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"Stehenbleiben, Dobbs!"
Der Outlaw lachte und rannte weiter. Lassiter zielte auf dessen Beine und zog den Abzug durch, doch es klickte nur. Die Trommel des Remington war leer. Mit einem Fluch auf den Lippen wollte er die Verfolgung aufnehmen, als ein schriller Hilfeschrei ihn herumfahren ließ. Zwei von Dobbs' Männern hielten eine Frau gepackt und machten Anstalten, sie über den Rand der Klippe zu stoßen! Die Blondine kreischte in Todesangst, und ihre Augen schauten weit aufgerissen in Richtung des Brigadeagenten.
Ihm blieb keine Wahl. Zähneknirschend spurtete Lassiter los.
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Seitenzahl: 153
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Der Frosch und der Skorpion
Vorschau
Impressum
Der Froschund derSkorpion
»Stehenbleiben, Dobbs!«
Der Outlaw lachte und rannte weiter. Lassiter zielte auf dessen Beine und zog den Abzug durch, doch es klickte nur. Die Trommel des Remington war leer. Mit einem Fluch auf den Lippen wollte er die Verfolgung aufnehmen, als ein schriller Hilfeschrei ihn herumfahren ließ. Zwei von Dobbs' Männern hielten eine Frau gepackt und machten Anstalten, sie über den Rand der Klippe zu stoßen! Die Blondine kreischte in Todesangst, und ihre Augen schauten weit aufgerissen in Richtung des Brigadeagenten.
Ihm blieb keine Wahl. Zähneknirschend spurtete Lassiter los.
Als die Galgenvögel ihn auf sich zustürmen sahen, ließ einer der beiden von der Frau ab, um nach seinem Revolver zu greifen. Doch Lassiter erreichte ihn, bevor er den Lauf des Sechsschüssers hochreißen konnte. Mit ausgestreckter Faust hechtete er dem Mann entgegen und rammte sie in dessen Unterleib.
Der Bursche stieß pfeifend die Luft aus und taumelte rückwärts. Sein Revolver fiel klappernd auf den felsigen Untergrund, und er streckte beide Hände aus. Die Finger öffneten und schlossen sich in der vergeblichen Hoffnung auf rettenden Halt, doch da war nur die feuchte klamme Luft des Herbstabends.
Mit einem gellenden Schrei stürzte der Bandit in den von Nebel verhangenen Abgrund.
Lassiter packte das Schießeisen des Mannes und wirbelte herum; keinen Moment zu früh, denn der zweite Outlaw hatte die Frau bereits zu Boden gestoßen und den eigenen Colt gezogen.
Zwei Schüsse krachten, von Lauten des Entsetzens aus dem Mund der Frau begleitet, doch sie trafen nur den steinernen Boden, auf dem Lassiter noch Sekunden zuvor gelegen hatte, und jaulten als wütende Querschläger davon.
Der Brigadeagent riss den Revolver hoch und feuerte, ohne zu zögern. Die Kugel traf den Banditen dicht über der Nasenwurzel und schleuderte ihn drei Yards weit zurück. Er landete rücklings dicht über der Felskante, und sein Colt entglitt der leblosen Hand. Sekunden später hörte man die Waffe weiter unten auf den Felsen aufschlagen.
Ächzend stemmte Lassiter sich hoch und bemerkte noch, wie Valentine Dobbs sich auf den Rücken seines Wallachs schwang und durch den Wald davon galoppierte. Der Agent der Brigade Sieben zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen und schloss angesichts dieser Demütigung sekundenlang resignierend die Augen.
»Allmächtiger«, stöhnte die Frau und kam schwankend auf die Beine. Für einen kurzen Moment geriet sie dabei in bedrohliche Nähe zur Felskante, doch dann nahm sie Lassiter in den Blick und schien sich regelrecht an dem großen Mann festzusaugen, als wäre er ein Leuchtturm in der Brandung. Sie fing sich und taumelte auf ihn zu. Mit kreidebleichem Gesicht sank sie in seine Arme.
