Lassiter 2598 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2598 E-Book

Jack Slade

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Abendsonne goss ihr weiches Licht über Montana aus. Die Pryor-Villa auf ihrem Hügel oberhalb der Stadt Bozeman profitierte stets am längsten davon. Während sich unten die Straßen schon mit beginnender Dunkelheit füllten, erstrahlte die prachtvolle weiße Villa im goldenen Schein des sinkenden Feuerballs.
Bernice Pryor machte es sich im Liegestuhl auf der Veranda gemütlich. Sie hatte die Rückenlehne halb aufgerichtet und nippte an ihrem eisgekühlten Likörwein. Vor dem Gartentor hielt ein schwarzglänzender Landauer mit zwei prachtvollen Rappen im silberbeschlagenen Geschirr. Der Kutscher war in einen schwarzen Gehrock gekleidet. Der Passagier trug einen vornehmen hellgrauen Sommeranzug, dazu weiße Gamaschen, braune Maßschuhe und eine rote Seidenkrawatte zum weißen Hemd. Beim Aussteigen wehte sein Jackett hoch und ließ einen Revolverkolben im Gürtelhalfter erkennen...


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 142

Veröffentlichungsjahr: 2022

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Montana Mafia

Vorschau

Impressum

MontanaMafia

Die Abendsonne goss ihr weiches Licht über Montana aus. Die Pryor-Villa auf ihrem Hügel oberhalb der Stadt Bozeman profitierte stets am längsten davon. Während sich unten die Straßen schon mit beginnender Dunkelheit füllten, erstrahlte die prachtvolle weiße Villa im goldenen Schein des sinkenden Feuerballs.

Bernice Pryor machte es sich im Liegestuhl auf der Veranda gemütlich. Sie hatte die Rückenlehne halb aufgerichtet und nippte an ihrem eisgekühlten Likörwein. Vor dem Gartentor hielt ein schwarzglänzender Landauer mit zwei prachtvollen Rappen im silberbeschlagenen Geschirr. Der Kutscher war in einen schwarzen Gehrock gekleidet. Der Passagier trug einen vornehmen hellgrauen Sommeranzug, dazu weiße Gamaschen, braune Maßschuhe und eine rote Seidenkrawatte zum weißen Hemd. Beim Aussteigen wehte sein Jackett hoch und ließ einen Revolverkolben im Gürtelholster erkennen ....

Als der elegante Mann auf die Pforte neben dem Gartentor zutrat, zog er seinen weißgrauen Zylinder, verneigte sich und winkte zur Veranda herauf. Sein Kopf sah kantig aus, war von einer Matte aus rostfarbenem Borstenhaar bedeckt. Das bartlos glatte Gesicht wies keinerlei Unregelmäßigkeiten auf. Die Augenfarbe war undefinierbar zwischen Blau und Grau angesiedelt.

Weil die Entfernung nicht mehr als einen Steinwurf betrug, brauchte der Mann seine Stimme kaum zu erheben, als er rief: »Ist es erlaubt, näherzutreten, Madam? Mein Name ist Lawrence Grayhan. Sicher erinnern Sie sich, dass ich meinen Besuch angekündigt habe.«

»Kommen Sie rein«, antwortete Bernice gespielt gleichmütig. Nachdem der Besucher seinen Zylinder wieder aufgesetzt hatte, eingetreten war und sich mit Elan auf dem Gartenweg näherte, lächelte sie spöttisch herablassend und fügte hinzu: »Seien Sie gewarnt, falls Sie vorhaben, mich zu überfallen. Ich beschäftige einige äußerst effektive Leibwächter.«

Grayhan lachte. »Ich sehe keinen!« Er behielt den Schwung seiner Schritte bei. Seine Bewegungen wirkten elastisch, und aus der Nähe betrachtet war er schlank, mit wohlproportioniert breiten Schultern.

