1,99 €
Eine massige Gestalt tauchte in der Dunkelheit vor ihm auf, und im selben Moment bemerkte Lassiter einen heransausenden Knüppel, der auf seinen Kopf gezielt war. "Mieses Schwein!", zischte jemand.
Was zum Teufel? Lassiter duckte sich. Das wuchtige Holz rauschte über ihn hinweg und krachte in die Hauswand. Holzsplitter verfingen sich in seinen Haaren.
Sein Angreifer machte einen Schritt aus den Schatten heraus. Das schwache Licht einer Laterne fiel auf sein bärtiges Gesicht. Lassiter hatte das Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben, während sein Angreifer erneut ausholte - eindeutig in der Absicht, ihm den Schädel einzuschlagen...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 136
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Das Lied der Si-Te-Cah
Vorschau
Impressum
Das Lied der Si-Te-Cah
von Katja Martens
Das letzte Licht einer roten Sonne lag über der Wüste, als Lassiter sein Pferd durch das Wirrwarr von Sagebrush-Sträuchern, Kakteen und Felsblöcken lenkte. Es hatte seit Wochen nicht geregnet. Sand wirbelte unter den Hufen des Appaloosas auf, und in der Hitze fühlte sich jeder Atemzug an, als würde er Feuer inhalieren. Der Steppenboden war so trocken und rissig wie das vergilbte Papier einer unter einer Kirchenbank vergessenen Bibel. Das sollte allerdings nicht so bleiben. Über der mit Pinien bewaldeten Hügelkette im Westen ballten sich Wolkentürme zusammen. Dort braute sich etwas zusammen – und es war bestimmt nichts Gutes ...
Der Wallach ließ den Kopf hängen und trottete weiter. Er war ein ausdauernder Läufer, aber die unbarmherzige Sonne und der hartgebackene Boden hatten an seinen Kräften gezehrt. Lassiter hatte ihn abwechselnd angetrieben und dann wieder geschont, um ihn nicht zuschanden zu reiten. Dennoch war nicht zu übersehen, dass sein Pferd eine Rast brauchte.
»Ich bin auch müde.« Lassiter klopfte dem Wallach auf den Hals. »Wir werden uns einen geschützten Platz suchen und ein paar Stunden rasten. Sobald es kühler ist, setzen wir unseren Weg fort.«
Als hätte die Aussicht auf eine Pause seine Lebensgeister wieder geweckt, beschleunigte der Appaloosa seinen Schritt. Sie überwanden eine Anhöhe und sahen wenig später eine Reihe von windzerzausten Wacholder-Bäumen vor sich. Die wuchsen im Schutz eines kahlen Bergkamms und standen dicht genug, um Schutz vor dem immer stärker werdenden Wind zu bieten.
Lassiter zügelte sein Pferd, glitt aus dem Sattel und band es an einen dicken Ast.
Er teilte sich das Wasser aus seiner Feldflasche mit seinem Appaloosa, hütete sich jedoch davor, es aufzubrauchen.
»Wer weiß, wie es noch bis zur nächsten Quelle ist. Heben wir uns etwas auf.« Lassiter verschloss die Flasche und machte sie wieder am Sattel fest. Dabei fiel sein Blick auf ein paar dunkle Punkte, die sich am Himmel bewegten.
Bussarde!
Die Vögel kreisten in nicht allzu großer Höhe über der Wüste.
Was mochte sie dort beschäftigen?
Er sicher nicht.
Sie blieben immer über ein und demselben Punkt, schienen sich noch nicht überwinden zu können, zu landen, entfernten sich aber auch nicht. Es gab nur eines, das diese Beutegreifer dermaßen interessieren konnte: Beute!
Dort musste sich etwas finden lassen, das bereits tot war – oder doch so gut wie.
Lassiter nahm den Feldstecher aus der Satteltasche und zog die Winchester aus dem Scabbard. Sein Pferd in dem Versteck lassend, kroch er mit dem Gewehr in der Hand den Grat hinauf. Oben angekommen, setzte er sich zwischen die Felsblöcke und kniff die Augen gegen das Licht der tiefstehenden Sonne zusammen. Von hier aus konnte er das ganze Tal überblicken.
Unter ihm breitete sich ein Einschnitt aus, in dem es kaum mehr als Sand, Steine und dornige Büsche gab. Hier und da ein paar Büschel vertrocknetes Gras.
