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Die wilde Schießerei, die oben an Deck getobt hatte, schien vorüber, und nun drangen nur noch das Heulen und Brausen des Sturms an Natalie Crawfords Ohren. Bibbernd schlang sie die Arme um ihre nackten Schultern und starrte bangen Blickes zur Decke der fensterlosen Kabine hinauf, als plötzlich ein Ruck durch das Schiff ging und sie ins Taumeln brachte. Sie stieß mit der Hüfte gegen die Kante des Tischs und biss sich schmerzerfüllt auf die Unterlippe, während sie spürte, wie der Raddampfer sich träge um die eigene Achse drehte.
Natalie erblasste, als ihr klar wurde, dass das Schiff sich losgerissen haben musste und nun führerlos den Fluss hinabtrieb ...
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Seitenzahl: 149
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Die Flusspiraten von Natchez
Vorschau
Impressum
DieFlusspiratenvon Natchez
Die wilde Schießerei, die oben an Deck getobt hatte, schien vorüber, und nun drangen nur noch das Heulen und Brausen des Sturms an Natalie Crawfords Ohren. Bibbernd schlang sie die Arme um ihre nackten Schultern und starrte bangen Blickes zur Decke der fensterlosen Kabine hinauf, als plötzlich ein Ruck durch das Schiff ging und sie ins Taumeln brachte. Sie stieß mit der Hüfte gegen die Kante des Tischs und biss sich schmerzerfüllt auf die Unterlippe, während sie spürte, wie der Raddampfer sich träge um die eigene Achse drehte.
Natalie erblasste, als ihr klar wurde, dass das Schiff sich losgerissen haben musste und nun führerlos den Fluss hinabtrieb...
Natalie schob sich mit dem Rücken an der Kabinenwand entlang zur Tür und rüttelte an der Klinke, was völlig sinnlos war, denn sie fand sie natürlich immer noch fest verriegelt vor. Ihre Entführer hatten sie hier unten eingesperrt und sich seit Stunden nicht mehr blicken lassen. Während die Orkanböen draußen zugenommen hatten und der Regen prasselnd auf das Deck über ihr niederging und gegen die Seitenwände peitschte, hatte sie irgendwann schon geglaubt, die Outlaws hätten sich aus dem Staub gemacht und sie einfach ihrem Schicksal überlassen – bis sie vor einer Stunde durch lautes Geschrei eines Besseren belehrt wurde und kurz darauf ein Bleigewitter dem tosenden Unwetter Konkurrenz machte.
Der Boden schwankte unter ihren Füßen, als der Raddampfer heftig ins Trudeln geriet, und Natalie musste sich mit beiden Füßen zur Wand hin abstemmen, um nicht zu stürzen. Die Bodenplanken und Wandpaneele knirschten und ächzten, dann schien das Schiff sich wieder ein wenig zu stabilisieren.
Himmel! Wenn sich Sheriff Rawlins, dessen Deputies und die Banditen alle gegenseitig umgebracht hatten? Dann war der Raddampfer ihres Vaters, den die Gesetzlosen gekapert hatten, ein Spielball der Elemente und würde irgendwann unweigerlich auf Grund laufen oder gar an einem der Felsen, die südlich von Natchez in den Mississippi ragten, zerschellen. So aufgewühlt, wie der Ol' Man River in dieser Sturmnacht war, würde sie einen nassen, qualvollen Tod erleiden.
Sie öffnete den Mund, um nach Hilfe zu rufen, und schloss die Lippen sofort wieder. Wenn die Gesetzeshüter bei dem Feuergefecht siegreich gewesen wären, hätte sie dann nicht längst die Stimmen von Rawlins und seinen Deputies hören müssen, die nach ihr suchten? Und hätte dann nicht jemand das Steuer übernommen und den schlingernden Kahn wieder auf geraden Kurs gebracht?
