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Cole Calhoun fürchtete den Tod nicht. Nur der Gedanke, seine Frau allein zurückzulassen, erfüllte sein Herz mit Entsetzen. Die Auseinandersetzungen im Südwesten von Arizona nahmen immer blutigere Ausmaße an. Das war kein Land mehr für sie. War es nie gewesen, wie er sich nun eingestand.
Im dichten Nebel schlich er mit seinen Männern voran. Über ihnen spannte sich ein Baldachin aus immergrünen Zypressen. Geisterhafte graue Flechten hingen im trüben Morgenlicht von den Ästen, streiften seinen Hals wie kalte Totenfinger. Calhoun umklammerte seinen Sechsschüsser fester, machte sich bereit für das Kommende.
An diesem Morgen würde er einen Ausweg finden ... oder den Tod.
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Seitenzahl: 141
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Der falsche Killer
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Impressum
Der falsche Killer
Cole Calhoun fürchtete den Tod nicht. Nur der Gedanke, seine Frau allein zurückzulassen, erfüllte sein Herz mit Entsetzen. Die Auseinandersetzungen im Südwesten von Arizona nahmen immer blutigere Ausmaße an. Das war kein Land mehr für sie. War es nie gewesen, wie er sich nun eingestand.
Im dichten Nebel schlich er mit seinen Männern voran. Über ihnen spannte sich ein Baldachin aus immergrünen Zypressen. Geisterhafte graue Flechten hingen im trüben Morgenlicht von den Ästen, streiften seinen Hals wie kalte Totenfinger. Calhoun umklammerte seinen Sechsschüsser fester, machte sich bereit für das Kommende.
An diesem Morgen würde er einen Ausweg finden ... oder den Tod.
»He! Boss!« Guthries Stimme war nur ein Raunen im wabernden Nebel.
Cole Calhoun hob seine Faust, signalisierte seinen Begleitern, stehenzubleiben. Dann drehte er den Kopf und starrte angestrengt in die Schwaden. Sekundenlang hatte er das Gefühl, blind geworden zu sein. Dann schälten sich die Umrisse einer Gestalt aus dem schmutzigen Weiß. Schwarze Haare wucherten unter dem Stetson hervor. Das Stiefelleder knirschte leise. Guthrie war seine rechte Hand. Ein Mann, der nur aus Haut, Knochen und kaltem Stahl zu bestehen schien. Mit dunklen Augen, denen kein Detail zu entgehen schien.
»Die anderen sind bereit«, vermeldete er. »Ein jeder ist auf Position.«
»Gut.« Calhoun richtete seinen Blick wieder nach vorn. Dort verbargen sich die Hütten und Arbeitsstätten der Drake-&-Benson-Minengesellschaft. Die Gebäude schmiegten sich an einen Hang, in den mehrere Stollen führten.
Der Boden hier war reich an Kupfer und anderen Bodenschätzen. William Drake und Charles Benson hatten das erkannt und einen Teil des Landes erworben, um es auszubeuten. Es hatte sie reich gemacht.
Am vergangenen Abend war der Transport mit frischer Verpflegung, Vorräten an Schwarzpulver und den Lohngeldern für die Arbeiter eingetroffen. Über Nacht wurden die Geldbündel im vergitterten Büro des Verwalters verwahrt. Bewacht von nicht mehr als zwei Männern, die nach der langen Nacht die Augen sicherlich kaum noch aufhalten konnten.
Nun schlug die Stunde von Calhouns Bande!
»Unbemerkt rein und wieder raus«, murmelte Guthrie. »Kein schlechter Plan, aber mir ist trotzdem wohler, dass wir vorgesorgt haben. Falls wir auffallen... Nun, dann kann uns niemand aufhalten. In ein paar Stunden haben wir mehr Bucks in den Taschen, als wir ausgeben können.«
»Wer weiß«, murmelte Calhoun. »Zähle deine Hühner nie, bevor du sie geschlachtet hast.«
»Hühner?« Guthrie furchte die Stirn. »Was denn für Hühner?«
»Ich will damit sagen, dass du das Geld lieber noch nicht ausgeben solltest. Immerhin müssen wir es erst beschaffen.«
»Das wird 'n Kinderspiel. Der Plan ist astrein. Sieh dich nur um.« Guthrie bewegte das Kinn nach vorn. Tatsächlich regte sich zwischen den Schlafbaracken kein Leben. Die Arbeiter schliefen noch. Auch das zweistöckige Wohnhaus lag im Dunkel. Nur das Glimmen einer Zigarette auf der Veranda verriet, dass nicht das gesamte Minencamp in tiefem Schlummer lag. »Zwei Wachleute, mehr nicht.« Guthries Grinsen reichte von einem Ohr zum anderen. Über seinem Hemd und der Weste hing sein Glücksbringer an einem Lederband: ein Rippenknochen, der an beiden Enden spitz genug gefeilt war, um jemandem das Auge auszustechen. Unter den Männern kursierten etliche Gerüchte, wessen Rippe Guthrie da bei sich trug. Manche glaubten, sie würde von einem Apachen stammen, mit dem er um Gold gekämpft hatte, andere waren überzeugt, sie wäre von einer untreuen Geliebten.
