1,99 €
Die Mörder von Fred Washly vergeudeten keine Zeit. Auf ihren dürren Pintos glichen sie einer Gruppe von Cowboys, wie sie jeden Freitag hinunter nach Elko City zog und grölend die Bourbonflaschen leerte.
"Zweihundert für Washlys Seele!", knurrte der Bärtige an der Spitze des Trupps. Er hielt einen Vierteldollar in den Fingern und schnippte ihn in die Luft. "Bei Kopf bleibt's an mir hängen. Sonst ist Bobbie dran, wie es abgemacht war."
Die Münze landete flach in seinem Handteller. "Zahl!", verkündete der Bärtige. "Bobbie hat 'nen glücklichen Tag."
Die übrigen Männer grinsten und sahen zu einem hageren Kerl mit rostiger Winchester, der einen breitkrempigen Hut trug. Der Bärtige ließ die Münze auf und ab springen. "Pack die Sachen, Bobbie!"
Der Angesprochene griff mit regloser Miene nach seinem Gewehr ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 129
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Zwei scharfe Waffen
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Boada / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9996-7
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Zwei scharfe Waffen
Die Mörder von Fred Washly vergeudeten keine Zeit. Auf ihren dürren Pintos glichen sie einer Gruppe von Cowboys, wie sie jeden Freitag hinunter nach Elko City zog und grölend die Bourbonflaschen leerte.
»Zweihundert für Washlys Seele!«, knurrte der Bärtige an der Spitze des Trupps. Er hielt einen Vierteldollar in den Fingern und schnippte ihn in die Luft. »Bei Kopf bleibt's an mir hängen. Sonst ist Bobbie dran, wie es abgemacht war.«
Die Münze landete flach in seinem Handteller. »Zahl!«, verkündete der Bärtige. »Bobbie hat 'nen glücklichen Tag.«
Die übrigen Männer grinsten und sahen zu einem hageren Kerl mit rostiger Winchester, der einen breitkrempigen Hut trug. Der Bärtige ließ die Münze auf und ab springen. »Pack die Sachen, Bobbie!«
Der Angesprochene griff mit regloser Miene nach seinem Gewehr...
Der Sommer des Jahres 1887 war so trocken und staubig gewesen, dass Fred Washly der Gedanke gekommen war, es könnte niemals wieder einen Tropfen Regen im Elko County geben. Der Texaner nannte zwar nur eine einzige Rinderherde sein eigen und hatte als Ranch einen alten Handelsposten der Nevada Northern Railway erkoren, doch er verstand vom Wetter mehr als die meisten Züchter in Nevada.
Dass Washly an diesem Tag den Tod fand, war also in mehrerlei Hinsicht bedauerlich.
Zum einen verlor Nevada mit ihm einen profilierten Züchter, der seine Erfahrungen aus Texas mit hinauf in den Norden genommen hatte, zum anderen verendete im darauffolgenden Winter ein Großteil von Washlys Herde so qualvoll, dass sie dem Frozen Herd's Valley zu seinem Namen verhalf.
Von alledem wusste Washly an diesem Augustmorgen nichts.
Er saß mit verschränkten Armen in seinem Bidwell-Sattel, biss auf einem Streifen Tabak herum und sann darüber nach, ob der nahe Gebirgszug der Lannaster Range der Herde ausreichend Schatten bot. Er hatte zähe Rinder, daran bestand kein Zweifel, doch auch das standhafteste Tier hatte dieser mörderischen Hitze nichts entgegenzusetzen.
Fast vierzig Grad hatte es am Nachmittag gegeben.
Die Gräser waren zu bräunlichen Strohhalmen zusammengebrutzelt, die zu nichts taugten als einem ausgedehnten Buschbrand, den der liebe Gott jedoch verhüten mochte. Die Weiden waren zu ausgedörrten Ebenen geworden, auf denen man alles anstellen konnte außer vernünftiger Rinderzucht.
Nimm das Geld und verschwinde!
Der alte Botts von der Silvester-Ranch im nördlichen County hatte Washly im Frühjahr eindringlich geraten, die Herde zu verkaufen und Nevada zu verlassen. Er hatte den heißen Sommer vorausgesehen, der einem milden Winter gefolgt war. Er hatte vorausgeahnt, dass niemand ein Kalb abkaufte, das bloß noch aus Skelett und lederartiger Haut bestand.
