Lassiter 2557 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2557 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Sie hatten ihn zum Sterben hier heruntergestoßen. In einen Schacht so dunkel wie ein Grab.
"Kein Licht für die Toten", murmelte er, setzte sich mühsam auf und versuchte die lodernden Schmerzen in seinem Leib zu ignorieren. Als er sein Gewicht verlagerte, brach etwas knirschend unter ihm. Er tastete danach, fühlte... Knochen! Viele davon. Und noch etwas anderes: kleine, spitze Zähne, die sich in seine Finger gruben.
Ratten! Er grinste freudlos. Ratten bedeuteten einen Ausgang. Einen Funken Hoffnung. Wenn es hier herausschaffte, dann würde er diesen Bastarden einheizen, so wahr sein Name Sam Hughes war!


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Seitenzahl: 151

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Die Legende von Sam und Kate

Vorschau

Impressum

Die Legendevon Samund Kate

Sie hatten ihn zum Sterben hier heruntergestoßen. In einen Schacht so dunkel wie ein Grab.

»Kein Licht für die Toten«, murmelte er, setzte sich mühsam auf und versuchte die lodernden Schmerzen in seinem Leib zu ignorieren. Als er sein Gewicht verlagerte, brach etwas knirschend unter ihm. Er tastete danach, fühlte... Knochen! Viele davon. Und noch etwas anderes: kleine, spitze Zähne, die sich in seine Finger gruben.

Ratten! Er grinste freudlos. Ratten bedeuteten einen Ausgang. Einen Funken Hoffnung. Wenn es hier herausschaffte, dann würde er diesen Bastarden einheizen, so wahr sein Name Sam Hughes war!

In dem Schacht war es finster wie im Schlund eines Grizzlys.

Sam streckte die Arme aus, strich mit den Fingern über das Gestein. Kalt und feucht fühlte es sich an. Er fuhr über die unebene Fläche und suchte nach einem Spalt, einem Ausweg, irgendetwas. Seine Augen brannten von dem Versuch, die allgegenwärtige Schwärze zu durchdringen.

Rings um ihn... nichts als Dunkelheit. Dumpf erinnerte er sich, dass sie ihn durch einen Stollen gezerrt hatten, ehe sie ihn in die Tiefe gestoßen hatten. Er musste sich tief unter der Erdoberfläche befinden.

Lebendig begraben.

Ein Schauer rieselte zwischen seinen Schulterblättern hinab.

Nein! Noch war er nicht tot – und er würde diesen Bastarden ganz sicher nicht den Gefallen tun und hier unten sein Leben aushauchen. Er würde einen Weg zurück an die Oberfläche finden, und wenn er ihn sich mit den eigenen Händen schaufeln musste!

Plötzlich fühlte er etwas Rundes unter seinen Fingern... glatt und so groß wie ein menschlicher Schädel. Leere Augenhöhlen... ein kreisrundes Loch am Hinterkopf... Von einer Kugel? Sam ließ den Schädel fallen, als hätte er sich daran verbrannt.

Dieser arme Teufel war nicht am Sturz gestorben. So viel stand fest. Anscheinend war er nicht der Erste, der zum Sterben hier heruntergestoßen worden war.

»Ihr werdet euch noch wundern«, presste er hervor. Seine Stimme klang dumpf und fremd im Dunkel. Er biss die Zähne zusammen, stemmte sich vom Boden hoch und machte einen Schritt nach vorn.

Ein schrilles Quieken verriet, dass er auf eine Ratte getreten war.

Sein Herz wummerte jäh wie ein Vorschlaghammer.

Sam fluchte verhalten.

Jede Bewegung sandte glühende Blitze aus Schmerzen durch seine Brust. Er musste sich bei dem Sturz einige Rippen gebrochen haben. Auch sein rechtes Bein hatte etwas abbekommen. Jeder Schritt war wie ein Dolchstoß in seinen Knöchel. Er beugte sich nach unten, tastete nach seinem Bein und fühlte eine Schwellung, die keine Berührung vertrug.

