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Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2275, 2276 und 2277.
Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!
2275: Lassiter und die Badland-Banditen
Lassiter empfand tiefste Empörung, denn die Frau tat ihm Unrecht. Sein Anblick versetzte sie in Panik. Sie schrie sich die Seele aus dem Leib. Ihr Gesicht war verzerrt vor Angst, und sie streckte ihm abwehrend beide Handflächen entgegen, weil sie mit dem Rücken an der Wand stand.
Sie gebärdete sich, als wäre er der schlimmste vorstellbare Unhold. Das Gellen ihrer Stimme ließ seine Trommelfelle klirren. Vergeblich versuchte er ihr klarzumachen, dass er nichts weiter getan hatte, als ihr einen guten Tag zu wünschen. Sie verstand ihn nicht. Anklagend zeigte sie auf die Wölbung unter seinen Gürtelschließen.
"Und das?", kreischte sie. "Was ist das? Wenn das keine Bedrohung ist..."
2276: Ehrlos und geächtet
Hoch und strahlend stand die Sonne am Himmel, doch sie verbreitete keine Wärme. Glitzernd funkelten Eiskristalle, weiß breitete sich die Landschaft bis zum Horizont aus. Kalte Atemwolken standen vor den Mündern der acht Männer, die sich an einem Hang unterhalb der Bahnschienen postiert hatten. Die Colts trugen sie unter ihren schweren Fellmänteln, damit die Trommeln nicht festfroren.
Angespannt warteten sie auf das Eintreffen des Zuges. Die Union Pacific transportierte auf dieser Linie nicht nur Golddollars zu einem Zwischenlager in Pine Bluffs, sondern auch Waffen. Sobald das Signal der Lokomotive ertönte, würden Thomas Howard und seine Leute die Anhöhe stürmen.
2277: Der Kartenhai von Santa Clara
Russell rannte auf die Tür zu und jagte eine Kugel über die linke Schulter. Irgendwo rief eine gellende Stimme nach dem Sheriff. Russell stieß eine Frau zu Boden, sprang über sie hinweg und sprintete am Schanktisch vorbei in Richtung Ausgang.
"Haltet ihn!", brüllte der Salooner. "Er ist ein Betrüger!"
Russell riss seinen Colt herum und feuerte blindlings. Der Barspiegel zersprang in tausend Stücke. Der Barkeeper tauchte hinter der Theke unter.
Endlich erreichte Russell den Ausgang. Ohne dass ihn jemand daran hinderte, schlüpfte er durch die Tür auf den Vorplatz. Gehetzt blickte er sich um. Am Zügelholm standen zwei Männer. Sie starrten ihn an.
Da riss der Kleinere einen Revolver hoch.
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Seitenzahl: 385
Veröffentlichungsjahr: 2019
Jack Slade
Lassiter Sammelband 1798 - Western
Cover
Impressum
Lassiter und die Badland-Banditen
Vorschau
Lassiter und die Badland-Banditen
Lassiter empfand tiefste Empörung, denn die Frau tat ihm Unrecht.
Sein Anblick versetzte sie in Panik. Sie schrie sich die Seele aus dem Leib. Ihr Gesicht war verzerrt vor Angst, und sie streckte ihm abwehrend beide Handflächen entgegen, weil sie mit dem Rücken an der Wand stand. Sie gebärdete sich, als wäre er der schlimmste vorstellbare Unhold. Das Gellen ihrer Stimme ließ seine Trommelfelle klirren. Vergeblich versuchte er ihr klarzumachen, dass er nichts weiter getan hatte, als ihr einen guten Tag zu wünschen.
Sie verstand ihn nicht. Anklagend zeigte sie auf die Wölbung unter seinen Gürtelschließen. »Und das?«, kreischte sie. »Was ist das? Wenn das keine Bedrohung ist …«
Lassiter wollte sich abermals rechtfertigen, doch in diesem Moment hörte er Männerstimmen. Schlagartig war er hellwach. Und stand senkrecht neben dem Bett. Nur ein Traum! Er schnappte sich die Winchester, die an der Kommode lehnte. Nur drei schnelle Schritte brauchte er, um das Fenster zu erreichen. Er riss es auf. Stieß den Karabiner über den Sims.
Die Schreie einer Frau waren Wirklichkeit, kamen von dem Nachbargrundstück des Hotels. Zwei Kerle zerrten sie über den Hof, vom Gebäude weg. Sie wehrte sich verzweifelt, versuchte auszukeilen wie ein Mustang.
Es nützte ihr nichts. Ihre Bezwinger waren bullig gebaut. Der Mann zu ihrer Linken war blond und bartlos, der andere hatte rote Haare und einen Ziegenbart. Sie ließen die Schreiende zappeln wie ein Kind, ohne sich dabei sonderlich anstrengen zu müssen. Ebenso mühelos wichen sie den Tritten ihres Opfers aus. Lassiter sah, was sie vorhatte. Trotz ihrer misslichen Lage versuchte sie, die Mistkerle an ihren empfindlichsten Stellen zu treffen.
Doch es gelang ihr nicht, denn sie ließen sie nicht zu nahe kommen, reagierten mit wüsten Beschimpfungen und hielten sie an gestreckten Armen zwischen sich, während sie ihr Opfer zum rückwärtigen Tor des Hofs zogen. Es war ein Schulhof, die Frau konnte folglich eine Lehrerin sein.
Sie hatte langes dunkles Haar, das sie im Nacken hochgesteckt trug. Vermutlich war sie gerade erst in der Schule angekommen. Sie trug ein einfaches graublaues Kostüm mit langem Rock, dazu eine weiße Bluse mit hohem Kragen und hochgeschnürte schwarze Lederstiefel.
Ihre Entführer mussten sie vor Unterrichtsbeginn abgepasst haben, denn es waren noch keine Kinder zu sehen – weder auf dem Hof noch im Schulhaus.
Lassiter zog den Kolben der Winchester an die Schulter, visierte kurz und jagte einen Warnschuss über die Köpfe der Kerle hinweg.
Sie zuckten zusammen, als das Blei über sie hinwegsengte und in eine Zaunplanke auf der anderen Seite des Hofs schmetterte.
Die Frau verstummte vor Angst, wagte nicht mehr, sich zu rühren. Doch mehr als diesen Sekundenbruchteil des Erstarrens gab es nicht.
Der Rothaarige ließ die Frau los und wich zur Seite. Die Dunkelhaarige hielt ihre Chance für gekommen. Sie mobilisierte all ihre Kräfte, um sich von dem Blonden loszureißen. Aber der hielt sie mit eiserner Härte, während sein Komplize nach einem federnden Seitwärtssprung herumwirbelte, verharrte und den Sechsschüsser aus dem Holster riss.
Im Beidhand-Anschlag ließ er die Waffe hochrucken – zu den Fenstern des Hotels hin.
Lassiters Zimmer befand sich im zweiten Stock. Er wusste, dass er ein prächtiges Ziel abgab. Im Sonnenlicht des frühen Tages war er gut zu sehen. Und die Entfernung betrug wenig mehr als dreißig Yard. Für einen geübten Revolverschützen kein Problem.
Bevor sich der Zeigefinger des Rothaarigen krümmen konnte, jagte ihm Lassiter eine Kugel durch den Kopf. Dann schwenkte er sofort den Lauf der Winchester herum.
Der Blonde tat das Einzige, was ihm noch blieb: Mit brutaler Gewalt riss er die Frau zu sich heran. Er packte sie nun auch mit der freien Hand und umschloss ihren Oberkörper blitzschnell mit dem linken Arm. Ebenso schnell zog er seinen Colt und presste der Frau die Mündung an die Schläfe. Sie war wie gelähmt, wagte nicht einmal mehr, den kleinen Finger zu rühren.