Lassiter hob den Feldstecher an die Augen und spähte nach unten.
Eine Sandviper schlängelte sich über den Boden und verschwand zwischen staubgrauen Steinen... Der Wind zupfte an den Büschen und trieb Sandwolken vor sich her... Weiter westlich ragten mehrere mannshohe Felsbrocken auf und davor... Alle Teufel! Da lag ein menschlicher Kopf!
Lassiter nahm den Feldstecher herunter und zerbiss einen Fluch auf den Lippen.
Dann schaute er wieder durch das Glas.
Tatsächlich. Nur ein Kopf war zu sehen. Keine Spur vom Rest des armen Teufels. Jedoch... Der Boden rings um den Kopf war dunkel und aufgelockert. Als hätte dort vor kurzem jemand gegraben. Hatte man den Fremden etwa eingegraben?
Aufmerksam schaute sich Lassiter weiter um, konnte jedoch keine Menschenseele entdecken. Offenbar hatte man den Fremden dort unten seinem Schicksal überlassen. Lassiter entdeckte Spuren von Pferden, die in nordöstlicher Richtung davonführten – aus dem Tal hinaus.
Er rieb sich das Kinn.
Keinesfalls konnte er den armen Kerl dort unten lassen. Der war vermutlich schon tot, und wenn nicht, dann würde er es bald sein. Trotzdem war es undenkbar, nicht wenigstens zu versuchen, ihm zu helfen.
Lassiter kehrte zu seinem Pferd zurück.
»Tut mir leid, Großer, die Rast muss warten.« Er schob das Fernglas zurück in die Satteltasche, die Winchester jedoch behielt er in der Faust. »Dort hinten braucht jemand unsere Hilfe.«
Der Wallach schnaubte.
Lassiter schwang sich in den Sattel und ließ sein Reittier langsam angehen.
Er rechnete damit, dass er geradewegs in eine Falle reiten würde, und hielt die Augen offen. Doch ringsum blieb alles ruhig. Selbst die Bussarde verzogen sich, als er näher heranritt. Offenbar rechneten sie ebenso mit Ärger wie er.
Einen Steinwurf von dem Fremden entfernt stieg Lassiter aus dem Sattel und schlang den Zügel um einen niedrigen Ast einer Pinie. Dann stiefelte er auf den Kopf zu und spürte eine Woge heißen Mitgefühls in seiner Brust.
Der Fremde gab kein Lebenszeichen von sich. Seine Augen waren geschlossen, bläulich verfärbt und derart zugeschwollen, dass fraglich war, ob er sie überhaupt noch öffnen konnte. Blut sickerte seinen linken Mundwinkel hinab. Ein paar Ameisen krabbelten auf der roten Linie, als wäre es ein Trail. Blut und Sand klebt in seinen braunen Haaren, die nach allen Seiten abstanden. Ein Bluterguss an seiner linken Schläfe verriet, wie ihn seine Peiniger dazu bekommen hatten, still zu halten, während sie ihn eingruben: Sie hatten ihn bewusstlos geschlagen.
Feige Bande!
Lassiter knirschte mit den Zähnen.
Die Haut des Fremden war feuerrot. Er musste Stunden hier geschmachtet haben.
Schwer vorstellbar, dass noch Leben in ihm war... Der Gedanke war Lassiter gerade durch den Kopf geschossen, als die Lider des Fremden flatterten. Ein Laut drang zwischen seinen rissigen Lippen hervor. Ein Stöhnen. Dann: »W-wasser, Sir, b-bitte.« Die Worte waren nur ein Flüstern und kaum zu verstehen.
Lassiter holte die Feldflasche und flößte dem Fremden etwas Wasser ein.
Der trank gierig, verschluckte sich und hustete.
»Langsam«, mahnte Lassiter. »Langsam.«
Ein weiterer Schluck, dann murmelte der Fremde: »Danke.«
»Wie ist Ihr Name, Sir?«
»Jim... Marlton.«
»Können Sie mir sagen, wer Ihnen das angetan hat, Mr. Marlton?«
Der andere Mann nuschelte Wortfetzen, die keinen Sinn ergaben. Die sengende Wüstensonne schien seinem Verstand ordentlich zugesetzt zu haben.
Kurzerhand zog Lassiter seinen eigenen Hut herunter und stülpte ihn dem anderen Mann auf den Kopf. »Halten Sie durch. Ich werde Sie ausgraben.« Er stapfte zu seinem Pferd, holte den Klappspaten und machte sich ans Werk.
