brummte der Mann auf dem Braunen und stützte seine Hände auf das Sattelhorn. »Ihre Angelegenheit. Aber wenn Sie den Mann nicht umbringen wollen, hat er genug eingesteckt, meinen Sie nicht?«

”Überlassen Sie das ruhig mir«, schnappte Dave Holbrooke und hob dabei drohend die Peitsche. Der Wind hob seinen schwarzen Hut empor, und er griff hastig nach dem Stetson, um ihn sich tiefer ins Gesicht zu schieben. »Sagen Sie mir lieber, wer Sie sind und was Sie hier verloren haben.«

Der Blick des Reiters schien ihn zu durchbohren, und die Miene unter den graublauen Augen verfinsterte sich.

»Mein Name ist Lassiter, und ich bin auf Einladung von Leeland Holbrooke gekommen.«

Überraschenderweise hoben sich die Mundwinkel des Mannes unvermittelt um eine Nuance, doch Dave gefiel der etwas spöttische Gesichtsausdruck noch weniger als die grimmige Miene zuvor. »Schätze, Sie sind der Junior...«

Unwillkürlich straffte Dave Rücken und Schultern, bevor er einen Schritt vortrat und blaffte: »Der ältere Sohn, Mister. Es wäre besser, Sie bewiesen ein wenig Respekt, wenn Sie mit dem künftigen Herrn der Crossed-Nails-Ranch reden.«

Die Überraschung im Gesicht von Lassiter wirkte zu übertrieben, um aufrichtig gemeint zu sein.

»Oh, tatsächlich? Liegt Ihr Vater etwa bereits im Sterbebett? Das hat man mir gar nicht mitgeteilt.«

»Das tut er keinesfalls«, knurrte Dave und bemerkte die Blicke der Cowboys, die seine Worte offenbar ebenfalls konsterniert zur Kenntnis genommen hatten. Er bedachte die Männer mit einem strengen Blick.

»Was wollen Sie überhaupt von ihm?«

»Eigentlich will er etwas von mir, aber das würde ich gern persönlich mit Ihrem Vater besprechen.«

Lassiter deutete zu dem Mann, der zwischen den Pfosten hing und fragte: »Weiß Mr. Holbrooke eigentlich, was Sie hier treiben?«

Dave lachte auf. Ein kurzer, abgehackter Laut, wie von einem zuschnappenden Kampfhund. »Mein Vater weiß über absolut alles Bescheid, was hier auf der Ranch passiert, Mister.«

Eine Lüge, doch da sie von dem Ankömmling nicht zu entkräften war, grinste Dave herausfordernd und ließ seine Peitsche aufschwingen, bis die Spitze sich dicht vor den Hufen des Braunen zu Boden senkte.

Weder Pferd noch Reiter zeigten eine Reaktion auf die halbherzige Drohgebärde. Lassiter deutete auf das prachtvolle Ranchhaus, neben dem sich ein halbes Dutzend niedrigerer Gebäude aufreihte: die Scheune, mehrere Stallgebäude, eine Schmiede und Werkstatt sowie die Baracken der Cowboys.

»Ich nehme an, ich finde Ihren Vater da drüben«, stellte er fest, und als Dave widerwillig nickte, nahm er die Zügel in die Hand und setzte den Wallach in Bewegung.

Dave spuckte verächtlich zu Boden und schwang unschlüssig seine Peitsche, als sich Lassiter noch einmal zu Wort meldete.

»Bevor ich die Ranch verlasse, werde ich nach dem Mann sehen, den Sie da gerade gefoltert haben, Holbrooke. Und es wäre besser, wenn ich ihn lebendig und mit versorgten Wunden antreffe. Sonst schicke ich Ihnen den Sheriff auf den Hals, mein Wort drauf.«

Wütend und verblüfft fuhr Dave herum, doch Lassiter trabte bereits über den Hof zum Haus hinüber, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen.