Der Blonde versuchte sich hinter ihr klein zu machen und sie als Schutzschild zu benutzen. Er schien zu ahnen, dass es ihm nicht vollends gelingen konnte, weil sein Gegner im Fenster des zweiten Stocks den Vorteil der höheren Schussposition hatte.
Das hintere Tor des Schulhofs war nur fünf Schritte entfernt. Und mit jedem Schritt, den er schaffte, das wusste der Entführer genau, verbesserte er seine Chancen.
Doch Lassiter dachte nicht daran, ihn entkommen zu lassen. Er zielte sorgfältig. Wegen der geringen Entfernung brauchte er die Visierung der Winchester nicht zu justieren.
Trotz der höllischen Anspannung, in der er sich befinden musste, bewegte sich der Blonde langsam. Am wichtigsten schien es ihm zu sein, so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten und das Risiko für seinen Gegner zu erhöhen, die Frau durch einen ungenauen Schuss zu verletzen oder gar zu töten.
Es war das Vabanque-Spiel, das er bei Geiselnahmen schon so manches Mal eingegangen war. Stets war es gutgegangen. Das beruhte nicht zuletzt auf seiner Erfahrung, seinen Fähigkeiten als Scharfschütze und seiner Nervenkraft, die der von Stahlseilen glich.
Diese Gedanken schossen Lassiter durch den Kopf, während er sich auf die Visierung konzentrierte. Für ihn stand fest, dass er das Leben der Frau nicht leichtfertig aufs Spiel setzen würde. Sollte das Risiko unkalkulierbar werden, würde er die Aktion abbrechen. Dann musste er den Entführer zunächst entkommen lassen und die Frau auf andere Weise zu retten versuchen.
Praktisch sah er von dem Blonden nur den Haarschopf. Ein Teil davon, vom Haaransatz des Mannes aufwärts, wurde überdies vom hochgesteckten dunklen Haar der Geisel verdeckt.
Lassiter richtete Kimme und Korn neben den Haarknoten der Frau, sodass der Zielpunkt präzise in der linken Kopfhälfte des Entführers lag. Wegen dessen Langsamkeit vermochte Lassiter die Visierlinie fast mühelos konstant zu halten.
Bis auf drei Schritte ließ er den Mann und sein Opfer an das Tor herankommen. Dann zog er durch.
Der Mündungsblitz erlosch, der Pulverrauch verflog.
Und es war kein Ergebnis zu erkennen.
Die Frau stand kreidebleich und starr vor Panik. Der blonde Entführer hinter ihr rührte sich ebenfalls nicht. Das Entscheidende aber war, dass sein Zeigefinger wie eingefroren war. Er hatte es nicht mehr geschafft, ihn um den Abzug zu krümmen. Lassiters Kugel hatte den Mann augenblicklich getötet.
Langsam, unendlich langsam, sank er von der Frau weg.
Abermals zuckte sie zusammen, als sich der Schuss aus seinem Revolver beim Aufprall seines erschlaffenden Arms löste. Wie ein Hammerschlag traf die Kugel den festgestampften Erdboden des Schulhofs.
Die Frau erschauerte, kreuzte krampfhaft die Arme vor der Brust und blickte zu Lassiter hinauf. Ihr Blick war wie ein stummer Schrei, in dem sich Dankbarkeit und die sehnsüchtige Suche nach Schutz mischten.
***
Lassiter stieß die Hintertür auf und eilte über den Hinterhof des Hotels »Custer’s Rest«. Zu ebener Erde konnte er den Schulhof nebenan nicht mehr sehen. Ein mannshoher Bretterzaun trennte die beiden Grundstücke voneinander. Ein Tor oder eine Pforte gab es nicht.
Der Mann der Brigade Sieben fackelte nicht lange. Er lief auf den Zaun zu und packte die Oberkante mit beiden Händen. Mit einem kraftvollen Klimmzug schwang er sich hinüber und landete federnd auf der anderen Seite.
Er hatte sich eilends angezogen. Hose, Stiefel, Hemd und Revolvergurt reichten aus, waren sozusagen das Minimum, mit dem man einer Lady in einer Ausnahmesituation gegenübertreten konnte. Die Winchester hatte er im Hotelzimmer zurückgelassen.
Er verschaffte sich einen Überblick, brauchte dafür nicht mehr als die Zeitspanne eines Atemzugs. Der Schulhof war noch leer. Aber die Lady war nicht mehr allein.
Vor den beiden Toten schmiegte sie sich an die Brust eines Mannes. Er hatte beide Arme um ihren Rücken geschlungen und hielt sie fest, als würde sie ohne seine Hilfe kraftlos zu Boden sinken.
Das Auffälligste an dem Mann war seine Haarpracht, eine weizenfarbene lockige Mähne, die in Lassiter ungewollt den Vergleich mit einem Löwen aufkommen ließ. Der Mann war schlank und hochgewachsen und trug einen grauen Stadtanzug mit ledernen Ärmelschonern in Ellbogenhöhe.
Wie es aussah, redete er beruhigend auf die Frau ein. Während sie den Kopf zur Seite wandte, weil sie Lassiters Sprung gehört hatte, ließ der Mann mit der Löwenmähne sich nicht beirren.
Er drehte sich nicht um, machte in Lassiters Richtung lediglich eine Handbewegung, als wollte er ein lästiges Insekt verscheuchen.
Lassiter ließ sich nicht beirren ging auf das seltsame Paar zu.
»Bitte – jetzt keine Störung!«, rief der Weizenblonde unwillig. »Meine Kollegin, Miss Spanier, hat Furchtbares durchgemacht. Sie braucht absolute Ruhe. Wenn Sie hier etwas zu erledigen haben, gehen Sie bitte ins Schulhaus. Dort …«
»Mortimer«, unterbrach sie ihn energisch. »Der Gentleman hat mir das Leben gerettet.«
»… wird man Ihnen weiterhelfen«, vollendete der mit der Löwenmähne seinen Satz. Dann sah er seine Kollegin wieder an. »Was redest du da? Die beiden Übeltäter sind doch schon tot.«
Lassiter grinste beim Näherkommen und sagte: »Bestimmt sind sie bei Ihrem Anblick vor Schreck umgefallen.«
Die Miene des Blonden verfinsterte sich. »Hören Sie, Sir, dies ist jetzt nicht der Moment für alberne Witze.«
Lassiter reagierte nicht darauf.
Miss Spanier löste sich von ihrem eifrigen Beschützer. »Mortimer«, wiederholte sie eine Spur energischer. »Bitte geh jetzt hinein. Ich hoffe, mein Vater wird gleich hier sein. Du hast ihn doch benachrichtigen lassen, oder?«
»Natürlich«, erwiderte Mortimer gekränkt. »Ich habe Paddy losgeschickt.« Noch während er sprach, wandte er sich ab und steuerte auf das Schulgebäude zu.
»Das ist Mortimer Payne, ein Kollege«, erklärte die Frau. »Paddy Egan ist unser Hausmeister. Mein Name ist Christina Spanier. Ich bin Lehrerin an dieser Schule …
»Lassiter«, stellte der große Mann sich vor. »Kein Vorname, kein Nachname. Der eine Name ist beides. Und Ihr Vater?«
»Ist der County Sheriff«, antwortete Christina und lächelte. »Sein Name ist Sidney Spanier.« Sie holte tief Luft. »Bevor Sie weiterreden, Sir, möchte ich mich bei Ihnen bedanken.« Sie warf einen scheuen Seitenblick auf die Toten, ehe sie fortfuhr: »Sie haben mir das Leben gerettet. Ich weiß nicht, was für ein schreckliches Schicksal mir bevorgestanden hätte, wenn Sie nicht eingegriffen hätten.«
Lassiter sah sie an und runzelte die Stirn. Sie schien sicher zu sein, dass die Entführer sie nicht umbringen wollten. Und sie schien zu ahnen, was die Kerle stattdessen mit ihr vorgehabt hatten.