Vorsichtig, um den bislang vorhandenen Verletzungen nicht etwa neue hinzuzufügen.
Eine Viertelstunde später hatte er genug von dem sandigen Boden abgetragen, um Schultern und Arme des Fremden freizulegen. Er schlang ihm das Lasso um den Oberkörper und wickelte das andere Ende an den Sattelknauf. Dann machte er sein Pferd los und ließ es langsam rückwärtsgehen.
Behutsam zogen sie den Mann aus seinem staubigen Grab.
Dem armen Teufel klapperten trotz der Hitze die Zähne.
Lassiter befreite ihn von dem Lasso, holte die Decke von seinem Bündel, entrollte sie und wickelte sie um den Fremden. Der rollte sich auf dem Boden zusammen wie ein verletzter Puma und murmelte Worte, die kaum zu verstehen waren und seinen Fieberfantasien zu entspringen schienen. Ein Ausdruck kam allerdings mehrmals vor. »... Nevada-Ring...«
Lassiter horchte auf. »Was ist das?«, fragte er. »Was ist der Nevada-Ring?«
»Bastarde!«
»Das kann ich mir denken. Haben die Ihnen das angetan?«
»Bastarde!«
»Verstehe. Wo finde ich diesen Ring? Und wer gehört dazu?«
Wieder verfiel der andere Mann in Gemurmel. Eine schlüssige Antwort bekam Lassiter nicht.
Unbemerkt hatte sich der Himmel derweil weiter zugezogen. Die ersten Regentropfen fielen. Aus dem vereinzelten Tröpfeln wurde bald ein regelrechtes Trommelfeuer. Es schüttete, was nur vom Himmel kommen konnte.
Ein Wolkenbruch!
Dicke Tropfen zerplatzten auf dem Boden, schlugen Blasen und drangen dem großen Mann bald unter Kleidung und Unterwäsche. Er ließ dem Fremden seinen Hut und die Decke und ertrug den Regen. Binnen weniger Minuten hatte er keinen trockenen Faden mehr am Leib.
Sein Pferd zupfte ungerührt an den dürren Halmen, die aus dem Boden sprossen.
Jim Marlton jedoch sackte in sich zusammen, als wäre alle Kraft aus ihm gewichen. Lassiter runzelte die Stirn und beugte sich tiefer über den anderen Mann. Der atmete nicht mehr.
Verdammt, so sollte niemand abtreten.
Lassiter schüttelte kaum merklich den Kopf.
Er wollte den Toten nicht einfach hier liegen lassen, wo Bussarde und andere Beutegreifer sich über ihn hermachen konnten. So zog er ihn unter den Armen zurück zu dem Erdloch, legte ihn hinein und häufte Sand und Steine über ihm auf.
Währenddessen lief ihm der Regen den Rücken hinunter.
Mit seinem Messer hackte Lassiter zwei Äste unterschiedlicher Länge von einer Pinie, schnitzte sie ein wenig zurecht und band sie mit langem, dürrem Gras zu einem schlichten Kreuz zusammen. Das steckte er zwischen die Steine.
»Ich hoffe, Sie finden dort, wo Sie jetzt sind, mehr Frieden als hier auf dieser Welt«, murmelte er. Dabei ging ihm das Gehörte nicht aus dem Sinn. Nevada-Ring. Was konnte das sein? Eine Organisation von Verbrechern?
Lassiter schwante jedenfalls nichts Gutes.
Er ritt im Auftrag der Brigade Sieben überall dorthin, wo die Luft brannte und Halunken drohten, die Oberhand zu gewinnen. Er war unterwegs, um Banditen heimzuleuchten und das Land ein wenig sicherer zu machen.
Im Lauf der Jahre hatte er einen siebten Sinn für Gefahren entwickelt – und bei dem Gemurmel des Fremden hatte sein Gefühl ganz deutlich Ärger signalisiert.
Der verdammte Regen prasselte inzwischen auf ihn herein wie Fausthiebe. Die Luft war immer noch aufgeheizt und schien mit einem Mal zu knistern. Sein Pferd ruckte an dem Zügel, mit dem er angebunden war. Und in der nächsten Sekunde flammte vor dem Agenten ein grelles Licht auf. Der Donnerschlag folgte nur eine Sekunde später – und eine ungeheure Wucht riss ihn von den Füßen und ließ ihn hinterrücks auf den nunmehr schlammigen Untergrund stürzen.