»Gute Bodyguards«, belehrte ihn Bernice mit erhobenem Zeigefinger, »zeichnen sich dadurch aus, dass man sie nicht sieht – sondern spürt. Idealerweise erst dann, wenn es für den Betroffenen zu spät ist.«

»Ist das so?« Grayhan tat erstaunt und blieb vor der Stufe zur Veranda stehen. Er verbeugte sich, wobei er den Zylinder zog und in einem respektvollen Abwärtsbogen schwenkte. Er straffte seine Haltung und blickte zu der Lady auf. »Und der Betroffene wäre in diesem Fall ich? Also der, den eine Kugel aus dem Nichts niederstreckt?«

Die Hausherrin nickte. »Ja, wenn Sie die Voraussetzungen erfüllen.«

»Und woran erkennen Ihre Leibwächter das?«

»Daran, dass Sie mich überfallen.«

Grayhan lachte erneut. »Sie werden es nicht glauben, aber genau das habe ich tatsächlich vor.« Amüsiert beobachtete er, wie Bernice Pryors Miene versteinerte. Rasch ergänzte er: »Ich überfalle Sie mit einem Geschäftsvorschlag. Oder besser: Ich mache Ihnen ein Angebot, das Sie nicht ablehnen können.«

Die Gesichtszüge der Villenbesitzerin entspannten sich. »Das klingt schon anders, Mr. Grayhan. Allerdings – ob ich ein Angebot annehme, entscheide immer noch ich.« Beim letzten Halbsatz verhärteten sich ihre Züge wieder.

Bernice Pryor war eine äußerst attraktive Frau, noch dazu in einem Alter, das ihre reife Schönheit mit einem Eindruck von Jugendlichkeit verstärkte. Sie trug ihr langes brünettes Haar im Nacken hochgesteckt, und die freie Stirn und der zarte Schläfenbereich betonten die bernsteinfarbene Leuchtkraft ihrer Augen.

Ein Hausanzug aus hellbrauner Seide umfloss Beatrices schlanke Figur. Im Spiel von Licht und Schatten vermittelte die Wärme der flach einfallenden Sonnenstrahlen zugleich eine verlockende Andeutung der vollendeten Weiblichkeit ihrer Körperformen. Ihre Mokassins aus naturfarbenem Wildleder waren pelzgefüttert und ein unübersehbarer Hinweis darauf, dass ihre Trägerin in den entspannten Stunden vor dem Schlafengehen keine anderen Schuhe mehr tragen würde.

Grayhan lächelte, um Bernices Freundlichkeit zurückzugewinnen. »Mich hat es aus New York hierher verschlagen, wie Sie vielleicht wissen«, sagte er mit einer Stimme, die wie geölt klang. »Von meinen sizilianischen Geschäftsfreunden dort an der Ostküste habe ich ein paar Redensarten übernommen, die eigentlich dazu gedacht sind, die Stimmung zwischen Verhandlungspartnern aufzulockern.«

»Ach!« Bernice hob die Augenbrauen. »Iren und Italiener – wie passt denn das zusammen?«

Grayhan grinste. »Ganz gut, wenn es sich nicht vermeiden lässt.« Er hob die Augenbrauen. »Woher wissen Sie, dass ich Ire bin?«

»An Ihrem Akzent. Und Ihr Name klingt auch ziemlich irisch.«

»Sie kennen sich aus.« Grayhan zog anerkennend die Mundwinkel nach unten. »Ich merke schon, ich bekomme es mit einer gewieften Verhandlungspartnerin zu tun.«

Bernice lächelte hintergründig. »Sie können das Wort Verhandlungspartner so oft erwähnen wie Sie wollen, dass wir es jemals werden, ist damit noch lange nicht gesagt. Ich weiß ja noch nicht einmal, was für ein Angebot Sie mir unterbreiten wollen. Was, wenn es unmoralischer Art ist? Dann gäbe es gar nichts zu verhandeln, verehrter Mr. Grayhan. Denn dann müsste ich Sie auf der Stelle hinauswerfen.«

Ohne mit der Wimper zu zucken, entgegnete Grayhan: »Vielleicht sollten Sie mich lieber bitten, bei Ihnen am Tisch Platz zu nehmen.«

Bernice Pryor musterte ihn mit schmalen Augen. Ihre Stimme nahm eine eisige Härte an. »Sagen Sie mir erst einmal, was Sie wollen. Kurz und bündig. Dann sehen wir weiter.«

Grayhans Haltung versteifte sich. »Sie sind Zeitungsverlegerin, also kapitalkräftig«, antwortete er in der gewünschten Knappheit. »Ich bin im Kreditgeschäft tätig und brauche Investoren. An den Zinsgewinnen würde ich Sie mit dreißig Prozent beteiligen.«

Einen Moment lang sah Bernice ihn entgeistert an. Dann brach sie in schallendes Gelächter aus.