Laut Maxim Geordee, dem Kontaktmann der Brigade Sieben, war Leeland Holbrooke dreiundsechzig Jahre alt. Der Mann allerdings, der Lassiter in dem düsteren Kaminzimmer empfing, sah aus wie ein Greis.

Ein dunkelhäutiger Hausdiener hatte ihn empfangen und durch das Vestibül geleitet, deren holzvertäfelte Wände mit ausgestopften Tierschädeln dekoriert waren. Neben Büffel, Berglöwe und Longhorn-Stier blickten auch exotischere Gattungen aus gläsernen Augen auf den Brigadeagenten herab: Er sah einen Tigerkopf, eine andere gescheckte Raubkatze, wohl ein Jaguar, und das schlanke, von gedrehten, spitz nach oben verlaufenden Hörnern gekrönte Haupt einer Art von Rotwild, die ihm völlig unbekannt war; außerdem einen mächtigen Elchschädel.

Auf die Frage nach einem Drink hatte er schweigend abgelehnt, denn die Atmosphäre des Hauses wirkte alles andere als einladend auf ihn, und alles, was er bisher über die Holbrookes wusste, ließ ihn eine abwehrende Haltung einnehmen und den Wunsch verspüren, so bald wie möglich wieder von hier zu verschwinden.

Am liebsten hätte er den Auftrag abgelehnt, doch Maxim Geordee hatte noch etwas gut bei ihm, außerdem war die Mission aus Washington autorisiert worden, so dass er schon triftige Gründe hätte vorbringen müssen, um sich zu verweigern.

»Bitte, Lassiter«, ließ sich der Rancher vernehmen, als er durch die Tür in den düsteren Salon trat, und winkte mit einer Hand, unter der Adern und Knochen so klar zu erkennen waren, als würde die Haut aus Papier bestehen.

»Nehmen Sie Platz. Es freut mich, dass Sie so schnell kommen konnten.«

Lassiter nahm erst den Hut ab und beschloss dann, auch seine Jacke abzulegen, denn in dem Raum herrschte eine brütende Hitze. Trotzdem loderte ein Feuer im Kamin, und Leeland Holbrooke hatte eine Decke über den Beinen ausgebreitet. Lassiter zog sich einen der Lehnstühle heran, und als er Platz nahm und der Rancher ihn zufrieden anlächelte, blickte er dem Tod ins Gesicht.

Die pergamentartige, von Runzeln und Flecken bedeckte Gesichtshaut des Mannes spannte sich über den Wangenknochen, der scharf geschnittenen, vorspringenden Nase und dem nachlässig rasierten Kinn, unter dem der lange Hals in schlaffen Falten lag, die von einem gestärkten Hemdkragen zusammengehalten wurden. Auf der hohen Stirn hielten nur noch ein paar weiße Haarsträhnen die Stellung, doch die buschigen Locken vor den Ohren, die bis über die breiten, markanten Kiefer verliefen, versuchten das wettzumachen.

Das einzige in diesem vom Siechtum gezeichneten Antlitz, das dem Paroli bot, waren Leeland Holbrookes stechende hellblaue Augen, welche seinen Besucher nun mit einer Wachsamkeit und Energie musterten, die in krassem Gegensatz zu dessen sonstigem Erscheinungsbild standen.

Lassiter begegnete dem Blick des Patriarchen unverwandt, bevor er nach einer Weile die Geduld verlor und brummte: »Ich habe einen langen Ritt hinter mir, Sir. Mr. Geordee sagte mir, Ihr Anliegen sei wichtig und Eile geboten. Daher wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir verraten würden, warum ich hier bin.«

Holbrooke nickte und hob das Glas, um daran zu nippen. »Sind Sie sicher, dass Sie keinen Drink wollen, Lassiter?«

Seine Stimme klang fast so hoch wie die eines Kindes und war dünn und brüchig, doch Lassiter hegte den Verdacht, dass Holbrooke es damit übertrieb. »Das ist ein dreißig Jahre alter Single Malt, und es sind einige Leute dafür gestorben, damit ich ein paar Flaschen davon in meiner Bar stehen haben kann.«

Lassiter schüttelte den Kopf. Obwohl er wahrlich kein Kostverächter war, wenn es um derart edle Tropfen ging, hatte ihm Holbrookes Andeutung einen triftigen Grund geliefert, um von dem Rinderbaron keinen Drink anzunehmen.