»O verdammt«, stöhnte er und richtete sich wieder auf.

Es half alles nichts. Er musste hier weg, wenn er nicht warten wollte, bis ihn alle Kraft verließ und es überhaupt keine Hoffnung mehr für ihn gab. Also tastete er sich an der Wand entlang und ignorierte die Schauer, die ihm durch den Körper rieselten. Hier unten wurde es nie wärmer als sieben Grad. Kälter allerdings auch nicht.

Er schob sich weiter, bis er auf eine Öffnung stieß.

Ein Gang!

»Na also«, murmelte er. »Hier geht's raus.«

Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, tastete vor jedem Schritt, ob er festen Boden unter seinem Stiefel hatte. Auf keinen Fall wollte er unerwartet in ein Loch stürzen. Eine Hand behielt er zur Orientierung an der Wand, er strich über das Gestein wie über eine Landmarke.

Hin und wieder huschte etwas über seine Finger.

Lange, dünne Beine.

Bevor er es fortstreichen konnte, war es verschwunden.

Sam verlor jedes Zeitgefühl. War er erst Minuten hier unten? Oder schon Stunden? Die Außenwelt schien mit jedem Atemzug weiter wegzurücken. Als wäre er bereits kein Teil mehr davon.

Mit einem grimmigen Kopfschütteln drängte er den Gedanken beiseite und stapfte weiter.

Hin und wieder mischte sich das Fiepen einer Ratte in das Rieseln des Wassers, ansonsten war es hier unten so still wie in einem Grab.

Plötzlich fühlte Sam ein Drahtseil unter seinen Fingern.

Bergbau! Vor nicht allzu langer Zeit musste in diesem Stollen noch gearbeitet worden sein.

Vermutlich befand er sich in einer Mine, einer von vielen, die irgendwann aufgegeben worden waren, weil sie nicht genug einbrachten.

Ein paar Schritte weiter stieß er auf eine Winde. Seine Finger strichen über das geborstene Holz. Fast zärtlich berührte er das Zeichen menschlichen Lebens. Nein, er war noch nicht verloren. Andere waren vor ihm hier gewesen und wieder nach draußen gelangt. Es musste einen Weg geben, er brauchte ihn nur zu finden und dann... O nein! Nein! Plötzlich fühlte er einen Steinhaufen, tastete über Geröll und Abraum.

Ein Einsturz? Lag dahinter der Ausgang?

Fiebrig bückte er sich, fühlte, flehte.

Seine Hände wurden zu seinen Augen.

Er ertastete ein Loch an der Seite des Gerölls. Gerade groß genug, dass sich eine Ratte durchquetschen konnte.

Eine Ratte. Kein Mensch. Hier kamen und gingen sie also.

Nur für ihn gab es hier kein Fortkommen.

Ein Stöhnen entfuhr ihm.

Zu klein! Viel zu klein! Durch diese Öffnung würde er nicht einmal dann passen, wenn er nur aus ausgemergelten Gebeinen bestehen würde.

Wenn ihm nur Sprengpulver zur Verfügung stehen würde!

Gerade genug, um den Durchgang freizulegen!

Doch alles, was er besaß, war die Kleidung, die ihm mittlerweile in Fetzen vom Leib hing.

Plötzlich mutlos, lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Felswand. Sein Körper war mit blutigen Schnitten und blauen Flecken übersät. Jeder Inch brannte wie Feuer. Seine Rippen schmerzten bei jedem Atemzug. Und sein Knöchel pochte. Trotzdem hatte er noch Glück gehabt. Er hatte den Sturz hier herunter lebend überstanden. Doch was nun? Was nun?

Sam ballte die Hände zu Fäusten.

Wie sollte er sich aus seiner Lage befreien?

»Arrrgh!« Er stieß einen frustrierten Schrei aus.

Seine Stimme hallte von den Wänden wider.

