Lassiter 2527 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2527 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Ich wünschte, wir hätten den Coyote Creek schon hinter uns. Theo Willingham knirschte mit den Zähnen. Als Trail-Captain trug er die Verantwortung für mehr als einhundert Siedler, und gerade jetzt lastete sie ihm schwer auf den Schultern.
Vor ihnen lagen achtzig Meilen durch ein verrufenes Gebiet. In diesen Wäldern waren schon zahlreiche Menschen verschwunden und nicht wieder aufgetaucht. Geblieben waren nur Wracks verlassener Wagen und ausgebleichte Knochen von Maultieren und Ochsen, die aus dem schlammigen Erdreich ragten.
Sorgenvoll starrte der Trail-Boss in die Dunkelheit - und stutzte plötzlich. Der Nachtwind wehte ihm ein Stück Stoff vor die Stiefel, seidig und schwarz wie die Sünde. Was war denn das?


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Seitenzahl: 146

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Verschollen am Coyote Creek

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Boada / Norma

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0689-6

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Verschollen am Coyote Creek

Ich wünschte, wir hätten den Coyote Creek schon hinter uns. Theo Willingham knirschte mit den Zähnen. Als Trail-Captain trug er die Verantwortung für mehr als einhundert Siedler, und gerade jetzt lastete sie ihm schwer auf den Schultern.

Vor ihnen lagen achtzig Meilen durch ein verrufenes Gebiet. In diesen Wäldern waren schon zahlreiche Menschen verschwunden und nicht wieder aufgetaucht. Geblieben waren nur Wracks verlassener Wagen und ausgebleichte Knochen von Maultieren und Ochsen, die aus dem schlammigen Erdreich ragten.

Sorgenvoll starrte der Trail-Boss in die Dunkelheit – und stutzte plötzlich. Der Nachtwind wehte ihm ein Stück Stoff vor die Stiefel, seidig und schwarz wie die Sünde. Was war denn das?

Ein Höllentrip lag hinter den Emigranten.

Und ihre Reise war noch nicht vorbei. Vor ihnen lagen mehr als fünfhundertfünfzig Meilen. Der Weg führte durch ein Gebiet voller Gefahren. Reißende Flüsse, Raubtiere und die ersten Winterstürme konnten ihr Ende besiegeln. Ebenso wie die Begegnung mit feindlich gesinnten Indianern.

Theo Willingham würde erst wieder ruhig schlafen, wenn sie ihr Ziel erreicht hatten: Oregon City. Das hieß: wenn sie es jemals dorthin schafften.

Seit ihrem Aufbruch in Independence, Missouri, hegte er daran Zweifel. Er hütete sich jedoch, sie laut auszusprechen. Hoffnung war auf ihrem Weg oft das Einzige, was sie noch dazu brachte, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Und Hoffnung war ein zerbrechliches Gut.

Seitdem sie dem von Felsbrocken übersäten Ufer des Snake River folgten, lagen die steilen Blue Mountains vor ihnen. Bei schönem Wetter schien der gewaltige Gebirgsriegel zum Greifen nah zu sein. Dann machte der Ausblick den Siedlern das Herz weit und ihre Füße leicht. An diesem Tag jedoch hüllten sich die fernen Gipfel in düsteres Grau. Wolken bedeckten den Himmel und kündigten Regenfälle an. Der Abend senkte sich früh über den Fluss und zwang sie zum Lagern.

Theo Willingham starrte eine Weile nachdenklich auf die Seide nieder. Dann stopfte er sie in seine Westentasche. Sie würde ein halbwegs passables Taschentuch abgeben, und er verabscheute jede Art von Verschwendung.

Die Luft war schwer und feucht, und jeder Atemzug fühlte sich an, als würde er nasse Wolle inhalieren. In weniger als einer halben Stunde, so schätzte er, würde der Himmel einen heftigen Regenguss über ihnen entlassen. Vielleicht noch früher.

