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Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2293, 2294 und 2295.
Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!
2293: Goldrausch im Prärie Express
Die Banditen waren zu viert - und sie wollten das Gold aus dem Tresor im Paketwagen. Der Zug rumpelte langsam durch die verschneite Prärie. Die Fahrtzeit zwischen Kansas City und Denver betrug etwa siebzehn Stunden. Der Wagen, in denen die vier saßen, hatte keine Abteile, sondern zwei Bankreihen an den Längsseiten. Die einzelnen Wagen waren durch Stege miteinander verbunden; so konnten man von einem Ende des Zuges zum anderen gehen.
Der Paketwagen befand sich gleich hinter dem Tender der Lokomotive. Extra für diese Tour war ein Stahlschrank in den Wagen eingebaut worden. Darin lagerte das Gold, mit die Männer ein neues Leben beginnen wollten. Doch wenn sie den Coup vermasselten, erwartete sie kein neues Leben, sondern die Hölle des Zuchthauses oder der Tod ...
2294: Lassiter und das Mexikanerblut
Über dem weiten Bridal Veil Basin hing ein diesiger Dunst, der die herbstbraunen Pappelwälder fast unter sich begrub. Um diese Jahreszeit wehte von den nahen Brautschleierfällen eine solche Gischt herüber, dass die verstreuten Häuser im Tal von Telluride in blassem Grau versanken.
Sergeant George S. Hulshaffer setzte das Fernrohr ans Auge.
Die Kavalleristen seiner Einheit hatten in den schroffen Felswänden Stellung bezogen und lagen nun reglos auf der Lauer. Sie blickten mit starren Mienen auf die Schmugglerkarawane hinunter, die sich ihnen in gemächlicher Geschwindigkeit näherte.
Die Stunden von Rob McDorrine waren gezählt.
2295: Die Ballade von Trigger Bane
Du musst von hier verschwinden!" Die Stimme der Latina klang verzweifelt, doch der Mann, der sie in seinen Armen hielt, schüttelte den Kopf. "Ohne dich gehe ich nirgendwohin!" Als er Hufgeräusche vernahm, zog er einen seiner Colts.
Dann tauchten zwei Männer hinter den Felsen auf. "Geh weg von ihr, Burt!", rief einer. Der Angesprochene stieß die Latina von sich und riss den Revolver hoch. Schüsse krachten. Die junge Frau stieß einen Schrei aus, als ihr Geliebter in die Brust getroffen wurde und niedersank. Sie zog den zweiten Colt aus dem Holster des Sterbenden und legte auf die beiden Kerle an, doch als sie den Abzug durchdrückte, klickte es nur - die Trommel war leer.
Einer der Männer rang ihr die Waffe aus den Händen. "Auf Ehebruch steht hier in Justice der Tod, Conchita", sagte er. "Das solltest du eigentlich wissen."
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Seitenzahl: 403
Veröffentlichungsjahr: 2019
Jack Slade
Lassiter Sammelband 1804 - Western
Cover
Impressum
Goldrausch im Prärie Express
Vorschau
Goldrausch im Prärie Express
Die Banditen waren zu viert – und sie wollten das Gold aus dem Tresor im Paketwagen. Der Zug rumpelte langsam durch die verschneite Prärie. Die Fahrtzeit zwischen Kansas City und Denver betrug etwa siebzehn Stunden. Der Wagen, in denen die vier saßen, hatte keine Abteile, sondern zwei Bankreihen an den Längsseiten. Die einzelnen Wagen waren durch Stege miteinander verbunden; so konnte man von einem Ende des Zuges zum anderen gehen.
Der Paketwagen befand sich gleich hinter dem Tender der Lokomotive. Extra für diese Tour war ein Stahlschrank in den Wagen eingebaut worden. Darin lagerte das Gold, mit dem die Männer ein neues Leben beginnen wollten. Doch wenn sie den Coup vermasselten, erwartete sie kein neues Leben, sondern die Hölle des Zuchthauses – oder der Tod …
Jake Budd sah seine Gefährten der Reihe nach an. Sein Blick blieb auf Joan Anderson hängen. Mit ihren langen offenen Blondhaaren und den kirschroten Lippen wirkte die hübsche junge Frau eher wie ein Amüsiergirl aus dem Saloon als wie eine Gesetzlose, die über Leichen ging.
Joans Anblick erwärmte Budds Herz. Er starrte auf ihre prall gefüllte Bluse.
Sie fing seinen Blick auf. »Was glotzt du so, Jake?«, fragte sie unwirsch.
Er grinste schief. »Hab mich gerade gefragt, was du wohl mit deinem Anteil anstellen wirst.«
Die hübsche Blonde krauste die Nase. »Warum fragst du? Das geht dich nichts an.«
Budd blieb hartnäckig. »Sagst du’s mir trotzdem?«
»Wozu?«
»Weil wir Partner sind und in einem Boot sitzen.«
»Schon richtig.« Joan Anderson strich eine Strähne ihres glänzenden Haares aus dem Gesicht. »Aber ich habe keine Lust, über meine Pläne zu sprechen.«
»Sag bloß, du vertraust mir nicht.«
Ihre Stirn bekam eine Falte mehr. »Halt einfach die Klappe, Jake.«
Budd seufzte und blickte missmutig zum Fenster hinaus.