Lassiter ging auf die Kutsche zu. Ein Landauer, noch dazu im Spiegelglanz von Klavierlack, gehörte in der rauen Landschaft des Westens nicht gerade zu den gängigen Fortbewegungsmitteln.

Das blitzblanke Luxusgefährt war in ihrem Blickfeld aufgetaucht, als Bernice Pryor und der Mann der Brigade Sieben am Fenster des Besucherzimmers gestanden hatten.

Er hatte sein Gespräch mit der Zeitungsverlegerin sofort abgebrochen.

Denn sie kannte den Namen des Besuchers.

Lawrence Grayhan.

Seinetwegen war Lassiter hier, in Bozeman, Montana.

Seinetwegen hatte er Bernice Pryor aufgesucht.

Wenn man vom Teufel spricht, kommt er, sagte man. Die alte Weisheit bewahrheitete sich einmal mehr. Grayhan hatte bei seiner Anmeldung nur den frühen Abend dieses Tages genannt, keine genaue Uhrzeit.

Lassiter war erst kurz zuvor bei Bernice Pryor eingetroffen. Sie hatte ihn im Besucherzimmer empfangen. Dort, am Fenster, war ihnen der Landauer aufgefallen, als er zwei Meilen entfernt aus einer Wegbiegung aufgetaucht war.

Die Villa stand allein auf ihrem Hügel und ermöglichte einen freien Rundumblick. Denn das Land ringsherum lag brach. Es gab keine Bäume, die den Blick versperrten. Die spärliche Vegetation bestand aus Präriegras und vereinzelten flachen Sträuchern.

Lassiter hatte sich von Bernice den schnellsten unauffälligen Weg nach draußen zeigen lassen. Während die Hausherrin sich auf die Veranda der Villa begab, hatte der große Mann über den Hinterausgang jenen Fahrweg erreicht, der außen am schmiedeeisernen Einfriedigungszaun entlang zur Vorderseite des Anwesens führte. Neben dem Haupttor und der Pforte gab es dort einen Abstellplatz für Kutschen und Reitpferde.

Der Lenker des Landauers saß auf dem Bock, mit dem Rücken zu Lassiter gewandt. In kurzen Abständen wölkte Tabakrauch zwischen der Krempe des schwarzen Zylinders und dem Kragen des schwarzen Gehrocks auf. Eine leichte Brise trieb die kleinen, bleigrauen Wolken zum Heck der Kutsche hin und löste sie auf, noch bevor sie den herannahenden großen Mann erreichten.

Dann, als er nur noch zehn Schritte von der Kutsche entfernt war, nahm Lassiter den Duft wahr. In der Tat musste man es Duft nennen, was die Zigarre des Kutschers ausströmte. Hochfeiner, teurer Tabak einer Havanna war es, was dort auf dem Bock glimmte. Es verwunderte den großen Mann nicht.

Salonkriminelle wie Lawrence Grayhan kamen in New York zu schnellem Geld. Und sie scheuten nicht davor zurück, ihren Reichtum zur Schau zu stellen. Auch dadurch, dass sie ihr Personal großzügig bezahlten. So verstand es sich von selbst, dass jemand, der einen Landauer lenkte, standesgemäß ausgestattet war – vom Scheitel bis zur Sohle, einschließlich des Tabaks, den er konsumierte.

Die Qualität der berühmten kubanischen Zigarren war meilenweit von dem billigen Kraut entfernt, das in den Hafenkneipen der Ostküste ebenso wie in den Saloons des Westens gepafft wurde.