»Besser, wir kommen zur Sache.«

»Wie Sie meinen.«

Holbrooke schnaubte und griff nach einem Taschentuch. Als er sich Lippen und Nase abtupfte, ließ er Lassiter die kleinen roten Flecken sehen, was nur scheinbar unabsichtlich geschah, ehe er das Taschentuch wieder in seiner Jackentasche verschwinden ließ.

»Ich muss Ihnen wohl kaum erklären, dass es um meine Gesundheit nicht zum Besten steht, Mr. Lassiter«, krächzte Holbrooke, hustete und zuckte dann ergeben mit den Achseln. »Es gibt so einige Brandherde in meinem Inneren, die sich darum streiten, wer mir letzten Endes den Garaus machen darf, aber wenn Sie mich nach den Namen dafür fragen würden, müsste ich passen. Mein Leibarzt Rufus Wilmington, der mich inzwischen öfter aufsucht, als es mir lieb ist, könnte Ihnen passable Auskünfte geben, doch deswegen sind Sie schließlich nicht hier.«

Holbrooke räusperte sich und nahm Lassiter in den Blick. »Ich werde in den nächsten Wochen, bestenfalls zwei oder drei Monaten diese Welt verlassen. Daran können weder Sie noch Rufus oder irgendein Herrgott etwas ändern, wenn es denn einen solchen geben sollte.«

Lassiter hob die Arme. Er gab sich keine Mühe, Mitgefühl zu heucheln, sagte aber: »Tut mir leid für Sie, Sir. Aber ich verstehe immer noch nicht, was ich für Sie tun soll.«

»Ein wenig Geduld, Lassiter.« Holbrooke wedelte beschwichtigend mit der Hand. »Sie sind von Lockings Bluff hierher gekommen, richtig?«

Der Agent der Brigade Sieben nickte wortlos.

»Als Sie die Brücke über den Morrow Creek überquert haben, ist Ihnen da das Schild aufgefallen?«

Das war es in der Tat. Lassiter unterdrückte ein Seufzen.

»Hören Sie, Mr. Holbrooke. Mir ist bekannt, dass vom Morrow Creek bis unten zu den Hügeln der Blue Mountains alles an Ländereien Ihnen gehört. Soweit das Auge reicht. Das ist wirklich beeindruckend, aber...«

»Die Crossed-Nails-Ranch bietet über zweihundert Männern und Frauen Lohn und Brot«, fiel ihm Holbrooke brüsk ins Wort, und die Augen des alten Mannes funkelten. »Mein Großvater hat vor fünfzig Jahren hier angefangen, mit einem Dutzend Rinder und ein paar Hühnern, verstehen Sie? Die Holbrookes mussten sich über Jahrzehnte durch ein Leben voller Entbehrungen und Rückschläge kämpfen. Drei der Brüder meines Vaters sind gestorben im Kampf gegen die Rothäute, und als uns der Typhus heimsuchte, hat das nicht nur die Männer auf den Feldern und Weiden getroffen. Nein, auch meine Schwester und all ihre Kinder sind an der Seuche gestorben! Mein Bruder Caleb und seine Frau Sabine sind vor vier Jahren von Schoschonen niedergemacht worden. Es gab eine Strafaktion des Militärs, doch im Großen und Ganzen hat man die Rothäute in Ruhe gelassen – niemand hat uns gefragt, wie wir damit zurechtkommen, dass diese Tiere jetzt kaum vierzig Meilen nördlich ihr Reservat erhielten und dafür ein Viertel der Ländereien an die Schoschonen ging! Als müsste man sie für den feigen Mord an Caleb und seiner Frau noch belohnen.«

Lassiter hatte eine andere Version der Geschehnisse gehört, enthielt sich aber eines Kommentars. Stattdessen wartete er darauf, dass der Patriarch zur Sache kam.

