Lassiter 2561 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2561 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Geduld zu bewahren war die größte Herausforderung, während die Entführer auf eine Gelegenheit zum Zuschlagen warteten. Denn Susannah Winterbottom, Tochter des britischen Botschafters, verließ das Gelände der diplomatischen Vertretung nur selten und niemals ohne ihre vier bewaffneten Leibwächter. Die Klatschpresse gab schließlich den entscheidenden Hinweis: Die Winterbottoms wurden auf einer Gartenparty erwartet, die der Bauunternehmer Hugh Bradstone veranstaltete. Der Ort, ein fast mauerloses Anwesen am Ufer des Anacostia River, und die Zeit, ein Sonntagabend, schienen ideal.
Dennoch verlief nicht alles so, wie die Gruppe der Regulatoren es zuvor geplant hatte. Aber für ihr Opfer war dieser Abend der letzte ihres Lebens - wie sie es bisher gekannt hatte.


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Seitenzahl: 151

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Zwei Mädchen namens Sue

Vorschau

Impressum

Zwei Mädchennamens Sue

Geduld zu bewahren war die größte Herausforderung, während die Entführer auf eine Gelegenheit zum Zuschlagen warteten. Denn Susannah Winterbottom, Tochter des britischen Botschafters, verließ das Gelände der diplomatischen Vertretung nur selten und niemals ohne ihre vier bewaffneten Leibwächter. Die Klatschpresse gab schließlich den entscheidenden Hinweis: Die Winterbottoms wurden auf einer Gartenparty erwartet, die der Bauunternehmer Hugh Bradstone veranstaltete. Der Ort, ein fast mauerloses Anwesen am Ufer des Anacostia River, und die Zeit, ein Sonntagabend, schienen ideal.

Dennoch verlief nicht alles so, wie die Gruppe der Regulatoren es zuvor geplant hatte. Aber für ihr Opfer war dieser Abend der letzte ihres Lebens – wie sie es bisher gekannt hatte.

»For God sake – Sue!«

Edwina Winterbottom stand mit in die Hüften gestützten Händen am Fuß der Treppe und schaute stirnrunzelnd zur Galerie hinauf. »Was treibst du denn noch? Dein Vater sitzt bereits seit zehn Minuten in der Droschke und wartet auf uns.«

»Ich komme sofort, Mutter!«, ließ die Tochter sich vernehmen, während Gerald, einer der vier Hausdiener, aus den Schatten neben der Treppe auftauchte und der Frau des Botschafters ihre Stola brachte. Edwina schaute ein wenig skeptisch drein, ließ sich den Stoff aber über die Schultern legen.

»Meinen Sie wirklich, das ist nötig, Gerry? Draußen herrscht immer noch eine Bruthitze, und selbst hier drinnen habe ich das Gefühl, zu schmelzen wie Eis in der Sonne.«

Gerald, der den Vergleich angesichts des Temperaments von Lady Winterbottom gar nicht so abwegig fand, deutete ein Nicken an.

»Am Flussufer ist es deutlich frischer als hier oben in den Heights, Mylady«, erwiderte er. »Außerdem schützt Sie die Seide vor den Mücken.«

Edwina verdrehte die Augen. »O Gott, wenn ich daran schon denke! Morgen werden wir alle aussehen wie diese Sahnebaisers mit roten Zuckerstreuseln, die sie in der Penn Vue verkaufen. Wie konnte ich nur zustimmen, dass wir der Einladung dieses...«, sie rümpfte ein wenig die Nase, »... Emporkömmlings folgen.«

Gerald enthielt sich einer Antwort und neigte nur abermals den Kopf, während hinter ihnen die Tür aufschwang und Duncan beim Eintreten pflichtschuldig den Zylinder abnahm.

»Entschuldigung, aber Lord Winterbottom hat mich gebeten...«

»Susannah!«

Gerald blinzelte ein wenig, weil Edwina Winterbottoms Stimme in dieser Tonlage aus kurzer Distanz nur schwer zu ertragen war. Schnelle Schritte erklangen dumpf auf dem dicken Teppich über ihnen, und als der Hausdiener aufschaute, sah er, wie die Tochter seines Herrn über die Galerie eilte und kurz darauf mit federleichten Sprüngen die Treppe herunter kam. Ihre Wangen waren gerötet, und sie trug ein aufgeregtes Lächeln auf dem hübschen Gesicht.