Lassiter gab sich keine Mühe, das Geräusch seiner Schritte zu dämpfen. Als er in Hörweite heran war, ruckte der Kopf des Mannes auf dem Kutschbock herum.

Sein Gesicht war rund und blass. Die Augen lagen klein und graublau unter fast haarlosen Brauenwülsten. Er setzte den Zylinder ab. Zum Vorschein kam eine spiegelblanke Glatze. Den topfförmigen schwarzen Hut ließ er neben sich auf die Sitzfläche fallen.

»Halt, stehen bleiben!«, rief er schneidend. Er hatte eine hohe, fast unangenehm schrille Stimme.

Lassiter gehorchte. Ein hartes Grinsen kerbte sich in seine Mundwinkel.

Im selben Atemzug schwang sich der Kutscher vom Bock herunter. Auf der kurzen Entfernung bis zum Steinpflaster vollführte er eine schwungvolle Kehrtwende. Er war ein schlanker, offenbar durchtrainierter Mann.

In den Knien nachfedernd landete er auf dem harten Boden. Achtlos ließ er die teure Havanna fallen. Die nur angerauchte Zigarre tanzte einen Moment lang funkensprühend neben seinen maßgefertigten schwarzen Schnürstiefeln.

Während er breitbeinig stehenblieb, schlug er die Schöße seines Gehrocks auseinander. Zum Vorschein kam ein Revolvergurt, den er um die Hüfte trug. Die Patronen schimmerten fabrikneu in ihren Lederschlaufen.

Den Sechsschüsser identifizierte Lassiter auf den ersten Blick als einen Bulldog, Kaliber .45, das amerikanische Modell.

Sein Gegenüber fixierte ihn aus schmalen Augen.

»Sie schleichen sich von hinten an«, zischte er. »Bei mir zu Hause in New York würden Sie das nicht überleben.«

Lassiter grinste breiter.

»Wie man hört, soll der Straßenlärm in New York verdammt schlimm sein.«

»Ja und?«

»Da muss man ja schwerhörig werden.«

Der Glatzkopf verzog das Gesicht zu einer geringschätzigen Grimasse. Seine Erwiderung hörte sich an, als ob er sie ausspuckte. »Sie sind ein ganz Schlauer, was?«

»Stimmt«, antwortete Lassiter. »In der Schule war ich immer der Klassenbeste.«

»Oho!«, röhrte der Kutscher. »Ein Westerner, der lesen und schreiben kann, was? Dann sind Sie ja einer mit Seltenheitswert.«

»Allright.« Der große Mann nickte ernsthaft. »Dann hätten wir das abgehandelt. Sie übergeben mir jetzt Ihren Revolver, und dann steigen Sie zurück auf ihren Kutschbock. Die Waffe kriegen Sie zurück, wenn Sie mit Mr. Grayhan abfahren.«

Die Augen des anderen verengten sich zu Schlitzen. »Haben Sie hier was zu sagen?«

Lassiter nickte ungerührt und brummte: »Sieht so aus.«

»Wer, zum Teufel, sind Sie?«, fauchte sein Gegenüber. »Woher kennen Sie Larry Grayhan?«

»Aus den Akten, die in New York und Washington über ihn geführt werden.«

»Dann sind Sie ein gottverdammter Bulle.«

»Bei Ihnen nennt man das wohl so. Hier im Westen haben die Leute etwas mehr Respekt. Also noch mal: Ihre Waffe!«

Der Kahlköpfige stieß einen verächtlichen Laut aus. »Sie können mich mal. Hauen Sie ab, bevor meine Geduld am Ende ist.«

Lassiter schüttelte mitleidig den Kopf. »Letzte Aufforderung. Geben Sie mir Ihre Waffe. Wenn Sie abfahren, kriegen Sie sie wieder.«

»Wissen Sie was?«, entgegnete der Kutscher gefährlich leise. »Ich rede nicht mehr mit Ihnen. In New York erledigen wir so was mit einer schnellen Kugel. Vor allem, wenn wir es mit Bullen zu tun haben.«

Lassiter machte einen Schritt auf den Mann zu, streckte auffordernd die linke Hand aus und winkte mit den Fingern.

