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Die Frau hatte ihn noch nicht bemerkt. Unbefangen watete sie in den Fluss, schöpfte mit einer Hand Wasser und benetzte sich damit. Die Tropfen glitzerten auf ihrer milchweißen Haut. Und der Wind spielte mit ihren Haaren, die vom satten Rotgold des Sonnenuntergangs über den Black Hills waren. Keinen Blick hatte sie für das hohe Büffelgras am Ufer. Oder für den Mann, der sich dazwischen verbarg.
Ein triumphierendes Grinsen huschte über sein narbiges Gesicht. An diesem Abend würde es kein Entkommen mehr geben. Lornas Schicksal war besiegelt. Sie wusste es nur noch nicht...
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Seitenzahl: 139
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Leg dich nicht mit Lorna an
Vorschau
Impressum
Leg dichnicht mitLorna an
Die Frau hatte ihn noch nicht bemerkt. Unbefangen watete sie in den Fluss, schöpfte mit einer Hand Wasser und benetzte sich damit. Die Tropfen glitzerten auf ihrer milchweißen Haut. Und der Wind spielte mit ihren Haaren, die vom satten Rotgold des Sonnenuntergangs über den Black Hills waren. Keinen Blick hatte sie für das hohe Büffelgras am Ufer. Oder für den Mann, der sich dazwischen verbarg.
Ein triumphierendes Grinsen huschte über sein narbiges Gesicht. An diesem Abend würde es kein Entkommen mehr geben. Lornas Schicksal war besiegelt. Sie wusste es nur noch nicht...
Dieser Mistkerl beobachtete sie. Schon wieder. Glaubte er wirklich, sie hätte seine hagere Gestalt zwischen dem Grün noch nicht entdeckt?
Lorna tauchte die Seife unter und rieb sich damit ein. Zwischen ihren Schulterblättern kribbelte es unangenehm, als wäre sie in ein Feld mit Brennnesseln geraten. Bucksley. Seine Blicke tasteten sie ab wie die Fühler einer Kiefernwanze. Was er sah, schien ihm zu gefallen, denn ein raues Stöhnen wehte von ihm herüber.
Lorna wusch sich gründlich mit dem letzten Rest Seife und warf sich schließlich in den Fluss, sodass das Wasser nach allen Seiten spritzte. Sie schwamm ein Stück hinaus, drehte sich auf dem Rücken und trat mit den Füßen aus, während sie in den blauen Montana-Himmel blickte.
Der Missouri war an dieser Biegung sanft wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. Das Wasser war, zumindest in der Nähe des Ufers, flach und floss so gemächlich dahin wie der Atem eines schlafenden Bären.
Lorna mochte diese Badestelle. Hier hatte ihr Vater ihr das Schwimmen beigebracht, als sie gerade laufen konnte. »Wir wollen nicht noch ein Kind an Big Muddy verlieren«, hatte er gesagt. Doch darum hätte er sich nicht sorgen müssen. Lorna liebte den Fluss und konnte sich im Handumdrehen über Wasser halten.
An diesem Tag hatte sie die große Wäsche gemacht. Stundenlang hatte sie geschrubbt und gespült. Nun lagen die Stücke zum Bleichen auf der Wiese hinter dem Ranchhaus. Sie würde sie später einsammeln und ordentlich falten. Jetzt wollte sie den Staub und die Hitze dieses Tages abspülen.
Allerdings hatte sie nicht mit ihrem Nachbarn gerechnet.
Blake Bucksley hatte sich mehr schlecht als recht im Gras verborgen und machte keinerlei Anstalten, sich wie ein Gentleman zurückzuziehen, der eine Frau beim Baden ertappt. Lorna schürzte die Lippen. Nun, man konnte ihrem Nachbarn allerhand nachsagen, jedoch nicht, dass er ein Gentleman war. Er hatte das Haus der O'Briens übernommen und die Familie an die Luft gesetzt, als diese ihre Schulden bei ihm nicht zurückzahlen konnten. Mit ihren fünf Kindern standen Molly und Ian O'Brien plötzlich mit leeren Händen da. Bucksley hatte sich in ihrem Haus breitgemacht und keinen Gedanken an die Familie verschwendet.
Lornas Vater hatte sie auf der Cargill-Ranch aufgenommen. Ian arbeitete mit den Pferden, und Molly half in der Küche. Arbeit gab es genug. Es mangelte eher am Platz, aber wie hatte Grandma immer gesagt? Geduldige Schafe passen viele an eine Wasserstelle. Wobei Geduld nicht Lornas hervorstechendste Eigenschaft war... Verdammt noch mal! Wollte ihr dieser Halunke eigentlich ein Loch in den Hintern starren? Lorna hatte sich im Wasser aufgerichtet und drehte sich nun zum Ufer um.