Calhoun hielt beides für möglich.
»Legen wir los, Boss?« Guthrie spuckte eine Ladung Kautabak aus.
»Sind die Pferde gesichert?«
»Sind sie.«
»Und Steve und Fuller?«
»Warten nur auf dein Signal. Dann verschließen sie die Schlafbaracke, sodass kein Arbeiter rauskommen kann. Falls also einer von denen pinkeln muss... Pech!«
»Und was ist mit Diaz?«
»Der steht bereit, das Lager mit dem Schwarzpulver in Schutt und Asche zu legen, falls uns jemand entdeckt. Eine bessere Ablenkung kann ich mir nicht denken. Meinetwegen kann es losgehen.« Guthrie trat von einem Stiefel auf den anderen.
»Was ist los?«, knurrte Calhoun. »Juckt es dich in der Unterhose?«
»Wenn's nur das wäre, da wüsste ich schon Abhilfe. Nein... Mein verdammtes Knie mal wieder.«
»Verdammt noch mal, Guthrie, das ist nicht der richtige Zeitpunkt für so was. Warum gehst du nicht endlich zum Doc und lässt dich behandeln?«
»Weil man diesen Quacksalbern nicht trauen kann. Die ziehen einem alle Zähne, bevor man sagen kann, dass einem die Ferse schmerzt.«
»Hier wird es gleich brenzlig. Gut möglich, dass wir rennen müssen. Mit deinem Knie... Willst du lieber bei den Pferden warten?«
»Nicht nötig, Boss. Ich komme klar. So wie immer.« Sein Handlanger zupfte seinen Hut zurecht. »Den Spaß werd ich mir auf keinen Fall entgehen lassen.«
»Ob es ein Spaß wird, muss sich erst noch zeigen.« Calhoun blickte sich nach seinen Begleitern um. Drei seiner Männer hatten ihre Stellung bereits eingenommen. Sie übrigen vier schickte er nun aus, um sich vor Veranda in Position zu bringen. Lautlos verschwanden sie im Dunst. Das Wetter kam ihrem Plan entgegen, machte es fast schon zu leicht, sich dem Haus ungesehen zu nähern.
»Endlich haben wir auch mal 'n bisschen Glück«, murmelte Guthrie neben ihm.
Calhoun knirschte nur mit den Zähnen.
Ein Mann war schlecht beraten, wenn er sich auf sein Glück verließ. Lady Fortuna war ein launisches Geschöpf. Nein, er verließ sich lieber auf seinen Verstand und seine eigenen Pläne. Guthries elendes Knie konnte allerdings alles vermasseln.
»Zu den Pferden, Guthrie!«, befahl er.
»Warum denn das?«
»Weil du wie ein angeschossener Kojote läufst, wenn dein Knie aufmuckt. Wir müssen nachher schnell sein. Also wirst du bei den Pferden bleiben.«
»Werde ich nicht. Ihr braucht mich. Das weißt du genau.«
»Ich brauche Männer, die rennen können.«
»Kann ich. Wirst schon sehen.« Guthrie warf ihm einen finsteren Blick zu. Dann legte er die Hände um seinen Mund und stieß einen Ruf aus, der dem einer verschlafenen Eule ähnelte. Ein langgezogenes Schu-huuu.
Es war das Signal für Steve und Fuller, die Tür der zwei Schlafbaracke zu verrammeln. Dafür hatten sie extra einen schweren Balken herbeigeschleppt, der den Eingang fest verschließen würde. Anschließend würden sie sich vor den Fenstern abducken und jeden, der seinen Kopf herausstreckte, niedermachen.
Calhoun hoffte jedoch, dass es nicht so weit kommen würde.
Falls sein Plan aufging, würde an diesem Morgen kein Blut fließen.