Sam stieß seine Faust gegen die Felswand. Das hatte ihm dieser Hurensohn Crabtree eingebrockt. Nach außen hin gab der Unternehmer den piekfeinen Geschäftsmann. So vornehm und glatt wie ein mit Bienenwachs polierter Apfel war er. Aber drinnen, da war er wurmstichig durch und durch. Seine Minengesellschaft beherrschte die gesamte Region. Er verfügte über reichlich Macht und Geld – und er hatte keine Skrupel, beides zu seinem Vorteil einzusetzen.

William Crabtree hatte sich aus ärmlichen Verhältnissen hochgearbeitet, und das nicht nur mit nur mit netten Worten. Nein, er hatte getan, was er für notwendig hielt, ganz egal, ob es dem Gesetz entsprach oder nicht.

Sie hatten gewusst, dass er über Leichen ging – und trotzdem hatten sie ihn unterschätzt. Das rächte sich nun. Seine Handlanger hatten Sam weggeworfen wie Abfall. Sie dachten sicherlich, er wäre schon tot.

Nun, sie hätten besser ganze Arbeit geleistet, denn jetzt konnten sie ebenso wie ihr Auftraggeber nur noch auf die Gnade Gottes hoffen.

Gewiss nicht auf seine.

Er musste es zurück in die Stadt schaffen und Kate retten. Sie hatte noch keine Ahnung, in welcher Gefahr sie schwebte.

Und Lucy... seine süße Lucy. Würden sich diese Halunken etwa auch an sie halten? War ihr Leben ebenfalls bedroht? Zuzutrauen war es diesen Mistkerlen. Ein zweites Mal würde er sie sicher nicht unterschätzen. Nein, diesmal war er gewappnet.

Er musste es nur hier herausschaffen.

Dann konnte er ihnen die Hölle heißmachen – und bei Gott, das würde er auch tun. Keine Gnade mehr, keine Nachsicht. Die verdienten diese Bastarde nicht.

Sam stieß sich von der Wand ab und tastete sich weiter.

Nach ein paar Schritten stieß seine Stiefelspitze gegen etwas, das metallisch schepperte. Er bückte sich und stieß einen Triumphlaut aus. Er war auf eine Grubenlampe gestoßen! Einer der Bergleute musste sein Geleucht hier zurückgelassen haben. Doch der Hoffnungsstrahl erlosch so schnell, wie er aufgeglommen war, denn Sam besaß nichts, um die Lampe in Gang zu setzen.

Frustriert warf er sie von sich und stapfte weiter.

Vor ihm plätscherte Wasser.

Das Rauschen wurde mit jedem Schritt lauter, und die Luft wurde feuchter. Wie ein kühler Film legte sie sich auf sein Gesicht. Es roch nicht brackig, also floss es hier nur durch – und strömte irgendwohin.

Ein unliebsamer Verdacht beschlich Sam. Er war davon ausgegangen, dass die Mine aufgegeben worden war, weil sie keinen Ertrag mehr brachte, aber womöglich hatte er sich geirrt. Womöglich war einströmendes Wasser der Grund gewesen.

Und das war nicht gut. Ganz und gar nicht gut.

Vorsichtig tastete er sich weiter, bis das Wasser in seinen Ohren dröhnte und er mit dem Stiefel ins Nasse trat.

Er ging in die Hocke, tastete, tauchte seine Hand in kaltes Wasser ein. Es sprudelte gurgelnd an ihm vorüber.

Ein unterirdischer Fluss!

Sam sank das Herz.

Hier war sein Weg zu Ende!

Der Stollen mündete in dem Fluss, der wer-weiß-wohin führen mochte.

Aus und vorbei.

Es sei denn, er vertraute sich dem Fluss an. Mit etwas Glück würde ihn das Wasser ans Tageslicht bringen. Allerdings hatte sich die launische Lady Fortuna in den vergangenen Wochen immerzu gegen ihn gewendet. Was schiefgehen konnte, war auch schiefgegangen. Und das gründlich.