Eine hastige Bewegung verriet, dass sich ihr Nachbar abduckte.
Lorna schnaubte.
Die Ranch ihrer Familie lag idyllisch eingebettet in ein weites, grünes Land, durch das sich der große Strom zog wie ein alter Freund. Kiefernwälder und Grasebenen wechselten sich ab und färbten die Umgebung in allen Schattierungen von Grün.
In der Ferne graste eine Rinderherde, davor zogen Pferde gemächlich über einen Hügel, die Köpfe ins Gras gesteckt. Ein tiefer Frieden lag über der Ranch. Nichts verriet, dass die Kriegstrommeln immer lauter schlugen. Dass sich die Sioux mit ihren roten Brüdern zusammentaten und zum Kampf aufriefen. Wenn der losbrach, war es auch mit dem ruhigen Leben auf der Cargill-Ranch vorbei.
Daran wollte Lorna jetzt jedoch nicht denken. Sie mochte es nicht, sich mit vagen Wenns und Vielleichts abzuplagen, sondern konzentrierte sich lieber auf das Hier und Jetzt. Und das bedeutete Ärger, denn ihr Kleid lag am Ufer ausgebreitet.
Nur einen Steinwurf von ihrem Nachbarn entfernt.
Nun, sie würde einen Teufel tun und ihm ihre Verlegenheit zeigen.
Sie reckte das Kinn und schritt langsam aus dem Wasser an Land. Der Wind strich ihre über ihre nasse Haut und ließ sie frösteln. Sie spürte, wie sich ihre Brustwarzen zusammenzogen und aufrichteten. Ohne Eile hob sie ihr Unterkleid auf, schüttelte es aus und schlüpfte hinein. Danach streifte sie das Kleid über. Das weiche Leinen schmiegte sich an ihre feuchte Haut.
Sie knöpfte das Vorderteil zu und wollte sich gerade abwenden, als sich ihr Nachbar im Gras aufrichtete und mit einer Hand den Sitz seiner Hosen korrigierte.
»Guten Abend, Sweetheart«, sagte er mit einer Stimme, die sie an Fingernägel erinnerte, die über ein Waschbrett gezogen wurden. Tiefer, ja, aber die Wirkung war dieselbe: ein Schaudern.
»Bucksley«, sagte sie an zusammengebissenen Zähnen vorbei.
»Du bist eine verdammt schöne Frau, Lorna.«
»Sie haben sich ja ausreichend Zeit genommen, diesen Umstand zu prüfen.«
»Ist es dir aufgefallen, ja?« Sein Grinsen wurde noch eine Spur breiter. »Warum nehmen wir nicht zusammen ein Bad im Fluss? Ich bin sicher, mit mir zusammen würdest du es noch erregender finden.«
»Ich bin sauber genug, aber Ihnen käme eine Abkühlung gewiss gelegen.«
»Oh, eine Abkühlung hilft mit nicht, Süße. Ich bin entflammt von dir. Komm her...« Er packte sie ohne Vorwarnung am Arm und zerrte sie zu sich heran, dass ihr unwillkürlich ein Wehlaut entwich. Sein Mund suchte den ihren. Er roch nach Kautabak und schlechten Zähnen. Angewidert wandte sie den Kopf ab.
»Lassen Sie mich los, Bucksley.«
»Du musst dich nicht zieren. Nicht bei mir. Ich weiß, du brauchst es so sehr wie ich. Du Teufelsweib...« Seine Finger bohrten sich wie Stahlklammern in ihren Arm... und Lorna explodierte! Sie riss den freien Arm hoch und schmetterte ihm ihren Ellbogen gegen das Ohr. Er röhrte auf, halb vor Überraschung, halb vor Schmerz, und taumelte rückwärts. Sein Griff lockerte sich. Blitzschnell entzog Lorna sich ihm, wirbelte herum und schlang ihm einen Arm um die Kehle. In Gedanken sandte sie einen Dank an ihren Bruder, der ihr gezeigt hatte, wie wirkungsvoll ein Stoß gegen das Ohr sein konnte. Er machte einen Gegner benommen und verschaffte einem wertvolle Sekunden. Sekunden, die über Heil und Verderben entscheiden konnten.