»Schon gut, Ma'am«, brummte er. »Sie sind außer Gefahr.«
Beruhigend strich er ihr über den Rücken und spürte dabei, wie heftig sie immer noch atmete.
»Diese Kerle, sie... sie wollten mich in den Abgrund werfen«, brachte sie stockend hervor und erschauderte dabei.
»Sah ganz danach aus.« Lassiter starrte zum Wald hinüber, während die Hufgeräusche stetig leiser wurden. Valentine Dobbs war ihm durch die Lappen gegangen. Und das im Sattel von Lassiters Pferd.
Er verzog die Lippen.
Die Frau löste sich ein Stück weit von ihm und schaute zu Lassiter auf. Erst jetzt erkannte er, wie schön sie war. Trotz der verfilzten blonden Locken, dem verschmutzten Gesicht und ihrer derangierten Kleidung.
»Sie... Sie haben mir das Leben gerettet«, murmelte sie und lächelte schwach. Dann plötzlich schlossen sich ihre Lider, und sie erschlaffte in seinen Armen.
Offenbar hatte sie das Bewusstsein verloren.
✰
Als die Frau erwachte, brannte ein wärmendes Lagerfeuer vor dem Abgrund der Klippe, und der Geruch von gebratenem Fleisch lag in der Luft. Die Nacht war hereingebrochen, und ihr Retter saß ihr im Schneidersitz gegenüber.
Sie richtete sich unsicher auf den Unterarmen auf, und er hob die Augenbrauen.
»Alles okay mit Ihnen?«, fragte er, und sie nickte.
Ein wenig überrascht bemerkte sie die Decken unter und über sich und warf ihm einen fragenden Blick zu, worauf er auf eine unförmige Erhebung einige Schritte vom Feuer entfernt deutete.
»Das Packpferd der Banditen«, brummte er. »Es wurde von einer Kugel getötet, aber das beschert uns immerhin ein wenig Proviant, Utensilien und die Decken. Glück im Unglück, könnte man sagen.«
»Nicht für das Pferd«, erwiderte sie trocken und richtete sich in eine sitzende Haltung auf.
»Haben Sie Hunger, Miss?«
»Vor allem Durst.«
Er nickte und hob das Kinn in Richtung einer Feldflasche, die zu ihren Füßen lag. Sie langte danach, schraubte den Deckel ab und trank.
»Mein Name ist Lassiter«, stellte er sich vor und drehte den Holzspieß über dem Feuer herum, um das Fleischstück zu wenden. Es zischte leise, als das Fett in die offenen Flammen tropfte. »Verraten Sie mir auch, wie Sie heißen?«
Sie rieb sich über die Stirn, bevor sie antwortete: »Madeleine. Madeleine Dupres.«
Lassiter beobachtete aufmerksam, wie der Braten über dem Feuer gegrillt wurde. Minuten vergingen, bevor er sich wieder zu Wort meldete.
»Okay, Miss Dupres. Und wie sind Sie in die Gewalt von Valentine Dobbs und seiner Bande geraten?«
Ihr Blick fiel auf ein Fladenbrot, das neben der Feuerstelle auf einer Ledertasche lag, und sie griff danach, riss ein kleines Stück ab und schob es sich in den Mund.
»Ein Überfall. Auf die Postkutsche nach Penderton. Das war vorgestern«, sagte sie und runzelte kurz darauf die Stirn.
»Glaube ich jedenfalls. Mir brummt immer noch der Kopf, als hätte sich ein Bienenschwarm darin verirrt... da waren noch zwei andere Passagiere in der Kutsche, ein älterer Gentleman und ein junger Bursche. Mr. Kensington und Robbie oder Toby – die und den Kutscher haben sie laufen lassen. Keine Ahnung, warum sie ausgerechnet mich verschleppt haben...«
Als sie Lassiters vielsagenden Blick registrierte, schluckte sie und wurde blass. Dann nickte sie und senkte den Kopf.
