1,99 €
Der alte Mormone auf der Sitzbank gegenüber hatte strähniges schwarzes Haar und hängende Augenlider. Er sprach tief und kehlig, und Bettie Mulloy bekam allmählich Angst vor ihm. Sie rutschte näher zu ihrem Vater und hielt sich an dessen Arm fest.
"Noch ein Schauermärchen?", knurrte Senator Nelson Mulloy und strich sanft über Betties Hand. "Sie ängstigen meine Tochter, Mister."
"Drei Greise sind's!", sagte der alte Mormone und nickte bedeutungsvoll. "Unsereins nennt sie die Drei Nephiten. Sie sind von Christus auserwählt und unsterblich. Manch einem sind sie schon begegnet."
"Utah ist fest in mormonischer Hand", seufzte Mulloy. "Du musst diesen frommen Fabeln keinen Glauben schenken, Bettie."
"Sie haben gut reden", meinte der Alte und lächelte. "Sie haben gut reden."
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 129
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Utahs letzte Hoffnung
Vorschau
Impressum
Utahs letzte Hoffnung
Der alte Mormone auf der Sitzbank gegenüber hatte strähniges schwarzes Haar und hängende Augenlider. Er sprach tief und kehlig, und Bettie Mulloy bekam allmählich Angst vor ihm. Sie rutschte näher zu ihrem Vater und hielt sich an dessen Arm fest.
»Noch ein Schauermärchen?«, knurrte Senator Nelson Mulloy und strich sanft über Betties Hand. »Sie ängstigen meine Tochter, Mister.«
»Drei Greise sind's!«, sagte der alte Mormone und nickte bedeutungsvoll. »Unsereins nennt sie die Drei Nephiten. Sie sind von Christus auserwählt und unsterblich. Manch einem sind sie schon begegnet.«
»Utah ist fest in mormonischer Hand«, seufzte Mulloy. »Du musst diesen frommen Fabeln keinen Glauben schenken, Bettie.«
»Sie haben gut reden«, meinte der Alte und lächelte. »Sie haben gut reden.«
Die Kutsche hatte gerade den einhundertdreizehnten Breitengrad überquert, als Bettie Mulloy erstmals die gewaltige Salzwüste erblickte. Die schlohweiße Ödnis lag gleichsam poliertem Porzellan in der Landschaft und strahlte das helle Sonnenlicht zurück. Die Wüste übertraf die Schilderungen, die Bettie von ihren Freundinnen gehört hatte, und hatte eine Art spröde Schönheit.
»Du sagst gar nichts«, beschwerte sich Betties Vater und blätterte in einem Stapel Kongressakten. Er hatte die Wüste bisher kaum eines Blickes gewürdigt. »Deine Mutter war vollkommen aus dem Häuschen. Sie wollte die Wüste nie wieder verlassen, so vernarrt war sie in dieses karge Land.« Er schaute auf. »Ich hätte eher sie mitnehmen sollen, wie?«
Bettie schüttelte den Kopf und strich sich ihr rotblondes Haar hinter das rechte Ohr. Sie war zweiundzwanzig und hatte einen seltsamen Landstrich wie diesen nie zuvor gesehen. »Ich staune bloß, Vater. Es ist so... unwirtlich... dort draußen.«
Der Kutscher ließ die Peitsche knallen und beschleunigte das Gespann, um durch eine Bodensenke zu gelangen. Er rief einen der vielen Ortsnamen in die Kabine hinein, von denen sich einer wie der andere anhörte.
»Karbonate, Sulfite und Chloride«, sagte Betties Vater und ließ nicht von seinen Akten. Er bereitete sich auf eine Aussprache im Kongress vor und redete seit Tagen von nichts anderem mehr. »Die Welt ist nur Chemie und Wissenschaft, mein Kind. Du wirst dich nie genug damit beschäftigen können, um etwas davon zu verstehen.« Er sah auf und lächelte. »Aber das musst du auch nicht, Liebes.«
Fünf Jahre war Betties Vater inzwischen Senator, und seine ohnehin überhebliche Natur hatte sich seither stetig verstärkt. Er redete abfällig mit jedermann, vor allem aber mit Betties Mutter und seiner Tochter.