In der spiegelnden Scheibe sah er, dass Bill und Harry Langdon grinsten. Beide waren recht schweigsame Gesellen und meldeten sich selten zu Wort. Harry, der Jüngere, redete nur, wenn es unumgänglich war. Die meiste Zeit döste er träge vor sich hin. Jake Budd arbeitete seit einem Jahr mit den Langdon-Brüdern zusammen. Überfälle auf Poststationen, Einbrüche in Drugstores und Magazine, Erpressung, Betrug beim Kartenspiel … Bisher waren alle Aktionen wie am Schnürchen abgelaufen. Nicht einen Tag hatte jemand von ihnen in einem Gefängnis verbracht. Sie zogen ihr Ding durch und verschwanden, ehe die Opfer wussten, wie ihnen geschah.
Als Joan von dem Goldtransport im Denver-Express erzählte, hatten sie alle glänzende Augen bekommen. Mindestens hunderttausend Dollar in Gold! Nach kurzer Beratung stand ihr Entschluss fest. Der Schatz im Paketwagen war vielleicht die größte Chance ihres Lebens.
Budd wandte den Kopf.
Die Tür im Hintergrund des Wagens hatte sich geöffnet. Ein großer, breitschultriger Mann kam herein. Er trug einen hellgrauen Anzug und ein blaues Hemd, dazu eine rot gestreifte Weste und ein Halstuch aus chinesischer Seide. Der Mann ging den Gang entlang, wobei er die Anwesenden aus schmalen Augen prüfend betrachtete. Bevor er den Wagen durch die andere Tür verließ, blickte er sich noch einmal um, als suchte er einen Bekannten.
Jake Budd verzog keine Miene. Doch in seinem Schädel summte ein Alarmsignal. Er sah Joan an. Sie blickte noch immer auf die Tür, durch die der Mann eben verschwunden war.
»Wer war das?«, fragte sie.
Diese Frage stellte sich Jake Budd auch gerade. Er beugte sich zu Harry und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Harry nickte, stand auf und ging.
Joan rutschte hin und her. »Gott im Himmel«, ächzte sie. »Wie mein Herz wummert! Der Typ eben hatte eine Ausstrahlung wie der Scheinwerfer auf einer Mogul-Lokomotive.«
Budd zog die Brauen zusammen. Ein Anflug von Eifersucht überkam ihn. Seit Monaten wünschte er sich insgeheim, dass Joan und er eines Tages zusammenfinden und Mann und Frau werden würden. Immerhin hatte er sie aus dem Bordell geholt und als gleichwertiges Mitglied in seine Bande aufgenommen. Die Langdons hatten heftig dagegen protestiert. Sie wollten keine Frau im Team. Das bringe Unglück, hatten sie erklärt. Doch er hatte sich durchgesetzt. Leider hatte sich Joan für seinen Einsatz bis heute noch nicht revanchiert. All seine Annäherungsversuche waren im Sand verlaufen.
Joan angelte sich eine Zigarette aus ihrer mit Perlen bestickten Handtasche. Sie klopfte auf ihrem linken Handrücken den Tabak in der Papierhülle fest. Bill Langdon riss ein Streichholz an und gab ihr Feuer. Joan inhalierte tief. Ein Schwall Tabaksqualm schlug Jake Budd ins Gesicht. Seine Augen begannen zu tränen. Gegen den blauen Dunst war er sehr empfindlich.
»Es schneit«, sagte Bill plötzlich.
Jake sah nach draußen. Der Himmel über der Prärie war voller Schneewolken. Die Flocken fielen sacht auf den Boden, aber hier und da türmten sich einige Schneewehen.
Ein kleiner Junge mit einer Spielzeugpistole schob sich auf den Gang. Er blieb neben Bill Langdon stehen, kniff ein Auge zu und legte das geschnitzte Schießholz auf ihn an. »Peng«, sagte er. »Du bist tot!«
»No«, sagte Bill trocken.
»Ich hab dich aber erschossen!« Der Junge hüpfte hin und her. »Peng! Peng! Peng!«
Einige Leute von den Nachbarbänken drehten die Köpfe. »Mach keinen Unsinn, Pat!«, rief eine Frau, die einen Hut mit einer Adlerfeder trug. »Lass den Herrn zufrieden. Komm wieder her, hörst du?«
Das Kind starrte Bill Langdon an, doch der machte keine Anstalten, die Leiche zu mimen. Im Gegenteil. »Du hattest deine Chance, Muchachino«, sagte er spöttisch und streckte den Arm nach ihm aus. »Jetzt greife ich mir deinen Colt!«
Der Junge quiekte auf und ergriff die Flucht. Auf dem Rückweg zu seiner Mutter lief er Harry Langdon, der gerade von seiner Erkundungstour zurückkehrte, in die Arme. Der nahm ihm den Holzcolt weg und warf das Spielzeug seiner Mutter zu. »Passen Sie gut auf Ihren Sohn auf, Ma’am«, sagte er, »sonst wird er später mal ein Outlaw.«
Der Frau lag eine Erwiderung auf den Lippen, doch sie schwieg. Vermutlich, weil sie nicht abschätzen konnte, ob die Bemerkung als Spaß oder im Ernst gemeint war. Pat kroch auf ihren Schoß und lugte zu seinem Bezwinger hinüber.