Wie die Dinge lagen, war es weitaus wahrscheinlicher, dass ihn der Fluss mitriss, unter Wasser drückte und er elendiglich ertrinken würde. Womöglich würde ihn die Strömung vorher sogar an den Felswänden zerschmettern. Und das alles ohne dass er noch einmal das Licht erblickte. Oder das Wasser sprudelte meilenweit durch eine Röhre im Gestein. Ohne Luft zum Atmen. Er würde elendiglich ersticken.

Ein Schauder fuhr dem jungen Rancher durch Mark und Bein.

Würde er es überhaupt merken, wenn er wieder ins Freie gelangte?

Nun, es gab nur einen Weg, um das herauszufinden...

Lieber saufe ich ab, als hier unten zu verrotten, dachte er grimmig. Ich muss es riskieren. Wenn ich es nicht tue, wird keiner diesem Mistkerl Einhalt gebieten. Dann werden noch mehr Menschen sterben. Viel mehr. Das darf nicht geschehen.

Er rückte näher an das Wasser heran und holte noch einmal tief Luft. Dann gab er sich einen Ruck und tauchte mit einem beherzten Satz in die Fluten ein.

Sogleich riss ihn die Strömung mit sich. Eine gewaltige unsichtbare Kraft zerrte an ihm, tauchte ihn unter und zog ihn mit sich in das eisige Dunkel...

Vier Wochen vorher

»Guten Abend, Hong Tian.« Sam musste den Kopf einziehen, um die Hütte zu betreten. Im Inneren roch es nach Rauch und etwas, das schwer zu benennen war, sich jedoch wie ein seifiger Film über Gesicht und Atemwege legte und ihn zum Husten reizte.

Der drahtige Chinese, der nun hinter dem Ladentisch auftauchte und sich freundlich verbeugte, schien sich an die dampfenden Schwaden im Inneren seiner Behausung gewöhnt zu haben. Ohne sich von dem Geruch stören zu lassen, wirbelte er mit einer geschäftigen Eile zu einem Regal und zog ein Paket heraus, das in braunes Papier gewickelt war.

»Ihre Wäsche, Sir.«

»Pünktlich wie immer. Ich danke Ihnen.« Sam warf einen Blick auf den Zettel, der an das Paket geheftet war. Die Rechnung war mit Schriftzeichen beschrieben, die ihm nicht geläufig waren. Das schadete aber nichts. Sam legte zwei Dollar fünfzig vor den Chinesen hin. Exakt so viel kostete es, ein Dutzend Wäschestücke säubern zu lassen. Ein Fünfzig-Cent-Stück legte er noch obendrauf. Hong Tian behandelte die Wäsche von der Hughes-Ranch bevorzugt und das sollte auch so bleiben.

»Danke, Sir.« Ein breites Lächeln kerbte das Gesicht seines Gegenübers. Die Münzen verschwanden im Handumdrehen in seinem Kittel. »Beehren Sie uns bald wieder.«

»Das werde ich machen.« Sam klemmte sich sein Paket unter den Arm, verabschiedete sich und verließ das Geschäft. Draußen stand der Buggy, mit dem er von der Ranch in die Stadt gefahren war. Zwei Rappen waren davor eingespannt. Brave Zugpferde, die gerade ihren Kopf über die Viehtränke senkten und Wasser aufnahmen. Sam lud das Paket auf und tätschelte den Tieren den Hals.

»So ist es brav«, murmelte er. Dabei schaute er sich nachdenklich um.

Dieses Viertel wurde überwiegend von Chinesen bewohnt. Ihre Häuser waren eingeschossig und reihten sich zu beiden Seiten der Straße dicht aneinander. Wobei Straße durchaus eine Prahlerei war, wenn man bedachte, dass das staubige Band kaum breit genug für einen Wagen war – geschweige denn für zwei. Neben einigen Wäschereien gab es hier auch Lebensmittelgeschäfte.