Hatte er in den ersten Wochen nach ihrem Aufbruch noch gebangt, seinen Zug in die Irre zu führen, musste er sich darum schon lange keine Sorgen mehr machen. Kadaver verendeter Zugtiere und zurückgelassenes Hab und Gut von früheren Siedlern markierten den Weg. Den Reisenden vor ihnen hatten noch Flüsse, Felsspitzen und merkwürdige Erd- und Felsformationen als Landmarke gedient. Ihnen jedoch wiesen bleiche Knochen die Richtung.

An diesem Tag hatten sie neunzehn Meilen hinter sich gebracht. Der schlammige Trail erschwerte ihr Vorankommen. Immer wieder blieben Wagen stecken und mussten mühsam angeschoben werden, ehe der Wagenzug seinen Weg fortsetzen konnte.

Morgens waren die Wälder noch licht genug gewesen, um ihnen die Aussicht auf die fernen Berge zu erlauben. Doch das Grün war mit jeder Meile dichter geworden, und nun hüllten Hemlocktannen und Sitka-Fichten sie ein wie ein grüner Ring, der sich um sie zusammenzog und die Außenwelt aussperrte.

Dunkelheit lag über dem Lager wie ein dicht gewebtes Tuch.

Im flackernden Schein der Feuer schienen die Schatten lebendig zu werden und über die Wagen und Zelte zu huschen wie Wesen aus einer anderen Welt. Theo Willingham hatte schon viel gesehen in seinen beinahe dreiundfünfzig Lebensjahren, und noch immer wurde er das Gefühl nicht los, dass es hier draußen mehr gab, als seine Augen zu sehen vermochten. Solche Gedanken konnten einen Mann hier draußen in den Wahnsinn treiben, deshalb schnaubte er missmutig und konzentrierte sich lieber auf seine Aufgaben.

Er packte den rechten Hinterlauf seines Pferdes und besah sich prüfend den Huf.

Ein Reittier konnte hier draußen zwischen Leben und Verdammnis entscheiden, deshalb versorgten die Siedler kleine Wunden und eingetretene Steine bei ihren Tieren sofort, ehe sie weiteren Schaden anrichten konnten.

Sorgsam prüfte Theo Willingham einen Huf nach dem anderen.

Im Lager herrschte derweil rege Betriebsamkeit.

Die Siedler bauten ihre Zelte auf. Über den Feuern brieten die Frauen Fleisch und buken Brötchen. Zu Beginn ihrer Reise hatten sie noch Eier gehabt, sicher gelagert in Fässern mit Maismehl, aber die waren längst verbraucht. Die Glücklicheren hatten eine Milchkuh bis hierher durchgebracht und morgens die überschüssige Milch in Eimern unter ihren rumpelnden Wagen gehängt. Zum Tagesende hatten sie nun Butter für ihre Brötchen.

Mehrere Siedler stiegen mit Eimern den steilen Hang in die Schlucht des Flusses hinunter, um Wasser zu holen. Der Snake River rauschte nur wenige hundert Yards von ihnen entfernt, aber so tief unter ihnen, dass es mühsam war, Wasser zu holen.

Nun, wenigstens das würde sich ändern, sobald sie den Coyote Creek erreichten.

Theo Willingham war auf dem Trail vorausgeritten und hatte die Lichtung als Lagerplatz bestimmt. In den Plains hatten sie die Wagen abends zu einem Rund aufgefahren und in der sicheren Wagenburg genächtigt. Hier reichte der Platz dafür nicht aus, deshalb standen die Wagen hufeisenförmig beisammen. Pferde, Maultiere und Ochsen grasten dazwischen. Auf drei Seiten geschützt von den Wagen. Das war nicht perfekt, aber im Improvisieren waren sie inzwischen Meister.

Was war unterwegs nichts schon alles schief gegangen.

