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Die Gestalt in den Schatten übte sich in Geduld. Seit zwei Stunden verbarg sie sich vor den Blicken der Passanten, schmiegte sich mit dem Rücken an die Hauswand und wartete ab. Das flackernde Licht der Straßenlaternen reichte nicht an ihr Versteck heran.
Während der Mond allmählich über Mollys Palace höherstieg und das Rumpeln einer verspäteten Kutsche über die Straße hallte, taumelten die letzten Heimkehrer ihren Häusern zu. Unter ihnen war ein kleiner gedrungener Mann mit aschblonden Haaren und einer fahlen Haut, die kein Sonnenlicht zu kennen schien. Er wankte an dem Versteck vorüber, nicht ahnend, dass der Lauf einer altmodischen Steinschlosspistole jedem seiner Schritte folgte...
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Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Im Land der weißen Schlange
Vorschau
Impressum
Im Land der weißenSchlange
von Katja Martens
Die Gestalt in den Schatten übte sich in Geduld. Seit zwei Stunden verbarg sie sich vor den Blicken der Passanten, schmiegte sich mit dem Rücken an die Hauswand und wartete ab. Das flackernde Licht der Straßenlaternen reichte nicht an ihr Versteck heran.
Während der Mond allmählich über Mollys Palace höherstieg und das Rumpeln einer verspäteten Kutsche über die Straße hallte, taumelten die letzten Heimkehrer ihren Häusern zu. Unter ihnen war ein kleiner gedrungener Mann mit aschblonden Haaren und einer fahlen Haut, die kein Sonnenlicht zu kennen schien.
Er wankte an dem Versteck vorüber, nicht ahnend, dass der Lauf einer altmodischen Steinschlosspistole jedem seiner Schritte folgte...
Sein Geldbeutel war so leer wie der Opferstock von Reverend Woods, nachdem ihm die Fawley-Brüder einen Besuch abgestattet hatten. All seine Dollars waren am Pokertisch zurückgeblieben. Leise fluchend wankte George Hawtorne nach Hause.
Eine Flasche Whisky sollte eigentlich ausreichen, damit ein Mann sein Pech vergessen konnte. Doch wie so oft in letzter Zeit bewirkte er kaum mehr, als seinen Gleichgewichtssinn zu kompromittieren. Stolpernd bewegte er sich die Churchstreet hinauf und verwünschte die Halunken, die ihm an diesem Abend das Fell über die Ohren gezogen hatten und ihm gewiss auch noch seinen Siegelring und seine Taschenuhr abgeknöpft hätten, wäre der Saloon nur eine Viertelstunde länger geöffnet gewesen. Aber er würde sich sein Geld schon wiederholen. Morgen Abend würde sich das Blatt für ihn wenden. Und selbst wenn nicht: Wen kümmerte es? Sein alter Herr hatte ihm genug Geld hinterlassen, um die halbe Stadt zu kaufen. Sei's drum. Ein Rückschlag, das war dieser Abend, aber er konnte ihn verschmerzen.
Vor einem zweigeschossigen Haus blieb er stehen. Eine Veranda lief um den vorderen Teil des Gebäudes herum. Früher hatte es seinem Vater gehört. Der hatte auch die große Bibliothek eingerichtet, mit all den Folianten und Schwarten, denen George rein gar nichts abgewinnen konnte. Setzten nur Staub an. Schon mehr als einmal war er versucht gewesen, sie einfach zu verbrennen. Da er den Raum jedoch nicht anderweitig benötigte, war es ihm der Mühe vorerst noch nicht wert gewesen.
Er streckte seine Hand nach dem Riegel an der Tür aus, während er die Grünpflanze musterte, die neben dem Hauseingang in einem Tontopf wuchs.
Wo kam die denn her?
Stirnrunzelnd trat er einen Schritt und blickte an seinem Haus hoch.
Hier stimmte etwas nicht. Seine Fenster waren gewiss nicht so blank geputzt wie diese hier und auf keinen Fall hatte er geblümte Vorhänge davor aufgehängt.
Sein Blick schwenkte nach links zu dem nahezu identischen Nachbarhaus. Das war seines. Dieses hier gehörte Mrs. Gould.
Verdammt, die alte Streitaxt würde der Schlag treffen, wenn er nackt in ihr Bett krabbelte. Er sah es beinahe vor sich, wie er sich an die Matrone unter die Decke kuschelte und wie sie kreischend hochsprang. Er grinste in sich hinein. Das könnte es ihm fast wert sein.