»Aus welchem Grund sagst du solche Dinge?«, fragte Bettie und versetzte ihrem Vater einen Stoß in die Seite. »Ich bin klug, und das weißt du. Ich bin zu schade dafür, um nur die Frau irgendeines Mannes zu werden. Ich will verstehen, was in der Welt –«
»Verstehen musst du nur deinen Gatten«, beschied Mulloy kühl und tippte auf die Akten auf seinem Schoß. »Die Denkerei musst du dem starken Geschlecht überlassen. Sie verstehen sich eher darauf als die Weibsbilder. – Hey, Kutscher! Vorwärts, vorwärts!«
Eine dichte Wolke aus Salzstaub hüllte den Vierspänner ein, der hinter der Senke langsamer geworden war und nun plötzlich stehen blieb. Bettie reckte den Hals und sah den Kutscher vom Bock springen. Der untersetzte Mann kam um die Kutsche herum und klopfte an die Seitentür.
»Was ist los?«, wurde Mulloy zornig. »Weshalb fahren wir nicht weiter? Ich will vor der Dämmerung am Dutch Mountain sein. Die Goldminen –«
»Landstreicher, Sir!«, sagte der Kutscher und wies mit dem Daumen über die Schulter. »Sie betteln um Wasser und fragen, ob sie mitfahren dürften.«
»Seit wann nehmen wir Landstreicher mit?«, zürnte Mulloy und packte die Akten aus dem Kongress weg. Er stieß die Tür auf und sprang in den Staub hinunter. Bettie folgte ihm nach kurzem Zögern.
Draußen standen drei alte Männer in der Sonne.
Sie mochten siebzig oder achtzig sein, hatten schütteres Haar und trugen zerlumpte Gepäckbündel bei sich. Einer von ihnen war großgewachsen, einer eher von gedrungener Statur und der dritte korpulent. Sie sahen Betties Vater leutselig an.
»Sir«, sagte der Größere der drei Fremden. »Seien Sie so gut und nehmen Sie uns mit hinunter nach Canon Station! Wir sind seit zwei Nächten in der Salzwüste und brauchen ein Nachtquartier.«
Mulloy machte eine scharfe Handbewegung, die verdeutlichte, dass er nicht mit sich reden ließ. »Wäret Ihr drei Tattergreise nicht hinaus in die Wüste gelaufen, müsste sich jetzt keiner um euch kümmern. Seht selbst zu, wie ihr zurechtkommt! – Kutscher!«
Der Bedienstete aus dem Mietstall in Kelton nickte und stieg wieder auf den Kutschbock. Er fluchte leise vor sich hin und griff nach den Zügeln.
»Willst du diese armen Leute zurücklassen?«, fragte Bettie und suchte den Blick ihres Vaters. »Sie haben kaum etwas am Leib. Sie haben nicht mehr als ihr nacktes Leben.« Sie schaute zu den Alten. »Wir... Wir können sie nicht zurücklassen!«
»Wir können und müssen!«, versetzte Mulloy und erklomm die unterste Trittstufe. Er hielt sich an der Kutschtür fest. »Steig ein und sei still, Bettie! Von solchen Dingen verstehst du nichts!«
Die Landstreicher wichen vor den scharrenden Hufen der Pferde zurück und besprachen sich leise. Sie redeten in einer Sprache, die Bettie nicht kannte und die sie für Polnisch oder Russisch hielt. Als die Senatorentochter sich zu ihrem Vater umwandte, fiel ihr der glänzende Gegenstand unter dem Hemd eines der Männer auf.
Es war ein geladener Revolver.
Eilends wandte sich Bettie ab und stieg ebenfalls in die Kutsche. Sie wagte es nicht, zu den Fremden zurückzusehen, und als die Kutsche endlich anfuhr, fiel ihr ein Stein vom Herzen. Sie hätte es verabscheut, ihrem Vater bei seiner Einschätzung rechtgeben zu müssen.
Dann krachten die ersten Schüsse.
Sie mussten vom Kutscher abgegeben worden sein, der auf seinem Bock wilde Flüche ausstieß und mit der Peitsche auf die Pferde eindrosch. Betties Vater beugte sich aus dem Fenster und murmelte etwas, das wie eine zornige Verwünschung klang.