»Oder... vielleicht... hab ich doch eine Ahnung, weshalb.«
Mit großen Augen starrte sie über das Feuer hinweg Lassiter an. »Sie... haben mich gerettet, Sir. Ich weiß gar nicht, wie ich mich dafür bedanken kann.«
Er winkte ab. »Schon gut. Ich bin froh, dass ich rechtzeitig zur Stelle war.«
Nachdenklich musterte sie ihn und zögerte einen Moment, bevor sie sagte: »Sie waren diesem Dobbs auf der Spur, habe ich recht? Sind Sie ein Gesetzeshüter? Ich kann nämlich keinen Stern an Ihrer Brust entdecken.«
»So etwas Ähnliches«, erwiderte er ausweichend. »Aber es stimmt. Ich verfolge den Kerl seit ein paar Wochen, und...«
»... wäre ich nicht gewesen, hätten Sie ihn heute erwischt«, vollendete Madeleine Dupres den Satz und schürzte dabei zerknirscht die Lippen.
»Nicht Ihre Schuld, Ma'am«, brummte Lassiter, nahm den Spieß vom Feuer und legte ihn auf einen flachen Stein. Er zog ein Bowiemesser hervor und teilte das Fleisch in mundgerechte Stücke.
»Wie sieht's aus? Was essen?«, fragte er, und sie schnupperte.
»Riecht gar nicht mal übel – sagen Sie bloß, die Banditen hatten frisches Fleisch in ihren Packtaschen.«
Lassiter grinste schmal. »Das Frischfleisch diente eher dazu, die Taschen zu tragen, Miss Dupres...«
»Oh.«
Sie warf einen kurzen Blick zu dem toten Packpferd und verstand. »Nun ja, ich weiß nicht recht.«
Er legte ein paar der Fleischstücke auf einen Blechteller und hielt ihn ihr entgegen. »Besser, Sie essen etwas, damit sie bei Kräften bleiben.«
Achselzuckend erhob sie sich und nahm ihm den Teller ab. Es war ungewürzt und ein wenig angebrannt, zusammen mit dem Fladenbrot aber offenbar genießbar, denn sie langte ordentlich zu.
»Was haben Sie jetzt vor? Ich meine, wie kommen wir von hier weg?«, fragte sie Lassiter, nachdem beide ihre Teller geleert hatten. »Meinen Sie, die Pferde der beiden«, sie nickte in Richtung des toten Outlaws, der immer noch am Rand der Klippe lag, »befinden sich irgendwo in der Nähe?«
Lassiter schüttelte den Kopf. »So dumm ist Dobbs nicht. Er wird sämtliche Reittiere mit sich genommen haben.«
Er breitete eine Decke neben ihr aus, legte sich auf den Rücken und positionierte den erbeuteten Revolver dicht neben sich. Die Hände im Nacken gefaltet, starrte er eine Weile in den sternenklaren Himmel über sich, bevor er erklärte: »Die nächste Siedlung – Goblins Junction – liegt über zwanzig Meilen nordöstlich von hier. Zu Fuß bräuchten wir einen halben Tag dahin. Aber bis zur Kreuzung der Poststraßen sind es nur vier Meilen. Die nächste Postkutsche nach Penderton wird dort morgen gegen Mittag vorbeikommen.« Er zwinkerte ihr zu. »Bleiben also noch ein paar Stunden, um uns auszuruhen, bevor wir losmarschieren.«
»Heißt das, Sie wollen jetzt schlafen?«, fragte Madeleine ungläubig, doch Lassiter gab ihr bereits eine Antwort, indem er sich auf die Seite legte und die Augen schloss.
Sie zögerte einen Moment, doch der dauerte nicht allzu lange.
Als sie sich an Lassiters Rücken kuschelte und die Decke über sie beide breitete, brummte er: »Das ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, Miss Dupres.«
»Sie holen sich noch den Tod – so ohne Decke in der kalten Nacht«, flüsterte sie, »und mir ist so auch wohler. Haben Sie eigentlich keine Angst, dass Dobbs mit ein paar von seinen Leuten zurückkommt und uns im Schlaf überrascht?«
»Der Bastard wird eher zusehen, dass er keine sichtbaren Spuren hinterlässt und sich in seinen Schlupfwinkel zurückziehen. Er kämpft nicht gern mit offenem Visier. Eigentlich überlässt er das lieber seinen Kumpanen, so wie vorhin«, murmelte Lassiter, während Madeleines Hand sich auf seine Hüfte legte und kurz darauf weiter wanderte.