»Und? Wie sehe ich aus?«

Gerald verneigte sich tief und bemerkte: »Sie sind wunderschön, Miss Winterbottom. Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf...«

»Du hast meinen Lippenstift benutzt, junges Fräulein«, fiel die Lady ihm ins Wort und legte dabei die Stirn in Falten, doch man sah hinter der Strenge auch den Stolz auf ihre anmutige Tochter.

»Nur ein ganz wenig, Mutter«, schränkte Susannah ein und schlug schüchtern die Augen nieder. »Es ist doch ein Fest, oder? Da darf ich nicht daherkommen wie ein Aschenputtel.«

»Die hat hinterher den Prinzen bekommen, schon vergessen«, erwiderte Edwina, die Miene bereits wieder etwas milder. Gerald glaubte sogar ein kleines Lächeln zu erkennen. »Nicht die eitlen, herausgeputzten Stiefschwestern.«

»Aber... du hast das Kleid ausgesucht, und...«

»Ist ja schon gut, mein Kind«, unterbrach Edwina sie und winkte mit der Hand. »Jetzt raus mit dir, Vater wartet und wir sind spät dran.«

»Ja, Mutter.« Susannah huschte an Lady Winterbottom vorüber in ihrem schlicht-eleganten, aber äußerst züchtigen Kleid, das in Geralds Augen für eine Siebzehnjährige passend gewesen wäre, bei einer attraktiven jungen Frau, die bald ihren zwanzigsten Geburtstag feierte, allerdings ein wenig zu mädchenhaft aussah.

Natürlich behielt er auch diesen Gedanken für sich.

»Beten Sie für uns, Gerald«, sagte die Lady, und ihre verkniffene Miene ließ fast vermuten, dass die Bitte ernst gemeint war. »Ich hoffe nur, wir finden einen Grund, bis zehn Uhr den Rückzug antreten zu können. Spätestens dann besteht die Gefahr, dass die ersten Cowboys betrunken genug sind, um das ganze Grillfleisch, das sie in sich hineingeschaufelt haben, wieder von sich zu geben, und zwar in der falschen Richtung.«

Gerald, der selbst aus Wisconsin stammte, aus unerklärlichen Gründen aber von der Lady des Hauses immer noch für einen Briten gehalten wurde, lächelte beflissen darüber hinweg, dass für die Gattin des Botschafters auch nach fast zwei Jahren Aufenthalt in der Hauptstadt immer noch alle Bürger der Vereinigten Staaten entweder Rothäute oder Kuhhirten zu sein schienen und kulturell mit einem Briten in etwa zu vergleichen waren, als würde man sich einen römischen Senator neben einem Neandertaler vorstellen.

»Meine Gedanken sind bei Ihnen, Mylady«, sagte er mit einer Verbeugung und hob den Kopf erst wieder, als das Rauschen des Kleiderstoffs verklungen war und der Kutscher die Tür geschlossen hatte.

Duncan steuerte die Droschke auf kürzestem Weg von den Washington Heights hinab zur Fährstelle am Potomac, an der sie von einem kleinen Dampfer erwartet wurden. Doch selbst die zwanzig Minuten kamen Susannah wie eine Ewigkeit vor, weil sie von einem endlosen Sermon ihrer Mutter gefüllt wurden, die offenbar fest entschlossen schien, ihnen allen den Abend zu verderben, bevor er überhaupt wirklich begonnen hatte.

Susannah schaute hinaus auf die Straßen, an denen die ersten Laternen eingeschaltet wurden, während sie versuchte, Mutters Stimme und die vereinzelten Brummlaute auszublenden, mit denen Vater halbherzig den Anschein zu erwecken versuchte, er würde seiner Gattin zuhören.