»Freut mich, dass ich Ihnen helfen konnte«, erwiderte der große Mann einsilbig. Er wollte Christina nicht mit Fragen behelligen. Nicht jetzt, da sie die durchlittenen Ängste erst einmal verarbeiten musste.
»Ich würde Sie gern mit meinem Vater bekannt machen«, sagte Christina. Ihre Stimme hörte sich erstaunlich fest an. Sie schien mit dem Geschehen besser fertig zu werden als es die meisten Frauen an ihrer Stelle geschafft hätten.
Lassiter ging mit ihr auf das Schulhaus zu. Noch bevor sie es erreichten, wurde die Hintertür geöffnet, und der Sheriff trat heraus – erkennbar an dem vernickelten Metallstern, den er auf der Außenbrusttasche seiner schwarzen Lederweste trug.
Sidney Spanier war ein breitschultriger, untersetzter Mann von mittlerer Größe. Sein glattes dunkles Haar war sorgfältig in der Mitte gescheitelt und reichte bis zu den Ohren.
Zwei Deputies traten ebenfalls ins Freie. Mortimer Payne und eine rundliche, vollbusige Frau mit straff zurückgeknotetem brünettem Haar wollten ihnen folgen. Doch der Sheriff schien Augen im Hinterkopf zu haben, denn ohne sich umdrehen zu müssen, rief er:
»Joanna und Mortimer! Ihr bleibt drinnen und passt auf, verstanden! Ich will hier kein Kind auf dem Schulhof sehen.«
»Joanna Taft«, ist unsere Schulleiterin, hatte Christina noch Zeit, ihrem Retter zu erklären. Dann war ihr Vater bereits bei ihnen.
Bevor Christina fortfahren konnte, schloss ihr Vater sie wortlos in die Arme und strich ihr beruhigend über den Rücken. Nach einem Moment umfasste er ihre Oberarme und trat einen Schritt zurück. Mit einem Blick auf die Toten fragte er:
»Was ist passiert? Ich habe bis jetzt nur gehört, dass die Bastarde dir im Schulhaus aufgelauert haben.«
Christina nickte. Mit einer Kopfbewegung deutete sie auf Lassiter. »Dieser Gentleman – Lassiter – hat mir das Leben gerettet, Dad.« Mit wenigen Worten erklärte sie, was geschehen war. Sie fügte hinzu: »Ich hatte schon eine Revolvermündung an der Schläfe.«
»Und trotzdem …?« Sheriff Spanier ließ die Frage unbeendet und sah den großen Mann an. »Alle Achtung, Sir. Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet. Meine Tochter bedeutet mir alles. Abgesehen davon – ist es eine herausragende Leistung, die Sie vollbracht haben. Ein durchschnittlicher Bürger hätte so etwas niemals geschafft.«
Lassiter lächelte und zeigte ihm zur Erklärung seinen Dienstausweis. »Ich bin nur auf der Durchreise hier. Meine Anweisung aus Washington lautet, in Yankton auf meinen nächsten Auftrag zu warten.«
»Washington hätte sich keinen besseren Ort aussuchen können«, sagte Spanier. Er hob die Augenbrauen, während er den Ausweis studierte. Anerkennend murmelte er: »Agent der Regierung sind Sie? Und zuständig für was?«
»Ich bekämpfe das Verbrechen«, antwortete der große Mann.
Spanier nickte. »Überall in den Staaten, nehme ich an.«
»So ist es«, bestätigte Lassiter.
Der Sheriff nickte erneut, bedächtiger diesmal. Er gab den Deputies einen Wink und wies sie an, sich um die Toten zu kümmern und den Leichenbestatter und den Fotografen zu verständigen. Seine Tochter schmiegte sich an seine Schulter und sah Lassiter mit einem Blick an, in dem sich Verträumtheit, Bewunderung und Erleichterung nach überstandener Gefahr zu vereinen schienen.
»Vielleicht interessiert Sie dieser Fall«, sagte Sheriff Spanier, an Lassiter gewandt. »Wir haben es hier im Yankton County mit einer Bande von gottverdammten Bastarden zu tun, an die ich einfach nicht herankomme.«
Der Mann der Brigade Sieben horchte auf. »Die Kerle haben also einen sicheren Schlupfwinkel?«
»In der Tat«, antwortete Spanier. »Ich vermute, dass sie sich irgendwo in der Pine Ridge Reservation verkriechen.«
»In den Badlands«, folgerte Lassiter.
»Sie kennen das Gebiet?«
»Ich hatte dort schon mal zu tun.«
»Nun, dann brauche ich Ihnen nicht zu erzählen, dass man ebenso gut nach einer Stecknadel im Heuhaufen suchen könnte.« Sidney Spanier seufzte wie unter einer schweren Last, ehe er fortfuhr: »Diese Burschen tauchen wie aus dem Nichts auf und überfallen alles, was ihnen vor die Flinte kommt – von der Postkutsche bis zum Geldtransport.«
»Und der Überfall auf Ihre Tochter?«
»Gehört leider zu einer neuen Serie von Taten«, antwortete der Sheriff. »Sie scheinen sich jetzt auf Menschenhandel zu spezialisieren. Sie kidnappen minderjährige Mädchen und junge Frauen. Wir haben bereits drei Entführungsopfer zu beklagen, von denen jede Spur fehlt.«
»Aber diesmal …«, erwiderte Lassiter, »sind die Banditen zum ersten Mal gescheitert. Richtig?«
Spanier knurrte zustimmend. »Dass sie sich an meiner Tochter vergriffen haben, wird der verdammten Bande das Genick brechen – dank Ihrer Hilfe, Lassiter.« Als der große Mann abwinkte, fragte der Sheriff: »Sie wohnen im Custer’s?« Er deutete mit einer Kopfbewegung nach nebenan, wo der obere Teil des Hotelgebäudes hinter dem Bretterzaun zu sehen war.
Lassiter nickte, und Spanier kündigte an, dass er später ein Protokoll aufsetzen würde. Erst einmal müsse er Christina ins Schulhaus bringen. Als die beiden weggingen, hörte der große Mann noch einen Moment lang mit, wie sie miteinander redeten.
»Ich unterrichte wie gewohnt«, sagte Christina und hörte sich dabei überaus entschlossen an.
»Das kommt nicht in Frage«, entgegnete ihr Vater. »Auf gar keinen Fall wirst du unterrichten.«
»Himmel noch mal, Dad, wann nimmst du endlich mal zur Kenntnis, dass ich seit sechs Jahren volljährig bin?«
»Das hat mit der Sache überhaupt nichts zu tun. Unvernünftig kann man noch im Greisenalter sein.«
»Ich bin aber nicht unvernünftig. Ich fühle mich wohl – erleichtert, wie neugeboren.«
»Du stehst sehr wahrscheinlich unter Schock.«
»Das glaube ich einfach nicht.«
»Können wir uns darauf einigen, dass Doc Harris darüber entscheidet?«
»Was soll er tun? Mich mit Laudanum abfüllen?«
»Erst einmal muss er dich untersuchen. Und wenn er sagt, du darfst heute nicht mehr unterrichten, dann unterrichtest du nicht mehr.«
»Okay«, seufzte Christina – hörbar schweren Herzens.
Während sie sich dem Schulhaus näherten, drehte sich die Tochter des Sheriffs noch einmal um und sah den großen Mann an. Ihr Blick hatte etwas Sehnsüchtiges, löste in seinem Inneren eine Woge der Wärme aus, die ihn buchstäblich durchflutete.