»Was soll das werden, Miss Dupres?«
»Ich möchte mich nur erkenntlich zeigen.«
»Das ist wirklich nicht nötig.«
»Ich denke doch. Schließlich haben Sie mir das Leben gerettet.«
»Keine Ursache, um...« Er ächzte leise, als ihre Finger seinen Schritt erreichten und beherzt zugriffen.
»Außerdem«, hauchte sie ihm ins Ohr, »will ich mich ja vielleicht nicht nur bedanken, sondern das ist nur ein Vorwand. Möglicherweise«, ihr Atem strich ihm heiß über das Ohr und brachte sein Blut in Wallung, »habe ich einfach nur Lust auf dich.«
Sie streichelte ihn und drängte sich an seine Kehrseite, was den Widerstand des Brigadeagenten rasch ins Wanken brachte.
Wenig später spielte auch die Kühle der Nacht keine Rolle mehr, als sie sich hastig von ihren Kleidungsstücken befreiten und übereinander herfielen.
Lassiter war ein wenig verblüfft angesichts von Madeleines Entschlossenheit, ihn zu verführen. Doch die wochenlange erzwungene Enthaltsamkeit ließ bei ihm keinen Raum, darüber groß nachzudenken. Die Verfolgung von Valentine Dobbs hatte ihm alles abverlangt und keine Gelegenheit gelassen, seine körperlichen Bedürfnisse zu befriedigen – sodass sie jetzt zu einer Begierde angewachsen waren, die sich haltlos Bahn brach.
Ihre Leidenschaft war derart ungestüm und heißblütig, dass er mitgerissen wurde wie Treibgut in einen Strudel der Ekstase, und alle widerstreitenden Gefühle lösten sich auf in überbordendem Verlangen.
Madeleine stöhnte auf, als er in sie eindrang. Ihr Körper drängte sich ihm entgegen und empfing ihn hingebungsvoll. Sie krallte ihre Finger in seinen Rücken wie eine Ertrinkende, die sich in wilder See an einen rettenden Mast klammert. Spitze Schreie der Lust entrangen sich ihrer Kehle, während er sich in ihrem Schoß auf und ab bewegte, schnell, leidenschaftlich und rücksichtslos in seiner wachsenden Ekstase. Ihr Seufzen und Keuchen befeuerten ihn, ließen ihn sämtliche Hemmungen vergessen, doch sie schien ihm im Tanz der Liebe durchaus gewachsen zu sein; nach einigen Versuchen gelang es ihr, ihn auf den Rücken zu zwingen, um auf seinen Lenden zu reiten und dabei den Rhythmus ihrer Bewegungen noch zu steigern.
Er griff nach ihren vollen Brüsten, liebkoste sie und warf den Kopf in den Nacken, während ihr kreisendes Becken ihn unweigerlich dem Höhepunkt entgegentrieb. Dabei spürte er kaum, wie sich ihre Finger in sein Brusthaar vergruben und dabei einiges davon mit der Wurzel ausrissen.
Der Orgasmus brandete fast gleichzeitig über sie hinweg wie eine Feuerwelle, und Madeleine warf sich auf seinen Brustkorb, schrie und stöhnte, bis sich ihr Körper endlich entspannte und reglos auf ihm zu liegen kam, als wäre der Moment der höchsten Lust zugleich ihr letzter gewesen.
Doch ihr heftig schlagendes Herz, das so vernehmlich an seine Rippen klopfte wie ein ungeduldiger Gläubiger, verriet ihm, dass die Frau nach wie vor sehr lebendig war.
Beide zögerten sie für eine Weile, sich voneinander zu lösen. Ihre innige Vereinigung schien die Zeit stillstehen zu lassen, und die Welt mit all ihren Dämonen blieb noch für ein paar Momente ausgesperrt.