Wie aufgeregt sie den Brief der Eltern empfangen hatte mit der Nachricht, dass sie sie endlich nachholen würden in die Neue Welt! Wochen waren noch vergangen, bis sie das Internat in Oxford endlich hatte verlassen dürfen und wenig später das Schiff gen Westen bestiegen hatte. Der salzige Duft des Meeres war ihr in die Nase gestiegen und hatte so verheißungsvoll nach Freiheit geduftet im Gegensatz zur muffigen Ödnis hinter den grauen Mauern der Schule für höhere Töchter, und auf der Reise nach Übersee hatte sie einen ganzen Stapel an Büchern verschlungen, um sich auf die neue Heimat vorzubereiten. Mark Twain, James Fenimore Cooper und den Prediger Edward Eggleston, der auf fesselnde Weise das Leben der Pioniere beschrieb.

Die Zukunft war ihr derart abenteuerlich, bunt und spannend erschienen, dass sie in mancher Nacht kaum ein Auge hatte zutun können und der Ankunft entgegenfieberte wie ein Gefangener der Entlassung aus einem dunklen Verlies.

Dabei war ihr schon im Hafen von Southampton nicht entgangen, dass die meisten Passagiere ein weit schlimmeres Los hinter sich ließen als sie. Die ausgemergelten Frauen mit Kindern in ihren Armen, die selbst zum Weinen zu erschöpft zu sein schienen, die jungen Männer mit ausdruckslosen, von tiefen Falten durchzogenen Gesichtern, die sie aussehen ließen wie ihre eigenen Väter – sie alle verbrachten die Überfahrt unter ihr in den Decks für die Minderbemittelten und durften kaum darauf hoffen, am Ziel mit offenen Armen empfangen zu werden.

Wobei sich auch für Susannah die Herzlichkeit der Begrüßung in Grenzen gehalten hatte, und der Rest ihrer Phantasien bald einer ernüchternden Realität hatte Platz machen müssen.

Im Hafen von New York war sie von einem äußerst ungeduldig wirkenden Angestellten der Botschaft in Empfang genommen und kurzerhand in den nächsten Zug nach Washington gesetzt worden. Unbegleitet – denn der junge Mann hatte offenbar noch andere Aufgaben zu erledigen – und ein wenig ängstlich in der Fremde hatte sie sich an einem Buch festgehalten, aber kaum zu lesen gewagt, weil mehrere der Passagiere im Abteil ganz offen Schusswaffen bei sich trugen und einige von ihnen, vor allem die männlichen, bärtigen, in Susannahs Augen so aussahen, als wären sie dazu entschlossen, sie auf sie zu richten, sobald sie eine falsche Bewegung machte und damit ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde.

Die Fahrt nach Washington schien ewig zu dauern, und als sie endlich aus dem Zug stieg, war der Anblick ihrer Mutter auf dem Bahnsteig wie eine Erlösung für sie.

Doch nach einer kurzen Umarmung und einem Wangenkuss schob Edwina sie wie ein kleines Kind in Richtung einer Gouvernante, erteilte Befehle an den Rest ihrer Entourage und marschierte dem Tross voran aus der Bahnhofshalle zu den beiden wartenden Kutschen.

Ihrem Vater begegnete Susannah erst fünf Tage später, während eines Abendessens mit einem Diplomatenehepaar aus Südamerika. Sue erinnerte sich nicht mehr, ob die beiden in seltsam bunten Kleidern steckenden Gäste aus Chile oder Argentinien stammten. Ihr Vater stellte sich hinter sie, legte ihr die Hände auf die Schultern und stellte sie stolz als seine »Tochter aus der Alten Welt« vor.

Hatte er etwa noch weitere Töchter – hier in der Neuen Welt? Susannah wusste nichts dergleichen, schloss aber nach drei Monaten in Washington fast nichts mehr aus.

Die Ehe ihrer Eltern schien jedenfalls nicht mehr von großer Innigkeit erfüllt zu sein – wobei ihre Mutter ohnehin nie besonders liebevoll mit ihrem Vater umgegangen war. Oder mit sonst einem menschlichen Wesen.