Doch dann überwog die Müdigkeit. Er ließ die Schultern sinken und stapfte zu seinem Haus hinauf. Nun, genau genommen war es das Haus seines Vaters, dem Earl of Hawtorne, aber der war vor drei Jahren zu einer Expedition in den Nordwesten aufgebrochen und wurde seitdem vermisst. Niemand glaubte noch daran, dass er zurückkehren würde. Die Wildnis hatte schon zahlreiche Männer verschluckt und nicht wieder ausgespuckt.
Zu seinen Lebzeiten hatte er George ständig dazu angehalten, ihm nachzufolgen und sich den Wissenschaften zu widmen. Sein Erbe sollte er antreten, hatte sich der alte Zausel gewünscht, der Zeit seines Lebens immerzu in irgendwelche Forschungen vertieft gewesen war, jedoch nie der Vater, den sich George gewünscht hätte. Sein alter Herr hatte ihn zum Studium in den Osten geschickt. Doch die Ausbildung hatte er abgebrochen und sich mit allerlei Geschäften durchgeschlagen.
Was man im Leben brauchte, lernte man nicht aus Büchern, sondern auf den Straßen, davon war er überzeugt. Das Leben hatte ihm einige harte Lektionen beigebracht. Lektionen, die ihn gelehrt hatten, jede Annehmlichkeit mitzunehmen, die sich ihm bot. Allzu schnell konnte es damit vorbei sein. Man betrachte nur seinen Vater. Als Earl of Hawtorne hatte er im guten alten England über einigen Einfluss verfügt, von seinem Vermögen ganz zu schweigen. Hier war er dagegen ein Niemand, den lediglich ein paar andere Wirrköpfe von den Universitäten kannten.
George schnaubte, während er sich seinem Haus näherte, wankend wie eine Kiefer im Westwind.
Hinter ihm störten mit einem Mal Schritte die Stille der dunklen Nachtstunden.
Er wandte sich um und sah eine Gestalt in einem dunklen Umhang auf sich zukommen. Die Kapuze wurde zurückgeschlagen und enthüllte die feinen, ebenmäßigen Gesichtszüge einer Frau. Üppige dunkle Haare wallten ihr über die Schultern. Sie wäre bildschön gewesen, hätte sich nicht blanker Hass in ihre Züge gegraben.
Ah, Angelique. Mit ihr hatte er exquisite Stunden verbracht. Die rassige Französin war eine Wildkatze gewesen, sie hatte sich gesträubt und ihm eine unvergessliche Jagd geliefert, aber als sie ihm unterlegen war, hatte sie schnell begonnen, ihn zu langweilen. Offenbar nahm sie ihm übel, dass er... oh!
Aus den Falten ihres Umhangs schob sie eine schmale Hand, die eine Steinschlosspistole hielt. Holy Shit, mit dieser Waffe musste Napoleon bereits in Waterloo gescheitert sein. Was hatte sie denn damit vor?
Wie zu einer Antwort senkte sie die Waffe und zielte geradewegs auf sein Gemächt. Natürlich. Was auch sonst. Nur eine Frau konnte darauf kommen, ihn zu kastrieren. Ein Mann würde direkt auf sein schwarzes Herz zielen.
Das Blitzen in ihren Augen verriet, dass sie nicht gekommen war, um zu reden. Sie war gekommen, um ihn zu strafen.
Durch den whiskylastigen Nebel in seinem Kopf waberte die Erkenntnis, dass er etwas unternehmen musste, wollte er je wieder die Gesellschaft einer Frau genießen. Blitzschnell schoss seine Faust hoch und stieß ihre Hand weg.
Ein Wehlaut entfuhr ihr. Im nächsten Moment traf Zündstein auf Metall. Der Blitz des sich entzündenden Pulvers flackerte durch die Dunkelheit. Ein ohrenbetäubender Knall ließ seine Ohren schmerzen. Schwefelgeruch stieg ihm in die Nase. Unwillkürlich schaute er an sich hinunter.
Er war unverletzt.
Angelique jedoch wankte zwei Schritte rückwärts. Ihre Augen weiteten sich. Ein dunkelroter Fleck breitete sich auf ihrem Kleid aus, wurde rasch größer. Sie stürzte auf den Sidewalk, als hätte ihr jemand die Beine weggetreten. Ein paar Brocken auf Französisch spuckte sie ihm noch vor die Füße. Es klang wie eine Verwünschung. Dann breitete sich eine rötliche Pfütze unter ihr aus – und sie lag still.
George fluchte verhalten. Was für eine Sauerei. Gerade vor seiner Haustür. Das würde Fragen aufwerfen. Fragen, die er nicht beantworten wollte.