Prasselnd züngelten Flammen an der Pinie hoch, die nur einen Steinwurf entfernt stand und deren Wipfel nur noch ein verkohlter geschwärzter Knochen zu sein schien. Der Baum brannte lichterloh!
Lassiter hatte ein unschönes Klingeln in den Ohren. Das Atmen fiel ihm schwer und sein Schädel fühlte sich an, als hätte er gerade einen Boxhieb kassiert.
Er rappelte sich auf und machte mit einem Mal einen dunklen Umriss in der Ferne aus. Lichter bewegten sich rasend schnell vorwärts. Sein Herzschlag stockte sekundenlang. Offenbar war der Ärger für diesen Abend noch nicht vorbei...
»Verdammt! Das hat gerade noch gefehlt!«
✰
Die Kutsche war ein Vierspänner und raste mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch die Dunkelheit. Schlamm und Regenwasser spritzten unter den Rädern auf. Zwei Laternen schaukelten links und rechts neben dem Kutscher. Die Lichter wirbelten wie aufgescheuchte Glühwürmchen, die um ihr Leben flogen.
Lassiters Appaloosa tänzelte nervös. Doch auf ihrer erhöhten Position drohte weder Lassiter noch seinem Pferd eine Gefahr.
Die Kutsche jedoch, die war dem Untergang geweiht.
Vier kräftige braune Pferde waren vor den überdachten Wagen gespannt. Sie machten sich lang. Ihre Hufe flogen förmlich über den schlammigen Untergrund.
Doch sie waren nicht schnell genug...
Flash Flood! Das Wasser war ihnen auf den Fersen!
Es war unmöglich zu sagen, warum das Gefährt in dem ausgetrockneten Flussbett unterwegs war. Vielleicht war der Kutscher ahnungslos gewesen, vielleicht war er auch einfach nur leichtfertig. Eines jedoch war gewiss: Die Fluten rasten der Kutsche hinterher wie ein beutegieriges Raubtier!
Das Flussbett, monatelang ausgetrocknet und in der Sonne hart wie Stein geworden, füllte sich rasend schnell mit Wasser. Es stieg zu einem reißenden Strom an. Die schlammbraunen Wassermassen wälzten sich tosend vorwärts und rissen alles mit, das ihnen in den Weg geriet: Sie entwurzelten Beifuß-Sträucher und Pinien, der hellbraune Leib eines pelzigen Tieres trieb im Wasser. Blätter... Zweige...
Alles wurde von den Fluten fortgeschwemmt.
Springfluten waren gefürchtet, weil das Wasser oft unerwartet und in Sekundenschnelle hereinbrach. Ein Entkommen war beinahe unmöglich.
Noch preschten die Pferde vorwärts, aber ihre Beine verschwanden immer tiefer im Wasser. Das machte sie langsamer. Die Kutsche schaukelte bedrohlich hin und her... Lassiter überlegte nicht lange. Er machte sein Pferd los und sprang in den Sattel. Regenwasser lief ihm über Gesicht und Körper. Er achtete nicht darauf, sondern stieß seinem Pferd die Fersen in die Flanken und trieb es mit einem Ruf an.
Der Schrecken über die Fluten, die sich mit nunmehr ohrenbetäubendem Tosen vorwärtsbewegten, schüttelte die Müdigkeit aus den Gliedern des Tieres. Es legte die Ohren an und stürmte vorwärts.
Lassiter beugte sich im Sattel vor. Der Wind fegte ihm um die Ohren. Noch immer zerrissen Blitze den Himmel und in das Prasseln des Regens mischte sich immer wieder grollender Donner. Ein Abend, an dem sämtliche Naturgewalten entfesselt zu sein schienen.
»Lauf, Großer! Lauf!« Er spornte sein Pferd weiter an.
Noch vierhundert Yards trennten ihn von der Kutsche... Dreihundertfünfzig...
Plötzlich schien eine unsichtbare Kraft das Gefährt von unten anzuheben. Die Pferde verloren den Halt unter den Hufen. Einen Wimpernschlag lang schien die Kutsche zu schweben... dann stürzte sie um und wurde mitsamt ihren Passagieren und den Pferden vom Wasser mitgerissen!
Es spritzte hoch auf, dann trieb die Kutsche auf der Seite liegend davon.