Doch Washly hing an seiner Herde.
Er blickte hinüber zu den jungen Bullen, die abseits der Kühe grasten und aus dem letzten Graben tranken, in dem sich noch Wasser fand. Sie hatten ihren Ungestüm verloren, ihre Verspieltheit, derentwegen Washly jeden dieser Bastarde ins Herz geschlossen hatte.
Seufzend ritt Washly tiefer in die Herde hinein.
Er sah nach dem einzelnen Reiter, den er südlich der Lannaster Range erspäht hatte; ein winziger schwarzer Fleck vor dem hellen Gebirgsmassiv, dessen Gipfel sich in Wolken gehüllt hatten. Der Berittene konnte von Ned Burnett kommen. Die Leute von der Burnett-Ranch hatten in den letzten Wochen ab und zu die Zäune inspiziert.
Von Burnetts Reichtum sprach das ganze County.
Der Rancher und Freund von Washly hatte seine Herden schon im März verkauft und ein Vermögen damit zusammengehamstert. Von dreißig oder vierzig Dollar pro Kopf war die Rede. Die meisten Dollars hatte Burnett danach in drahtige Longhorns gesteckt, die der Sommerhitze trotzen konnten.
Er hatte sich klüger verhalten als Washly und die anderen.
Der Reiter in der Ferne hatte ihn ebenfalls entdeckt und hob den Arm zum Gruß. Er stob in fliegendem Galopp durch das Weidegras, setzte über den ausgetrockneten Flussgraben am Golmer's End hinweg und hielt auf Washly zu. Als er den Rinderzüchter fast erreicht hatte, verlangsamte er den Ritt und sah zu den Bullen hinüber.
»Prächtige Tiere, prächtige Tiere!« Er war zu jung, als dass er erfahren genug sein konnte, um eine solche Einschätzung treffen. »Sie machen Ihrem Ruf Ehre, Mr. Washly! Sie machen ihm mächtig Ehre!«
Das hagere Gesicht des jungen Mannes nahm einen freundlichen Ausdruck an. Es hatte jene Unbescholtenheit, die offenbar jeder von Burnetts Rancharbeitern besaß.
»Schuften Sie für Burnett?«, fragte Washly brummig. Er hatte sich auf einen einsamen Vormittag bei den Rindern gefreut. »Wie heißen Sie?«
»Bobbie«, sagte der Jüngere und legte den Kopf schief. »Ich hatte geglaubt, dass Sie größer seien, Mr. Washly.«
»Größer?« Washly stützte sich schmunzelnd aufs Sattelhorn. Das Leder ächzte unter seinem Gewicht. »Die Hitze bringt uns sämtliches Vieh über den Jordan. Beim alten Burnett stehen die Dinge hoffentlich zum Besseren.«
Der andere Reiter starrte zur Lannaster Range hinüber, über der ein Windstoß die Wolken auseinandertrieb. Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich komme nicht von Burnett, Mr. Washly. Ich arbeite für einen Mann aus Elko City.« Er richtete den Blick auf Washly. »Ich bin gekommen, um Sie zu töten.«
Einige Sekunden glaubte Washly noch, dass ihn seine Ohren täuschten, als sein Mörder mit einer blitzschnellen Bewegung die Winchester aus dem Sattelfutteral riss. Der Rancher holte mit den Sporen aus und krümmte sich im Sattel zusammen.
In derselben Sekunde donnerte ein Schuss.
Die Kugel zischte an Washlys rechtem Ohr vorbei und surrte mit einem pfeifenden Geräusch über das wiegende Weidegras hinweg. Eine Wolke aus Pulverdampf schloss die Männer ein und nahm ihnen die Sicht.
Washly klingelten die Ohren.
Er riss das Pferd mit einem Zügelruck herum, stob in pfeilschnellem Galopp davon und riss dabei den Revolver aus dem Holster. Er drehte sich halb im Sattel und nahm seinen Gegner aufs Korn.
Ehe Washly feuern konnte, traf ihn eine weitere Gewehrkugel.