Er fuhr herum, zog die Haustür auf und bellte »Rufio! Garcia!« in die leere Halle.
»Wir sind hier«, kam es mit schwerer Zunge zurück. Die Tür zum roten Salon stand offen. An einem runden Tisch saßen seine beiden Handlanger und spielten Karten. Mehrere Gläser und eine leere Whiskyflasche lagen umgestürzt herum. Der Rauch ihrer Zigarillos waberte durch den Raum.
Er hatte die beiden im Osten aufgegabelt, wo sie sich einige Jahre zusammen durchgeschlagen hatten. Höchst selten mit legalen Geschäften. Meist hatten sie krumme Dinger gedreht. Sie hielten ihm die Treue, aber er war nicht naiv genug zu glauben, dass sie ihm nicht auf der Stelle ein Messer zwischen die Rippen jagen würden, wenn sie irgendeinen Vorteil für sich darin sehen würden.
Rufio war ein langes Elend, den ein auskeilender Hengst fast alle seine Zähne gekostet hatte und der sich seitdem mit einem hölzernen Gebiss herumschlug.
Garcia war so breit wie hoch, hatte immer einen Plan im Kopf, um sein Schicksal zum Besseren zu wenden, aber weder den Mumm noch die Ausdauer, diesen auch durchzuhalten. Dafür zog er seine Waffe schneller als jeder andere, den George kannte, und kannte keine Skrupel.
»Gibt Arbeit für euch«, brummte er und setzte sie über die verblichene Angelique ins Bild. »Kümmert euch darum, dass der Marshal sie nicht findet. Ich habe keine Lust, ihm Rede und Antwort zu stehen.«
»Wird gemacht«, versicherte Garcia ihm, rührte sich jedoch nicht vom Fleck.
»Möglichst heute Nacht noch«, fügte George missmutig hinzu.
»Schon verstanden.« Garcia tauschte einen Blick mit Rufio, der George ganz und gar nicht gefiel.
»Habt ihr was an den Ohren?«, knurrte er. »Es wäre mir lieb, wenn ihr das Weib jetzt gleich von meiner Schwelle wegschaffen würdet, bevor sie noch jemand sieht.«
»Schon klar. Es ist nur...« Garcia kratzte sich hinter dem Ohr. »Es gibt da etwas, das du dir ansehen solltest.«
»Hat das nicht Zeit bis morgen früh?« Allmählich machte sich eine bleierne Schwere in ihm breit. Er wollte nur noch aus den Stiefeln heraus und in sein Bett fallen. Diese Verzögerung passte ihm gar nicht.
»Ich glaube, du würdest uns die Ohren langziehen, wenn wir es dir nicht gleich zeigen würden.«
»Was denn?« Seine Laune sank weiter.
»Das hier.« Garcia zog eine Ausgabe der Abendzeitung unter seinem Hintern hervor und breitete sie auf dem Tisch aus. Glättend strich er über die Seiten.
George überflog die erste Seite.
Preise für Rindfleisch steigen weiter an...
»Uninteressant...«
Überfall auf Cohen-Ranch. Drei Tote...
»Ebenso uninteressant...«
Unerwartete Rückkehr eines seit drei Jahren Verschollenen...
»Was zum Geier...« Er beugte sich tiefer über das Blatt und las weiter.
Niemand hatte noch damit gerechnet: Angus O'Leary ist seit vergangenem Montag wieder zu Hause. Der Kartograph war vor drei Jahren mit Professor Hawtorne und seinen Helfern aufgebrochen, um den unerforschten Nordwesten zu erkunden. Schon nach kurzer Zeit brach der Kontakt zu den Wissenschaftlern ab. Seither fehlte von ihnen jede Spur. Für die Familie von O'Leary ist seine Heimkehr ein Wunder...
George stieß einen lästerlichen Fluch aus. »Verdammt und zugenäht!« Er hieb mit der Faust auf den Tisch, dass eines der leeren Gläser herunterkullerte und auf dem Boden zerschellte. »Das darf doch nicht wahr sein!«
Die beiden Männer am Tisch tauschten einen Blick.
»Was genau soll das eigentlich bedeuten, hä?« Er starrte sie so vorwurfsvoll an, als hätten sie den Artikel eigenhändig verfasst, um ihn zu verärgern. »Dieser Kartenmaler ist also wieder daheim. Und der Rest des Teams? Was ist mit dem? Darüber verliert dieses Schundblatt kein einziges Wort.«
»So, wie ich das verstanden habe, ist er als Einziger heimgekehrt«, wagte Garcia eine Antwort.