Büffelherden hatten mehr als nur eine heiß ersehnte Wasserstelle vor ihnen verwüstet, das Wasser mit Schlamm aufgewühlt und durch Kot untrinkbar gemacht. Sie hatten es durch Stoff gefiltert und mit Kaffee versetzt, um es halbwegs genießbar zu machen. In den Plains hatte die Hitze ihnen fast den Verstand geraubt. Räder waren gebrochen, als die nächsten Bäume gut fünfzig Meilen entfernt gewesen waren. So hatte der Esstisch der Applegates dran glauben müssen. Das Holz war zu Rädern verarbeitet worden. Die Cholera hatte ein Dutzend von ihnen dahingerafft.

Einhundertundfünf Siedler waren noch übrig. Bald würden sie auch wieder mehr sein, denn einige der Frauen waren guter Hoffnung.

Der Trail gab und nahm.

Doch seine Tage waren gezählt. In wenigen Jahren würde die transkontinentale Eisenbahn vollendet sein. Wenn man den Gerüchten glauben durfte, würde die Reise zur Westküste mit dem Zug nur einen Bruchteil von der Zeit dauern, welche die Wagen benötigten. Der Trail würde verwaisen und in Vergessenheit geraten.

»Sieh dir das an, Boss!« Alfred Cumming stiefelte um einen der Wagen herum. Er reiste als Helfer mit und scheute keine schwere Arbeit. Dafür hatte er eine Vorliebe für Kautabak, die seine Zähne gelb gefärbt hatte, und für seine Mundharmonika, mit der er abends gern aufspielte. Seine Hände waren rau und schrundig wie die Borke einer Hemlocktanne. »Mit dem verdammten Speck hat mich der Händler in Fort Boise hereingelegt!« Anklagend reckte er die Schwarte in die Höhe. »In dem Ding ist mehr Leben, als ich bezahlt habe.«

Tatsächlich ringelten sich Maden in dem gräulichen Speck.

»Mehr Fleisch für dich«, konstatierte Theo Willingham trocken.

»Darauf verzichte ich gern. Lieber bleibe ich beim Butterbrötchen.« Sein Helfer furchte missmutig das Gesicht. »Sag mal, was hast du denn da?« Er zupfte den hauchfeinen schwarzen Stoff aus seiner Westentasche, hielt ihn in die Höhe und beäugte ihn. »Heiliger Rauch! Ist das das, wofür ich es halte?«

»Ein Taschentuch ist es«, brummte Willingham. »Ich habe es da drüben gefunden.«

»Rate noch mal.«

»Was soll das bedeuten?«

»Dass ich auf der Stelle meine Socken verspeise, wenn dieses feine Stück nicht zur Unterwäsche einer Dame gehört.«

»Was redest du denn da?« Theo Willingham beäugte seinen Fund genauer. Und mit einem Mal stieg Hitze in seine Wangen. Sein Helfer hatte nicht Unrecht. Das gute Stück wies entfernte Ähnlichkeit mit etwas auf, das er einmal an einem Girl in St. Louis gesehen hatte. Allerdings war es weitaus zarter und verruchter.

Er ließ die Seide fallen, als hätte er sich daran verbrannt.

Sein Helfer grinste breit. »Wüsste zu gern, wer das verloren hat.«

»Das geht uns nichts an«, wehrte der Trail-Captain unwirsch ab. »Wolltest du nicht zu Abend essen?«

»Das würde ich, wenn meine Mahlzeit nicht bereits anderweitig vergeben wäre.« Angewidert starrte der Ältere auf die Maden.

»Mrs. Porter macht einen Apple-Pie, wenn mich meine Nase nicht trügt. Vielleicht gibt sie dir ein Stück ab, wenn du ihnen frisches Wasser besorgst. Ihr Mann hat mit den Ochsen zu tun, und Mrs. Porter sollte in ihrem Zustand keine schweren Eimer schleppen.«

»Das ist eine gute Idee, Boss. Sogar eine ganz hervorragende.« Die Miene des Oldtimers hellte sich auf. Er ließ den Speck fallen und stapfte davon. Immer dem Duft von getrockneten Äpfeln und Zimt nach.