***
Schon am frühen Morgen drang die Augusthitze wieder in alle Ritzen der Häuser vor. Bretter- und Backsteinwände sogen die Sonnenglut auf, und die Innenräume wurden zu Backöfen. Deshalb waren die im Schatten befindlichen Fenster des Restaurants von Custer’s Rest geöffnet. An den übrigen Fenstern waren die schweren braunen Tuchvorhänge zugezogen, damit sie die Sonne aussperrten.
Der Hochsommer des südlichen South Dakota, an der Grenze nach Nebraska, hatte kalifornische Qualitäten. Während der drei Tage, die Lassiter sich nun bereits in Yankton aufhielt, war kein einziger Tropfen Regen gefallen. Und er hatte vom Hotelpersonal erfahren, dass es in den letzten fünf Wochen nicht anders gewesen war.
Das Yankton County ächzte unter der Trockenheit, und selbst der Missouri und seine Nebenflüsse führten nur noch wenig Wasser.
Lassiter hatte sich einen Tisch an einem der offenen Fenster des Restaurants ausgesucht. Außer ihm waren nur noch vier weitere Hotelgäste anwesend, ein Ehepaar und zwei Gentlemen, die wie Handlungsreisende aussahen.
Ab und an sandten sie verstohlene Blicke herüber; schließlich mussten alle die Schüsse gehört haben. Und weil der große Mann sein Jackett hinter sich über die Stuhllehne gehängt hatte, war der Remington-Revolver, den er im Gürtelholster trug, nicht zu übersehen.
Aus der nahen Mainstreet wehten Geräusche von Pferdehufen und Wagenrädern herüber. Geschäftsinhaber, die ihre Läden öffneten, riefen sich Morgengrüße zu. In unmittelbarer Nachbarschaft dagegen herrschte ungewohnte Ruhe. Die hellen Kinderstimmen vom Schulhof waren sonst zu hören, bevor der Unterricht begann.
Lassiter beendete sein Frühstück, das aus Toast mit gebratenem Bacon und Spiegeleiern bestanden hatte. Zum Abschluss verwöhnte er sich mit einem handspannenhohen Stapel von Buchweizen-Pfannkuchen, zwischen denen dickflüssiger Ahornsirup goldbraun hervorquoll.
Anschließend hatte er das Gefühl, sich nicht mehr bewegen zu können. Die Küche des Restaurants und des Hotels war hervorragend. Er hatte es bereits mehrfach festgestellt. Wenn er noch sehr viel länger bleiben musste, weil er darauf wartete, dass aus Washington ein Telegramm mit einem neuen Auftrag der Brigade Sieben eintraf – nun, dann musste er seinen Gürtel wohl bald ein Loch weiter stellen.
Der Kaffee in der Porzellankanne war noch heiß. Er schenkte sich eine weitere Tasse davon ein und trank einen langsamen, genussvollen Schluck. Nach einem zweiten Schluck schloss er genießerisch die Augen, lehnte sich zurück und versuchte, sich Christina Spanier vorzustellen, die Tochter des Sheriffs.
Vor seinem geistigen Auge sah er sie deutlich – ihr feingeschnittenes Gesicht, das dunkle Haar, die dunkelbraunen Augen und die sinnlich geschwungenen Lippen. Unter ihrem graublauen Kostüm mit dem langen Rock vermochte er einen schlanken Körper zu erkennen, der keinerlei weibliche Attribute vermissen ließ.
Als er die Augen öffnete, stand sie vor ihm.
»Hey!«, rief er überrascht. »Sind Sie ein Engel?«
Sie lachte und erwiderte kokett: »Sehe ich so aus?«
»Das auch«, sagte er und zwinkerte. »In diesem Fall meinte ich aber mehr Ihr lautloses Herbeischweben.«
»Ich bin auf Zehenspitzen gegangen«, gestand sie.
»Ich wollte Sie überraschen. Als ich sah, dass Sie die Augen geschlossen hatten, war es eine spontane Idee.«
»Schade.«
»Wie bitte?« Sie runzelte die Stirn, und auf ihrem Nasenrücken bildeten sich zwei kleine, feine Falten.
»Ich hatte gedacht, es wäre mir gelungen, Sie herzuzaubern.«
»Wer sagt, dass es nicht so war?« Sie neigte den Kopf zur Seite und lächelte. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
»Du lieber Himmel!«, stieß Lassiter hervor. »Sorry!« Er sprang auf, war mit zwei schnellen Schritten auf der anderen Seite des Tischs und rückte den Stuhl dort für Christina zurecht. »Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen nicht sofort einen Platz angeboten habe. Ich war einfach zu überrascht, Sie zu sehen.«
»Also eine positive Unhöflichkeit.« Christina schmunzelte und setzte sich. »Ich finde das einfach nett.«
Lassiter kehrte auf seinen Platz zurück. »Möchten Sie einen Kaffee? Darf ich Ihnen etwas bestellen?«
Christina schüttelte den Kopf. »Vielen Dank. Ich habe schon gefrühstückt – bevor diese Banditen versuchten, mich zu verschleppen. Und danach ist mir der Appetit vergangen.«
»Hat Ihr Vater sich durchgesetzt?«
Christina lachte abermals. »Sie meinen, was das Unterrichten betrifft? Nein. Joanna Taft, unsere Schulleiterin, hat entschieden, dass die Schule heute ausfällt. Sie hat die Kinder nach Hause geschickt, bevor sie die Toten auf dem Schulhof sehen konnten.« Christina lehnte sich zurück und faltete die Hände auf der Tischplatte. »Deshalb habe ich nun einen freien Tag.«
Lassiter trank einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse zurück. »Schön, dass Sie die Zeit nutzen, um mich zu sehen.«
Sie schloss die Augen halb, öffnete sie wieder und sandte ihm einen verschwörerischen Blick zu. »Es gibt zwei Gründe dafür. Erstens hat Daddy gesagt, ich solle mich bei Ihnen bedanken. Was ich hiermit tue.«
»Klingt etwas spröde«, erwiderte Lassiter lächelnd. »Und zweitens?«
»Wer sagt, dass ich mit dem Danken schon fertig bin?«, erwiderte Christina spitz. Doch ihre Miene glättete sich sofort wieder. »Zweitens – ist Ihre Engel-Theorie nicht ganz von der Hand zu weisen, glaube ich.«
Lassiter hob die Augenbrauen. »Heißt das, Sie sind nicht von dieser Welt?«
»Verspotten Sie mich nicht.« Christina atmete hörbar durch die Nase aus. »Grundsätzlich tue ich nicht immer, was mein Vater sagt. Er muss lernen, dass ich eine erwachsene Frau bin.«
Lassiter nickte bedächtig. »Ich kenne einige Väter, die es schwer haben mit ihren erwachsenen Töchtern.«
Christina lächelte. »All right, in diesem Fall hat er wohl geglaubt, dass ich ihm gehorche. Er konnte ja nicht ahnen, dass ich etwas gespürt habe. Etwas in meinem Bewusstsein, das aber unter der Oberfläche geblieben ist.« Statt weiterzusprechen, sah sie ihr Gegenüber erwartungsvoll an.
»Ein Signal?«, fragte Lassiter mit mäßigem Interesse, weil er ahnte, was kommen würde.
»Signal wäre übertrieben«, antwortete Christina. »Es war wohl mehr eine Art Impuls.« Ihre Augen leuchteten auf. »Aber ich habe sofort gewusst, dass dieser Impuls von Ihnen kam, Lassiter. Sie haben an mich gedacht. Richtig?«
»Ja.« Lassiter konnte nichts anderes tun, als es zuzugeben.