»Lieber Gott«, schluchzte sie tonlos, »lass mich nicht hier drin sterben, ich flehe dich an!«
Ein markerschütternder Laut war die unvermittelte Antwort, und ihr blieb fast das Herz stehen. Das Geräusch schien tief aus dem Inneren des Schiffes zu kommen und klang in ihren Ohren wie das Brüllen eines sterbenden urzeitlichen Tieres, auch wenn es sich nur um splitterndes und brechendes Holz handeln mochte. Der Dampfer machte einen Satz, bockte wie ein Wildpferd, und Natalie wurde von den Beinen gerissen.
Sie landete unsanft auf dem Hintern, während der Bug des Schiffes sich hob und der Kabinenboden in Schieflage geriet. Natalie rutschte über die Dielenbretter und schlug unsanft mit dem Hinterkopf gegen die Tür. Sie stöhnte auf und spürte vage, dass sich ein Holzsplitter durch das dünne Gewebe ihres Strumpfs in die Wade gebohrt hatte. Benommen registrierte sie, wie die Stoffbespannung der gegenüberliegenden Kabinenwand sich dunkel verfärbte.
»O nein...«
Das Muster – französische Ornamente, dunkles Grün auf zartem Violett – begann, sich zu verzerren, als die Stofftapete sich vorwölbte.
»Nein...«
Die Blase wuchs und wuchs, dann platzte sie wie ein übervoller Ballon und entließ einen Schwall schmutzig braunen Flusswassers in die Kabine. Der Boden unter Natalie kippte abermals, diesmal nach rechts, und sie rutschte mit einem erschrockenen Schrei gegen die Außenwand. Das dunkle Loch in der Kabinenwand, das hinter der Tapete zum Vorschein gekommen war, schien höhnisch zu grinsen, während Wasser heraus schwappte und den Kabinenboden in Besitz nahm.
Aus allen Richtungen knarrte, ächzte und rumpelte der leckgeschlagene Dampfer nun wie ein Chorus tödlich verletzter Soldaten, und Natalie fürchtete, dass der Sturm das Schiff schon bald zerreißen würde.
Sie wollte um Hilfe schreien – nun war es ihr völlig egal, wer die Tür öffnen würde. Hauptsache, sie war nicht dazu verdammt, elend in ihrem Gefängnis zu ertrinken. Doch ihre Kehle schien wie zugeschnürt zu sein, und sie brachte kaum mehr als ein Röcheln zustande, das von der Kakophonie aus heulenden Sturmwinden, ächzendem Holz und wütend an die Bordwand klatschenden Wogen nahezu vollständig übertönt wurde.
»Miss Crawford? Natalie?«
Ungläubig weitete sich ihr Blick, als sie die volltönende Stimme im Gang hinter der Tür vernahm. Sie stemmte sich hoch und lauschte, wollte ihren Ohren nicht trauen.
»Miss Crawford? Sind Sie hier irgendwo? So antworten Sie doch!«
Sie lachte und weinte zugleich vor Erleichterung.
»Ich... ich bin... hier«, brachte sie schließlich mit Mühe hervor und schlug mit der Faust gegen die Tür, weil sie nicht sicher war, ob ihr Retter das kurzatmige Gestammel hatte hören können.
Feste Schritte näherten sich ihrem Gefängnis. Dann wieder die Stimme, diesmal ganz nah!
»Miss Crawford?«
»Ja, ja! Ich...«
»Treten Sie von der Tür zurück. Ich muss sie eintreten.«
»Okay...« Sie gehorchte, watete durch das trübe Wasser, das ihr mittlerweile bis über die Waden reichte und die Schuhe aus Wildleder zu schweren Gewichten machte. Ein Krebs trieb auf dem Wasser und schien mit seinen roten Scheren nach ihren Schienbeinen greifen zu wollen.
»Sind Sie von der Tür weg?«
Plötzlich glaubte Natalie, die Stimme des jungen Mannes zu erkennen.