Theo Willingham schnaufte tadelnd und machte sich daran, Erde mit seiner Stiefelspitze wegzuscharren und den Speck zu vergraben, ehe er Schwarzbären oder einen Puma anlocken konnte.

Anschließend fütterte er sein Lagerfeuer mit frischem Holz.

In drei Tagen würden sie die nächste Stadt erreichen, schätzte er. Längst schon war der Trail nicht mehr so verlassen wie früher. Noch vor fünf Jahren war der Trail über Hunderte Meilen menschenleer gewesen. Inzwischen stieß man immer öfter auf Spuren von Besiedelung. Es gab einige Fähren, Brücken und Handwerker, die sich ihre Dienste gut von den durchziehenden Siedlern bezahlen ließen.

Dann wieder kam man durch schier unberührte Landstriche.

Wie die Wildnis, die sich vor ihnen ausbreitete.

Keine gute Gegend. Das wusste er verdammt gut.

Hier trieb sich allerlei Raubzeug herum.

Zwei- und vierbeiniges.

Der Arm des Gesetzes reichte nicht bis hierher.

Kein Sternträger war den marodierenden Banditen gewachsen.

Einige hatten es versucht. Am Ende ritten sie mit den Outlaws oder sie fanden sich auf dem Stiefelhügel wieder. So oder so: Für Reisende war das Gebiet ein weiteres Wagnis auf ihrem Weg gen Westen.

Theo Willingham strich seinem Braunen über die Stirn. Der Wallach steckte den Kopf in das Grün, das hier reichlich wuchs. Derweil prüfte der Trail-Captain seinen Revolver und stiefelte los. Jeden Abend patrouillierte er einmal um das Lager, wechselte ein paar Worte mit den Siedlern und schlichtete, wenn es Zwist gab.

Außerdem schaute er nach jedem Mann, der zur Wache eingeteilt war.

Er war gerade auf dem Weg zu Stew, dem Iren, als sich sein Stiefel in einer Brombeerranke verfing. Er strauchelte, verlor das Gleichgewicht und schloss einen Wimpernschlag später Bekanntschaft mit Dornen, die seine Haut ritzten.

Fluchend rappelte er sich wieder auf – und bemerkte aus dem Augenwinkel eine merkwürdige Formation, die sich zwischen den Bäumen abzeichnete. Die Lichter des Lagerfeuers reichten nicht aus, um sie zu erhellen, aber sie erweckte doch sein Interesse. Er strebte zu seinem Zelt, holte sich eine Öllampe und zündete sie an.

Dann stapfte er los, um sich dieses Gebilde aus der Nähe anzusehen.

Vermutlich nur ein Felsen, sann er. Nichts Besonderes. Ich habe nur keine Ruhe, ehe ich es mir nicht angesehen habe.

Wenig später schnaufte er verblüfft.

Es war kein Felsen.

Es war ein Buggy.

Und zwar keiner der Wagen, mit denen die Siedler unterwegs waren.

Das Gefährt lag umgestürzt auf der Seite. Allerlei Kisten und persönliche Habe lagen ringsum verstreut. Im Lichtschein der Funzel deuteten die Sachen auf eine Frau hin. Ein paar Kleider. Einige Ballen Stoff. Eine Teppichstofftasche.

Das Licht streifte ein Pferd. Der Schimmel war noch eingespannt, hingestreckt im dichten Grün. Irgendein Raubtier hatte sich an dem Kadaver gütlich getan. Der Leib war von gierigen Klauen aufgerissen. Blutige Klumpen lagen verstreut.

Theo Willingham hob die Lampe, betrachtete die Überreste prüfend.