Da ihr Vater ein äußerst pflichtbewusster und fleißiger Mensch und daher ständig abwesend war, bestimmte ihre Mutter den Tagesablauf von Susannah. Was bedeutete, dass ihre Träume vom aufregenden neuen Leben sich in eine neue Version der Tristesse der Klosterschule verwandelten.

Mutter interessierte sich nicht für die Bedürfnisse und Interessen einer jungen Frau, legte aber Wert auf deren Erziehung; es gab Unterricht in Gesellschaftstanz, Klavier, Cello und Spanisch, Konversation und profanen Dingen wie Kleider- und Tischordnungen.

Susannah fiel es nicht schwer, all diese Informationen aufzunehmen, denn sie besaß ein helles Köpfchen – obwohl ihre Mutter das mangels Interesse nicht zu bemerken schien.

Stattdessen begegnete Lady Winterbottom der erblühenden Schönheit ihrer Tochter mit einer Mischung aus Stolz und Argwohn. Als sie Susannah an einem Vormittag lachen hörte und den Raum mit dem Flügel betrat, glaubte sie, einer verfänglichen Situation Einhalt gebieten zu müssen.

Susannah hatte vierhändig mit dem Lehrer, einem durchaus attraktiven Kanadier, eine Etüde gespielt, und die beiden hatten so viel Spaß gehabt, dass es in Edwinas Augen wohl Grund genug war, um den jungen Mann sofort zu feuern. Dabei war nichts zwischen ihr und Geoffrey vorgefallen, außer sittsamer Zuneigung und ihrer gemeinsamen Vorliebe für Schubert und Mozart.

Der Lehrer war von einer Lehrerin ersetzt worden, der knöchernen Miss Bergosian, und statt leichter Weisen musste Susannah sich jetzt komplizierte russische Kompositionen zueigen machen.

So verwandelte sich selbst das Pianospiel von einer der wenigen Vergnügungen in eine ungeliebte Pflicht.

Susannah war sich nicht sicher, glaubte aber, dass es ihr Vater war, der irgendwann endlich erkannte, wie unglücklich sie war in ihrem goldenen Käfig. Vielleicht wünschte sie sich auch nur, es wäre so.

Jedenfalls hatten die Eltern ihr Herz wieder zum Schlagen gebracht, als sie Susannah eröffneten, dass an diesem Sonntag ein großes Fest stattfinden würde, und sie mit ihren Eltern teilnehmen dürfe.

Ein Fest! Dutzende, womöglich hunderte von Menschen. Musik, Tanz, vielleicht ein Feuerwerk!

»Miss, Entschuldigung...«

Susannah fuhr erschrocken aus ihren Gedanken hoch und blickte auf eine Hand, die ihr entgegengestreckt wurde.

»Wir sind da.«

»Oh.«

Sie ließ sich auf den Steg helfen und nickte dem freundlich lächelnden Mann in einer Art Uniform zu, die mit dem glänzend weißen Stoff und den kupferfarbenen Knöpfen ein wenig an jene von Kadetten einer Marine-Akademie erinnerte. Nur trug ihr Helfer dazu dunkle Stiefel und hatte eine Haut, die so schwarz war wie Kohle aus Manchester.

Sie registrierte, dass ihre Eltern bereits einige Schritte vorausgegangen waren, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Die beiden unterhielten sich mit einem korpulenten Mann in einem blütenweißen Anzug, der maßgeschneidert sein musste, weil er seine ausladende Figur umfloss wie eine zweite, vorteilhaftere Haut.

»Wir haben uns sehr gefreut über die Einladung, Mr. Bradstone«, säuselte ihre Mutter in ungewöhnlich konziliantem Tonfall, wie Sue ihn bei ihr noch nie gehört hatte. »Was für ein prachtvolles Haus Sie da haben.«

Vater verzog die Lippen zu einem Lächeln, das seine Augen nicht erreichte, und drehte den Kopf zur Seite. Für einen Moment hoffte Sue, dass er sich zu ihr umdrehen würde.