Das Geschoss durchlöcherte seine Brust und sorgte für einen beißenden Schmerz, der bis hinauf in den Nacken des Ranchers reichte. Ein warmer Schwall Blut quoll aus der Wunde und sickerte zwischen Washlys Beine.
»Bastard!«, murmelte Washly mit erstickter Stimme. »Bastard!«
☆
Die staubbedeckten Häuser von Wells drängten sich dicht ans Gleis der Nevada Northern Railway. Sie waren nach dem letzten Feuer im Jahr 1881 in aller Eile wiedererrichtet worden, teils aus den angesengten Brettern ihrer Vorgänger, teils aus angeschwemmtem Totholz. Die Züge der Nevada Northern hielten in Wells nur noch, um Vorräte für die Minenarbeiter in Cherry Creek abzuliefern.
»Vorbei ist's damit!«, sagte Frank Bagnell und schaute über den Rand seiner Nickelbrille zu Lassiter. Er schwang die Peitsche und beschleunigte das Fuhrwerk. »Seit Jahren kommt keiner mehr nach Wells. Die Stadt ist ein verdammter Sumpf geworden.« Er lachte. »Sumpfig wie die Quellen vom alten Humboldt drüben!«
Er wies mit dem Arm unbestimmt nach Westen, auf die schneebedeckte Ebene, unter deren gefrorenem Harschschnee irgendwo der Humboldt River entsprang. Bagnell hatte Lassiter vom Gleis der Nevada Northern aus mitgenommen und sogleich die alten Zeiten beschworen.
Der Mann der Brigade Sieben mochte den Alten.
Er hatte Bagnell bei einem Auftrag in den Wood Hills kennengelernt, jenen Hügeln weiter südlich, die noch vor Jahren berüchtigter Unterschlupf für Eisenbahnräuber und geflohene Sträflinge gewesen waren. Von Bagnell hatte Lassiter das Versteck eines Mannes erfahren, der zwölf Frauen getötet hatte.
»Bald gibt's hier oben nur noch Cowboys und Goldsucher!«, plapperte Bagnell weiter und steuerte das Fuhrwerk in die Mainstreet. Die wenigen Läden der Stadt waren über die Mittagsstunde geschlossen. »Bist du wieder auf der Suche nach toten Freudenmädchen? Der Herrgott möge sich ihrer armen Seelen erbarmen.«
»Eher nach lebendigen«, gab Lassiter trocken zur Antwort und sann über das Telegramm in seiner Hosentasche nach. Noch blieb ihm ein halber Tag Zeit für die Zusammenkunft mit dem Mittelsmann. »Ich hätte gegen Gesellschaft nichts einzuwenden.«
»Wie früher ein Schwerenöter!«, bemerkte Bagnell und begann von zwei Chinesinnen zu reden, die kürzlich nach Wells gekommen wären und sich als geschickte Schuhmacherinnen erwiesen hätten. »Ich könnte dich zu ihnen bringen. Sie sind Junggesellinnen. Aber keine von der prüden Sorte.«
Das glucksende Lachen des Alten schallte die verwaiste Straße hinauf. Bagnell ließ die Pferde antraben und steuerte auf eine Gasse zu, die fast zu schmal für den Zweispänner war. Er hielt vor einem unscheinbaren Haus, dessen Vordach mit bunten Fähnchen geschmückt war.
»Sag Li und Chin ein paar Schmeicheleien von mir!«, meinte Bagnell und stieg vom Kutschbock. Er sah an dem Haus der Chinesinnen empor. »Wäre ich ein paar Jährchen jünger, bekämen sie nicht nur Blumensträußchen von mir.« Er seufzte. »In zwei oder drei Stunden bin ich zurück in der Stadt.«
Die Männer nickten einander zum Abschied zu, bevor Bagnell nach den Zügeln griff und mit einem knappen Kommando anfuhr.
☆
»Peking«, sagte Li mit einem Lächeln. »Meine Schwester und ich kommen aus Peking.«
Die beiden Frauen mit dem pechschwarzen Haar und der sorgsam aufgetragenen Schminke hatten Lassiter im Entree des Hauses begrüßt und ihm die staubige Jacke abgenommen. Sie trugen knöchellange Gewänder, unter denen sich ihre grazilen Gestalten abzeichneten. Die ältere der beiden Schwestern war Li Tang.