Allerdings war es kein guter Anfang, wenn sich seine rechte Hand seinen Anweisungen widersetzte. Nun, auch das würde bald ein Ende haben.
Sie mussten es nur unbemerkt zu den beiden Wachen schaffen und diese außer Gefecht setzen.
Lautlos schlich er weiter, spürte Guthries Atem im Nacken, so nah hielt der sich hinter ihm. Guthrie wurde nur von einer Sache getrieben und das war seine Gier. Er häufte reichlich Dollars bei ihren Überfällen an, aber genauso schnell rann ihm das Geld zwischen den Fingern wieder durch. Er gab es für Girls und Schießeisen aus. Der mit Silber beschlagene Sechsschüsser an seiner Hüfte war extra für ihn angefertigt worden. So einen gab es im ganzen Westen nicht noch mal. Guthrie hatte ein Faible für Waffen – und er war ein exzellenter Schütze. War er schon immer gewesen. Auch, als sie noch als Cowboys für die Triple-T-Ranch geritten waren.
Das schien so lange her zu sein, als wäre es in einem anderen Leben passiert.
Damals hatten sie alle noch auf der Ranch gearbeitet. Steve und Fuller als Horse-Wrangler. Mo war der Koch gewesen, und ein verdammt guter obendrein. Der zauberte ihnen auch jetzt noch mit aus nicht viel mehr als Staub und Trockenfleisch eine anständige Mahlzeit, wenn es darauf ankam. Und Diaz, nun, der war ein Schlagzu, der für seine Kameraden durchs Feuer gegangen wäre.
Ebenso wie die übrigen Männer.
Sie hatten ein schönes Leben gehabt. Waren frei gewesen. Hatten so manchen Viehtrieb zusammen durchgestanden. Bis zu jenem Winter vor fünf Jahren, der kein Ende nehmen wollte und ihnen die Tiere eins nach dem anderen verhungert waren. Das hatte das Ende der Ranch eingeläutet – und auch so manch anderen Rancher an den Rand des Ruins gebracht. Sie hatten keinen Job mehr gefunden. Als ihr letzter Dollar ausgegeben war, hatten sie sich mit einem Überfall auf einen Saloon ein wenig Geld beschafft.
Es war ein schmaler Grat, der Recht von Unrecht trennte.
War der erste Schritt über diese Grenze erst einmal getan, fiel der nächste leichter. Und der nächste... Nur zurück gab es keinen Weg mehr. Das war Cole Calhoun viel zu spät klar geworden. Aus den kleineren Überfällen, bei denen nie ein Schuss gefallen war, waren größere geworden. Bald war das erste Blut geflossen. Und jetzt? Jetzt waren sie die Calhoun-Bande, und auf einen jeden von ihnen war ein beachtliches Kopfgeld ausgesetzt. Das war jedoch nicht das Schlimmste.
Sie hatten sich kaufen lassen.
Das Angebot war zu gut gewesen, um es auszuschlagen.
Calhoun knirschte mit den Zähnen.
Er hatte nicht nur seine Männer und sich selbst in Schwierigkeiten gebracht, sondern auch seine Frau. Das bereute er am meisten. Sie hatte das nicht verdient, nein, verdammt, das hatte sie nicht. Sie war treu wie Gold und das machte sie ebenfalls zur Zielscheibe für die Sternträger diesseits und jenseits des Mississippis.
Aber er hatte einen Plan. Einen Plan, der alles ändern würde.
Im Lauf der Zeit hatte er genug Geld angehäuft, um in Mexiko neu anzufangen.
Nur diese eine Sache galt es noch zu erledigen...
»Warte!«, keuchte Guthrie plötzlich und packte ihn am Arm.
Sofort blieb Calhoun stehen und knurrte: »Was ist los?«
»Ich bin mir nicht sicher. Ich dachte, ich hätte was gehört.«
Calhoun hob den Kopf und lauschte. Es war so still, dass er seinen eigenen Herzschlag hören konnte.
»Da ist nichts...« Die Worte waren kaum heraus, als hinter ihnen plötzlich Schüsse krachten! Heißes Blei jagte ihnen um die Ohren, zackte in Baumstämme und riss Splitter heraus. Und der Kugelhagel riss nicht ab!
»Verdammt noch mal!«, bellte Guthrie und duckte sich. »Da rückt uns jemand auf den Pelz!«
In der Tat mussten sich ein halbes Dutzend Schützen hinter ihnen befinden, und die sparten nicht an Kugeln.