Stattdessen griff er in die Seitentasche seines Smokings, holte ein Zigarettenetui hervor und schob sich einen Glimmstängel zwischen die Lippen. Einer der vielen Bediensteten, die wie emsige Bienen um die Gäste herum schwärmten, bemerkte es und gab ihm Feuer.

Susannah holte tief Luft und stellte fest, dass die Gerüche ihr gefielen. Salzwasser, blühende Sommerblumen vor der Balustrade der Terrasse und Fleisch über Holzscheiten aus Buchenholz.

Ihre Eltern nickten nachsichtig, als Mr. Bradstone mit einer entschuldigenden Geste in Richtung anderer Gäste deutete, und spazierten Seite an Seite über die Wiese in Richtung des Hauses. Dabei neigten sie die Köpfe einander zu, unterhielten sich vertraulich und schienen Susannah völlig vergessen zu haben.

»Alles in Ordnung?«, fragte der Schwarze neben ihr, und sie nickte.

»Klar, was soll denn sein?«, erwiderte sie ungerührt, entschlossen, sich keinen Anschein von Unsicherheit zu geben.

Als sie vom Landesteg auf den kurzgeschorenen Rasen trat, der jedem englischen Gärtner Respekt abgerungen hätte, war der vierschrötige Mr. Bradstone in seinem weißen Anzug bereits ein paar Schritte nach links marschiert, um sich dort mit einer Gruppe älterer Damen zu unterhalten, die sich im schwindenden Licht der Abendsonne an einer Partie Boule versuchten.

Susannah kam sich vor wie die Gestalt aus einem alten Kinderlied, die eine Tarnkappe trug und deshalb von niemandem bemerkt wurde. Am Ende des Stegs stand ein Tischchen mit gefüllten Sektkelchen parat. Sie nahm einen davon und trank, während sie den Blick über das weitläufige Anwesen wandern ließ.

Sollte es sich bei diesem Bradstone tatsächlich um einen Cowboy handeln, dann musste er wohl sehr viele Rinder durch die Prärien getrieben haben, um jetzt hier leben zu können wie ein Mitglied der Königsfamilie.

»Siehst du sie?«

»Jep. Seh sie.«

»Und wo?«

»Sie ist grad über den Steg gegangen, steht allein da rum und trinkt etwas.«

»Ihre Eltern?«

»Die sind weiter gegangen, hoch zum Haus.«

»Dann los. Es muss schnell gehen.«

Der Mann, der vorn am Bug des Kahns hockte, nickte, schob seinen verbeulten Hut in den Nacken, legte den Feldstecher beiseite und holte stattdessen eine Blendlampe hervor. Zweimal öffnete sich kurz die Klappe und gab ein Signal ab.

Einige Augenblicke verstrichen, bevor hinter dem Landesteg des Bradstone-Anwesens, gut hundert Yards nördlich, zweimaliges kurzes Aufflackern erkennen ließ, dass die Nachricht verstanden worden war.

Die Männer griffen nach ihren Gewehren und kletterten aus dem Kahn ans Ufer. Dabei mussten sie bis zu den Knien durch Wasser und Morast stapfen, was dem Hutträger nicht besonders zu gefallen schien, denn er brummelte und zeterte mit erstickter Stimme.

»Verdammt, Guy! Diese scheiß Mücken! Das ist einfach nur widerlich.«

Der andere stapfte zum Ufer hinauf, wandte sich um und reichte seinem Kumpan die freie Hand, um ihn unter die Schatten der Bäume zu ziehen.

»Worüber haben wir gesprochen, bevor wir ins Boot gestiegen sind, Dee-Dee?«, fragte er leise, aber eindringlich, als sie sich gegenüber standen.

Dee-Dee verzog die fleischigen Lippen unter dem ungepflegten Bart. »Bescheidenheit. Und Demut. Immer das höhere Ziel im Auge behalten.«

Guy nickte, schien aber noch nicht zufrieden, denn er stupste sein Gegenüber mit dem Gewehrlauf in den Bauch.

»Und was noch?«

Dee-Dee starrte ihn sekundenlang verständnislos an, bis Guy mit den Augen rollte.