Ein Ruck durchlief den Kutscher, als er sich jäh anspannte. Seine Rechte zuckte abwärts. Lassiter zog im selben Sekundenbruchteil. Seine Bewegung war nicht mit Blicken zu verfolgen. Es schien, als würde der Remington des großen Mannes wie von selbst aus dem Holster fliegen.

Auch der Bulldog kam hoch – atemberaubend schnell. Für den Hauch eines Atemzugs schwebten beide Sechsschüsser in der Waagerechten. Der Abzugsfinger des Glatzkopfs begann, sich zu krümmen.

Bernice Pryor konnte nicht aufhören, zu lachen. Sie wollte sich regelrecht ausschütten, prustete vor Heiterkeit und wies mit dem Zeigefinger auf den Besucher als hätte er sich gerade eben eine rote Pappnase aufgesetzt.

Grayhans Freundlichkeit zerfaserte zusehends. Er harrte immer noch vor der Stufe zur Veranda aus. Aufkeimende Wut verzerrte sein Gesicht. Einen Moment lang presste er die Lippen zusammen, dann öffnete er den Mund, um die Frau anzuherrschen.

Das Krachen eines Schusses ließ ihn stumm bleiben, bevor er auch nur eine Silbe herausbekam. Bernice Pryor gab einen erschrockenen Laut von sich, duckte sich reflexartig über den Tisch.

Ein Schuss, so hörte es sich an. Doch beide – sowohl die Hausherrin als auch der Gast – hatten erkannt, dass es zweimal gekracht hatte. Gleichzeitig.

Grayhan zuckte zusammen. »Das war bei meiner Kutsche«, stieß er hervor. Ruckartig machte er kehrt und rannte los. Im Laufen zog er den Zylinder tief in die Stirn.

Fasziniert beobachtete Bernice, wie die weißen Gamaschen des Mannes eine Bildfolge rasant rotierender weißer Flecken zeichneten. In beträchtlicher Geschwindigkeit schienen sie regelrecht über den Gartenweg zu fliegen.

Schuhe und flatternde Hosenbeine waren dagegen eher nebensächlich. Im nächsten Augenblick wich Bernices Faszination erneutem Erschrecken.

Im Laufen schlug Grayhan die Rockschöße auseinander und zog seinen Revolver. Er war nur noch vier, fünf Yard von der Gartenpforte und dem Zaun entfernt.

Was dahinter geschehen war, schien unklar. Lassiter, zumindest, stand aufrecht. Durch die Zwischenräume der Zaunlatten war der am Boden liegende Mann nur bruchstückhaft zu erkennen.

Unterdessen überwand Bernice ihre Schrecksekunde. Sie sprang auf, war mit drei, vier langen Sätzen im Wohnzimmer. Mit einer doppelläufigen Schrotflinte kehrte sie zurück. Einen Lederbeutel voller Patronen hatte sie sich umgehängt.

Im Laufen, während sie die Veranda überquerte, kippte sie den Doppellauf ab und lud die beiden Patronenkammern. Mit einem federnden Sprung überwand sie die Stufe und stürmte den Gartenweg entlang.

Unterdessen erreichte Grayhan die Pforte. Nun konnte er sehen, was sich auf der anderen Seite abgespielt hatte. Das Bild, das sich ihm bot, stoppte ihn jäh. Ungläubig starrte er auf den am Boden liegenden Kutscher.

Augenfällig war nur das Blut. Weil der Kutscher zusammengekrümmt dalag, war nicht genau zu erkennen, ob sich seine Wunde in der Körpermitte oder im Bereich der Oberschenkel befand.

Und Grayhan blieb keine Zeit, genauer hinzusehen. Ruckartig riss er den Revolver hoch, einen schweren 45er Colt. Er schwenkte die Waffe in die Richtung des großen Mannes – und erstarrte.

Denn er blickte in das schwarze Loch einer Laufmündung, die der seines Colts mindestens ebenbürtig war. Es war die Mündung eines Remington-Revolvers. Und sie zitterte nicht, vibrierte nicht einmal.