»Sind Sie das, Deputy Martin?«
»In voller Größe, Ma'am.« Er hörte sich an, als würde er lächeln. »Vorsicht, ich komme jetzt zu Ihnen.«
Bereits der erste Tritt des Deputies brachte das Holz der Kabinentür zum Splittern, mit dem zweiten gab sie sich geschlagen – das Schloss brach aus seiner Fassung, und in dem Spalt tauchte das bärtige Gesicht von Roderick Martin auf.
Er musste sich kräftig gegen das inzwischen fast kniehoch in der Kabine stehende Wasser stemmen, bis es ihm gelang, die Tür vollends zu öffnen. Ungläubig registrierte Natalie, dass der Bursche tatsächlich ein schmales Grinsen zustande brachte, während er ihr die Hand reichte.
»Zeit, den sinkenden Kahn zu verlassen und sich ein trockenes Plätzchen zu suchen, Miss Crawford. Falls es Ihnen entgangen sein sollte – Gott hat sich mal wieder Mississippi ausgesucht, um seiner schlechten Laune Luft zu machen.«
Sie nahm seine Hand, unfähig zu einer Antwort, und er zog sie entschlossen mit sich durch den schmalen Gang und die steile Treppe hinauf.
Der Sturm schlug ihnen oben an Deck so heftig entgegen, dass Natalie um Atem ringen musste. Sie stieß mit den Füßen gegen etwas Weiches, und als sie zu stürzen drohte, fing Roderick Martin sie auf und hob sie kurzerhand empor. Wie ein Bräutigam seine Braut hielt er sie in seinen kräftigen Armen und trug sie über die Decksplanken, während Natalies entsetzte Blicke über die leblosen Körper wanderten, an denen sie vorübergingen.
Es musste ein Dutzend sein, wenn nicht mehr.
»Oh, mein Gott, Roderick«, stöhnte sie, »sind sie alle...?«
»Sie leben, Natalie. Nur das zählt jetzt«, brummte er, und sie blickte zu ihm auf, in seine angestrengten, von unterdrücktem Schmerz verzerrten Züge, während er sie schweren Schrittes zum Heck des havarierten Dampfers brachte.
Erst dort ließ er sie wieder auf eigenen Füßen stehen.
»Man könnte von Glück reden«, rief er gegen die Sturmböe an, die ihm das Haar zerzauste, und zeigte auf die Sandbank, die nah am Ufer lag und das ziellose Treiben des Schiffs aufgehalten hatte. »Aber das wäre wohl übertrieben. Trotzdem... wenn uns die Strömung noch eine halbe Meile weiter mitgerissen hätte, wären wir von den Klippen von Dreamers Edge willkommen geheißen worden.«
Natalie nickte nur, weil sie genau wusste, was er meinte, und warf einen Blick zurück auf das Deck des Raddampfers, der in Schräglage auf der Sandbank lag wie ein gestrandeter Wal. Martin bemerkte die Angst in ihren Augen und legte ihr die Hand auf die Schulter.
»Die Banditen sind tot, Natalie. Alle. Keiner kann Ihnen jetzt noch gefährlich werden.«
Ihre Augen waren große Kreise, als sie ihn anstarrte. »Aber was ist mit Sheriff Rawlins... und mit den anderen Deputies?«
Roderick Martin senkte den Blick, dann schüttelte er wortlos den Kopf. Natalie schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte auf.
»Jesus, Maria und Josef«, wimmerte sie, und er nahm sie tröstend in die Arme.
Als ihre Hände seinen Rücken berührten, zuckte er unmerklich zusammen, und sie löste sich von ihm, um zu Martin aufzuschauen, bevor sie spürte, dass ihre Finger sich klebrig anfühlten.
Sie hob die Hände vor die Augen und schluckte, als sie das Blut sah. Viel Blut.
