Lassiter 2529 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2529 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Die Kakophonie aus verstimmten Musikinstrumenten, weinseligen Gesängen, Gelächter und Geschrei dröhnte in seinem Kopf und hallte noch lange nach, als Esekiel Banks die Plaza bereits hinter sich gelassen hatte und eine schmale Gasse hinauf hastete, wobei er immer wieder kurze Blicke über die Schulter warf. Das schmutzige Hemd klebte ihm dunkel am Rücken, und sein Gesicht glänzte vom Schweiß.
Die Poststation war nur noch ein paar hundert Yards entfernt, und er war fast sicher, die Verfolger abgeschüttelt zu haben. Die nächste Kutsche über die Grenze fuhr in einer halben Stunde ...
Aus der finsteren Nische eines Hofeingangs sprang der Tod vor ihm in die Gasse, schwang eine Machete und lachte meckernd. Sein Herz setzte aus, und er schrie aus Leibeskräften.


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Seitenzahl: 148

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Tage der Toten

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Sanjulian / Bassols

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0834-0

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Die Tageder Toten

Die Kakophonie aus verstimmten Musikinstrumenten, weinseligen Gesängen, Gelächter und Geschrei dröhnte in seinem Kopf und hallte noch lange nach, als Esekiel Banks die Plaza bereits hinter sich gelassen hatte und eine schmale Gasse hinauf hastete, wobei er immer wieder kurze Blicke über die Schulter warf. Das schmutzige Hemd klebte ihm dunkel am Rücken, und sein Gesicht glänzte vom Schweiß.

Die Poststation war nur noch ein paar hundert Yards entfernt, und er war fast sicher, die Verfolger abgeschüttelt zu haben. Die nächste Kutsche über die Grenze fuhr in einer halben Stunde...

Aus der finsteren Nische eines Hofeingangs sprang der Tod vor ihm in die Gasse, schwang eine Machete und lachte meckernd. Esekiels Herz setzte aus, und er schrie aus Leibeskräften.

Der Schreck fuhr Esekiel Banks durch alle Glieder, bis er erkannte, dass der grellweiße Totenkopf nur auf grobschlächtige Züge eines durchaus menschlichen Gegenübers geschminkt war und es sich bei der Machete um eine billige Imitation aus Holz handelte.

Der stämmige Mexikaner klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter, was Esekiel am liebsten mit einer Geraden direkt in dessen grinsende Visage beantwortet hätte.

Doch im nächsten Moment tauchte ein ganzes Gefolge aus dem Hofeingang auf, allesamt in bunte und dennoch schaurige Kostüme gekleidet, die den Tod mit sich an ihm vorbei zerrten und die Gasse hinunter tänzelten. Zwei von ihnen schwenkten dabei bauchige Flaschen in Jutenetzen, die vermutlich Meskal enthielten, den Kaktusschnaps, in dem ein Wurm angeblich magische Kräfte entfaltete. Andere hatten nur kleine Karaffen mit billigem Rotwein dabei.

Esekiel Banks sah ihnen kopfschüttelnd nach, während sein Herzschlag allmählich wieder in einen normalen Rhythmus fand.

Die Mexikaner waren eine Bande von Verrückten, darüber bestand kein Zweifel, wenn man ihn fragte.

Kein Wunder, dass dieses Land nicht zur Ruhe kam und ihre Bewohner immer noch eine Vorliebe dafür hatten, sich gegenseitig die Kehlen durchzuschneiden.

Wer ausgerechnet Allerheiligen, im Norden des Kontinents ein Tag der Andacht und Besinnung, zum Anlass für ausgelassene Feierlichkeiten erklärte, schien dem Leben und den Lebenden nicht unbedingt die größte Wertschätzung entgegenzubringen.