»Sie wollten mich herzaubern, haben Sie gesagt.«
»Eigentlich wollte ich mir nur an Sie erinnern – bildlich, sozusagen.«
»Sehen Sie!«, rief Christina halblaut. »Das ist es, was ich gespürt habe. Wir sind verwandte Seelen. Wir können uns miteinander verständigen, ohne sprechen zu müssen.« Sie beugte sich vor und senkte die Stimme. »Verraten Sie mir etwas. Ich habe gehört, dass sich Männer bei einem ersten Kennenlernen gern vorstellen, wie eine Frau nackt aussieht. Haben Sie das auch getan?«
»So weit war ich noch nicht«, erwiderte Lassiter mit einem Grinsen in den Mundwinkeln. »Verraten Sie mir auch etwas?«
»Aber gerne.« Sie lachte wieder. »Sie brauchen nicht weiterzusprechen. Wenn eine Frau einen Mann zum ersten Mal sieht, der ihr gefällt – nun, dann wird sie sich verständlicherweise mit der Frage beschäftigen: ›Wie groß ist sein größtes Geheimnis?‹ Und die Frage wird ihr keine Ruhe geben, bis es ihr gelungen ist, das Geheimnis zu lüften.«
»Aha«, sagte Lassiter ebenfalls halblaut. »Und was steht für eine Frau in dem Fall an erster Stelle – das Geheimnis oder die Größe?«
»Es ist beides gleichrangig. Aber wenn sie das Geheimnis erst einmal aufgedeckt hat, spielt nur noch die Größe eine Rolle.«
***
Sie traten auf die Mainstreet hinaus. Noch unter dem Vordach des Hotels hakte sich Christina bei Lassiter ein, als würde es sich um die allergrößte Selbstverständlichkeit handeln.
Die morgendliche Betriebsamkeit in der Stadt hatte etwas nachgelassen, denn die meisten Menschen befanden sich inzwischen an ihren Arbeitsplätzen. Wer jetzt noch unterwegs war, hatte Besorgungen zu erledigen – Hausfrauen etwa, aber auch korrekt gekleidete Gentlemen, die Termine bei Behörden oder Geschäftspartnern zu erledigen hatten.
Aus der Seitenstraße neben dem Schulgebäude rollte ein schwarz gestrichener Frachtwagen hervor. Die offene Ladefläche war mit einer festgezurrten schwarzen Plane abgedeckt. Auf dem Bock saßen zwei schwarzgekleidete Männer. Lassiter brauchte seine Begleiterin nicht zu fragen; er wusste, dass es sich um den Undertaker und seinen Gehilfen handelte.
Lassiter und Christina warfen nur einen kurzen Blick auf die andere Straßenseite, ohne ein Wort darüber zu verlieren.
»Grandma ist eine tolle Frau«, erzählte Christina im Plauderton. »Sie hat unglaublich gern Gäste. Sie würde es mir nie verzeihen, wenn ich Sie nicht eingeladen hätte, Lassiter.«
»Gut, dass wir sie nicht enttäuschen müssen«, entgegnete der große Mann. »Und wenn ich ihr mit meinem Besuch eine Freude machen kann, umso besser. Aber warum muss es gleich Lunch sein? Hätten Kaffee und Kuchen nicht gereicht?«
»Nicht für Grandma«, antwortete Christina. Sie sah Lassiter von der Seite an. »Eins muss ich Ihnen noch sagen. Sie freut sich über eine echte Kritik an ihren Kochkünsten. Also sollten Sie nicht alles loben, sondern ein paar Verbesserungsvorschläge machen – zum Beispiel.«
»Verstehe«, antwortete der große Mann. »Kleinigkeiten, die das positive Gesamturteil nicht zerstören.«
Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er einen Mann, der ihm bekannt vorkam. Der Mann stand auf der anderen Straßenseite, im Eingang eines General Store, zwischen den beiden Schaufenstern.
»Es ist so, dass Grandma genau weiß, was sie kann«, fuhr Christina fort. »Aber sie sagt, wenn eine Kritik konstruktiv ist, hat sie immer ein offenes Ohr dafür. Weil es sie weiterbringt. Schwer vorstellbar, wenn man sie mit anderen in ihrem Alter vergleicht, aber sie will immer noch dazulernen.«
»Wie alt ist sie?« Lassiter sagte es geistesabwesend.
Denn er sah, wie der Mann drüben im Eingang des General Store ein Stück aus dem Schatten trat, wohl, um besser sehen zu können. Seine weizenfarbene gelockte Mähne war nun deutlich erkennbar. Ebenso die ledernen Ärmelschoner seines grauen Stadtanzugs.
»Grandma stammt aus Irland, eine geborene O’Driscoll. Eine irische Lady spricht nicht über ihr Alter. Und es gilt als grobe Unhöflichkeit, sie danach zu fragen.«
»Und wenn sie Geburtstag feiert?«
»Dann feiert sie Geburtstag, aber nicht ihr Alter. Die Gäste wissen sich zu benehmen und reden nicht darüber.« Christina lachte leise in sich hinein. »Ich weiß allerdings, dass Grandma Mitte siebzig ist – aber immer noch voller Energie.«
Lassiter gab nur ein Brummen von sich, ging nicht darauf ein. Es lag an Mortimer Payne, der zunehmend seine Aufmerksamkeit erweckte, weil die blauen Augen unter der Löwenmähne völlig ungeniert herüberspähten.
Christina bemerkte Lassiters Geistesabwesenheit. Sie wandte den Kopf und folgte seiner Blickrichtung. Unterdessen stellte er fest, dass Paynes Augen unverhohlenen Hass ausstrahlten.
»Wenn Blicke töten könnten«, murmelte Lassiter.
Christina wusste, wovon er sprach. »Mortimer ist krankhaft eifersüchtig«, sagte sie. »Dabei sind wir nur Kollegen, nichts weiter. Er ist einfach nicht mein Fall, und das will er nicht einsehen. Ich versuche ständig, ihn auf Distanz zu halten.«
»Und heute glaubte er, die Gelegenheit am Schopf ergreifen zu müssen.«
»Den Beschützer zu spielen?« Christina beantwortete sich die Frage selbst mit einem Nicken. »So was ist typisch für ihn. Er hat gar nichts für mich getan, und trotzdem spielt er sich als edler Ritter auf.«
»Wenn es Ihnen unangenehm ist …«
»Nein, nein«, sagte Christina rasch. »Bitte tun Sie ihm nichts. Ich weiß, wie ich mit ihm fertigwerde. Richtig aufdringlich ist er nie geworden.«
»Nur eifersüchtig.«
»Ja, schon. Vielleicht ist es krankhaft von ihm. Aber er wird zum Glück nicht aufdringlich. Wie gesagt, ich halte ihn mir vom Leib.«
Lassiter grinste. »Ich fürchte, gleich platzt er da drüben vor Neid. Immerhin halten Sie sich mich nicht vom Leib. Und dann nehmen Sie mich auch noch mit nach Hause. Ich werde wohl um mein Leben fürchten müssen.«
»Keine Angst.« Christina lachte leise. »Mortimer ist harmlos. Notfalls beschütze ich Sie vor ihm.«
»Das beruhigt mich sehr«, erwiderte Lassiter und zwinkerte. In Wahrheit nahm er die Sache keineswegs auf die leichte Schulter. Denn es war mehr als nur Neid, was er trotz der Entfernung in Paynes Augen lesen konnte.
Es war blanker Hass.
Payne wagte nicht, ihm und Christina zu folgen. Lassiter sah, dass er weiterhin im Store-Eingang stand, als sie sich nach rechts wandten.