Guthrie erwiderte das Feuer, schoss, was sein Peacemaker hergab. Halb blind, weil sich die Angreifer im Nebel verbargen.
»Diese Mistkerle haben uns erwartet!«, gellte er. »Jemand hat uns verraten!«
»Wir müssen abhauen!«, rief Calhoun. »Es sind zu viele!«
»Auf keinen Fall! Wir ziehen das durch. Der Weg vor uns ist frei. Wir kämpfen uns zum Haus durch und holen uns die Bucks, dann machen wir diese Kerle nieder und hauen ab.«
»Zu gefährlich.«
»Seit wann hast du Angst vor 'n bisschen Blei?« Guthrie stieß ein heiseres Lachen aus, während er nachlud und weiterschoss.
Plötzlich ließ das Krachen einer Explosion den Boden unter ihren Stiefeln vibrieren.
Ein greller Feuerball loderte rechts vor ihnen auf.
Die Wucht der Detonation fegte wie ein Wirbelsturm über den Hang, raubte den Männern sekundenlang Sicht und Atem. Dann drang das Tosen von Flammen heran, die sich gierig in trockenes Holz fraßen.
Diaz hatte seinen Teil erfüllt, hatte das Lager mit dem Sprengstoff in die Luft gejagt.
Der Wind trieb die Rauchschwaden genau in ihre Richtung. Der beißende Qualm brannte bei jedem Atemzug in der Brust und ließ die Augen tränen.
Calhoun zerbiss einen Fluch.
Er verlor seine Männer aus den Augen. Selbst Guthrie war nicht mehr zu sehen. Nur Rauch und Nebel. Von irgendwo wehte das hektische Läuten einer Alarmglocke heran. Das Lager war in Aufruhr. Und hinter ihm... das Knacken eines Zweiges unter einer Stiefelsohle ließ ihn aufhorchen. Er wirbelte herum – einen Sekundenbruchteil zu langsam. Kurz sah er noch, wie ein Gewehrkolben auf ihn zuraste, dann krachte etwas mit ungeheurer Wucht gegen seine Schläfe und knipste ihm sämtliche Lichter aus, noch ehe er begreifen konnte, was geschehen war.
Wie aus weiter Ferne waberten heisere Stimmen heran.
»Verdammt, Jim, hast du dem Mistkerl den Schädel eingeschlagen?«
»Von wegen. Der lebt noch.«
»Gut. Kann sich der Henker 'n paar neue Stiefel verdienen, wenn er ihn aufhängt.«
Calhoun wurde unsanft hochgehoben und auf einen Pferderücken geworfen. Sein Schädel schien zu explodieren. Grellrote Sterne flackerten vor seinen Augen.
Dann wusste er nichts mehr.
✰
Weg hier! Nur weg!
Cole Calhoun stürmte mit langen Schritten zu seinem Pferd, aber plötzlich zog es ihm die Beine unter dem Körper weg. Er rutschte, schlitterte lang hin und landete mit dem Gesicht voraus im Dreck. Der Erdboden war mit Blutlachen übersät, aufgewühlt und schlammig. Als sich Calhoun aufrappelte und mit beiden Händen die klebrige Masse von seinen Augen wischte, fuhr ihm das Grauen in alle Knochen. Seine Nackenhärchen richteten sich auf, und eine Kälte, die nie wieder ganz aus ihm weichen sollte, drang unter seine Haut.
Was haben wir getan? Was haben wir nur getan?
Noch vor weniger als einer Stunde hatten Apachen am Ufer des Gila River gelagert. Vor den Zelten hatten Feuer gebrannt und die abendliche Dunkelheit ferngehalten. Über Gestellen waren Felle und Häute zum Trocknen gespannt. Kinder spielten mit Knochen und Bällen, alte Frauen saßen schnatternd beisammen und bestickten Lederzeug mit Perlen. Eine bildschöne junge Frau versorgte die schwärende Wunde eines Pferdes mit einer stinkenden Salbe... Jetzt lag sie mit gebrochenem Blick im Dreck, ein blutiger Riss zog sich wie ein böses Grinsen über ihre Kehle. Nur eine Armlänge entfernt hielten sich zwei Kinder im Tod umschlungen. Nicht weit von ihnen entfernt lag ein weißhaariger Alter. Seine Faust umklammerte das Kriegsbeil noch, obwohl ein gnadenloser Hieb sie ihm abgehackt hatte. Der blutige Stumpf war ausgestreckt, als wollte er ihn herzeigen und fragen: Warum?
Warum?, brüllte es auch in Cole Calhoun.