Dias de los Muertos, die Tage der Toten. So nannten die Mexikaner die bizarre Zeremonie, während der sie sich als Skelette verkleideten und Figuren aus Pappmaché durch die Gassen trugen, die ebenso Nachbilder von Gevatter Tod darstellten. Der Alkohol floss dabei in Strömen, und jeder Mann und jede Frau soffen sich drei Tage lang in eine derartige Euphorie, als könnten sie es kaum erwarten, endlich ins Jenseits überzutreten. Eine morbide Variante des Mardi Gras gewissermaßen.

Eine derartige Sehnsucht nach der Fahrt ins Himmelreich – oder was immer einen erwartete, wenn man das Zeitliche segnete – lag Esekiel Banks denkbar fern. Er zog das Leben im Hier und Jetzt vor und wollte es noch eine Weile fortsetzen. Die finsteren Gesellen, die sich vor einer Stunde im Foyer des Hotels nach ihm erkundigten, hatten wahrscheinlich andere Pläne mit ihm.

Gut, dass er den Portier auf einen derartigen Besuch vorbereitet und sich mit einem großzügigen Trinkgeld seiner Loyalität versichert hatte. Zwar war dafür der Großteil seiner Barschaft draufgegangen, doch die Investition war lebensrettend gewesen, darüber war Esekiel sich sicher. Zumindest hatte sie ihm eine Galgenfrist verschafft, und er war fest entschlossen, die Chance zu nutzen, um sich in Sicherheit zu bringen.

Deshalb beschleunigte er seine Schritte und war erleichtert, ein paar Minuten später das Gebäude der Wells Fargo zu erreichen, das sich am Nordhang über der Grenzstadt befand.

Aufmerksam schaute er sich um, konnte aber niemanden entdecken, der ihm verdächtig vorkam.

Genau genommen war überhaupt niemand zu sehen. Die Poststation wirkte regelrecht verwaist; alle Bürger der Stadt hatten sich offenbar unten in der Innenstadt versammelt, um zu feiern, als stünde der Weltuntergang unmittelbar bevor.

Hoffnungsvoll schaute er zur von Bäumen gesäumten Piste hinab, die in Richtung Rio Grande führte, bevor er einen Blick auf seine Uhr warf. Gestern noch hatte er sich über die Fahrzeiten der Postkutschenlinie über den Rio Grande informiert. Obwohl man sich darauf nicht immer verlassen konnte, blieben planmäßig höchstens noch zwanzig Minuten, bis er endlich von hier verschwinden konnte.

Er betrat die Dielen unter dem Vordach und versuchte, im Halbdunkel der kleinen Wartehalle andere wartende Passagiere auszumachen. Doch außer einer Katze, die im Eingang hockte und ihn argwöhnisch beobachtete, bevor sie den Rückzug antrat, als er ihr zu nahe kam, war niemand zu sehen.

Nicht einmal ein Gepäckträger ließ sich blicken, obwohl die dienstfertigen Geister sich hier sonst darum balgten, einen Dollar für jede Handbewegung einzusacken.

Esekiel Banks zuckte die Achseln und schrieb die Ruhe dem Getöse eine dreiviertel Meile unten im Tal zu, während er einen Blick in den Wartesaal warf. Dort war in der Tat kein Lebenszeichen zu entdecken, außer ein paar Schmetterlingen, die im Licht der Sonne, das durch die Oberlichter hereinfiel, einen flatterhaften Tanz aufführten.

Er wandte sich um und ging die paar Schritte zum Außenschalter, an dem man die Tickets lösen konnte. Um kurz darauf die Stirn zu runzeln.

Das Schiebefenster war zwar hochgezogen, doch der Stuhl dahinter leer. Stattdessen starrte er auf ein Pappschild:

Perdón – Estare justo detrás.

Entschuldigung, komme gleich wieder.

Esekiel Banks fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, dann warf er klammheimlich Blicke nach links und rechts.

Hier stimmte etwas nicht.

Seine Hand glitt zu dem kurzläufigen Colt, den er in der Tasche seiner weit geschnittenen Leinenhose verborgen hatte. Als sich seine Finger um den Griff des Revolvers schlossen, atmete er tief durch, zog die Waffe hervor und drehte sich um.