»Man hat mich zu Ihnen geschickt«, sagte Lassiter und sah sich im Haus um. Ein süßer Geruch hing in der Luft. »Mr. Bagnell hat mich zu ihnen geschickt.«
Die zweite Chinesin blickte fragend zu Li und nickte zufrieden, nachdem ihre Schwester die letzten Worte des Gastes übersetzt hatte. Chin schritt auf Lassiter zu, legte ihm die Hand auf die Brust und küsste ihn zärtlich.
»Uns liegt an Höflichkeit, Mr. Lassiter«, betonte Li indessen und kam gleichfalls näher. Sie hielt ihre Schwester sanft am Arm zurück. »Das Tang-Haus steht jedem Mann offen, der Manieren hat.« Sie sah Lassiter prüfend an. »Sind Sie ein Gentleman, Mr. Lassiter?«
Der Mann der Brigade Sieben versicherte es der Chinesin.
Wortlos streiften die schönen Asiatinnen danach ihre Gewänder von den Schultern. Sie führten Lassiter in die angrenzende Kammer und schlugen die Laken des Bettes darin zur Seite. Die jüngere Chin begann mit einem lasziven Tanz.
»Zieh dich aus!«, wisperte Li dem großen Mann ins Ohr und machte sich an dessen Hemd zu schaffen. Sie steckte die klimpernden Dollars ein, die Lassiter bereithielt. »Du weißt immerhin, was sich gehört. Die meisten Männer von Wells sind Dummköpfe.« Sie hauchte ihm ins Ohr. »Aber du nicht, Lassiter.«
Bald erfüllte den Raum der gleiche süße Duft, der bereits durch das Entree gezogen waren. Er strömte aus einem Öllämpchen in der Ecke und hing schwer in der stickigen Luft.
Die Frauen tanzten geschmeidig zu einer leisen Melodie, die Li vor sich hin summte. Sie bewegten sich aufreizend und grazil; zwei fernöstliche Göttinnen, die ihren Liebhaber in ein fremdartiges Ritual hineinzogen. Mit ihren schlanken Armen umfingen sie Lassiter und stießen ihn ins Bett hinunter.
»Zeig mir, was du kannst!«, hauchte Li Lassiter zu und stieg über ihn. Sie war nackt bis auf ein schmales Seidenband, das sie um ihre Brüste geknotet hatte. »Du verstehst dich auf Frauen. Ich sehe es dir an.«
Die Schwestern entkleideten Lassiter in Windeseile, befreiten seinen steifen Pint aus der Unterhose und stiegen über ihn. Sie wechselten sich keuchend und stöhnend ab, ritten ihren Liebhaber nach allen Regeln der Kunst und seufzten vor Ekstase.
Lange konnte Lassiter den Frauen nicht standhalten.
Er hatte sein letztes Rendezvous ein oder zwei Wochen zuvor in Montana gehabt, auf halber Strecke zwischen Billings und Helena. Er hatte es mit dem Zimmermädchen eines schäbigen Hotels getrieben, in dem es nach Walöl und feuchtem Leder gestunken hatte.
»Verdammt!«, knurre Lassiter, als es ihm nach einer Viertelstunde kam. Er sah Li an, die mit zurückgeworfenem Haar auf ihm saß und die Finger in seine Brust krallte. Sie war zur selben Zeit gekommen wie er.
»Kennst ihr einen Mr. Harrell?«, brachte Lassiter das Gespräch wieder in Gang. »Ich muss zu ihm gelangen. Er lebt in Wells.«
»Harrell?« Chin schaute fragend zu ihrer Schwester Li. »Harrell von der Portman Company?«
☆
Fast ein halbes Jahr war Fred Washly inzwischen tot.
Er war auf offener Wiese erschossen worden, mit einer Winchester vom Kaliber .32, das keiner im County verschoss, der nicht auf der Jagd nach Wild war. Sie hatten Washly zwischen seinen Rindern gefunden, die ihm bereits ein Stück Haut vom Rücken genagt hatten.