Hong Tian Wäscherei und Plätterei, stand auf einem Schild über dem Laden von Hong Tian. Ein Stück die Straße hinauf stieg dampfender Rauch aus einer Reisbraterei auf. Ein würziger Duft wehte heran. Der Magen des jungen Ranchers beantwortete ihn mit einem vernehmlichen Knurren und erinnerte Sam daran, dass er seit den gebackenen Bohnen am Morgen nichts mehr zu sich genommen hatte.

Womöglich sollte er einen Abstecher machen und etwas essen, bevor er heimfuhr? Nein, besser nicht. Seine Schwester würde ihm den Kopf abreißen, wenn er ihr Abendessen nachher nicht zu würdigen wusste.

Virginia City war eine Bergarbeiterstadt im Westen von Nevada. In einem einsamen Landstrich, in dem sich windzerzauste Kiefern an den trockenen Boden klammerten und Pfeifhasen und Graufüchse gute Nacht sagten. Die Stadt lag auf halber Höhe am steinigen Hang des Mount Davidson. In der klaren Luft Nevadas waren die Dächer schon aus fünfzig Meilen Entfernung zu erkennen.

Das Leben in der Stadt wurde von lebhafter Betriebsamkeit bestimmt. Während die eine Hälfte der Einwohner ameisengleich durch die Straßen schwärmte, arbeitete die andere Hälfte Hunderte Fuß unter der Erde in einem Netz aus Stollen, Schächten und Querschlägen. Bergarbeiter suchten hier ihr Glück oder wenigstens ein Auskommen. Von Zeit zu Zeit drang ein dumpfes Dröhnen durch das felsige Erdreich nach oben, ließ Tische rucken und den Eintopf in den Töpfen schwappen. Ein Nachhall der Sprengungen unter Tage.

An dem steilen Berghang hatte die Stadt eine Schräge wie ein Dach. Die Straßen erstreckten sich wie Terrassen übereinander. Sam lebte mit seinem Vater und seiner Schwester auf einer Ranch südwestlich der Stadt, und jedes Mal, wenn er heraufkam, beeindruckte ihn das weite Panorama aus Bergketten und Wüsten, das sich von dieser luftigen Höhe aus erkennen ließ.

Über Virginia City reckte der Mount Davidson seine graue Kuppel. Zu Füßen der Stadt spaltete ein zerklüfteter Canyon die Berge wie ein Tor in eine geheimnisvolle Wüste, durch die sich einem Silberfaden gleich ein Fluss schlängelte. Sam war mit seiner Familie aus Irland hergekommen, als er kaum auf der Welt gewesen war. Die grünen Hügel der Insel kannte er nur aus Erzählungen. Das hier war sein Zuhause, war es immer gewesen. Und hier wollte er eine eigene Familie gründen.

Eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages...

»He, Bursche!«, drang mit einem Mal eine tiefe Stimme zu ihm durch. Sie gehörte zu einem Hünen, dessen Gesicht aus nichts anderem als einem wild wuchernden schwarzen Bart zu bestehen schien. Zwischen den dunklen Haaren blickten graue Augen misstrauisch herüber. Seine Stimme knarzte wie ein alter Baum, der vom Sturm gebeutelt wird. Gekleidet war er in ein verwaschenes Hemd, Lederweste und Hosen von einer schier undefinierbaren Farbe. Er trug an jeder Hüfte einen Revolver und kam mit festen Stiefeltritten näher. »Kannst du mir helfen, Bursche?«

»Bursche?« Sam blickte sich um. »Meinen Sie mich, Sir?«

»Wen denn sonst? Etwa diese Reisfresser? Die verstehen mich ja doch nicht.« Der Schwarzbart winkte ab. »Ich suche den Chef dieser Betbude.«

»Wen genau meinen Sie damit?«

»Na, den Oberbeter. Den Telegraphen mit dem direkten Draht nach ganz oben.« Ein Finger reckte sich in den strahlend blauen Nevadahimmel. Die Augen seines Gegenübers funkelten vielsagend.