»Roderick, Sie... sind verletzt...«
Sein Grinsen geriet ein wenig in Schieflage. »Nur ein Kratzer, Miss Crawford. Trotzdem denke ich, wir sollten allmählich zurück in die Stadt. Nicht dass ich mich nicht gern mit einer so schönen Dame wie Ihnen ganz allein an Deck eines Raddampfers unterhalte, aber...« Er wackelte mit den Augenbrauen, »vertagen wir das doch auf einen etwas lauschigeren Abend, wenn Sie erlauben.«
Sie stieß scharf die Luft aus, als der Deputy unvermittelt ins Straucheln geriet und nach der Reling greifen musste, um nicht einzuknicken.
»Bitte, Roderick! Sie... ich werde Hilfe holen!«
Er schüttelte den Kopf, und Natalie sah, wie er die Zähne zusammenbiss. »So leicht werden Sie mich nicht los, Ma'am«, knurrte er. »Wir gehen brav gemeinsam zurück. Bis Natchez sind es etwa vier Meilen, aber die Hütte vom alten Willy Crabbes ist nur eine halbe Meile stromabwärts.« Er straffte entschlossen die Schultern.
»Bis dahin schaffe ich's schon noch.«
Damit behielt Deputy Martin recht. Zu zweit kämpften sie sich durch den Sturm bis zur Hütte des alten Fischers, der die Schusswunde des jungen Mannes mit Angelschnur vernähte; eine Maßnahme, die Martin vermutlich das Leben rettete.
In der Morgendämmerung legte sich der Sturm, einer der heftigsten seit vielen Jahren, und offenbarte die Zerstörungen, die die Naturgewalten hinterlassen hatten, ebenso wie die Opfer der nächtlichen Auseinandersetzung zwischen den Gesetzeshütern von Natchez und der Bande von Outlaws, denen diverse Gazetten den martialischen Namen Kettenhunde verpasst hatten.
Und die nun offenbar ein für alle Mal ein blutiges Detail der Geschichte des Bundesstaates Mississippi geworden waren. Denn auf dem Wrack des Dampfers fand man zwölf tote Banditen; weitere sechs wurden wenige Tage später aus dem Mississippi gefischt.
Der Monate währende Terror hatte endlich ein Ende gefunden. Die Bande, die mit ihren Überfällen auf Frachtkähne, Raddampfer und selbst kleine Fischkutter die ganze Region in Angst und Schrecken versetzt hatte, war auf spektakuläre Art zur Strecke gebracht worden.
Doch der Preis dafür war zu hoch gewesen, um den Sieg des Gesetzes unbefangen feiern zu können.
Denn die finale Auseinandersetzung zwischen Outlaws und Sternträgern hatte auch auf der Seite der Guten einen hohen Blutzoll gefordert. Vier Deputies, mehrere Freiwillige und allen voran der altgediente Sheriff Rupert Rawlins waren im Kampf gegen die Kettenhunde getötet worden.
Roderick Martin, der die entführte Tochter des Bürgermeisters Leeland Crawford gerettet hatte, verweigerte sich den Reportern auch dann noch, als er seine schwere Schussverletzung überstanden hatte und allmählich genas. Auf Natalie, die ihren Retter regelmäßig besuchte und als einzige von ihm vorgelassen wurde, wirkte Roderick Martin schuldbewusst; fast, als schäme er sich dafür, nicht wie seine Kameraden von den Banditen getötet worden zu sein.
Doc Ludwig Baker, der Arzt, der den Deputy versorgte, erklärte der ratlosen jungen Frau, dass diese Reaktion auf die grauenvollen Ereignisse keineswegs ungewöhnlich war.
»Er versteht nicht, warum ausgerechnet er vom Schicksal verschont wurde, Miss Crawford. Das hält er für ungerecht und denkt, es nicht verdient zu haben, noch am Leben zu sein. Derartiges Verhalten habe ich auch im Bürgerkrieg oft erlebt.«
Natalie verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. »Aber er hat doch nichts falsch gemacht, Sir! Ganz im Gegenteil... die ganze Stadt feiert ihn als Helden, während Rod... ich meine, während Mr. Martin in seinem Bett liegt und sich die Schuld gibt für...« Sie zögerte, bevor sie dem Arzt fragend ins Gesicht sah, »ja, für was eigentlich?«
Baker hob die Achseln. »Es erscheint uns widersinnig, doch er hat tatsächlich ein schlechtes Gewissen, weil er am Leben ist und die anderen nicht.«
»Das ist falsch«, murmelte Natalie und strich sich dabei gedankenverloren eine Strähne ihres blonden Haars aus dem Gesicht, während sie zum Fenster hinaussah.