Lorna schnürte ihrem Widersacher die Kehle zusammen.
»Singen Sie im Kirchenchor, Bucksley?«
»N-nein, verdammt«, stöhnte er.
»Das ist aber schade. Gleich würden Sie nämlich ohne Schwierigkeiten die hohen Töne treffen.« Mit diesen Worten rammte sie ihm ihr Knie in seinen Schritt.
Bucksley krümmte sich wie ein Taschenmesser. Er röhrte und stieß einen wilden Fluch aus. Sein Gesicht lief dunkelrot an und die Adern traten an seinen Schläfen zutage. Er drehte den Kopf, langsam wie ein Waldkauz, und stierte Lorna finster an.
Sie wappnete sich innerlich gegen einen zweiten Übergriff, aber ihr Nachbar hatte offenbar für den Augenblick genug. Wüste Verwünschungen gegen sie ausstoßend, wandte er sich ab und humpelte davon.
Lorna stieß den Atem aus und rieb sich über den Arm. Das würde einen blauen Fleck geben. Nun, von denen hatte sie schon einige gehabt. Das blieb auf einer Ranch nicht aus. Damit schlüpfte sie in ihre Stiefel und machte sich auf den Weg zurück nach Hause. Ein ausgetretener Pfad, der ursprünglich vom Wild benutzt worden war, schlängelte sich zwischen den Wiesen hindurch zum Ranchhaus.
Auf dem Vorplatz schwang sich einer der Cowboys gerade auf den Rücken von Thunder, einem Rotfuchs, der noch eingeritten werden musste. Billy war noch keine zwanzig, ein schlaksiger Bursche mit roten Haaren und roten Ohren, der sich noch beweisen wollte. Dies ausgerechnet auf Thunder zu versuchen, hielt Lorna für keine gute Idee, aber es war zu spät zum Eingreifen.
Der Hengst preschte augenblicklich los. Er buckelte und hatte seinen Reiter binnen eines Wimpernschlags abgeworfen. Mit einem dumpfen Laut landete Billy im Sand.
»Billy!« Lorna eilte zu ihm hinüber. »Geht es dir gut?«
Er rappelte sich auf und klopfte sich den Sand von der Weste. »Alles gut«, versetzte er. »Nur mein Stolz ist 'n bisschen angekratzt.«
»Thunder ist unberechenbar. Du hättest dir den Hals brechen können.«
»Dann hätten die anderen mich wenigstens respektiert.«
»Sie werden dich respektieren, Billy. Arbeit hart und verhalte dich anständig. Alles andere kommt mit der Zeit.«
»Wenn Sie das sagen, Miss.« Ein seliges Grinsen schlich sich auf sein Gesicht.
Lorna bewegte sich auf den Hengst zu, der unruhig tänzelte und stieg, als sie näherkam. »Ruhig, Großer. Ganz ruhig.« Sie breitete die Arme aus, murmelte beruhigende Worte und fasste den Hengst am Zügel.
»Siehst du das, Kleiner?« Sam, einer der älteren Cowboys, stützte einen Fuß am Gatter auf. »Die junge Lady ist mehr Mann als du.«
»Du hast es gerade nötig, Sam. Wer hat mich denn vorgeschickt?«
»Um Erfahrungen zu sammeln. Du solltest mir danken, Junge.«
»Mach ich später.« Schnaubend spuckte Billy etwas Blut aus. »Hab mir auf die Zunge gebissen.«
»Geh zu Molly und lass dir Tee mit einem ordentlichen Schuss Whisky geben«, riet Lorna ihm. »Der heilt vielleicht nicht, aber danach fühlst du dich besser.«
»Mach ich sofort, Miss.« Billy nickte eifrig und stiefelte davon.
»Der Junge ist Ihnen verfallen, Miss.« Sam stieß seinen Hut in den Nacken. »Wie wir alle.«
»Falls du auch auf Tee mit Whisky aus bist...« Lorna zog eine Augenbraue hoch.
»Das müssen Sie mir nicht zweimal sagen.« Sam grinste breit und stapfte los, dem Jüngeren zu folgen.
Lorna brachte den Hengst in den Stall und füllte seine Tränke mit frischem Wasser.
Als sie wenig später wieder ins Freie trat, kam ihr Vater aus dem Bunkhouse und winkte ihr. William Cargill war ein sehniger Mann mit einem Gesicht, in das Wind und Wetter tiefe Furchen gegraben hatten. Seine Haut war sonnengebräunt und bildete einen auffallenden Kontrast zu seinen blauen Augen.