Das Indianer-Lager am Fluss war ihr Ziel gewesen. Macht sie alle nieder, ihre Order. Sie hatten gewusst, dass sie nur Frauen, Kinder und Alte antreffen würden. Die Krieger waren gerade auf der Jagd, das Lager ungeschützt. Ja, sie hatten es gewusst. Doch Wissen und Erleben waren zwei grundverschiedene Paar Stiefel.
In seinen schlimmsten Träumen hätte er sich ein solches Grauen nicht vorstellen können. Die Schreie der Sterbenden gellten noch in seinen Ohren. Mit starrem Blick streifte er die Blumen am Ufer, die einmal gelb gewesen waren wie die Sonne an einem milden Frühlingstag, und jetzt blutrot und geknickt waren. Niedergemäht von den eiligen Schritten der Fliehenden.
Weit waren sie nicht gekommen.
Seine Männer hatten niemanden am Leben gelassen.
Calhoun hatte einen der Alten erschossen und dann auf eines der Kinder angelegt. Eine der Frauen hatte sich vor das Kind gestellt, da konnte er es nicht tun, konnte nicht abdrücken.
Seine Kugel war noch im Lauf.
Von irgendwo her waren die Bleistücke gekommen, welche zuerst die Frau, dann den Jungen niedergestreckt hatten. Einer seiner Gefolgsleute. Sie hielten ihm die Treue. Sogar jetzt noch. Er selbst jedoch...
»Neeeein!« Mit einem wilden Schrei fuhr Calhoun in die Höhe, wusste nicht, wo er sich befand. Wilde Blicke um werfend, fand er nur mühsam aus seinem Traum ins Hier und Jetzt zurück. Nein, er war nicht mehr am Gila River, sondern in einer kalten, grauen Zelle im Jail einer Stadt, deren Namen er nicht kannte.
Die Erinnerungen an das Grauen, das er verursacht hatte, hatten ihn in seinem Traum heimgesucht. Wieder einmal. Seit jenem Abend hatte er nicht eine einzige Nacht mehr durchgeschlafen. Schuldig! Es fühlte sich an, als wäre das eine Wort in seine Stirn eingebrannt. Er tastete danach, fühlte eine schmerzhafte Schwellung an seiner Schläfe und erinnerte sich, dass er gefangen genommen worden war.
Es war vorbei.
Endlich.
Plötzlich stieg es sauer in seiner Kehle auf. Er schaffte es gerade noch, sich vorzubeugen, als sein Magen auch schon das Wenige von sich gab, das in ihm war.
Als er sich aufrichtete, stand ein Mann auf der anderen Seite der Gitter. Der goldene Stern an seiner Weste wies ihn als Town-Marshal aus. Er musterte Calhoun mit zusammengekniffenen Augen wie etwas, das er sich gerade vom Absatz seiner Stiefel abgekratzt hatte. In seinen Augen stand nichts als Verachtung.
Cole stemmte sich in die Höhe, zwang sich, aufrecht stehen zu bleiben, auch wenn sich die Zelle um ihn drehte wie ein verdammtes Karussell.
»Was ist mit meinen Männern?«, fragte er.
Der Marshal starrte ihn nur weiter schweigend an.
Neben seiner Zelle gab es noch drei weitere, alle nicht viel größer als die Pritsche, die in ein jeder stand. Und alle waren leer. Keiner seiner Männer war hier.
Er fluchte in sich hinein.
So war das nicht abgemacht gewesen...
»Wo sind meine Männer, Marshal? Haben Sie sie umgebracht? Sind sie entkommen? So reden Sie doch, Mann?«
Der Marshal würdigte ihn keiner Antwort.
Dafür kam nun ein dürrer Bursche herein. In den Stetson würde er noch hineinwachsen müssen, genauso wie in das mit Fransen besetzte Lederhemd. Der Stern eines Deputies an seiner Brust funkelte wie frisch poliert. Er reichte dem Marshal einen Becher mit Kaffee. Dann drehte er sich zu Calhoun um.
»He, der Mistkerl ist aufgewacht«, stellte er fest.
»Wo bin ich hier?« Cole trat an das Gitter und umklammerte die Stäbe mit beiden Fäusten. »Was ist das für eine Stadt?«
Auch der Deputy hielt ihn offenbar keiner Antwort keiner Antwort für würdig, denn er wandte sich wieder an den Marshal, der soeben bedächtig seinen Kaffee schlürfte und dabei durchaus zufrieden mit sich und der Welt aussah.