George funkelte ihn finster an. »Wie konnte dieser Kerl das überleben?«
»Das kann ich dir auch nicht sagen.«
»Niemand kann das. Niemand.«
»Er offenbar do...« Garcia zog es vor, nicht weiterzusprechen. Dumm war er nicht.
»Wenn dieser Kerl diese drei Jahre da draußen in der Wildnis überlebt hat, ist womöglich auch der Rest des Trupps am Leben. Ihr wisst, was das bedeutet, oder?«
»Dass uns bald der Geldhahn zugedreht wird? Wenn dein Vater noch am Leben ist und ebenfalls zurückkehrt, wird er hier wieder alles übernehmen. Und wir gucken in die Röhre...« Garcia rieb sich das stoppelige Kinn.
George fluchte in sich hinein. Der Boden unter ihm schien mit einem Mal zu wanken. Die Möglichkeit, dass sein alter Herr noch am Leben sein und heimkehren könnte, hatte er drei Jahre lang immer erfolgreicher verdrängt. Wie unwahrscheinlich war das aber auch. Nie im Leben wäre sein Vater freiwillig so lange weggeblieben. Die Mission war damals auf wenige Wochen angelegt gewesen.
Er war sich so sicher gewesen, sein Vater würde verschwunden bleiben. Als sein Sohn und Erbe war er aller Sorgen ledig. Nun jedoch sah die Sache anders aus.
Oder etwa nicht?
Ein Ausweg begann sich in seinem Schädel abzuzeichnen.
Dieser Glückspilz, der es nach Hause zurückgeschafft hatte, musste wissen, was mit dem Rest der Mannschaft passiert war. An diesen Mann würde er sich halten und ihm sämtliche Details entlocken. Und anschließend würde er in diese verdammte Einöde reisen und dafür sorgen, dass sein Vater nicht gefunden wurde. Nie mehr.
Er blickte von Rufio zu Garcia.
»Macht euch bereit«, knurrte er. »Es gibt Arbeit für uns!«
✰
Das Schlagen eines Schmiedehammers begrüßte Lassiter, als er aus der Kutsche stieg. War es im Inneren des Gefährts warm und stickig gewesen, schlug ihm die Hitze hier draußen regelrecht um die Ohren wie Hiebe. Jeder Atemzug fühlte sich an, als würde er seine Lungen mit Feuer füllen.
Er kniff die Augen gegen das gleißende Sonnenlicht zusammen und stülpte seinen Stetson auf den Kopf.
Die kleine Stadt Dusty Springs machte ihrem Namen alle Ehre. Außer einer holprigen Straße, um die sich schlichte Holzhäuser scharten, und Staub schien es hier nicht viel zu geben. Am Ende der Straße ragte ein zwiebelförmiger Kirchturm auf. Ein Hund lag träge auf einer der Stufen vor dem Generalstore. Er hatte den Kopf auf die Vorderpfoten gebettet und hechelte mit heraushängender Zunge.
»Ich kann es dir nachfühlen, Kumpel«, murmelte Lassiter.
Der Sechsspänner hatte vor Williams Eisenwarenladen angehalten. Das zweistöckige Gebäude schien neben dem Handel auch als Hotel und Saloon zu dienen, denn ein Schild wies auf freie Zimmer hin – und durch die offene Tür waren Tische und ein Piano zu erkennen. Außerdem lud ein Aufsteller zu einem Besuch beim Barbier ein, der seine Dienste ebenfalls hier anbot.
»Dieser Mr. Williams scheint mir ein wahrer ein Tausendsassa zu sein«, brummte ein untersetzter Gentleman, der die Kutsche nach Lassiter verließ und geradewegs auf das Hotel zusteuerte. Er schleppte zwei braune Teppichstofftaschen mit sich herum. Während der stundenlangen Fahrt von Tucson hier herauf hatte er allen Mitreisenden seine Kataloge für Mode und Haushaltwaren angepriesen. Lassiter, der stets mit leichtem Gepäck reiste, hatte dankend ablehnen müssen, woraufhin sich das Interesse des Gentleman auf die übrigen Mitreisenden verlagert hatte. Eine von ihnen war eine junge Dame, die in einem roten Reisekleid unterwegs war, das ihre Sanduhrfigur vorteilhaft zur Geltung brachte.
Ihr gedämpftes »Oh!« veranlasste Lassiter, sich umzudrehen.
Im Aussteigen begriffen, war sie mit ihrem Rock an der Kutschentür hängengeblieben und zog nun vergeblich an dem Stoff, um sich zu befreien.