»Jesus, Freddy«, flüsterte Jack C. Hubbell und berührte die Sterbeannonce seines Freundes. Er hatte die Meldung aus dem Elko Weekly geschnitten und bewahrte sie zusammen mit Washlys Halstuch in der Schublade auf. »Du hättest nicht so früh gehen dürfen.«
Draußen vor der Ranch riefen die Männer zum Round-up.
Sie hatten Hubbell in die Hand versprochen, dass sie die Herden gegen Abend beisammen hätten und mit der Schlachtzählung beginnen würden. Die kräftigsten Färsen sollten schon vor dem Wochenende in Salt Lake City sein.
Der Schnee hatte die Pläne der Männer vereitelt.
Knapp fünf Stunden hatte es in der Nacht geschneit, ein Gewirbel aus dicken Flocken und körnigem Eis, das sich wie ein frostiger Panzer über die Beifußsträucher in den Ebenen gelegt hatte. Die Rinder hatten in den Morgenstunden gefroren und sich in Gruppen zu zehn, manchmal zwanzig Tieren versammelt.
Über dem Dach heulte selbst jetzt noch der Wind.
Bedrückt schloss Hubbell die Schublade mit dem Halstuch seines Freundes darin und stand auf. Er zog sich den Ledermantel mit dem Fuchsfellkragen über, stieg die Treppe ins Untergeschoss hinunter und begab sich zu seinem Vormann.
»Elf haben wir gezählt!«, sagte Vormann Joseph Whitney draußen im Schneesturm. In seinem Bart hingen glitzernde Eiskristalle. »Sie sind alle aufgeschnitten und ausgeweidet worden. Von zwei Rindern haben sie die Häute mitgenommen.« Er seufzte. »Die anderen Biester sind steifgefroren wie Bretter.«
Rings um den groß gewachsenen Whitney standen vier andere Männer, die bei Hubbells Ankunft beratschlagt hatten, ob zwei von ihnen zum Round-up könnten oder nicht. Sie zählten zu Whitneys zuverlässigsten Leuten und hatten mit dem Vormann nach den abtrünnigen Rindern gesucht.
»Ausgeweidet?«, brummte Hubbell und rieb sich die Hände. Sein Atem schlug sich in weißen Wölkchen nieder. »Dann sind's keine Wilderer, Jo. Ein Wilderer hätte die Viecher mitgenommen.«
»Ich hab' eines hergebracht«, sagte Whitney und drehte sich aus dem Wind. »Liegt in der Scheune unter dem Strohspeicher. Du solltest es dir ansehen.«
Die Mienen der Männer unterstrichen den Ernst in Whitneys Worten. Hubbell folgte seinen Leuten zur Scheune, die in Sichtweite zum Ranchhaus stand und im Winter gewöhnlich voller Heu und Stroh war. In diesem Sommer hatten sie jedoch so wenig Gras gesenst, dass es nur für den halben Speicher gereicht hatte.
Die Kuh war längs am Bauch aufgeschnitten worden.
Die Eingeweide des Tieres hatte man entnommen, ebenso einen Teil der Knochen und des stärkeren Muskelfleisches. Die Sehnen waren säuberlich durchtrennt und mit Feuer verödet worden, damit kein Blut in die Karkasse lief.
Die Viehdiebe hatten gewusst, was sie taten.
»Dreimal in einem Monat«, merkte Whitney mit einem tiefen Atemzug an. »Uns gehen die Rinder aus, Mr. Hubbell.«
Keiner verstand die Lage besser als Hubbell.
Er hatte die Herden der anderen Rancher im County gesehen, deren ausgemergelte und entkräftete Tiere, die es kaum schafften, sich auf den Beinen zu halten. Die Winterkälte ging wie eine eiserne Harke durch die Viehbestände. Sie ließ nur die starken und kräftigen Rinder übrig.
»Woran denken Sie?«, richtete sich Hubbell an seinen Vormann. Er ging neben dem toten Rind in die Hocke und untersuchte es. »Sie denken an die Schwestern, nicht?«
Der Vormann schwieg beharrlich, obwohl seine Lippen vor Anspannung zitterten. Er arbeitete seit über zehn Jahren für Hubbell und hatte seine Nase bislang nie in Dinge gesteckt, die ihn nichts angingen.