Das Wohnhaus der Familie Spanier befand sich an der Ecke Mainstreet und Riverside Lane. Der Name der Seitenstraße war ein Hinweis darauf, dass sie bis hinunter zum Missouri führte. Das Eckhaus war zweigeschossig und aus dunkelrotem Backstein gebaut.
Allein dieser Umstand ließ erkennen, dass die Erbauer – Sidney Spaniers Großeltern – wohlhabend gewesen sein mussten. Christina bestätigte es und erzählte Lassiter die Geschichte in Kurzform, rechtzeitig, bevor sie das Haus erreichten.
Der Großvater des Sheriffs war Reeder gewesen, hatte sein Vermögen mit der Flussschifffahrt auf dem Missouri gemacht. Sidneys Vater hatte das Geschäft übernommen und erfolgreich weitergeführt. Doch die rasante Entwicklung der Eisenbahn hatte das Frachtaufkommen für Flussschiffe drastisch gesenkt.
Deshalb hatte Sidney sich von vornherein anderweitig orientiert. Er war in die Armee eingetreten, hatte rasch Karriere gemacht und es bis zum Major gebracht. Nach dem Ende der Indianerkriege hatte er seinen Abschied genommen und war in seine Heimatstadt Yankton zurückgekehrt.
Als Kandidat für den turnusmäßig freien Posten des County Sheriffs hatte er einen furiosen Wahlsieg errungen. Als Sohn der Stadt und Ex-Offizier hatte er einen überragenden Vertrauensbonus in der Bevölkerung genossen, und heute war seine Beliebtheit größer denn je.
Seine Eltern hatten ihm das Haus überschrieben, nachdem sie die Reederei an ein größeres Konkurrenzunternehmen verkauft hatten. Sidney war mit Frau und Kind in das Haus seiner Eltern eingezogen, während diese sich auf einen Altersruhesitz in Kalifornien zurückgezogen hatten.
Das Eheglück war nicht von langer Dauer gewesen. Sidneys Frau war mit einem Politiker nach Washington durchgebrannt; Christina war jedoch bei ihrem Dad geblieben. Zu ihren Großeltern mütterlicherseits hatten sie und ihr Vater stets ein gutes Verhältnis gehabt.
Daran hatte sich auch nach der Scheidung nichts geändert, und so war es für ihn selbstverständlich gewesen, seine Schwiegermutter bei sich aufzunehmen, als sein Schwiegervater nach einer schweren Lungenentzündung gestorben war.
»Seitdem leben wir zu dritt – und glücklich – miteinander, beendete Christina ihren Bericht, kramte einen Schlüssel aus ihrer Handtasche und öffnete die Haustür.
Eine Duftmischung von Gewürzen wehte den Eintretenden entgegen – so frisch und intensiv, dass Lassiter verblüfft stehenblieb, die Augen schloss und tief durch die Nase einatmete. Dazu gab er einen Laut wohligen Bewunderns von sich.
»Bin ich im Schlaraffenland?«, fragte er staunend. »Wo schon das Atmen zum Hochgenuss wird?«
Christina führte ihn in die Küche und bat ihn, dieses Kompliment zu wiederholen.
Mairead Egan, Christinas Großmutter, war so drahtig und energiegeladen, wie Lassiter sie sich vorgestellt hatte. Sie trocknete sich die Hände an einem blütenweißen Handtuch ab und begrüßte den Gast, indem sie ihm die Hand gab.
Und sie strahlte vor Freude, als der große Mann von Schlaraffenland und Hochgenuss sprach. Dass er damit einen Wunsch ihrer Enkelin erfüllte, hatte sie offenbar nicht mitbekommen.
Zum Teil war es wohl die Verlegenheit, die Grandma Mairead die Röte ins Gesicht trieb; hauptsächlich aber war das Feuer im Herd schuld daran. Zusammen mit der Augusthitze verwandelte es die Küche in einen einzigen großen Backofen.
Mairead plauderte so gelassen, dass es den Anschein hatte, weder die Hitze noch die Arbeit würden ihr etwas ausmachen. Voller Stolz berichtete sie, dass sie in ihrem Gemüsegarten eine Kräuterecke habe, die sie hege und pflege, und dass Rosmarin, Oregano und Kerbel ihre Lieblingsgewürze seien.
Sie trug das graue Haar hochgesteckt, hatte sich eine dunkelblaue Schürze umgebunden und werkelte in einem Chaos aus Töpfen, Pfannen, Küchengeräten, Schüsseln, Schneidbrettern, Vorratsdosen, Messbechern und Fleischmessern. Doch es handelte sich nur um ein scheinbares Durcheinander. Sie beherrschte es souverän; das sah Lassiter, ohne zwei Mal hinsehen zu müssen.
»Madam, ich hoffe, Sie machen sich meinetwegen nicht zu viel Arbeit«, sagte er der Form halber.
»Ach was«, antwortete Grandma Mairead. »Auf die Idee würde ich gar nicht kommen. Die Arbeit mache ich für meinen Schwiegersohn und meine Enkeltochter. »Gäste laufen bei uns am Rande mit.«
Christina stieß den Mann der Brigade Sieben kumpelhaft mit dem Ellenbogen an. »Das ist irischer Humor«, flüsterte sie im Ton einer Leidensgefährtin. »Machen Sie sich nichts daraus.«
***
Die Gestalt schnellte aus einem Torweg heraus – wie von einem Katapult geschleudert und dann plötzlich gestoppt.
»Sheriff«, keuchte der Mann aufgeregt. »Hören Sie mich an, das müssen Sie wissen – das muss ich Ihnen unbedingt sagen!«
Sidney Spanier konnte gerade noch vermeiden, mit ihm zusammenzuprallen.
»Menschenskind, Mortimer«, stöhnte er. »Können Sie nicht wie ein normaler Mensch auf mich zugehen – und mir dann sagen, was Sie zu sagen haben?«
»Aber es ist wichtig, Sid!« Mortimer Payne schnaufte wie unter einer schweren Last. »Ich musste sicherstellen, dass ich Sie nicht verpasse, bevor Sie – bevor Sie …« Payne rang nach Atem vor Aufregung.
»Bevor ich was?«, entgegnete Spanier schroff. »Hören Sie, Mort, mir knurrt der Magen. Ich werde zu Hause zum Lunch erwartet. Kommen Sie in zwei Stunden in mein Office. Dann erzählen Sie mir, was Sie zu erzählen haben. Okay?«
»Das ist zu spät, viel zu spät!«, rief Mortimer Payne. Er hatte Luft geholt. »Es geht um Christina, Sid, um Ihre Tochter. Sie ist mit diesem Kerl unterwegs, diesem …«
»Lassiter. Ich weiß.«
»Das wissen Sie?« Paynes Augen schienen aus den Höhlen quellen zu wollen. »Aber Christina nimmt ihn mit nach Hause, zu Ihnen!«
»Auch das ist mir bekannt. Ich habe Christina aufgetragen, ihn einzuladen. Ich frage mich allerdings, weshalb Sie sich darüber den Kopf zerbrechen, Mort.«
Payne ereiferte sich: »Du lieber Himmel, Sid, dieser Lassiter hat zwei Männer erschossen – einfach so, wie auf dem Schießstand.«
»In Notwehr.«
»Solange das nicht bewiesen ist, gehört der Kerl hinter Gitter«, rief Payne erbost.