»Erlauben Sie mir, Ihnen zu helfen, Miss?« Lassiter wartete ihr Nicken ab, bevor er sich zu ihr beugte, den Rock behutsam aus dem Spalt befreite, in dem er sich verfangen hatte, und schließlich die Arme um die junge Frau schlang und sie aus der Kutsche hob.
Ihre Wangen röteten sich, als sie zu ihm hochblickte und ihm ein Lächeln schenkte, das ihm messerscharf unter die Haut drang. »Ich danke Ihnen vielmals.«
»War mir ein Vergnügen, Miss.«
»Würden Sie dieselbe Freundlichkeit wohl auch meiner Mutter zuteilwerden lassen?« Sie deutete hinter sich zu einer Matrone, die füllig genug war, um den Türrahmen der Kutsche vollständig auszufüllen. Sie schien einige Schwierigkeiten zu haben, sich von ihrem Platz und auf die obere Trittstufe zu stemmen.
Lassiter bot ihr seine Hand, woraufhin sie ihm mit einem dankbaren Blick die Arme um den Hals schlang und ihn beinahe erdrosselte. Rasch packte er sie bei den Hüften und hob sie aus der Kutsche. Kein leichtes Unterfangen, aber eines, das ihm ein weiteres Lächeln ihrer Tochter einbrachte.
»Besuchen Sie uns, wenn Sie die Zeit dafür finden«, lud sie ihn ein. »Mein Vater ist der Reverend hier und meine Mutter bäckt die besten Kuchen hier im Norden.«
»Ich werde es nicht vergessen«, erwiderte er und zupfte an seiner Hutkrempe.
Wenig später gingen Mutter und Tochter davon. An der nächsten Straßenecke drehte sich die junge Frau noch einmal um und warf Lassiter eine schnelle Kusshand zu, bevor sie aus seiner Sicht verschwand.
Er griente in sich hinein. Reizend war sie, daran konnte es keinen Zweifel geben, allerdings würde er sich hüten, etwas mit der offensichtlich unverheirateten Tochter eines Reverends anzufangen. Den Ärger, den ihm das einbringen würde, konnte er förmlich riechen. Außerdem war er nicht zu seinem Vergnügen so weit gereist.
Nein, auf ihn wartete ein neuer Auftrag. Die Brigade Sieben hatte ihn hierher geschickt, um sich mit einem Kontaktmann zu treffen. Maxwell Reed, ein ehemaliger Offizier, der sein Brot nun als Anwalt verdiente, erwartete ihn.
Seine Missionen hatten ihn schon in viele entlegene Gegenden geführt. Wenn die örtlichen Sternträger nicht weiterkamen oder von Korruption und Bestechung geschwächt waren, wurde Lassiter geschickt, um dem Gesetz wieder auf die Beine zu helfen. Dabei war er auf sich allein gestellt. Das war ihm gerade recht so.
Seine Organisation war geheim und so wussten nur wenige Kontaktmänner von seinem Tun. Maxwell Reed war einer von ihnen.
Sein Büro befand sich in einer Seitenstraße. Eine hölzerne Treppe führte außen an einem schlichten Gebäude hinauf in die erste Etage. Hier wies ein krummer Schriftzug auf die Dienste des Anwalts hin.
Lassiter klopfte an, wurde hereingebeten und fand sich wenig später in einem ganz in Braun und Holz eingerichtetem Büro wieder. Der Geruch von Pfeifentabak hing in der Luft. Ein wuchtiger Schreibtisch dominierte den Raum. Dahinter erhob sich ein sehniger Mann in einem dunklen Anzug, der ihm nun entgegentrat. Er mochte die Vierzig bereits hinter sich gelassen haben, aber noch zog sich kaum ein Hauch von Grau durch seine dunklen Haare. Er zog sein rechtes Bein nach und die Fältchen um seinen Mund vertieften sich bei jedem Schritt und verrieten, dass ihm die Bewegung Schmerzen zufügte. Nichtsdestotrotz war sein Lächeln freundlich und seine Stimme fest und tief, als er Lassiter begrüßte.
»Ich bin Maxwell Reed. Willkommen in Dusty Springs, Lassiter. Hatten Sie eine gute Reise?«
Lassiter nahm seinen Hut ab. »Wenn man von der Hitze absieht, ja, dann war die Fahrt frei von unliebsamen Zwischenfällen.«
»Das freut mich zu hören. Möchten Sie etwas trinken? Ich habe einen ganz vorzüglichen Sherry.«
»Momentan wäre mir etwas Wasser sehr lieb.«