Leeland Holbrooke schnaubte und senkte die Hände, die er vorher über sein Gesicht gelegt hatte. »Okay. Das ist lange her.«

Er sah Lassiter an und schien in dessen Miene nach einer Reaktion auf seine Worte zu suchen, ohne dabei fündig zu werden. Also zuckte er die Achseln und fuhr fort. »Meine Familie ist es gewohnt, ohne Hilfe zurechtzukommen. Ich bin der letzte Holbrooke, der all das überlebt und weitergemacht hat. Wir wären nicht da, wo wir jetzt sind, wenn wir nicht stets das Ziel im Auge behalten hätten.«

Lassiter hatte sich ein wenig zurückgelehnt, während der alte Patriarch sich in Rage geredet hatte. Dabei fragte er sich immer noch, was Holbrooke mit seinen Ausführungen beabsichtigte.

»Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«

Holbrooke atmete schwer, doch seine herabhängenden Mundwinkel hoben sich dennoch zu einem Lächeln. »Natürlich, entschuldigen Sie. Ich schweife ab und strapaziere Ihre Geduld.«

Lassiter widersprach nicht, sondern starrte sein Gegenüber auffordernd an.

»Verantwortung, Mr. Lassiter. Disziplin. Weitsicht. Durchhaltevermögen. Eigenschaften, die mein Vater und mein Großvater mir mitgegeben haben. Leider ist mir das bei meinen beiden Söhnen nicht gelungen.«

Die Augenbrauen des Brigadeagenten hoben sich um eine Nuance. »Okay, Sir. Ihren Sohn Dave durfte ich bereits kennenlernen, daher kann ich womöglich verstehen, was Sie meinen. Aber ich wüsste wirklich nicht, wie ich...«

Wieder fuhr ihm Holbrooke ins Wort, diesmal schoss seine ausgestreckte Hand vor wie eine angreifende Viper. »Lassen Sie mich gefälligst ausreden! Weder Dave noch Dean werden die Ranch erben! Nicht, wenn ich es verhindern kann, kapiert?«

Beschwichtigend hob Lassiter die Hände und schüttelte den Kopf, denn er kapierte gar nichts.

Holbrooke leerte das Whiskeyglas und ließ es achtlos zu Boden fallen, dann beugte er sich vor, und Lassiter fühlte sich in dem Verdacht bestätigt, dass der Patriarch längst nicht so gebrechlich war, wie er sich gab.

Der dürre Finger von Holbrooke stieß ihm entgegen, als wolle er ihn durchbohren. »Die beiden sind eine Schande für die Familie, und ich werde Ihnen die Ranch niemals überlassen. Dean ist ein Schwächling, und Dave...«

Ein sadistischer Irrer, ging es Lassiter durch den Kopf.

«... hält sich jetzt schon für den Herrscher der Crossed-Nails-Ranch.«

Holbrooke lachte, doch das ging in einen Hustenanfall über. Als Lassiter sich bereits anschickte, dem Mann beizustehen, fing sich Holbrooke wieder und winkte ab.

»Schon gut, Lassiter«, knurrte der Patriarch und räusperte sich. »Keine Sorge, ich werde lange genug am Leben bleiben, um mein Erbe in die richtigen Hände zu legen.«

Lassiter hatte lange genug mit Maxim Geordee gesprochen, um in der Überzeugung zum Holbrooke-Anwesen geritten zu sein, die Familienverhältnisse zu kennen.

Leelands Frau Melissa, Mutter der beiden Söhne Dave und Dean, war vor zehn Jahren gestorben, im jungen Alter von achtunddreißig Jahren. Dave, der Sonnenschein mit der Peitsche, musste etwa zwanzig sein, sein Bruder war zwei Jahre jünger.