Der Arzt nickte nachsichtig, bevor er sich erhob. »Ihre Besuche tun ihm gut, Miss Crawford. Und irgendwann wird er hoffentlich darüber hinwegkommen.«
Natalie sah dem Doktor nach, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Dann erst nickte sie und murmelte: »Ich werde dafür sorgen. Ich werde für dich sorgen, Roderick...«
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»Das kann nicht dein Ernst sein!«
Wie von der Tarantel gestochen fuhr Leeland Crawford aus dem Lehnstuhl auf, und über dem Hemdkragen stieg eine ungesunde Röte am Hals empor in sein Gesicht, während er die Hände in die Hüften stemmte und seine Tochter entgeistert anstarrte.
»Hast du den Verstand verloren, Kind?«
Natalie, die ihm gegenübersaß, zog die Stirn kraus. »Ich habe zwar erwartet, dass du überrascht sein würdest, aber es gibt keinen Grund, mich derart anzufahren, Vater.«
Crawford rang mit den Händen und schüttelte den Kopf. »Ich denke doch. Und frage mich, was mit dir los ist. Grundgütiger, ich hätte es erkennen müssen... du bist ja fast an jedem Tag zu seinem Krankenlager gepilgert!«
Die Falte über Natalies Nasenwurzel vertiefte sich, und ihre hellblauen Augen funkelten unheilvoll.
»Rod hat mir das Leben gerettet, Dad – und dabei fast sein eigenes verloren. Hast du das etwa vergessen?«
»Wie könnte ich«, seufzte Crawford, »wenn du doch seit vier Wochen kein anderes Thema mehr kennst. Tagein, tagaus.«
»Er ist ein so... liebenswerter Mensch«, erwiderte sie, und ihre Züge entspannten sich ein wenig, »mutig und gleichzeitig so feinfühlig, witzig und tiefsinnig. Er kann mich zum Lachen bringen, obwohl er so gelitten hat und es immer noch tut, weil er sich Vorwürfe macht wegen Sheriff Rawlins und der anderen Deputies. Doch man kann auch ernsthafte Gespräche mit ihm führen, er macht sich viele Gedanken... über Gott und die Welt.«
Sie warf ihrem Vater einen vorwurfsvollen Blick zu. »Hättest du dir mal die Mühe gemacht, ihn zu besuchen und dich mit ihm zu unterhalten, wäre dir das auch nicht entgangen.«
Crawford presste die Lippen zusammen und ermahnte sich zur Ruhe. Weitere Ausbrüche würden seine Tochter auch nicht zur Vernunft bringen.
»Ich habe Mr. Martin sehr wohl aufgesucht und ihm meinen Dank ausgesprochen«, brummte er. »Außerdem habe ich seine Absicht, sich zum Sheriff wählen zu lassen, ausdrücklich unterstützt.«
»Das«, erwiderte Natalie, »war ja wohl das Mindeste. Und um zum neuen Sheriff von Natchez gewählt zu werden, hätte es deiner gütigen Fürsprache nun wirklich nicht bedurft. Wer sonst außer ihm hätte den Stern wohl bekommen sollen?«
»Ich bin der Letzte, der bestreitet, dass Roderick Martin sich Verdienste erworben hat.« Crawford stützte die Hände schwer auf die Tischplatte und nahm seine Tochter eindringlich in den Blick. »Aber ist das gleich ein Grund dafür, einer Schwärmerei nachzugeben und deine ganze Zukunft aufs Spiel zu setzen, Natalie? Martin ist sicherlich ein guter Kerl, nur...«
»Nur was? Nicht standesgemäß für die Tochter des reichen Plantagen- und Schiffsbesitzers? Weil er eine Vollwaise ist und in Armut aufwuchs?«
»Darum geht es doch gar nicht«, brummte Crawford.