»Jetzt haben wir den Salat!«, brüllte Mulloy zu der Kutsche hinauf. Er schlug mit der Faust gegen die Kabinenwand. »Fahren Sie! Fahren Sie zu, Mann!«
Der Kutscher jedoch hörte den Senator nicht.
Er war tot in sich zusammengesackt und hing kraftlos über dem Handlauf seines Kutschbocks. Er hielt einen der Zügel in der Hand, während das andere Zügelende unten im Salzstaub schleifte.
Laut wiehernd gingen die Pferde durch.
✰
Über die mattgrünen Höhenzüge der Oquirrh Mountains hatte sich warmes Dämmerlicht gebreitet, das bis hinunter zum Lake House reichte. Der Garfield Beach unterhalb des dreistöckigen Hotels, von dem aus man den halben Great Salt Lake überblicken konnte, war spärlich bevölkert. Die meisten Tagesgäste saßen bereits wieder in den Waggons der Utah Western Railroad, die sie am Morgen hergebracht hatte.
»Zwei Telegramme?«, fragte Lassiter und blickte die junge Frau an, die ihm die Fernschreiben gebracht hatte. Er war am Ufer des Sees entlanggelaufen und hatte über seinen bevorstehenden Auftrag nachgedacht. »Ich erwarte keine Telegramme, Miss.«
Die letzten Nachrichten aus dem Hauptquartier in Washington waren erst eine Nacht alt und hatten ihn instruiert, sich nach einem Trickbetrüger mit dem Namen Frank Bredemeyer zu erkundigen. Der Deutsche handelte mit gefälschten Kalbshäuten, die mit Gift versetzt waren und überall im Land für Unruhe sorgten.
»Ich überbringe Ihnen nur die Abschriften, Sir«, sagte die blondhaarige Angestellte und himmelte Lassiter an. Sie hatte sich schon in der Bar des Lake House für ihn interessiert. »Den Bediensteten von Clinton's Landing ist stets daran gelegen, dass sich unsere Gäste wohlfühlen. Ich bin so schnell zu ihnen gelaufen, wie ich konnte.«
Das Clinton's Landing war die größte Fremdenverkehrseinrichtung am Great Salt Lake und verfügte neben dem mehrstöckigen Lake House über mehrere Badehäuser und einen Salinenstrand, an dem Patienten ihre Beschwerden im Salzwasser des Sees auskurierten. Die City of Corinne war dagegen ein Ausflugsdampfer, der jeden Vormittag und Nachmittag zu einer Fahrt über den See aufbrach.
»Meinen aufrichtigen Dank, Miss!«, sagte Lassiter und nahm die Telegramme entgegen. »Ich weiß Ihre Bemühungen zu schätzen. Ich hatte nicht damit gerechnet, weitere Schreiben zu erhalten.«
Die hübsche Blondine deutete eine Verneigung an. »Ich stehe Ihnen stets zu Diensten. Sie finden mich in Kammer No. 12, falls Sie Gesellschaft wünschen.« Sie zwinkerte Lassiter zu. »Ich hoffe, Sie verstehen, was ich mit Gesellschaft meine.«
Als er wieder allein war, riss Lassiter die beiden Kuverts auf und studierte die Telegrammbögen darin. Das Hauptquartier annullierte seinen bestehenden Auftrag und bat ihn, sich an einen Mittelsmann im Clinton's Landing zu wenden. Der Mann hieß Elias Hughitt und arbeitete offenbar als Sektionsleiter im Lake House.
Fünf Uhr am nächsten Morgen sollte Lassiter zur Stelle sein. Das Hauptquartier wollte dem allgemeinen Gästeverkehr zuvorkommen und Hughitt Gelegenheit geben, sich mit Lassiters neuem Auftrag zu befassen.
Eine halbe Nacht blieb Lassiter damit noch Zeit.
✰
Die Tür von Kammer No. 12 war aus massivem Redwood-Holz und fügte sich ins vornehme Ambiente des Lake House, in dem zu dieser späten Stunde kaum jemand auf den Gängen war. Die Flure waren mit bordeauxroten Teppichen ausgelegt, die jeden Tritt dämpften und die Stille im Haus bewahrten.
