Lassiter 2534 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2534 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Annähernd fünftausend Menschen hatten die Landwirtschaftsmesse in Denton besucht, sich auf blankpolierten Kutschen gedrängt oder Tee in einem der Pavillons getrunken. Sie hatten gelärmt und geschrien, womit für Ben Thompson der Besuch noch anstrengender geworden war.
"Bringen Sie mir Kaffee!", rief er seiner Dienstmagd zu und streckte die Beine aus. "Ich bin todmüde, Mary! Todmüde, sage ich Ihnen!"
Die Magd kam mit frisch aufgebrühtem Bohnenkaffee und schüttelte missbilligend den Kopf. Sie hatte Thompson von der Kutschfahrt nach Denton abgeraten. "Nie wollen die Männer hören! Nie und niemals nicht!"
Genüsslich setzte der Bürgermeister von Crawford die Tasse an die Lippen. Er ahnte nicht, dass er es zum letzten Mal tat ...


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Seitenzahl: 130

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Nacht der Entscheidung

Vorschau

Impressum

Nacht derEntscheidung

Annähernd fünftausend Menschen hatten die Landwirtschaftsmesse in Denton besucht, sich auf blankpolierten Kutschen gedrängt oder Tee in einem der Pavillons getrunken. Sie hatten gelärmt und geschrien, womit für Ben Thompson der Besuch noch anstrengender geworden war.

»Bringen Sie mir Kaffee!«, rief er seiner Dienstmagd zu und streckte die Beine aus. »Ich bin todmüde, Mary! Todmüde, sage ich Ihnen!«

Die Magd kam mit frisch aufgebrühtem Bohnenkaffee und schüttelte missbilligend den Kopf. Sie hatte Thompson von der Kutschfahrt nach Denton abgeraten. »Nie wollen die Männer hören! Nie und niemals nicht!«

Genüsslich setzte der Bürgermeister von Crawford die Tasse an die Lippen. Er ahnte nicht, dass er es zum letzten Mal tat...

Am frühen Abend erst beschloss John K. Haines, dass er Bürgermeister Thompson an diesem Tag ermorden würde.

Der Pianohändler saß an einem kleinen Stahltisch unter dem Belvedere seines Hauses und blickte hinüber zu den schneebedeckten Beaver Mountains. Der Winter war plötzlich und mit Macht hereingebrochen und hatte Schwaden von eisigem Schneeregen über die Gipfel getrieben. Die toten Kiefern am Beaver Creek waren zur Hälfte verweht.

»Gehst du noch fort?«, rief Haines' Frau Wallie und legte in der Badekammer die Wäsche zusammen. Sie schniefte und hustete heiser. »Du könntest mir Salbei aus der Stadt mitbringen. Nur ein paar Blätter... getrocknet oder frisch, was du findest.«

Der stählern glänzende Revolver in Haines' Schoß wog schwer und war noch nicht einmal geladen. Er war eine Woche alt und hatte ein halbes Dutzend Schüsse hinter sich. Die meisten Kugeln hatte Haines in eine alte Konservendose abgefeuert, die er im Hof auf einen Besenstiel gesteckt hatte.

Er hatte sich statt der Blechdose Thompsons Schädel vorgestellt.

»Nein!«, rief Haines gedehnt zurück und ließ den Revolver unter der Jacke verschwinden. »Ich geh' nicht mehr fort, Liebes. Ich will nicht raus in die Kälte...« Er stand auf und ging zu seiner Frau, die im dichten Dampf des Waschhauses nur eine blasse Silhouette war. »Machst du uns das Schweinefleisch warm? Für mich höchstens zwei Rippchen.«

Das schmale Antlitz seiner Frau erschien im Dunst und verschwand gleich wieder darin. »Hör doch auf damit, den Miesepeter zu spielen. Die Haines Bros. kommen schon wieder auf die Beine.« Wallie legte die Wäsche weg und ergriff seine Hände. »In ein paar Wochen verkaufst du genauso viele Pianos wie vorher.«

Haines zwang sich zu einem Lächeln und kehrte unter das Belvedere zurück. Er konnte Wallie nicht übelnehmen, dass sie ihm den Rücken stärkte, dass sie seine Launen ertrug, die mit jedem Tag schlimmer wurden. Er konnte nicht von ihr verlangen, dass sie verstand, was in ihm vorging.