Dann rang sich Madeleine zögernd dazu durch, sich über Lassiter zu erheben und auf den Rücken zu legen.
»Das. War. Groß. Artig.«
Lassiter schmunzelte angesichts der stockend hervorgebrachten Worte. »Kann ich nur bestätigen«, gab er zurück und rieb sich unbewusst eine Stelle über der rechten Brustwarze, die ein wenig schmerzte, als hätte ihn dort etwas gestochen. Er schob es auf die Haare, die Madeleine ihm im Liebeskampf ausgerissen hatte.
»Schlafen wir noch ein wenig?«, fragte sie, und er nickte, zog die Decke über ihre beiden nackten Körper und schloss die Augen.
Ohne zu ahnen, dass Madeleines Worte keinen Vorschlag darstellten. Und »ein wenig« als gehörige Untertreibung angesehen werden musste.
✰
Als Lassiter erwachte, wunderte er sich für einen benommenen Augenblick über die Dunkelheit, denn er hatte mindestens einen dämmernden Morgen erwartet, mehr noch hellen Sonnenschein.
Der muffige Geruch über Mund und Nase lieferte ihm eine Erklärung, und als er kurz darauf die Stricke um Handgelenke und Waden spürte, wurde ihm klar, dass etwas ganz und gar schief gegangen war.
Statt unter einer Decke lag er nun auf Holzplanken, die sich holpernd unter ihm bewegten. Die Ladefläche einer Kutsche, wie ihm sein zögernd zurückkehrendes Bewusstsein nach einer Weile vorschlug.
Er zerrte an den Fesseln und wand sich, was postwendend kommentiert wurde.
»Er ist wach«, stellte jemand über seinem Kopf – wohl vom Kutschbock herab – fest, während die Räder des Wagens über eine Bodenwelle sprangen und Lassiter dabei schmerzhaft durchgeschüttelt wurde.
»Ja, sieht so aus.« Diese zweite Stimme war weiblich, und Lassiter kannte sie.
»Was soll der Scheiß, Madeleine«, knurrte er durch den Stoff des Beutels hindurch, den man ihm über den Kopf gestülpt hatte.
Er hörte sie lachen, bevor sie ihm antwortete.
»Du hast noch ungefähr eine halbe Stunde Zeit, um darüber nachzudenken, Lassiter.«
Eine Reitpeitsche pfiff durch die Luft, und die Zugtiere legten an Geschwindigkeit zu.
Lassiter versuchte, auf der Ladefläche des Wagens eine Haltung einzunehmen, die nicht alle paar Sekunden sämtliche Knochen malträtierte. Ihm dröhnte der Schädel, und seine Zunge fühlte sich an, als hätte er damit die Bodendielen einer Bierschwemme abgeleckt.
Die warme Sonne deutete darauf hin, dass es schon Vormittag war, mindestens. Er musste stundenlang weggetreten gewesen sein. Dafür gab es nur eine Erklärung – diesem Luder war es irgendwie gelungen, ihn zu betäuben.
Die Schlussfolgerungen daraus gefielen ihm noch weniger: Madeleine war nicht die, für die sie sich ausgegeben hatte.
Und er hatte sich gehörig zum Narren gemacht.
Denn nun lag auf der Hand, um wen es sich bei der Frau in Not wirklich handelte – Ramira Santiago, die Gefährtin von Valentine Dobbs! Laut Brigade-Sieben-Dossier dunkelhaarig und burschikos, mit einer Vorliebe für Männerklamotten. Nun, er konnte der Beschreibung noch die Eigenschaften »Verwandlungskünstlerin« und »talentierte Schauspielerin« hinzufügen.
Blonde Haare, ein Kleid mit offenherzigem Ausschnitt und große, ängstliche Rehaugen – das hatte gereicht, um ihn zu täuschen. Ohne die Fesseln um seine Handgelenke wäre er versucht gewesen, sich selbst ein paar Ohrfeigen zu verpassen.