»Da bist du ja, Liebes. Hast du deine Schwester gesehen?«
»Seit heute Mittag nicht mehr.«
»Sie ist also noch nicht aus der Stadt zurück? Allmählich mache ich mir Sorgen.«
»Sie kommt sicherlich bald. Vermutlich kann sie sich nur in Mrs. Emersons Laden wieder nicht von den Dime Novels losreißen.«
»Gut möglich«, sagte ihr Vater und schnaufte. »Ja, das ist gut möglich. Das Mädchen hat ständig die Nase in irgendwelchen Geschichten. Sie ist so eine Träumerin. Manchmal macht mir das Sorgen.«
»Daniel wird sie schon an die Zeit erinnern.«
»Wollen wir es hoffen. Dein Bruder soll mir nachher noch mit den Kälbern helfen.« Ihr Vater bedachte Lorna mit einem nachdenklichen Blick. »Ist alles in Ordnung? Du wirkst etwas erhitzt.«
»Mir geht es gut. Ich bin unterwegs nur Mr. Bucksley begegnet.«
»Und das hat dich aus der Fassung gebracht? Seid ihr beide... nun... Falls dem so ist, sollst du wissen, dass ich nichts dagegen hätte. Ich meine, wenn du ihn...«
»Nein«, unterbrach Lorna ihren Vater, bevor er den Satz zu Ende bringen konnte. Sie riss die Hände nach oben, was ihr Vater mit einem irritierten Blick quittierte.
»Wäre das denn so abwegig? Er ist vermögend und sehr interessiert an dir. Das kann man deutlich sehen. Er lässt kaum einen Blick von dir. Du könntest es schlechter treffen.«
»Mr. Bucksley mag reich sein, aber wenn auch nur die Hälfte der Gerüchte stimmt, die man sich über ihn erzählt, dann klebt Blut an seinem Geld. Und an seinen Händen. Bevor ich mich von ihm anfassen lasse, treibe ich es lieber mit einem stinkenden Kojoten.«
»Lorna!« Ihr Vater sah sie schockiert an.
»Er ist kein anständiger Mann, Pa.«
»Aber er versteht sich darauf, seinen Besitz zusammenzuhalten. Das ist für einen Rancher eine wichtige Eigenschaft. Es ist nicht das Problem, an Geld oder Land zu kommen – es zu behalten, darin besteht die Kunst. Und darin ist Bucksley ein Meister. Anderen rinnt ihr Vermögen durch die Finger wie Sand, er mehrt es. Das nimmt mich für ihn ein.«
»Das macht ihn noch lange nicht zu einem guten Rancher.«
»Aber zu einer guten Partie.«
»Wir brauchen sein Geld nicht. Daniel wird die Ranch übernehmen. Ich denke ganz sicher nicht an eine Verbindung mit Bucksley.« Lorna stülpte die Lippen vor.
»Du musst ihn nicht heiraten«, begütigte ihr Vater. »Ich wollte dir nur eine Option aufzeigen und... Warte, wer kommt denn da zu uns raus? Deine Geschwister? Nein, es ist nur ein einzelner Reiter.« Er kniff die Augen gegen das Licht der tief stehenden Sonne zusammen.
Lorna blickte sich um und entdeckte den Reiter, der sich langsam dem Ranchhaus näherte. Er war allein. Sein Gesicht war unter dem Stetson nicht zu erkennen. Er beugte sich so tief über den Rücken seines Reittiers, als könnte er sich kaum im Sattel halten. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihr aus.
Sein Pferd... ein Rappe... ihn erkannte sie sogar über diese Entfernung.
»Es ist Daniel, aber warum kommt er allein zurück?« Sie schnappte nach Luft. »Wo ist Clara?«
✰
»Daniel!« Lorna raffte ihren Rock und rannte ihrem Bruder entgegen. Hinter ihr knirschten feste Stiefeltritte und verrieten, dass ihr Vater folgte.
Ungefähr einhundert Yards vom Haus entfernt kippte ihr Bruder seitlich weg und sackte von seinem Pferd. Mit dem Gesicht nach unten blieb er liegen. Reglos, als wäre alles Leben aus ihm gewichen. Sein Rappe trottete noch ein paar Schritte weiter, ehe er stehenblieb und den Kopf ins Gras steckte.