Jack war seit fünf Monaten tot.

Er war unter einem Boot im Beaver Creek gestorben, nachdem er sich für Thompson und dessen Bande von Stadtverordneten ins Zeug gelegt hatte. Er hatte zwei Schusswunden in der Brust.

Bruderherz...

Haines hatte seinen älteren Bruder geliebt, wie es unter Brüdern selten vorkam. Er war mit Jack aufgewachsen, hatte sein erstes Geschäft mit ihm gegründet, dann das zweite. Sie hatten die teuersten Pianos zusammen verkauft, aus den größten Häusern des Kontinents.

Sie hatten ein Vermögen zusammen verdient, und Bürgermeister Thompson hatte diesen Zauber zunichtegemacht.

Niedergeschlagen stand Haines auf, lief zur Kommode hinüber und griff nach der Patronenpackung, die darauf lag. Er riss das Papieretikett herunter, schüttete den Inhalt der Packung auf die Hand und füllte in Ruhe die Trommel des Revolvers.

Der Tag der Abrechnung war gekommen.

Er wollte Thompson nicht hinterrücks und feige abknallen, wie es vermutlich jeder andere Mann in Haines Lage getan hätte. Er wollte Thompson beim Sterben zusehen. Er wollte dem Bürgermeister das Gleiche antun, das auch Jack widerfahren war.

»Mache ich gleich!«, hörte Haines seine Frau aus der Badestube rufen. »Meine Güte, mir quellen noch die Hände auf, so heiß ist das Wasser heute!«

Er stieg die Treppe neben dem Belvedere hinunter, überquerte die Straße und sah zu seinem Haus zurück. Er hatte es gemeinsam mit Jack ausgesucht, und Wallie war einverstanden gewesen. Sie hatten es wegen der eleganten Veranda genommen, die von einer gedrechselten Brüstung gesäumt war und auf zwei löwenköpfigen Säulen ruhte.

Thompsons Haus stand am Ende der Straße.

Es war schlicht und unscheinbar, gemessen daran, dass der Bürgermeister seinen Posten schon zehn Jahre innehatte und guten Lohn dafür einstrich. Die Bretterfassade war glatt und ohne Zierrat, von den Fenstern blätterte Farbe ab.

Haines läutete viermal.

Er kannte Thompsons Dienstmagd, die manchmal zu den Brüdern in den Laden gekommen war, um Jacks famosem Klavierstück Hey-aah, Brothers, run, run! zu lauschen. Sie würde keinen Verdacht schöpfen, wenn Haines zu solch später Stunde vor der Tür stand.

»Mr. Haines!«, rief die Dienstmagd freudig aus und raffte die Röcke. »Wie kann ich Ihnen helfen? Ich bin in Eile... Ich bin wirklich in Eile.«

»Ist Mr. Thompson zu Hause?«, fragte Haines unterwürfig und verbarg den Revolver im Jackenfutter. »Ich muss mit ihm reden. Es ist eine dringende Sache.«

Die Magd verdrehte die Augen und machte auf dem Absatz kehrt. »Es ist immer dringend, Mr. Haines! Bei Herren wie Ihnen ist es stets dringend! – Mr. Thompson! Schlafen Sie schon? Sie haben einen Gast! Mr. Thompson!«

Zitternd hielt Haines den Colt fest, als er Thompsons tiefe Stimme im Haus vernahm. Das Stadtoberhaupt beschwerte sich über die Störung, stöhnte gequält auf und stieg mit schweren Schritten die Treppe am Ende des Korridors hinunter.

»Mr. Thompson«, grüßte Haines tonlos und legte einen Finger an den Abzug. »Ich muss für die Belästigung um Verzeihung bitten.«

»Allerdings, das müssen Sie!«, gab Thompson gutmütig zurück und kam mit ausgebreiteten Armen auf Haines zu. »Diese Bescheidenheit... es ist diese Bescheidenheit, die Ihnen und Ihrem Bruder stets zur Ehre gereicht hat.« Er spähte in die Abenddämmerung hinaus. »Wie darf ich Ihnen helfen? Ich bin gerade aus Denton zurückgekommen.«

Einige Sekunden lang schloss Haines die Augen, dann nahm er den Revolver unter der Jacke hervor, setzte ihn Thompson auf die Brust und drückte mit aller Kraft ab.