Dem armen Tier wurde zuerst der Hals aufgerissen. Ein Schwarzbär, würde ich sagen. Unwillkürlich zog er seinen Revolver und spannte den Hahn. Wachsam spähte er umher. Zwar glaubte er nicht, dass sich der Angreifer noch in der Gegend aufhielt. Sie waren vor einer guten Stunde angekommen und hatten ihn vermutlich mit ihrem Lärm verscheucht. Trotzdem sah er sich lieber vor.

Wo waren die Menschen, die zu diesem Buggy gehörten?

Sein Blick schweifte umher, während die ersten Tropfen von Himmel fielen und auf seinen Hut tropften. Er befürchtete nichts Gutes. Wenn das Pferd so übel zugerichtet war, wie musste es da erst einem Menschen ergangen sein?

Da! Zwischen einigen Bahnen grober Wollstoffe lag eine Gestalt! Eine Frau! Zierlich wie ein Mädchen. Mit langen rotblonden Haaren, die wirr um ihr schmales Gesicht hingen. Streifen von Blut und Schmutz zogen sich über ihre Wangen. Theo hätte seinen linken Stiefel darauf gewettet, dass sie bildhübsch war, wenn sie gebadet war. Ihr dunkelblaues Kleid war staubig und an der rechten Schulter zerrissen. Darunter blitzte cremig weiße Haut hervor.

So reizend, ging es ihm durch den Sinn. Ein Jammer, dass sie tot ist ...

Im selben Augenblick gab die Unbekannte ein Stöhnen von sich.

Theo Willingham machte einen Satz rückwärts.

Sie lebte? Wie um alles in der Welt war sie den Reißzähnen entkommen?

Er stürmte zu ihr hinüber, stellte die Lampe ab und rüttelte die Unbekannte an der Schulter.

»Miss? Können Sie mich hören? Miss?«

Sie stöhnte wieder, ließ die Augen jedoch geschlossen. Ein Wunder war das freilich nicht. In ihren Haaren klebte Blut. Sie musste einiges abbekommen haben, das arme Ding. Theo zögerte nur kurz, dann steckte er seinen Revolver zurück ins Holster, schob seine Arme unter die Fremde und hob sie hoch. Sie wog kaum mehr als der Biber, den er im letzten Sommer gefangen hatte.

Die Lampe musste er zurücklassen, aber er fand seinen Weg zurück zum Lager auch so.

»Halten Sie durch, Miss«, murmelte er, obwohl er sich keineswegs sicher war, dass sie ihn hören konnte. Trotzdem fügte er für alle Fälle hinzu: »Gleich sind Sie in Sicherheit.«

Als er sich seinem Wagen näherte, kamen ihm sogleich einige Siedler entgegengelaufen und starrten halb entgeistert, halb beunruhigt auf die junge Frau auf seinen Armen.

»Wen bringst du uns denn da, Theo?«

»Eine Frau? Sag mal, ist die etwa vom Himmel gefallen?«

»Eher von einem Buggy«, brummte er. »Alfred? Hör zu: Sag den Wachen Bescheid, dass sie die Augen offenhalten. Ein Schwarzbär hat das Pferd dieser Frau gerissen. Das soll unseren Tieren nicht auch passieren.«

»Verstanden.«

»Nimm dir ein paar Männer und durchkämm die Gegend. Schaut, ob die Frau einen Begleiter hatte. Womöglich ist er auch verletzt. Da drüben steht meine Lampe. Dort ist ihr Wagen mit ihren Sachen. Schafft her, was noch zu gebrauchen ist. Ich möchte nicht, dass der Regen oder die Raubtiere ihre Sachen vollends ruinieren.«

»Schon so gut wie erledigt.« Sein Helfer nickte bereitwillig. »Wird sie durchkommen, Boss?«

»Weiß ich noch nicht. Sie scheint ziemlich mitgenommen zu sein.«

»Verdammte Gegend ist das hier, verdammte Gegend.«

Dem hatte der Trail-Captain nichts hinzuzufügen.

Behutsam legte er die Unbekannte vor seinem Zelt ab.