Weit und breit war niemand zu entdecken. Irgendwo auf dem schmalen Weg, der hinunter ins Zentrum führte, kläffte ein Straßenköter.

Die Kutsche würde kommen, und bezahlen konnte er auch beim Kutscher, wenn hier an der Station niemand seine Dollars wollte.

Du hast ohnehin nur noch drei oder vier Scheine in der Tasche. Das reicht gerade mal bis über die Grenze.

Banks lächelte verkniffen und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Ihm knurrte der Magen, denn er hatte seit über vierundzwanzig Stunden nichts mehr zu sich genommen außer Wasser und Tequila.

Warum seine Haut juckte, wusste er nicht. Kratzte sich aber trotzdem dauernd, ohne es bewusst zu registrieren.

Vermutlich war die Erklärung dafür, dass niemand sich hier aufhielt, ganz einfach. Am Tag der Toten hatten selbst von der Wells Fargo bezahlte Mexikaner anderes im Kopf, als für ihren Lohn zu arbeiten.

Zögernd ließ er sich auf einer Bank neben dem Schalter nieder, legte den Colt beiseite, nachdem er einen misstrauischen Blick in die Runde geworfen hatte, und zog danach die zerknitterte Papierrolle aus seiner anderen Hosentasche.

Als er den Plan vor sich auf den Knien entrollte, tropfte Schweiß darauf, und er verzog die Lippen. Es war gut, dass er die Karte schon vor einer Woche sorgfältig kopiert und per Kurier in die Staaten hatte bringen lassen.

Jetzt, nach dem plötzlichen Tod von Benito Juarez, würden die Dinge nicht leichter werden. Doch was er entdeckt hatte, war bedeutend genug, damit selbst höchste Kreise sich darum bemühen würden, die kommende Regierung Mexikos von einer Zusammenarbeit zu überzeugen – zum Wohle beider Seiten.

Es gab da zwar ein paar Probleme, die zu klären waren, aber Esekiel Banks war zuversichtlich, dass die märchenhaften Gewinne, die zu erwarten waren, diese Hürden als Bagatellen erscheinen ließen.

Schon jetzt freute er sich darauf, seinem Bruder Saul entgegenzutreten. Der Mistkerl hatte ihn immer als Spinner bezeichnet und würde sich bereits ein Loch in den Bauch ärgern angesichts der Depesche, die wohl schon seit ein paar Tagen auf seinem Schreibtisch lag.

Lächerliche neunhundert Dollar waren ihm von Saul für seine Expedition zugestanden worden. Das Geld war – ebenso wie der kleine Trupp an Begleitern – schon nach drei Monaten weg gewesen, und er hatte telegrafisch um eine weitere Unterstützung betteln müssen, die Saul ihm nur widerwillig gewährt hatte. Dabei hatte der ihn so kurz gehalten, dass Esekiel seit vier Wochen fast wie einer der Arbeiter auf ihrem Familiensitz hatte leben müssen.

Doch aufgegeben hatte er nicht, und sein Durchhaltewillen hatte sich ausgezahlt. Zumindest würde es das schon bald, und dann stünde sein kleingeistiger Bruder so jämmerlich da, wie er war. Zu schade, dass ihr Vater vor einem Jahr gestorben war und das nicht mehr miterleben konnte.

Esekiel Banks faltete das Papier so klein zusammen, dass es in seine Gesäßtasche passte. Als er es hineinstopfte, fühlte er eine vertraute, kühle Kugel an den Fingerspitzen und fummelte sie an dem Papier vorbei zutage, um sie zu betrachten.

Das Nugget glänzte in dunklem Gelb; annähernd so groß wie die Kuppe seines kleinen Fingers, makellos und wunderschön.

Er lächelte verzückt, während das Gold in seiner Handfläche hin und her rollte.