»Was ist mit dir?« Lorna sank neben ihrem Bruder auf die Knie. Sie packte ihn bei den Schultern, drehte ihn herum – und blickte in ein völlig verwüstetes Gesicht. Es war tiefblau verfärbt, die Augen zugeschwollen. Blutige Risse zogen sich über seine Haut. Hemd und Weste hingen in Fetzen an ihm herunter, dunkelrot, als hätte er in seinem Blut gebadet. Das war jedoch noch nicht das Schlimmste.
Jemand hatte ihm die Ohren entfernt.
Abgeschnitten. Anstelle der Ohrmuscheln klafften nun zwei blutige Löcher.
Lorna kämpfte gegen den Brechreiz an.
Um sie herum verschwamm plötzlich alles.
Ihr Bruder stammelte etwas, das nicht zu verstehen war.
»Bringen wir ihn ins Haus.« Die Stimme ihres Vaters klang dumpf, als würde sie vom Grund des Ziehbrunnens heraufdringen. »Schnell!«
Ein sanfter Stoß in ihren Rücken brachte sie wieder zu sich.
Während ihr Vater die Arme ihres Bruders packte, nahm sie die Beine. Gemeinsam schleppten sie Daniel ins Haus. Sie brachten ihn in die Küche, wo ihre Mutter am Herd hantierte und beim Anblick ihres Sohnes entsetzt aufschrie.
»Mach den Tisch frei«, knurrte Lornas Vater.
Sie zögerte nicht, fegte mit einer Hand Teller und Besteck zur Seite.
Lorna und ihr Vater legten Daniel auf dem grob gezimmerten Tisch ab.
»Wir brauchen heißes Wasser und Tücher. Verdammt viele Tücher.« Ihr Vater beugte sich über Daniel, riss Weste und Hemd auf und stöhnte verhalten.
Unter dem Stoff zeichneten sich tiefe Schnitte ab.
Jemand hatte ihren Bruder mit einer Klinge gezeichnet.
Während ihre Mutter Wasser aufsetzte, holte Lorna eilig Tücher. Dabei wirbelten ihre Gedanken durch ihren Kopf wie aufgeschreckte Wiesenlerchen. Jemand hatte ihren Bruder verstümmelt. Aber warum? Warum? Und ihre Schwester! Was war mit Clara geschehen? Sie waren zusammen unterwegs gewesen und nun... Lorna stöhnte verhalten.
Sam schien das Verhängnis bemerkt zu haben, denn er schaute herein.
Ein Blick auf ihren Bruder ließ den Cowboy erbleichen.
»Was braucht ihr?«
»Reite los und hol Doc Miller.«
»Bin schon unterwegs.« Sam stülpte seinen Stetson auf und stapfte davon.
Lorna presste zwei Tücher auf die Ohrlöcher ihres Bruders. Er hatte schon viel zu viel Blut verloren. Das musste aufhören!
Ein Zittern lief durch ihn. »Tut... leid«, murmelte er. »Konnte nicht... beschützen.«
»Daniel?« Lorna brachte ihr Ohr näher an seinen Mund. »Ist schon gut. Du bist zu Hause. Wir kümmern uns um dich. Kannst du mir sagen, was passiert ist? Wo ist Clara?«
»Die... haben sie.«
»Die?« Eine kalte Hand schien nach ihrem Herzen zu greifen. »Wer sind die?«
»Wir wurden... angegriffen«, brachte er stockend heraus. »Vor der Stadt.«
»Von wem? Daniel? Wer hat euch angegriffen?«
Ihr Bruder nuschelte etwas, dann sackte sein Kopf zur Seite.
Er hatte die Besinnung verloren.
Lorna presste die Lippen zusammen.
Ihre Mutter war schon dabei, die Schnitte auf seiner Brust auszuwaschen und zu verbinden. Blass war sie, als wäre sie es, die reichlich Blut verloren hatte. Sie sagte kein Wort. Dafür liefen ihr die Tränen über die Wangen.
Ihr Vater blickte auf Daniel hinunter und rieb sich das bärtige Kinn. Er wirkte so ratlos, dass sich Lornas Magen in einen kalten Klumpen verwandelte.
Wenn sich Sam bloß beeilte und Doc Miller herschaffte!
Ihr Vater stieß hörbar den Atem aus. »Sioux«, murmelte er. »Das waren die verdammten Sioux!«
»Was?« Lorna riss den Kopf hoch. »Wie kommst du darauf?«
»Ich habe diese Art von Verstümmelung schon gesehen. In einem Goldgräberlager oben in Hells Bluff. Die Krieger hatten ein ganzes Camp niedergemacht. Ist viele Jahre her, aber den Anblick vergesse ich nie.«
Sioux.