Spaniers Augen verengten sich. »Es ist bewiesen«, knurrte er. »Dafür gibt es zwei Zeugen. Erstens Christina, die in Lebensgefahr schwebte. Zweitens den Hausmeister.«
»Paddy Egan? Der kam mir doch entgegen, heute Morgen, als ich auf die Sache zukam. Und da lagen die beiden Unbekannten schon tot auf dem Schulhof – erschossen von diesem Fremden aus seinem Hotelzimmerfenster.«
»Haben Sie es gesehen?«
»Natürlich.«
»Ich verbessere mich«, knurrte Sidney Spanier. »Haben Sie gesehen, wie der Fremde – Lassiter – die beiden Banditen erschoss?«
»Aber sicher. Ich kam doch darauf zu!«
»Und was war mit Christina? Haben Sie denn überhaupt nichts mitgekriegt, Mort?«
»Und ob!« Der Weizenblonde blinzelte. »Christina war völlig verängstigt. Stellen Sie sich doch bloß mal vor – in ihrer unmittelbaren Nähe werden zwei Männer erschossen, während Sie mit ihnen plaudern.«
Sheriff Spanier glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. »Plaudern?«, wiederholte er fassungslos. »Sind Sie noch bei Verstand? Diese Kerle haben versucht, Christina zu entführen, Mann.« Er stieß einen zornigen Knurrlaut aus und schüttelte verständnislos den Kopf. »Plaudern! Hören Sie auf, mich mit Ihrem Unsinn zu belästigen. Gehen Sie nach Hause, Mort. Heute brauchen Sie nicht zu arbeiten. Das haben Sie hoffentlich richtig mitgekriegt.« Spanier wandte sich ab.
Payne schnappte nach Luft. »Das wird Ihnen noch leidtun, Sid. Wer sich so um die Sorgen seiner Bürger kümmert, der hat es nicht verdient, jemals als Sheriff wiedergewählt zu werden.«
Sidney Spanier drehte sich noch einmal um. »Ich warne Sie, Mort. Treiben Sie es nicht auf die Spitze. Es könnte sonst passieren, dass ich mich an das Schulkomitee wenden muss.«
»Warum, zum Teufel?«
»Weil ich mich frage, ob Sie noch für den Dienst als Lehrer geeignet sind.«
Im Weggehen bemerkte er, dass Payne ihm mit hasserfülltem Blick nachstarrte.
Fünf Minuten später saß Spanier gemeinsam mit seiner Schwiegermutter, seiner Tochter und dem Mann der Brigade Sieben am reichlich gedeckten Tisch. Sidneys Aufgabe war es, den Rinderbraten aufzuschneiden. Grandma Mairead wies voller Stolz darauf hin, dass die Gemüsebeilagen allesamt aus ihrem eigenen Garten stammten.
»Und die Zitronenlimonade ist auch hausgemacht«, erklärte Christina, während sie das erfrischende Getränk aus einem Krug einschenkte. In den Gläsern lagen bereits Eisbrocken, die so klar waren wie kostbares Kristall.
»Und das Eis stammt aus unserem eigenen Eiskeller«, fügte Mairead hinzu. »Ein erschwinglicher Luxus, auf den wir nicht verzichten möchten. Und nun …«, sie sah den großen Mann an, »greifen Sie zu, Lassiter. Wenn es Ihnen schmeckt, sagen Sie nichts. Aber wenn es etwas zu beanstanden gibt, dürfen Sie es auf keinen Fall verschweigen.«
Lassiter bedankte sich für die Einladung und versprach Mairead, sich nach ihren Vorschriften zu richten. Sie quittierte es mit einem Lächeln und überließ ihrem Schwiegersohn das Wort, während sie sich alle mit Hingabe der köstlichen Mahlzeit widmeten.
»Ich muss gleich nach dem Essen wieder ins Office«, sagte Sidney. »Die Deputies und ich sind damit beschäftigt, die Banditen zu identifizieren. Erste Hinweise haben wir schon erhalten. Dass sie zur Bialkin-Bande gehören, steht meines Erachtens aber fest.« Er wandte sich seiner Tochter zu. »Wie fühlst du dich jetzt, Tina?«
»Gut«, antwortete sie. »Es könnte nicht besser sein. Dank Lassiter.« Lächelnd sah sie den großen Mann an.
Er überspielte den Moment, bevor er verlegen werden konnte, indem er den Sheriff fragte: »Bialkin? Wer ist das?«
»Elsie Bialkin«, sagte Sidney. »Sie heißt eigentlich Elzbieta Bialkowska.«
Lassiter runzelte die Stirn. »Der Name kommt mir bekannt vor.«
»Das wundert mich gar nicht«, erwiderte Sidney. »Es würde mich nicht überraschen, wenn die gute alte Elsie in Washington auf euren Fahndungslisten steht.«
»Gut möglich.« Lassiter setzte das Messer an, und es glitt durch sein Stück Roastbeef wie durch Butter. »Wie alt ist sie, diese Elsie? Und ist sie tatsächlich Anführerin einer Banditenhorde?«
»Scheint so zu sein«, brummte der Gesetzeshüter zwischen zwei Bissen. »Jeder Outlaw nördlich und südlich des Missouri schwärmt in den höchsten Tönen von ihr – jedenfalls die, die wir geschnappt haben, bevor sie ihr Leben aushauchten.«
»Sidney«, sagte Mairead tadelnd. »Was für ein Thema bei Tisch.«
»Manche Dinge kann man nicht beschönigen, Grandma«, nahm Christina ihren Vater in Schutz. »Du weißt, zwei von diesen Desperados haben heute versucht, mich zu entführen. Wenn Lassiter nicht gewesen wäre …« Sie wandte sich dem großen Mann zu, seufzte tief und schenkte ihm ein Lächeln voller Dankbarkeit.
»Leider konnte ich keinen der beiden am Leben lassen«, erklärte Lassiter bedauernd. »Also gibt es wieder keinen Zeugen, der uns weiterbringen könnte.«
»Uns?«, wiederholte der Sheriff. »Das klingt, als ob ich mit Ihrer Unterstützung rechnen kann.«
Der große Mann nickte. »Ich bin nun mal hier – in Yankton. Und wenn ich Zeuge eines Verbrechens werde, habe ich die Pflicht, einzugreifen.« Er trank einen ausgiebigen Schluck von der herrlich kühlen Limonade. Er stellte sein Glas ab. »Kommen wir noch einmal auf die Anführerin, Sheriff.«
»Nennen Sie mich Sid«, bat der Hausherr. »Elsies genaues Alter kennen wir nicht. Sie soll Mitte zwanzig sein. Niemand in der Stadt und im County hat sie jemals zu Gesicht bekommen. Das heißt – wer ihr begegnet ist, hat es nicht überlebt. Auf den Steckbriefen aus anderen Bundesstaaten soll aber stehen, dass sie lange rote Haare hat.«
»Mehr nicht?« Lassiter hob die Augenbrauen an.
»Nur die üblichen Saloon-Legenden.« Sid Spanier zuckte mit den Schultern. »Elsie-Elzbieta soll von polnischen Einwanderern abstammen. Wenn die Erzählungen über sie stimmen, hat sie in New York einen Zuhälter kennengelernt, mit dem sie nach Westen ausgerissen ist.«
»Minderjährig?«
»Möglich – oder auch nicht«, übernahm Christina es, Lassiters Frage zu beantworten. »Auf jeden Fall ist es eine schaurige Geschichte. Es soll darüber sogar eine Dime Novel geben, einen Heftroman.«
»Welche Geschichte wird heutzutage nicht zum Roman!«, rief Mairead. »Die Leute sind ja richtig süchtig nach Lesestoff. Und deshalb haben auch so viele schlechte Augen.«
***
Lassiter war der Einzige, der Mairead beachtete, indem er ihr zunickte und lächelte. Wahrscheinlich kannten Sid und seine Tochter ihre zeitkritischen Bemerkungen bereits in- und auswendig.