»Señor?«

Esekiel schreckte hoch, und seine Hand wollte nach dem Colt greifen. Doch dort, wo seine Waffe eben noch gelegen hatte, war die Bank leer.

Das Nugget fiel zu Boden, rollte zwei Schritte weit zwischen ein Stiefelpaar und verschwand in einer Ritze zwischen den Bodenbrettern. Esekiel hob den Kopf und blickte in ein freundlich lächelndes Gesicht.

Der Indio war ungeschminkt, doch sein Grinsen wirkte ungleich bedrohlicher als die Totenmasken unten in der Stadt.

Zumal er ein Messer in der rechten Hand hielt, deren Klinge im Sonnenlicht bedrohlich glänzte.

Sein Revolver blieb verschwunden, bis Banks genauer hinsah und deren filigran verzierte Griffschale hinter dem Gürtel an der Hüfte des Mannes hervorlugen sah.

Er schluckte und hob zögernd die Hände. Der Indio schüttelte bedauernd den Kopf, und Esekiel ahnte, was nun geschehen würde.

»Por favor«, stammelte er, »tun Sie das nicht, Señor. Meine Familie hat Geld, mucho dinero, capito? Ich werde Ihnen...«

Ein Schrei zerriss die Stille der Poststation, und auf dem Dach flatterten Dutzende von Vögeln auf, als hätten sie auf diesen Moment gewartet.

Als das Fuhrwerk der Wells Fargo zehn Minuten später den Hügel erreichte, hielt der Kutscher den Mann, der auf der Bank zusammengesunken war, zunächst nur für einen Fahrgast, der beim Warten für einen Moment eingenickt war.

Erst der Messergriff in der Brust von Esekiel Banks machte ihm klar, dass der Passagier in einen Schlaf gesunken war, der kein Erwachen kannte.

Der Kutscher fand weder einen Pass noch sonstige Papiere in den Taschen des Toten, erkannte ihn aber als Gringo und beschloss deshalb, die Leiche mitzunehmen über den Rio Grande.

Die Kabine war leer und die Aussicht auf andere Zusteigende während der Rückfahrt eher gering, deshalb hoffte er darauf, dass die Hinterbliebenen des Mannes es ihm danken würden.

Was der Fall war.

Ein Jahr später. El Paso, Texas.

»Bleib mir vom Hals, du Grobian!« Lachend verpasste die nackte Brünette ihm einen Leberhaken, der zwar nicht ernst gemeint, aber auch kein harmloser Stupser war. Mit theatralischem Stöhnen sank der Agent der Brigade Sieben auf die Laken. Für ein paar Sekunden stellte er sich tot und ließ es zu, dass sie durch die offenstehende Tür auf die Dachterrasse entkam.

Er richtete sich auf und schaute ihr nach, wie sie sich hüllenlos und sinnlich um die eigene Achse bewegte und einen Tanz aufführte. Dabei beobachtete sie verstohlen, aber aufmerksam seine Reaktion.

Lassiter schmunzelte, während er Geraldine zusah, und er spürte, wie sich dabei bereits wieder die Lust in seinen Lenden regte, als es zögernd an der Tür klopfte.

»Mr. Lassiter?«

Er erkannte die Stimme von Nicholas, dem Hotelpagen, den er vor allem wegen seiner Diskretion ins Herz geschlossen hatte. Er klang zerknirscht, weil er stören musste. Und Lassiter war sicher, dass der junge Bursche das nicht ohne triftigen Grund tat.

Er seufzte und ahnte, was das zu bedeuten hatte.

»Was gibt's denn, Nick?«

»Ein Mr. Delavigne wünscht Sie zu sprechen.«

Lassiter legte die Stirn in Falten. Vier Tage! So viel Zeit war vergangen, seit man ihm den Verband am Arm abgenommen hatte. Und die Brigade, namentlich Albert Delavigne, der Kontaktmann an der Grenze nach Mexiko, ihm ganz offiziell drei Wochen Ruhezeit zugestanden hatte.