Von weiteren Kindern hatte Geordee ihm nichts erzählt.

»Wenn Ihre Söhne nicht die Ranch erben sollen, wer denn dann?«, fragte der Brigadeagent deshalb und musterte den Alten aufmerksam, denn er war sich nicht mehr sicher, ob Holbrooke noch wusste, wovon er redete.

Doch der Rancher belehrte ihn eines besseren. Sein Blick war so klar wie bei ihrer Begrüßung, als er Lassiter mit entschlossener Miene aufklärte.

»Ihr Name ist Rain. Vielleicht nennt sie sich auch Summer Rain.«

Ein leises Lächeln entspannte die Züge des Mannes, während er eine schmale Ledermappe vom Beistelltisch nahm und sie Lassiter reichte. Der Brigadeagent nahm sie entgegen und sah Holbrooke fragend an.

»Inzwischen müsste sie etwa dreißig Jahre alt sein, und nach meinen letzten Informationen...«, er stockte und senkte für einen Moment den Kopf.

Lassiter wartete geduldig ab, bis er fortfuhr. Allmählich begann der Brigadeagent zu begreifen, weshalb er Leeland Holbrooke gegenübersaß.

»Ich glaube, sie arbeitet als Scout in den Appalachen, begleitet Siedlertrecks und Jagdgesellschaften. Zuletzt wurde sie in Somerville, West Virginia gesehen, aber das ist schon ein paar Jahre her.« Holbrooke schaute auf und starrte Lassiter an. »Sie müssen sie finden, ich beschwöre Sie!«

Lassiter warf einen kurzen Blick auf die lederne Mappe in seinen Händen, bevor er Holbrooke musterte. »Sie... ist also Ihre Tochter?«

Der Rancher nickte stumm und rang nervös mit den Händen, den Blick auf das Kaminfeuer gerichtet. Sein Gesicht war plötzlich von Schmerz verzogen, und er hatte die Schultern hochgezogen.

»Aber das verstehe ich nicht. Wer ist die Mutter? Und warum?«

»Es steht alles in der Akte!«, zischte Holbrooke und wedelte abwehrend mit der Hand.

»Gehen Sie, Lassiter! Gehen Sie jetzt! Und beeilen Sie sich. Bringen Sie mir meine Tochter zurück!«

Der Alte verkrümmte sich regelrecht in seinem Ohrensessel, und als er zu wimmern begann, erhob sich Lassiter und ließ ihn zurück.

Der Hausdiener öffnete die Tür, noch bevor er die Hand zur Klinke ausgestreckt hatte. Die Miene des Mannes wirkte besorgt, als er das Wimmern vom Kamin her vernahm.

»O mein Gott! Sie haben ihn aufgeregt!«

»Er wird's schon überleben«, knurrte Lassiter, schob den Mann beiseite und stiefelte durch das Vestibül hinaus, obwohl er sich nicht sicher war, wie lang seine Worte der Wahrheit entsprechen würden.

Aus den Augenwinkeln bemerkte er einen Schatten, der rasch hinter der Treppe verschwand. Er war sich ziemlich sicher, Dave Holbrooke, den älteren Sohn, erkannt zu haben.

Wenn der Bursche Lassiters Gespräch mit seinem Vater belauscht hatte, dürfte das Daves Laune nicht unbedingt gehoben haben, doch im Moment scherte Lassiter sich nicht weiter darum.

Draußen auf dem Hof schob er die Ledermappe in eine seiner Satteltaschen, bevor er sich in den Sattel schwang und zu den Baracken der Cowboys trabte. Einer der beiden Männer, die vorn dabei gewesen waren, empfing ihn bereits vor dem Eingang der ersten Hütte.

»Steve wurde versorgt, Sir«, beeilte sich der Cowboy, ein schlaksiger junger Kerl mit schulterlanger, semmelblonder Mähne, zu versichern. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Es geht ihm gut. Also, danke.«