»Miss?«
Der Mann der Brigade Sieben lauschte und klopfte ein weiteres Mal. Er hatte sich vom Garderobier des Lake House einen Gehrock bringen lassen, den Lassiter nun jedoch lässig über dem Arm trug, wie es bei Herren von gehobenem Stand üblich war. Er wollte vermeiden, dass die attraktive Angestellte von ihm mehr in Erinnerung behielt als das Bild eines neureichen Dandys.
»Mister?«, tönte es aus der Kammer zurück, bevor sich der Schlüssel im Schloss drehte. Die Tür schwang einen Spalt auf. »Kommen Sie herein! Ich wusste irgendwie, dass Sie mein Angebot nicht ausschlagen.«
Aus der Kammer schlug Lassiter der schwüle Geruch eines Duftöls entgegen, das über einer Kerze verdunstete. Es roch nach Rosen oder Moschus oder etwas dazwischen. Die attraktive Blondine stand hinter dem schmiedeeisernen Kerzenständer und hatte nur ein halbdurchsichtiges Negligé am Leib.
»Sie erwarten häufig Besuch?«, fragte Lassiter und konnte den Blick nicht von den wohlgeformten Brüsten abwenden, die sich unter dem durchscheinenden Stoff abzeichneten. »Verdienen Sie sich so ein Zubrot?«
»Für wen oder was halten Sie mich?«, wurde die Blondhaarige ärgerlich. »Ich bin keine Dame vom sündigen Gewerbe. Ich freue mich nur über Herren wie Sie.« Sie winkte ab. »Keine Sorge um Ihre Dollars. Sie müssen keinen einzigen davon dalassen.«
»Lassiter«, stellte sich der große Mann vor. »Lassiter und nichts sonst.«
Der hübsche Blondschopf kam mit wiegenden Hüften auf ihn zu. »Emma Sörensen heiße ich, Mr. Lassiter. Sie vergessen diesen Namen ohnehin, sobald Sie dem Lake House den Rücken kehren. Jedermann im Clinton's Landing tut es.« Sie lächelte. »Sind Sie bereits mit der City of Corinne gefahren?«
»Keine einzige Meile«, erwiderte Lassiter und schaute sich in der geschmackvoll eingerichteten Kammer um. An der Wand hingen Aquarelle und Bleistiftzeichnungen, die offenbar von Emma stammten. »Was bringt Sie nach Clinton's Landing?«
»Es ist gutes Geld«, gab Emma zur Antwort und trat auf Lassiter zu. Sie öffnete seinen Hemdkragen und schob eine Hand unter den Stoff. »Man verdient als Angestellte ein paar Dollars, und ansonsten male ich. Eine Frau hat in diesen Zeiten nicht viele Möglichkeiten.« Sie hauchte Lassiter einen Kuss auf die Wange. »Schlafen Sie mit mir, Sie hübscher Fremder.«
Kaum hatte sie ihren Satz beendet, ließ sie ihr Negligé von den Schultern rutschen und war splitternackt. Sie ergriff Lassiters Hand, schob sie zwischen ihre Beine und rieb sie an ihrer feuchten Scham.
»Wie Sie wünschen«, flüsterte Lassiter und ergriff Emma bei den Hüften. Er trug sie hinüber zum Bett, öffnete den Knopf seiner Hose und holte seinen steifen Pint hervor. »Sie lassen nichts anbrennen.«
Bereitwillig spreizte Emma die Beine und ließ ihn in sich eindringen. »Kommt ganz auf die Männer an, Mr. Lassiter. Aber bei jemandem wie Ihnen lehne ich gewöhnlich nicht ab.« Sie stöhnte leise auf. »Sie könnten jede Frau haben, Mister Lassiter.«
Zärtlich und leidenschaftlich trieben sie es miteinander, bis Emma plötzlich die Nägel in Lassiters Rücken schlug und ihn fest an sich presste. Sie schrie vor Lust auf, drückte ihren Rücken und kam mit kurzen und heftigen Zuckungen. Sie lächelte Lassiter an und griff ihm nun zwischen die Beine. »Prall gefüllt, wie? Sie müssen lange keine Frau gehabt haben.«
»Zwei Monate nicht«, erwiderte Lassiter und stieß zu. Er war so erregt, dass er beinahe die Beherrschung verlor. »Ich war geschäftlich in Ohio. Es gibt keine Frauen in Ohio.«
Emma fasste noch fester zu und schlang Lassiter die Arme um den Hals. Sie verschlang ihn mit ihren Küssen und lächelte. »Sie Ärmster! Ich will Ihnen gern geben, was Kerlen wie Ihnen zusteht.«
✰
Die Standuhr im Büro von Elias Hughitt hatte gerade fünf Uhr geschlagen, als es an der Tür des Sektionsleiters klopfte. Hughitt griff nach seiner Tasse Kaffee, die er sich von einem Dienstmädchen hatte aufbrühen lassen, und stand auf. Er legte das Kuvert aus der Hand, das am Abend per Eilboten aus Provo gekommen war, und seufzte erschöpft auf.