»Ach nein?«
Natalie beugte sich angriffslustig vor. Als sich ihre schmalen Hände um die Stuhllehnen verkrampften, sah er etwas an ihrem linken Ringfinger aufblitzen und musste schlucken, weil ihm aufging, dass dieses Gespräch nur noch dazu dienen mochte, ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen.
»Worum geht's denn sonst? Ganz Natchez feiert Rod als Helden, vor drei Tagen wurde er mit nur einer Hand voll Gegenstimmen zum Sheriff gewählt. Und du hast es nicht mal für nötig gehalten, ihm zu gratulieren. Warum? Weil du nicht wahrhaben wolltest, dass deine Tochter sich in einen einfachen Burschen verliebt hat, der ihre Gefühle erwidert. Du hattest Angst davor, danebenzustehen, während wir unsere Verlobung bekanntgeben, um dann gute Miene zum bösen Spiel machen zu müssen, nicht wahr? Deshalb bist du der Versammlung gestern Abend ferngeblieben. Und nicht wegen einer«, sie rümpfte die Nase, »Magenverstimmung, wie Blakely behauptet hat – den du immer vorschickst, wenn es ums Lügen geht.«
Crawford holte tief Luft, bevor er die Hand hob und einen schwachen Versuch unternahm, seine Tochter zu beschwichtigen.
»Ich gebe ja zu, dass es andere Gründe gab, die mich davon abhielten, zu der Jubelfeier zu erscheinen. Aber du solltest mir wirklich mal zuhören, mein Kind...«
»Ich bin seit drei Monaten einundzwanzig, Vater. Kein Kind mehr, verstehst du? Ich treffe meine eigenen Entscheidungen. So wie die, mich mit Rod zu verloben.« Herausfordernd hielt sie ihm die Hand mit dem Verlobungsring hin wie einen Fehdehandschuh.
»Keine Sorge, das haben wir noch nicht öffentlich gemacht. Und zwar, weil Rod es nicht wollte, nur damit du das weißt! Er war es, der mich dazu drängte, erst mit dir zu reden. Und natürlich wünscht er sich deinen Segen, wie jeder anständige Mann sich die Zustimmung des Brautvaters erhofft.«
Natalie verstummte, sah ihn nur noch an, und Crawford begegnete ihrem Blick mit ergebener Miene, während das Schweigen im Raum sich immer schwerer auf seine Seele legte.
»Das bedeutet wohl, dass deine Entscheidung bereits gefallen ist«, stellte er fest und verzog die Lippen. »Wozu braucht ihr dann noch meinen Segen?«
Natalies Blick wurde um eine Nuance weicher, und sie trat einen halben Schritt auf ihn zu. »Du weißt genau, warum, Dad«, sagte sie leise. »Wie könnten wir guten Gewissens Hochzeit feiern, wenn du unsere Ehe nicht gutheißt?«
Er strich sich über die grauen Strähnen auf dem kantigen Schädel und rang sich ein Lächeln ab. »Also gut. Wer wäre ich, wenn ich dem jungen Glück im Wege stehen wollte?«
Natalie jauchzte erleichtert auf, eilte um den Tisch herum und fiel ihrem Vater um den Hals. Er tätschelte ihr den Rücken und war froh, dass sie seine sorgenvolle Miene nicht sehen konnte.
»Schon gut, Liebes«, brummte er und beschloss, schnellstmöglich ein Telegramm nach Washington abzusetzen.
Gut möglich, dass der Argwohn, den er Roderick Martin gegenüber hegte, nur in väterlicher Eifersucht begründet lag. Doch es konnte nicht schaden, dem Helden von Natchez ein wenig auf den Zahn fühlen zu lassen.
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