»Wie alt sie auch gewesen sein mag«, fuhr Christina fort, »sie war jedenfalls stark oder raffiniert genug, oder beides, um sich diesen New Yorker Zuhälter vom Hals zu schaffen, als er ihr lästig wurde. Der bedauernswerte Mann bekam zu spüren, was einem passieren kann, wenn man versucht, eine starke Frau zu unterdrücken.«
»Bedauernswerter Mann?«, echote Christinas Vater. »Zu dem Zeitpunkt musste man wohl eher noch mit Elsie Mitleid haben. Ich nehme stark an, dass sie nach und nach zu Verstand gekommen ist – je länger sie mit ihm zusammen war.«
»Dad!«, rief Christina vorwurfsvoll. »Seit wann entwickelst du Verständnis für Kriminelle? Das passt doch überhaupt nicht zu deinem Job.« Sie wandte den Kopf. »Und zu Ihrem auch nicht, Lassiter.«
Der große Mann ging nicht darauf ein, lächelte nur und sagte: »Ich schlage vor, wir gehen zum ›Du‹ über. Ansonsten würde ich gern erfahren, wie der Zuhälter-Roman um Elsie Bialkin weitergeht.«
»Dramatisch«, antwortete Christina. »Sie hat ihn umgebracht, wahrscheinlich in Minnesota – jedenfalls auf dem Weg in den Westen. Es heißt, sie hat seine Leiche weggeworfen wie einen Haufen Unrat – in einen Klippenspalt, der so tief und völlig unzugänglich ist, dass niemals ein Mensch hineingelangen wird.«
Lassiter überlegte, ob er Elsie Bialkin tatsächlich nur von den Fahndungslisten kannte. Es konnte ebenso gut sein, dass er ihr in Laramie, Montana, begegnet war, als sie dort ein Nobel-Bordell leitete. In Christinas Gegenwart wollte er davon aber nichts erzählen.
»Nach dem Mord an ihrem Begleiter ist sie also selbst zum Outlaw geworden«, folgerte er. »Eine harte Frau, die es versteht, raue Kerle um sich zu scharen.«
»Kennen Sie – kennst du dich da aus?«, fragte Christina neckend.
»Aus rein beruflichen Gründen«, antwortete Lassiter trocken. Er sah den Sheriff fragend an. »Wie stark ist die Bialkin-Bande? Schätzungsweise?«
»Zehn bis zwanzig Mann. Das wechselt schnell und häufig.«
»Seit heute sind es wieder zwei Halunken weniger«, rief Grandma Mairead. »Und das haben wir unserem sehr sympathischen Gast zu verdanken.« Verschwörerisch zwinkernd fügte sie hinzu: »Weißt du übrigens, Lassiter, dass Christina noch zu haben ist?«
»Grandma!«, empörte sich Christina errötend. »Nun hast du es schon wieder getan!«
Sidney Spanier und Lassiter wechselten einen amüsierten Blick, während Mairead ihre Fäuste auf die Tischplatte stemmte und mit kämpferisch funkelnden Augen in die Runde blickte.
»Wenn man so eine tolle Enkeltochter hat«, rechtfertigte sie sich mit theatralisch bebender Stimme, »warum soll man sie dann nicht anpreisen dürfen?« Sie wandte sich an den großen Mann. »Was sagst du dazu, Lassiter?«
Er hob die Schultern, schürzte die Lippen und blickte von Mairead zu Christina.
»Es ist mir sehr peinlich«, sagte die Tochter des Sheriffs. »Wenn Grandma Mairead dabei ist, brauche ich nur jemanden auf der Straße zu treffen – oder im General Store oder sonst wo – und schon fragt sie ihn, ob er mich heiraten will.«
»Na und?«, rief Mairead trotzig. »Die jungen Leute von heute sind ja so was von schüchtern. Wir – früher – haben jemanden kennengelernt, und am nächsten Tag fragte er einen, ob man ihn heiraten wolle.«
»Gar kein schlechter Grundsatz«, nahm Lassiter ihren Faden auf und grinste verschwörerisch. »Ich werde auf jeden Fall darüber nachdenken.«
»Das ist ein Mann!«, freute sich Mairead und klatschte in die Hände.
Während Christina am liebsten in den Boden versunken wäre, rettete ihr Vater für sie die Situation, indem er sich räusperte und das Wort ergriff.
»Elsie und ihre Outlaws«, fuhr er fort, »sind jedenfalls auf Entführungen spezialisiert. In den Badlands verschwinden junge Frauen auf Nimmerwiedersehen. Sie sind buchstäblich wie vom Erdboden verschluckt. Niemand hat jemals ihre Spur aufnehmen können. Zurzeit sind es drei junge Frauen aus Yankton, die seit mehr als einem halben Jahr vermisst werden.«
»Gab es Zeugen?«, fragte Lassiter. »Ich meine, hat jemand die Entführungen beobachtet?«
»Nein«, antwortete Sid. »In keinem der drei Fälle hat jemand etwas beobachtet. So, wie es auch bei Christina gewesen wäre, wenn du nicht zufällig aus dem Fenster gesehen hättest, Lassiter.«
»Das heißt«, folgerte der große Mann, »die Entführer haben die Lebensgewohnheiten ihrer Opfer ausgekundschaftet und sich dann den für sie passenden Moment ausgesucht?«
Sidney Spanier nickte. »So war es in allen drei bisherigen Fällen. Rebecca Farrington war die erste Entführte. Achtzehn Jahre alt, unverheiratet, Tochter des Viehhändlers Thelonius Farrington. Die Banditen sind direkt in ihr Zimmer eingestiegen; es liegt in einem Nebentrakt an der Rückseite ihres Elternhauses. Nicht mal der Hofhund hat angeschlagen.«
»Rebecca ist eine sehr hübsche junge Frau«, warf Christina ein. »Das gilt auch für Gemma und Kathleen.«
»Das sind die beiden anderen Entführten«, bestätigte Sid. »Gemma Osborne, ebenfalls achtzehn Jahre alt und ebenfalls unverheiratet. Ihr Vater ist der Schneider Roemond Osborne. Ein angesehener Mann in Yankton. Er führt das größte Bekleidungsgeschäft in der Stadt. Gemma wurde entführt, als sie frühmorgens – wie jeden Tag – Milch von der Emerson-Farm am Stadtrand holte.«
»Ich habe es ja immer gesagt«, meldete sich Mairead kopfschüttelnd zu Wort. »Diese jungen Dinger sind einfach zu unvorsichtig. Wann lernen sie endlich mal, dass sie nicht allein unterwegs sein sollten – in diesen unsicheren Zeiten?«
»Lassiter und ich und viele andere Männer des Gesetzes arbeiten daran, das Leben sicherer zu machen«, erwiderte ihr Schwiegersohn. »Aber Entführungen, fürchte ich, wird es immer wieder geben.«
»Leider«, stimmte Lassiter ihm zu. »Solange es Menschenhandel gibt, und solange Bordelle horrende Summen für unverheiratete und attraktive junge Frauen zahlen …«
»Kathleen, das dritte Opfer, ist verlobt«, erklärte Sid. »Delbert Riddell, ihr Vater, ist Hufschmied hier in der Stadt. Auch er ist ein wohlhabender Mann, aber weder von ihm noch von den beiden anderen Vätern wurde ein Lösegeld verlangt.«
»Dann sind die drei wahrscheinlich gar nicht mehr im Yankton County«, mutmaßte Christina. »Ich mag gar nicht daran denken, wie es ihnen jetzt geht. Vielleicht sind sie längst unterwegs nach San Francisco oder New Orleans, in die verruchten Rotlichtviertel dort. Oder … » Sie unterbrach sich, seufzte tief. »Ich glaube, Peter wird nicht die Hände in den Schoß legen. Er wird sie suchen.«