»Mr. Hughitt?«
Der Mann vor der Tür war breitschultrig und von großem Wuchs. Er hatte sandblondes Haar, einen stechenden Blick und trug um die Hüfte ein Revolverholster, wie es in Clinton's Landing nicht gern gesehen war.
»Mr. Lassiter?«, fragte Hughitt zurück und bat seinen Gast herein. Er hatte aus dem Hauptquartier der Brigade Sieben ein Dossier über den Agenten erhalten, den er an diesem Morgen mit einem heiklen Auftrag betrauen sollte. »Nehmen Sie Platz! Kaffee? Oder einen Bourbon? Ich habe beides bevorratet.«
»Bourbon«, sagte Lassiter einsilbig und ließ sich breitbeinig auf den Stuhl vor Hughitts Schreibtisch fallen. Die Agenten der Brigade hatten allesamt das gleiche ungehobelte Auftreten. »Was haben Sie für mich, Mr. Hughitt? Ich musste einen anderen Auftrag abbrechen.«
Gereizt stellte Hughitt den Kaffeekrug ab und goss ein Glas Bourbon ein. Er arbeitete seit fünfzehn Jahren für die Brigade Sieben und stellte allmählich fest, dass ihm die Pflicht zur Last wurde. »Sie wurden auf Bitten von höchster Stelle abkommandiert. Der Fall ist heikel und bedarf einiger Eile. Er hat Entsetzen in Washington ausgelöst.«
Der Mann der Brigade Sieben griff nach dem Kuvert, das Hughitt über den Tisch geschoben hatte, und blätterte es durch. »Wie kann ich Ihnen zu Diensten sein? Das Hauptquartier mahnt selten zur Eile wie in dieser Sache.«
Die Telegramme waren am Vortag im Stundentakt eingetroffen, und Hughitt hatte dem Dossier regelrecht entgegengefiebert. Die meisten Fälle im Utah-Territorium, bei denen sich die Brigade einschaltete, betrafen Verschwörer oder Betrüger in den mormonischen Gemeinden, die in Washington stets misstrauisch beäugt wurden. Hughitt hatte sich daran gewöhnt, dass er über den Mormonenstaat selten Gutes vermelden konnte, das in Washington auch Gehör fand.
»Senator Nelson Mulloy«, sagte Hughitt und schritt um den Tisch herum. Er blieb vor den gerahmten Schmuckteppichen stehen, die er vor Jahren bei einem Shoshonenstamm erworben hatte. Er hatte es nicht übers Herz gebracht, sie auf die staubigen Dielen zu legen. »Mr. Mulloy gilt seit einigen Tagen als vermisst. Man hat seine Kutsche drüben in der Salzwüste gefunden. Er und seine Tochter reisten allein.«
»Man hat die Kutsche gefunden?«, fragte Lassiter und las auf den Seiten des Dossiers. »Offenbar beschädigt nach diesem Protokoll. Sie soll sich überschlagen haben.«
»Die Gleisbauer von der Central Pacific Railroad«, fuhr Hughitt ohne Zögern fort, »haben das Gespann gefunden. Sie haben den Kutscher befragt, der darunter lag, und der hat ihnen geschildert, dass er in Panik davongefahren sei und dabei einen trockenen Stamm übersehen hätte.«
Die blauen Augen des Agenten fixierten Hughitt. »Er hat seine Passagiere im Stich gelassen? Er hat Mulloy und dessen Tochter in der Wüste zurückgelassen?«