Der Schuss zerriss dem Bürgermeister die Brust und dem Abend die Stille.

Seit der amtierende Vorsitzende der Great Northern Railway und ein Abgeordneter des Repräsentantenhauses miteinander beschlossen hatten, dass an den großen Wasserfällen des Missouri eine Stadt begründet werden musste, hatte Lassiter Great Falls selten besucht. Er mochte die prahlerischen Bauten nicht, die man in diesem unberührten Landstrich errichtet hatte und die vom Geist eines Jahrhunderts zeugten, das sich mit Dampfkraft und öligen Maschinen alles untertan machte.

»Sie sehen traurig aus«, sagte die junge Frau im Grocery Store und händigte Lassiter eine Papiertüte voll getrocknetem Büffelfleisch aus. Der Mann der Brigade Sieben hatte danach gefragt. »Der Winter ist hart in Great Falls. Sie hätte in den warmen Tagen kommen sollen.« Sie hämmerte den Kaufpreis in die Registrierkasse. »Zweieinhalb Dollar, Sir.«

Gedankenversunken reichte Lassiter das Geld über den Tresen und dachte über das Telegramm aus dem Hauptquartier nach. Er hatte die Sendung vor einigen Stunden erhalten, als er gerade aus dem Zug gestiegen war. Man hatte ihm den Namen von Bürgermeister Paris Gibson genannt. »Drei Dollar, Miss, der Rest ist für Sie. Ich bin nicht traurig. Ich bin bloß müde.«

Die letzte Bemerkung stimmte insofern, als dass Lassiter einen ganzen Tag lang im Eisenbahnwagon gesessen und sich das Gejammer eines Handelsreisenden aus Iowa angehört hatte. Der Mann mit den penibel gestutzten Koteletten hatte geklagt, dass Präsident Arthur ein Tunichtgut wäre und abgesetzt gehörte.

»Müde?«, griff die Frau an der Theke Lassiters Satz wie beiläufig auf. »Brauchen Sie ein Nachtquartier? Ich könnte Ihnen eine geräumige Kammer mit breitem Bett und trockenen Daunenbetten vermieten. Sie müssten in keines der stinkenden Hotels von Great Falls.«

Der scheue Blick ihrer blauen Augen glitt über Lassiter und wanderte an seinem Brustkorb hinunter. Er verharrte einen Augenblick lang auf der abgewetzten Lederhose des großen Mannes.

»Einverstanden«, brummte Lassiter und schob einen weiteren Dollarschein über die Theke. »Ich muss bis morgen bleiben. Ich will mit Mr. Gibson sprechen.« Er lächelte. »Bürgermeister Gibson.«

Die junge Verkäuferin hob die Brauen und gab sich plötzlich geschäftig. Sie schob die Auslagen auf der Theke zusammen und inspizierte die Preisschilder daran. »Mr. Gibson ist derzeit nicht in der Stadt, Mister. Er ist wegen eines Landtitels in Washburn.«

»Wann kommt er zurück?«, fragte Lassiter und schaute sich im Laden um. Er nahm einen Bund getrockneter Äpfel vom Nagel und schob sie der Verkäuferin hin. »Ich muss dringend mit ihm sprechen. – Mögen Sie Äpfel?«

Die Bedienstete errötete und nickte. »Man mag an diesem staubigen Ort alles, das nach Frucht und Sonne schmeckt.« Sie nahm den Apfelbund und wickelte ihn in Papier. »Mr. Gibson wollte morgen zurück sein. Er ist häufig wegen der Landtitel fort. Ich habe ihn seit Wochen nicht gesehen.«

Als die verpackten Äpfel auf der Theke lagen, lehnte Lassiter mit einem knappen Kopfschütteln ab. »Die Tüte ist für Sie, Miss. Ich danke Ihnen für Ihre Gastfreundschaft. Sie werden meine Gesellschaft nicht bereuen.«

Die blauen Augen flackerten vor Aufregung. »Davon bin ich vollkommen überzeugt, Mister.«

Die geräumige Kammer im Haus von Miss Annie Duncan wies tatsächlich beträchtliche Maße auf und lag im hinteren Teil des vierstöckigen Holzbaus, in dem die Bedienstete der Parkham Grocery lebte. Der Raum war mit allerlei Möbeln vollgestopft, von denen das viktorianische Bett mit seinen gusseisernen Gittern den stärksten Eindruck hinterließ. Das Bett stand an der Stirnwand und krachte bei jedem von Lassiters Stößen gegen den Mauerstein.