Fest und unverrückbar wie in einem Schraubstock ruhte der kiloschwere Stahl des Sechsschüssers in der Faust des großen Mannes. Es war deutlich, dass es ihm keine Mühe bereiten würde, den Remington auch über lange Minuten im Anschlag zu halten.

Grayhan spürte Schweißperlen, die auf seine Stirn traten. Denn er merkte, dass der Colt in seiner Rechten immer schwerer zu werden schien. Überdies breitete sich ein beginnendes Zittern von seinem Oberarm bis hinunter zur Hand aus.

Im nächsten Augenblick vernahm er ein Geräusch, das ihn zusammenzucken ließ.

Der Hahn einer Schrotflinte erzeugte ein metallisches Knacken, als er gespannt wurde. Gleich darauf folgte das Geräusch zum zweiten Mal.

Lawrence Grayhan brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass Bernice Pryor hinter ihm stand – schräg zur rechten Seite hin, damit sie den großen Fremden nicht ins Schussfeld bekam.

Und sie hatte soeben beide Hähne ihrer gottverdammten Schrotflinte gespannt. Grayhan erschauerte bei der Vorstellung, dass die beiden Schrotladungen ihn buchstäblich durchsieben würden. Und der große Kerl hinter der Pforte würde ihn mit einer einzigen 45er Kugel ins Jenseits befördern.

Was Bernice Pryor über ihre Leibwächter erzählt hatte, war nicht übertrieben gewesen. Dieses Weib war nicht nur unerschrocken, sondern auch verdammt schlau. Grayhan merkte, dass die Schweißperlen auf seiner Stirn erste kleine Bäche zu formen begannen.

Hölle und Teufel, es schien zu stimmen, was man in den New Yorker Clubs erzählte. Dass nämlich die Weiber des Westens kämpfen konnten wie Männer. Und, dass sie ihren Kerlen im Bett die wildesten Ritte abverlangten.

Grayhan zitterte bereits sichtbar, als er aufgab.

»Nicht schießen«, bat er und hob beide Hände. Die Finger der Rechten spreizte er so, dass der Colt auf seiner flachen Handfläche zu liegen kam.

»In Ordnung«, brummte der Mann der Brigade Sieben und ließ den Remington ins Leder sinken.

»Wer, zum Teufel, sind Sie?«, hauchte Grayhan mit bebender Stimme.

Lassiter beantwortete seine Frage, erlaubte ihm, den Colt ebenfalls zu holstern, und fügte hinzu: »Merken Sie sich meinen Namen. Könnte sein, dass er in Ihrem Leben noch eine Rolle spielen wird.«

»Was für eine Rolle?«, fragte Bernice, während sie der davonfahrenden Kutsche nachblickten. »Eine positive?«

»Eher das Gegenteil«, antwortete Lassiter lächelnd. »Aus Grayhans Sicht.«

Der elegante Ire bot einen bedauernswerten Anblick auf dem Kutschbock, wie er sich abmühte, das Gespann unter Kontrolle zu bringen.

»Müsste man ihn deswegen bedauern?«, sinnierte die Zeitungsverlegerin. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, hob die rechte Hand und nahm das Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger.

»Um Himmels willen!« Lassiter legte den Kopf in den Nacken und sandte einen Blick zu den Wolken. »Grayhan will kein Mitleid.«

»Das müssen Sie mir erklären.«

»Wenn Sie genug Zeit haben.«

»Den ganzen Abend.« Bernice deutete mit einer Kopfbewegung auf die sinkende Sonne über dem Hügelland im Westen. »Und der Abend fängt gerade erst an.«

»Gut.« Lassiter sah ihr in die Augen und erwiderte: »Falls ich zu viel rede, müssen Sie mich hinauswerfen.«

Bernice schüttelte den Kopf. »Kommt nicht in Frage. Ich kenne andere Mittel, um einen redseligen Mann zum Schweigen zu bringen.« Sie blickte zu ihm auf, und in der Tiefe ihrer Augen las er ein Versprechen, für das es keiner Worte bedurfte.