»Bestell Mr. Delavigne, ich werde ihn in seinem Büro aufsuchen. Nach dem Mittagessen, um zwei Uhr.«

Geraldine hatte mit dem Tanzen aufgehört und schaute ihn fragend an. Er winkte ihr zu, während der Page hinter der Tür offenbar mit der Antwort zögerte.

»Nick?«

»Ähm, Mr. Delavigne wartet im Speisezimmer auf Sie, Sir. Und er sagte, es sei dringend.«

Lassiter verdrehte die Augen.

War es das nicht immer?

»Lass dem Gentleman eine Tasse Kaffee servieren, auf meine Rechnung. Und richte ihm aus, er kann mit mir in einer Stunde zu Mittag essen. Oder mich um zwei Uhr bei sich empfangen.«

»Sir, ich weiß nicht, ob...«

»Danke, Nick. Das wär's dann.«

»Sehr wohl, Mr. Lassiter.«

Lassiter schwang sich aus dem Bett und nahm eine lauernde Haltung ein, während er zähnefletschend zur Terrassentür tappte wie ein hungriger Bär. Geraldine schlug sich in gespieltem Entsetzen die Hand vor den Mund. Die wilde Jagd rund um den Tisch auf der Terrasse fand ein schnelles Ende, als er sie zu fassen bekam, sie sich ergab und von ihm zurück zum Bett tragen ließ.

Es dauerte ein wenig länger als eine Stunde, bevor der Brigadeagent gut gelaunt die Stufen ins Foyer hinab stieg.

Delavigne hingegen trug eine ausgesprochen sauertöpfische Miene zur Schau, als er ihn aus dem Speisezimmer in den Blick nahm. Lassiter ließ sich auf dem Stuhl nieder, der dem Notar gegenüber stand, während Delavigne an seinem Krawattenknoten nestelte. Nicht nur der saß zu eng, auch der Hemdkragen schien den langen Hals des Advokaten regelrecht einzuschnüren. Selbst sein schlichter schwarzer Anzug wirkte eine Nummer zu klein, als wäre bequeme Kleidung bereits ein Zeichen moralischer Schwäche.

Delavigne war strenggläubiges Mitglied irgendeiner Freikirche, deren Name Lassiter entfallen war, wovon nicht nur der Kleidungsstil des Anwalts, sondern auch die blutleeren, stets missgelaunten Züge Zeugnis ablegten. Als solches begegnete er nicht nur Lassiters frivolen Vorlieben mit tiefem Widerwillen, wenn nicht gar Abscheu, sondern empfand bereits den Wunsch nach freier Zeit als wenig gottgefällig. Müßiggang sei aller Laster Anfang, hatte Delavigne ihm bereits zum Abschied vor vier Tagen mit auf den Weg gegeben.

Das will ich doch hoffen, hatte Lassiter darauf gedacht, es aber nicht ausgesprochen. Auch wenn er und dieser vertrocknete, lustfeindliche Heilige unter Garantie niemals Freunde werden würden, musste sich Lassiter doch mit dem Mann arrangieren.

Der Brigadeagent bestellte sich ein Porterhouse mit gebackenen Kartoffeln und Salat, dazu, um sein Gegenüber noch ein wenig mehr zu ärgern, ein großes Bier.

Delavigne beschränkte sich auf ein Glas Wasser.

»Also, Sir«, sagte Lassiter, als ihm sein Mittagessen serviert wurde und er das Besteck bereits in Händen hielt, »womit gedenken Sie, mir meine versprochenen drei dienstfreien Wochen zu verderben?«

Der Notar griff nach seiner schmalen, ledernen Aktentasche, die auf dem Stuhl neben ihnen lag. Er zog ein Dossier hervor und legte es zwischen sich und Lassiter auf den Tisch.

Lassiter warf nur einen kurzen Blick darauf, während er sich ein Stück saftiges Steak zwischen die Zähne schob. Kauend schaute er Delavigne an und wackelte auffordernd mit den Augenbrauen.