»Sachte, Mister!«, stöhnte Annie und hielt sich an den Schultern ihres Geliebten fest. Sie hatte die Augen geschlossen und hielt die Beine weit gespreizt. »Du wirst noch die anderen Familien wecken! Ich... ich werde mich erklären müssen!«

Doch die Begierde hielt Lassiter fest in ihrem Bann.

Er hatte es seit fünf Wochen mit keiner Frau mehr getrieben, jedenfalls mit keiner, die ihm nicht eine beträchtliche Summe Dollars abgeknöpft und dabei nach Bourbon gestunken hatte. Er hatte einsam wie ein Mönch gehaust.

»O Lassiter!«, hauchte Annie und klammerte sie an ihm fest. Sie hatte ihm die Kleider vom Leib gerissen, als er gerade eben erst seinen Koffer im Zimmer abgestellt hatte. »Du darfst es nicht herauszögern! Ich will dich spüren, hörst du?«

Sie klemmte seine Lenden mit ihren Schenkeln ein, schlug ihm die Fingernägel in die Haut und blickte ihn feurig an. Annie hatte seine Dollars nicht genommen und stattdessen verlangt, dass er sie nahm, wie es – so hatte sie es formuliert – noch nie ein Mann zuvor getan hätte.

Lassiter hatte sich nicht geziert.

Wie vielen anderen Agenten der Brigade Sieben war ihm ein Familienleben verwehrt, und so war es ausschließlich die Lust, die ihm hin und wieder eine Art Geborgenheit vermittelte. Er brauchte diese Rendezvous', in denen verschwitzte Haut und raue Schwüre den Takt vorgaben.

Hastig schwang sich Annie auf ihn.

Sie war schlank und von grazilem Körperbau, und sie hatte eine herrliche rote Mähne, die ihr wallend über die Schultern fiel.

Sie nahm sich von ihm, was sie wollte, ritt ihn schreiend und keuchend, drückte ihm die Kehle zu und griff ihm gleich darauf zwischen die Beine. Sie war eine Furie im Bett, eine Frau, wie Lassiter sie wollte und brauchte.

»Noch einen Moment!«, seufzte Annie und richtete sich im Hohlkreuz auf. Sie reckte Lassiter ihre verführerischen Brüste entgegen, die prall von ihrem elfenhaften Körper abstanden und jedem Mann den Verstand hätten rauben können.

Dann kam es Annie.

Sie wurde von einer Woge der Lust erfasst, die sie unvermittelt traf und mit sich riss. Sie küsste und liebkoste Lassiter, presste die Schenkel zusammen und konnte trotzdem die Glut in ihrem Inneren nicht löschen.

Gleich darauf war auch Lassiter auf dem Gipfel der Erregung.

Er zog Annie an sich, hielt sie fest und presste eine Hand auf ihren Hintern, der sich glatt und eben anfühlte. Er spürte die heißen Stöße in seinem Unterleib, das Zucken und Vibrieren, das sich in jeden Winkel seines Körpers fortpflanzte.

Glücklich blickte ihn Annie von der Seite an.

Sie stützte sich mit einem Arm auf und legte den anderen um Lassiters Kopf. Sie sagte eine Zeitlang nichts, plauderte danach vom Schnee, der in den Bergen fiel, und stand unvermittelt vom Bett auf. Sie zog ihr Mieder und ihr Kleid an, betrachtete sich im Wandspiegel und drehte sich zufrieden von einer Seite zur anderen.