»Disziplin«, zischte er ungeduldig und warf einen Blick durch die Bäume in Richtung des Anwesens. »Konzentriere dich gefälligst, sonst bringst du alles in Gefahr! Und denke immer daran, warum du hier bist, okay?«

»Ist klar, Guy«, brummte Dee-Dee ergeben, starrte dabei auf die Flinte in seinen Fäusten und hörte sich an wie ein Bengel, der zum hundertsten Mal dieselbe Ermahnung über sich ergehen ließ.

Geduckt gingen sie voran, bis sie die sorgfältig getrimmten Hecken erreichten, die die Rasenfläche vor der Villa begrenzten. Sie spähten über die akkurat geschnittene Kante des Buschwerks und erkannten, dass die meisten Gäste der Feier sich mittlerweile vom Ufersteg zurückgezogen hatten und auf dem Halbrund der Terrasse versammelten, hinter dem sich der zweistöckige, neugotische Bau des Gastgebers erhob; ein protziger Versuch, der altehrwürdigen Architektur auf der anderen Seite des Großen Teichs nachzueifern.

Am Landesteg befanden sich nur noch drei der Bediensteten von Bradstone in ihren albernen weißen Uniformen und passten auf die beiden motorisierten Boote auf, mit denen die Gäste des Unternehmers hergebracht worden waren.

Keiner der Angestellten trug eine Schusswaffe bei sich, und soweit Guy es überschauen konnte, entdeckte er auch bei den Gästen keine Schießeisen. Hugh Bradstone hatte aus seiner Abneigung gegen Bleispritzen nicht nur allen geladenen Gästen, sondern auch der Presse gegenüber keinen Hehl gemacht.

Was ein nicht unwesentliches Argument für die Gruppe gewesen war, diese Feier als Ort zum Zuschlagen auszuwählen.

Ihr Opfer befand sich etwas abseits des Stegs, stand scheinbar unschlüssig an einem Tisch und schaute den älteren Damen nach, die ihr Boulespiel beendet hatten und sich vom fülligen Hausherrn zur Terrasse führen ließen.

»Die steht immer noch da unten wie bestellt und nicht abgeholt«, knurrte Dee-Dee. »Warum legen die anderen nicht endlich los? Besser könnte es doch gar nicht laufen!«

Guy nickte. »Da hast du recht, Mann.«

Er hob sein Gewehr an die Schulter und schwenkte den Lauf über der Kante der Hecke nach links. Im Zielfernrohr erschienen die im Licht von Fackeln und Feuerschalen stehenden Feiergäste vor und auf der Terrasse, und seine Lippen verbreiterten sich zu einem düsteren Lächeln.

»Jetzt mach keinen Scheiß, Guy«, brummte Dee-Dee und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Keine Toten, die würden uns ins Unrecht setzen. Das hast du selbst gesagt, oder nicht?«

Das hatte er tatsächlich, obwohl es Guy im Abzugsfinger juckte, als der breite, blütenweiße Rücken von Bradstone im Fadenkreuz auftauchte.

»Ist ja gut«, knurrte er unwillig. »Behalte lieber das Mädchen im Auge.«

Er fragte sich noch, wo zum Teufel die anderen blieben, als es endlich losging.

»Ladys und Gentlemen!«

Der Mann trug eine weiße Uniform mit metallisch glänzenden Knöpfen, genau wie die anderen sechs, die gegenüber aus den Büschen traten und mit ausgreifenden Schritten über die Treppen an die Terrasse traten. Ihre Kleidung war der der Bootsmänner sehr ähnlich, zusätzlich trugen sie aber auch Karnevalsmasken vor ihren Gesichtern und hielten Gewehre in den Händen, die sie drohend schwenkten, während sie die Gäste der Feier auf der Terrasse zusammentrieben wie Cowboys eine Herde Vieh.

»Keine falsche Bewegung, wenn ich bitten darf! Bei diesen Waffen, die auf sie gerichtet sind, handelt es sich nicht um Spielzeug! Wenn niemand verletzt werden will, tun Sie einfach, was wir sagen: Auf den Boden, sofort!«