Wenn es noch Hoffnung für die Menschen im Inneren geben sollte, so musste schnell Hilfe kommen.
Lassiter beugte sich noch tiefer über den Pferderücken.
Zweihundertfünfzig Yards... einhundertfünfzig...
Im Wasser tauchte plötzlich etwas Bleiches auf. Ein Arm! Dort trieb jemand in den Fluten, wurde mitgerissen wie ein Spielball, schrammte einen aus dem Wasser aufragenden Stein und trieb weiter und weiter.
Lassiter nahm sein Lasso vom Sattelhorn und knüpfte eine Schlinge. Ihm blieb womöglich nur dieser eine Versuch. Er atmete aus – und warf.
Die Schlinge legte sich um den Arm und hielt ihn fest. Lassiter band das Lasso an das Sattelhorn und zog, aber seine Kräfte reichten nicht, um der Flut ihr Opfer zu entreißen. So ließ er sein Pferd laufen, fort vom Wasser. Er zog die Gestalt heraus.
Ein Mann war es. Gekleidet wie ein Gentleman: weißes Hemd, schwarze Weste und die dunkelgraue Anzughose, passend zur Jacke. Die Kleidungsstücke mochten vor einer Stunde noch erlesen – und vor allem trocken gewesen sein. Jetzt hingen sie ihm in Fetzen vom Körper. Steine im Wasser hatten ihm blutige Wunden gerissen. Seine dunklen Haare klebten ihm am Kopf, genau wie sein langer Kinnbart, der in zwei Spitzen zulief. Er war noch keine vierzig Jahre alt und krümmte sich hustend und spuckend auf dem schlammigen Boden. Doch plötzlich ruckte sein Kopf hoch und er suchte den Fluss mit den Augen ab.
»Minna! Minna!«
Sein Ruf ging im grollenden Donnern des Unwetters unter.
Lassiter hatte jedoch genug gehört. Da musste noch eine Frau in der Kutsche sein!
Die Chancen für die Lady standen mehr als schlecht, aber er musste es wenigstens versuchen. »Bleiben Sie hier, in Sicherheit!«, wies er den Fremden an und löste das Lasso. Eine neue Schlinge legend, spornte er sein Pferd wieder an und preschte weiter – der Sturzflut hinterher.
Vor ihm bauschte sich etwas Hellblaues im Wasser.
Es war Stoff... mehrere Bahnen... ein Rock womöglich?
Lassiter wirbelte die Schlinge hoch, fand jedoch nichts, was er damit packen konnte. Offenbar würde ihm nichts anderes übrigbleiben, als selbst in den Fluss zu springen und... Doch da wurde die Gestalt im Wasser plötzlich gegen einen Stein geschleudert. Instinktiv klammerte sie sich daran fest.
Das genügte!
Lassiter drehte die Schlinge und warf.
Sie legte sich um den Oberkörper der Frau, die nun plötzlich erschlaffte und ins Wasser sank. Doch der große Mann hatte sie. Er lenkte sein Pferd vom Fluss weg und zog die Unbekannte an Land.
Als sie auf sicherem Grund war, ließ er den Appaloosa stehenbleiben, glitt aus dem Sattel und eilte zu der Frau hinüber. Sie war noch jung, mit einem fein geschnittenen Gesicht und hohen Wangenknochen. Ihr Haar mochte einmal zu einer eleganten Hochsteckfrisur verflochten gewesen sein, jetzt hing es wirr um ihren Kopf. Eine blutige Schramme zog sich über ihre Stirn.
Lassiter beugte sich über sie, lauschte... und fluchte dann.
Sie atmete nicht!
»Kommen Sie, Lady, atmen Sie!« Er rüttelte sie an der Schulter. Ihr Kopf bewegte sich hin und her, aber sie wachte nicht auf.
Er zögerte kurz, dann ballte er die rechte Hand zur Faust und hieb damit kräftig auf den Brustkorb der Frau. Das hatte er einmal bei einem alten Medizinmann gesehen, der auf diese Weise ein Kind geweckt hatte, das beim Spielen in den Fluss gefallen war. Damals hatte es funktioniert. Jetzt jedoch...
Gerade, als er fürchtete, zu spät gekommen zu sein, krümmte sich die Frau mit einem Mal, würgte und spuckte einen Schwall Flusswasser aus.
Dann noch einen. Sie japste, keuchte – und spuckte.