»Morgen also?«, fragte Lassiter und schwang ebenfalls die Beine aus dem Bett. »Gibson ist morgen zurück?«

Die hübsche Rothaarige nickte und strahlte ihn an. »Uns bleibt noch die ganze Nacht.«

Der Bürgermeister von Great Falls war ein untersetzter Mann von fünfzig oder sechzig Jahren, trug seinen Ehering an der linken Hand, sprach mit ruhiger Stimme und war der Mittelsmann für das Montana-Territorium. Er erschien in einem eleganten Gehrock mit passender Weste und einer mattschwarzen Fliege. Er stellte sich Lassiter in knappen Worten vor. »Gibson. Bürgermeister Gibson. Ich bin erfreut, Sie zu sehen.«

Die beiden Männer standen in Gibsons Büro, das sich in Sichtweite des Missouri River befand und im oberen Geschoss eines Ladengebäudes untergebracht war. Vom Fluss tönten die Pfiffe der Dampfschiffe herüber, die an diesem Morgen festmachen wollten.

»Die Freude ist ganz meinerseits«, sagte Lassiter und reichte Gibson die Hand. Er musste nicht erwähnen, dass ihm die Brigade Sieben ein Telegramm geschickt hatte. Eine Abschrift der Sendung lag bereits auf Gibsons Schreibtisch. »Sie müssen einen Auftrag für mich haben.«

»Man hat im Hauptquartier keine Zeit verloren«, stimmte Gibson zu und schritt quer durch das Büro. Er verschloss die beiden Türen zum Flur des Hauses und drehte sich um. »Ich bin der Ansicht, dass Sie schnell und diskret vorgehen müssen. Vor zwei Tagen ist Crawford ein Attentat verübt worden.« Er seufzte vernehmlich. »Ein Attentat auf den dortigen Bürgermeister.«

»Auf Ihren Amtskollegen?«, fragte Lassiter und schlug den Zigarillo in der Hand auf, den ihm Gibson gereicht hatte. Er wollte nicht rauchen, würde seinem Gesprächspartner jedoch keine peinliche Szene deswegen machen. »Was ist ihm zugestoßen?«

Eilig griff auch Gibson nach seinem Zigarrenetui und klappte es auf. Er riss ein Zündholz an und hielt es unter die Spitze einer Zigarre. »Er ist vor den Augen seiner Dienstmagd erschossen worden. Die Frau hat dem Sheriff gesagt, dass der Mörder ein Mann mit dem Namen John K. Haines gewesen sei.«

Das Bürgermeisterbüro füllte sich mit bläulichem Dunst, den Lassiter mit einer Handbewegung verwirbelte. »Demnach hat man einen Verdächtigen? Ist er schon gefasst?«

»Der Sheriff tappt im Dunkeln«, sagte Gibson und schüttelte den Kopf. Er rauchte und starrte an die Decke. »Er will der Sache nicht nachgehen, weil er fürchtet, dass Haines ihm ebenfalls an den Kragen will. Die Haines-Brüder waren mächtige Männer im Montana-Territorium.«

»Wegen zweier mordlustiger Brüder schaltet sich die Brigade Sieben nicht ein.« Lassiter klopfte den Zigarillo im Aschenbecher aus. »Es muss mehr hinter der Sache stecken. Es muss mehr hinter den Haines-Brüdern stecken.«

Der Bürgermeister nickte und stellte sich mit dem Rücken zu Lassiter ans Fenster. Er rauchte eine Zeitlang, bevor er weitersprach. »Das Montana-Territorium ist ein Ort für Menschen, die an Fortschritt und die menschliche Vorstellungskraft glauben. Es ist ein Ort der Träume, Mr. Lassiter.« Er wies mit der Hand aus dem Fenster. »Alles dort draußen war vor einigen Jahren noch bloßer Gedanke.«

Obschon Gibsons Begeisterung ansteckend war, fand Lassiter nicht, dass der ganze Westen ins Joch der Zivilisation gezwängt werden musste. Er fühlte mit den Indianerstämmen, die ihre angestammte Heimat verlassen mussten, fühlte mit den Siedlern, die ohne einen Cent in der Tasche ankamen und oft in bitterer Armut lebten. »Die Freiheit ist manchmal nur die Freiheit des Vermögenden, Mr. Gibson. – Was war mit den Haines-Brüdern?«

»Sie waren Visionäre«, lautete Gibsons Antwort. »Einer wie der andere. Sie waren mit ihrer Gesellschaft Haines Bros. im Pianogeschäft.« Er wandte sich um. »Fast jedes Piano, das sie in Montana finden, stammt aus den Lagern dieser beiden Brüder. Sie hatten früh erkannt, dass der Mensch auch im Westen nicht vom Brot allein lebt.«