Der Advokat schnaubte pikiert, bevor er sich endlich zu einer Antwort durchrang.

»Sie sind nun einmal gerade greifbar, Lassiter. Nahezu alle Brigadeagenten halten sich derzeit an der Ostküste oder oben im Norden auf, und sie würden eine Woche oder mehr benötigen, um anzureisen.«

»Verstehe. Um was also geht es?«

»Die Banks Southern Mining Company ist Ihnen ein Begriff?«

Lassiter nickte. »Sicher. Silberminen oben in der Sierra Nevada, Goldminen in Kalifornien.«

»Unter anderem«, stimmte Delavigne zu. »Wobei die Vorkommen in Kalifornien bereits zur Neige gehen. Die Banks Company hat sich daher seit geraumer Zeit anderweitig umgesehen, und es sieht ganz danach aus, als sei der Norden Mexikos am Erfolg versprechendsten.«

Lassiters Augenbrauen wanderten ein Stück weit nach oben. »Mexiko? Ein verflucht heißes Pflaster, wenn Sie mich fragen. Denen muss die Luft schon ziemlich dünn werden, wenn sie sich über den Rio Grande wagen, um Gold zu schürfen. Was sagt denn Mexikos Regierung dazu?«

»Die begrüßt das Vorhaben ausdrücklich und hat es autorisiert, ganz offiziell. Die Banks Company hat einen Freibrief erhalten. Schon weil den Mexikanern selbst derzeit die Mittel und Kompetenzen fehlen, um potenzielle Bodenschätze auszubeuten. Selbstverständlich wird der mexikanische Staat einen nicht unbeträchtlichen Anteil an dem geförderten Edelmetall für sich einfordern.«

»Potenzielle Vorkommen... das bedeutet, die Banks Company weiß noch gar nicht, ob sie dort Gold finden wird?«, hakte Lassiter nach.

»Das ob steht außer Frage«, antwortete Delavigne, »nur, wie viel in welcher Qualität und mit welchem Aufwand es gefördert werden kann, sind noch Punkte, die ein Team von Prospektoren klären soll.«

»Für die ich den Fremdenführer spielen darf?« Lassiters Augen verengten sich, während er den Anwalt über seinen Teller hinweg musterte. »Eine ziemliche merkwürdige Mission für die Brigade Sieben, meinen Sie nicht auch?«

»Abgesehen davon, dass ich mir über Inhalte, Sinn und Zweck von Missionen grundsätzlich kein Urteil erlaube«, entgegnete Delavigne säuerlich, »besteht Ihre Aufgabe keineswegs nur darin, den Aufpasser oder Fremdenführer für die Geologen zu spielen, Lassiter. Die Gruppe wird ohnehin von einem Trupp Grenzsoldaten des Bundes eskortiert werden, der für die Sicherheit zuständig ist. Außerdem sollen mexikanische Milizen zur Unterstützung kommen, wenn sie den Zielort erreichen.«

»Federales?«, brummte Lassiter, der mit der uniformierten Grenzpolizei nicht die besten Erfahrungen gemacht hatte. Dennoch nickte er gleichmütig und vertilgte den letzten Bissen seines Steaks, bevor er fragte: »Und welche Rolle spiele ich bei der Sache?«

»Saul Banks, der Präsident der Banks Company, hat über die Exploration hinaus noch ein persönliches Anliegen, und dafür sind Sie zuständig.« Delavigne trank einen Schluck Wasser, griff nach einer Serviette und tupfte sich affektiert die Lippen ab. »Sein Bruder Esekiel, der die Goldvorkommen vor knapp einem Jahr entdeckte, wurde in Mexiko umgebracht. Alles deutet darauf hin, dass sein Tod in direktem Zusammenhang mit der Goldmine steht. Der oder die Mörder wurden nie gefasst, und genau das sollen Sie ändern.«