Plötzlich dämmerte es Sam. »Sie suchen den Prediger?«

»Na, das sag ich doch die ganze Zeit.«

»Reverend Hastings sollte in seiner Kirche zu finden sein.«

»Großartig. Und wo finde ich die?«

»Gehen Sie da vorn rechts die Straße hinunter, bis Sie zu Linettes Palace kommen. Dort biegen Sie links ab. Dann können Sie sie nicht verfehlen.«

»Hoffentlich. Er wird nämlich gebraucht. In der Miene gab es 'nen Toten. Der Boss sagt, unser Kanzelbruder soll ihn einschmieren.«

»Sie meinen, Reverend Hastings soll die letzte Ölung verabreichen?«

»So was in der Art.«

»Also lebt der Verletzte noch?«

»Gerade so. Wie 'n Huhn ohne Kopf. Das rennt noch in der Gegend rum, aber Leben kann man das nicht nennen.«

»Also ist er schwer verletzt? Wollen Sie dann nicht lieber Doc Claridge holen?«

»Der kann nichts mehr machen. Der Miner liegt unter 'nem Fuder Erzgestein begraben. Hat kaum noch einen heilen Knochen im Leib. Wär' keine Gnade, den zu retten, glaub mir. Außerdem hat der Boss nach dem Reverend verlangt.«

»Verstehe. Trotzdem wäre es kein Fehler, Doc Claridge dazu zu bitten. Vielleicht kann er noch etwas für den Unglücklichen tun?«

»Das werden wir wohl nie erfahren. Der Boss kriegt, was der Boss verlangt.« Sein Gegenüber zuckte mit den Achseln, murmelte einen Abschied und stapfte weiter.

Sam blickte ihm bestürzt nach.

Ein Unglück in einer der Minen also?

Schon wieder?

In den Crabtree-Stollen war es nicht geheuer. Dort ging ein Ungeheuer um, das den Arbeitern ihr Herz und ihre Seele raubte. So erzählten es sich die Leute abends am Feuer. Doch das waren nach Sams Ansicht nur Spukgeschichten. Nein, was die Männer in den Minen umbrachte, waren keine Geister und auch keine Zwerge aus fernen Ländern. Es war schlicht und ergreifend die Gier des Besitzers, der freiwillig keinen Cent herausrückte, um seine Minen sicherer zu machen.

Wozu sollte er auch?, dachte Sam bitter. Die Arbeiter strömen von überall her, weil sie auf das große Geld hoffen. Fällt einer aus, stehen schon zwei neue bereit, um auf ihre Posten nachzurücken. An fleißigen Händen herrscht kein Mangel. Nur an Sicherheit. Das kümmert Mr. Crabtree jedoch nicht.

Ein reicher Erzgang erstreckte sich in opulenter Länge von Nord nach Süd durch Virginia City. Zahlreiche Minen waren in der Umgebung erschlossen. Schon viele hatten hier ihr Glück versucht. Einem war Lady Fortuna tatsächlich hold gewesen: William Crabtree. Seine Mienen brachten ihm...

O verdammt noch mal!

Sam bemerkte aus dem Augenwinkel eine Bewegung. In eine Wolke aus duftigen roten Stoffen gehüllt, die mehr enthüllten als verbargen, schlenderte Lucy die Straße entlang. Eine Fülle brauner Locken ergoss sich über ihren Rücken. Und ihre roten Lippen waren stets bereit, sich zu einem Lächeln zu verziehen. Ein üppiger Busen wogte unter ihrem eng anliegenden Mieder. Ein Anblick, der ihm durch und durch ging. Und nicht nur ihm, wie es schien. Ein hagerer Chinese vertrat Lucy soeben den Weg und packte sie am Arm. Was er sagte, konnte Sam über die Entfernung nicht verstehen, aber Lucys gequälte Miene sprach Bände.

»He! Weg von ihr!« Sam spannte sich an und stürmte los. Er schob sich zwischen Lucy und den Fremden und funkelte sein Gegenüber an. »Lassen Sie die Lady in Ruhe, verstanden?«