»Was ist los?« Noch weitere Siedler strebten herbei, während Alfred losstiefelte, um seine Aufträge auszuführen. Wie ein Lauffeuer ging es im Lager herum, dass eine junge Frau gefunden worden war. Bald standen die Siedler in einem Kreis um die Unbekannte herum.

Die junge Josefine Porter brachte eine Schüssel mit Wasser, Tücher und eine abgegriffene Ledertasche mit Medikamenten und Verbänden. Sie hatte ein wenig Mühe, sich mit ihrem runden Bauch neben der Fremden niederzulassen. Ihr Vater war Arzt gewesen und mit auf dem Trail unterwegs, aber bei einem Gewitter vom Blitz erschlagen worden. Von ihm hatte sie einige Kenntnisse in Medizin.

Behutsam machte sie sich daran, die Unbekannte zu untersuchen.

»Sie hat eine böse Beule am Kopf«, stellte sie fest. »Muss ihn sich verletzt haben, als ihr Wagen umgestürzt ist. Es ist ein Wunder, dass noch Atem in ihr ist.«

»Wird sie überleben?«

»Schwer zu sagen. Bei Kopfverletzungen weiß man leider nie ...«

Zwei Frauen traten vor und betrachteten die Fremde forschend.

Die Jüngere von ihnen war Violet. Sie hatte in einem Saloon im Osten gearbeitet, ehe sie sich zu der Reise in den Westen entschlossen hatte. Ihr weinrotes Kleid war hochgeschlossen, schmiegte sich jedoch so eng um ihren Körper, dass es mehr enthüllte, als es verbarg.

»Ihr könnt sie in meinen Wagen legen. Dort kann sie sich erholen. Ich habe genügend Platz«, bot sie freundlich an.

»Moment mal!«, schaltete sich die zweite Frau ein. Mit ihrem verkniffenen Gesicht und dem grauen Kleid erinnerte sie an ein verstimmtes Faultier. »Wer hat gesagt, dass wir sie mitnehmen?«

»Nun, Prudence, wir können sie wohl kaum hierlassen, nicht wahr?«

»Aber selbstverständlich können wir das. Unsere Vorräte sind begrenzt und unser Weg noch weit. Wir dürfen uns nicht mit ihr abschleppen. Womöglich fehlen uns genau die Lebensmittel, die wir an sie verfüttern, um sicher unser Ziel zu erreichen.«

»Welchen Wert hätte es, anzukommen, wenn wir unterwegs unsere Menschlichkeit verlieren?«, gab einer der Siedler zu bedenken. »Bewahren wir unsere Ehre und helfen wir ihr.«

»Ehre wird uns nicht satt machen und auch nicht unseren Durst stillen, wenn wir in der Wildnis umherirren«, schnaufte Prudence Marsden. »Außerdem hat sie nicht bezahlt. Wo kommen wir denn hin, wenn wir jeden dahergelaufenen Streuner auflesen und durchfüttern?«

»Mein Gewissen würde mir keinen ruhigen Tag mehr lassen, wenn wir ihr nicht helfen«, sagte Theo Willingham ruhig. Die meisten Siedler waren seiner Meinung.

»Wir können sie auf keinen Fall verletzt und allein der Wildnis aussetzen.«

Damit war es entschieden: Sie würden sich um die Fremde kümmern.

Noch immer lag sie ohne Besinnung da. Josefine Porter wusch ihr behutsam das Gesicht, aber auch das brachte sie nicht zu sich.

Es dauerte nicht lange, dann kehrte Alfred zurück und schleppte eine Kiste herbei.

Ein breites Grinsen kerbte das Gesicht seines Helfers, gleichzeitig waren seine Ohrspitzen dunkelrot verfärbt.

»Da ist etwas, das Sie sich ansehen sollten, Boss.«

»Was, hast du etwa in den Sachen dieser Frau gestöbert, Al?« Theo Willingham bedachte ihn mit einem finsteren Blick.