Und vielleicht war das nicht einmal sein einziger Fehler gewesen. Denn je länger er darüber nachdachte, was am gestrigen Abend passiert war, desto mehr glaubte er, dass Valentine ihn schon früher bemerkt haben musste.
Der Bandit hatte sich nämlich an einem Kreuzweg vom Großteil seiner Bande getrennt; ein halbes Dutzend der Gesetzlosen war mit der Beute aus dem letzten Überfall in Richtung Westen abgehauen, während Valentine und vier seiner Männer den Weg in den Wald gewählt hatten.
Lassiter war dem Boss der Outlaws auf den Fersen geblieben – und kurz darauf in einen Hinterhalt geraten. Er hatte sich den Weg freischießen müssen und Valentine auf der Lichtung stellen können.
Doch dort hatte der Hurensohn seinen Trumpf ausgespielt – die Pik Dame, die nicht zum ersten Mal Lassiters Achillesferse offenbart hatte – die allzu dominante Vorliebe für das schwache Geschlecht.
Immer mehr erschien es ihm, als wäre das eine sorgfältig ausgelegte Falle gewesen. Doch wozu diese Mühe? Warum hatten sie ihn nicht einfach umgelegt?
Darauf würde er vermutlich bald eine Antwort erhalten.
Die Kutsche kam etwa vierzig Minuten später zum Stehen, und als man ihm den Baumwollsack vom Kopf zog, sah er sich blinzelnd um.
Etwa ein Dutzend Gewehr- und Pistolenläufe waren auf ihn gerichtet.
»Zu viel der Ehre«, murmelte er und grinste humorlos.
Madeleine alias Ramira Santiago glitt geschmeidig vom Rücken eines schlanken Schimmels und klopfte sich den Staub von den Ärmeln. Sie hatte ihr Kleid gegen Wildlederhosen und ein schwarzes Kattunhemd eingetauscht, und an der Hüfte trug sie einen Revolvergurt, in dessen Holster ein langläufiger Schofield steckte.
»Bienvenido, Lassiter«, sagte sie, breitete spöttisch die Arme aus und schürzte dabei die Lippen zu einem durchaus charmanten Lächeln, bevor sie zwei Männern zunickte, die mit den anderen im Halbkreis um den Murphywagen herumstanden.
Die Kerle steckten ihre Revolver weg und packten Lassiter bei den Stiefeln, um ihn von der Ladefläche herunterzuziehen. Als er auf den Füßen stand, lösten sie die Fesseln um seine Beine, packten ihn unter den Achseln und führten ihn auf eine Blockhütte zu, die sich einige Schritte entfernt am Ende des Canyons befand.
Während er den Korridor der anderen Banditen passierte, die immer noch so wachsam ihre Schießeisen auf ihn richteten, als könne er im nächsten Moment jeden von ihnen gleichzeitig anspringen, sah der Agent der Brigade Sieben sich um.
Der Schlupfwinkel der Banditen befand sich in einer schmalen Schlucht. Schroffe Felswände stiegen ringsum gut und gern fünfzig Fuß hinauf empor, und der etwa zwanzig Yard breite und hundertzwanzig Yard lange Canyon war karg und trocken. Lassiter bemerkte mehrere Höhleneingänge links von sich, auf der anderen Seite waren Pferde in einem Corral eingepfercht.
Die Blockhütte befand sich an der Stirnseite des Canyons, beschirmt von ein paar dürren Kiefern. Sie schien nicht in bestem Zustand zu sein, doch warum auch. Die Gesetzlosen, die hier hausten, hatten kein Interesse an einem gemütlichen Heim. Ihr Schlupfwinkel diente lediglich als verschwiegener Rückzugsort, bei dem es vor allem darum ging, dass er schwer zu finden war.
Angesichts der wenigen Informationen, die Lassiter aus der Umgebung schließen konnte, erfüllte der Canyon dieses Ziel durchaus. Sie mussten sich weiter vom Schauplatz der gestrigen Auseinandersetzung entfernt haben, als er erwartet hätte.