Harry setzte sich wieder auf seinen Platz. »Na, hast du herausbekommen, wer dieser Kerl im grauen Zwirn ist?«, fragte ihn Jake Budd.
»Yeah. Er heißt Matt Morlock und ist von der Bahn als Detektiv engagiert worden.«
»Sagt wer?
»Der Zugschaffner.«
Budd rieb nachdenklich sein Kinn. Ein Schnüffler also, der im Auftrag der Union Pacific den Safe bewachte und nebenbei die Reisenden im Blick behielt. Mit diesem Problem hatte Budd gerechnet. Er wandte sich an Joan. »Zeit für deinen Auftritt, Babe«, sagte er.
Sie blies einen Rauchring und piekte mit dem Finger durch die Mitte. »Ich schnappe mir den Gent, wenn der Zug in Ogallala hält.«
Budd war dagegen. »Das ist zu spät. Du bringst die Sache in Topeka zu Ende.«
Joan blies ihm eine Ladung Rauch ins Gesicht. »Okay«, sagte sie dann. »Ogallala oder Topeka, das macht keinen Unterschied.«
Jake Budd wandte sich von ihr ab. Der Tabaksqualm reizte seine Augen. Sie tränten schon wieder. Nur verschwommen nahm er das Schneetreiben jenseits der eisernen Wagenwände wahr. Er blinzelte ein paar Mal.
Schließlich sah er wieder klar.
Irgendwo hinter dem Wirbel der Schneeflocken lag Topeka, die nächste Haltestelle. Hier würde Joan Anderson den Detektiv ausschalten. Damit war die erste Hürde genommen, die sie von dem Schatz im Paketwagen trennte.
Wenn alles nach Plan lief, waren sie in weniger als vierundzwanzig Stunden reiche Männer und Joan eine reiche Frau.
Jake Budd geriet ins Träumen. Die edelsten und teuersten Huren würde er sich leisten können. Geld spielte keine Rolle. Die Liebesengel würden sich die Klinke in die Hand geben, jede Woche eine andere. Oder vielleicht sogar jeden Tag? Ob er das durchhielt? Vielleicht eine gewisse Zeit, aber wohl nicht auf Dauer. Prompt fiel ihm ein Witz ein, den er vor einiger Zeit gehört hatte.
Zwei Cowboys unterhalten sich über Sex. Meint der eine: »Das Beste ist die Rodeo-Stellung.«
»Noch nie gehört«, sagt der andere.
»Die Frau kniet sich vor dich und du nimmst sie von hinten. Dann greifst du nach vorne und packst ihre Mammas.«
»Und was hat das mit Rodeo zu tun?«
»Sag ihr ins Ohr: ›Deine Brüste liegen genauso gut in der Hand wie die deiner Schwester‹ – und dann versuch mal, länger als acht Sekunden oben zu bleiben.«
Budd stellte sich das bildlich vor und verkniff sich ein Grinsen. Er sah zu Joan hinüber. Sie drückte gerade ihre Zigarette aus. »Sag mal, hast du eigentlich Geschwister?«, fragte er.
»Ja«, sagte sie, »eine Schwester. Wieso fragst du?«
»Nur so«, sagte Jake Budd und schloss die Augen. Er seufzte tief. Wenn er Joan heiratete, brauchte er kein Geld für Huren ausgeben.
Höchste Zeit, dass er mit ihr mal über dieses Thema redete.
***
Es schneite ohne Unterlass. Der Zug kam nur langsam voran. In Topeka hatte er bereits eine Stunde Verspätung.
Die meisten Passagiere stiegen aus, um auf der Station eine Mahlzeit zu ergattern. Jake Budd und die Langdon-Brüder blieben im Abteil. Sie hatten sich vom Schaffner ein Deck Karten geliehen und spielten Black Jack.
Joan Anderson stand auf und ging nach vorn. Sie wollte zum Paketwagen, um den Detektiv zu treffen. Jetzt kam es darauf an, ihn um den Finger zu wickeln. Wenn er ein richtiger Mann war, würde er im Nu Wachs in ihren Händen sein. Ihr Plan bestand darin, seine Wachsamkeit einzuschläfern, ihn irgendwo hinzulocken, wo es keine Zeugen gab, und ihn dort mit einem der üblichen Tricks aus dem Verkehr zu ziehen. Wenn es hart auf hart kam, war sie bereit, ihn zu töten.
Über die Brücke gelangte sie zum Paketwagen.
Als sie die Tür aufstieß, stand sie einem bis an die Zähne bewaffneten Wachmann gegenüber. Er trug einen struppigen Bart und hielt eine Winchester Carbine in den Händen. »Was wollen Sie, Ma’am?«
Joan mimte die Unschuld vom Land. »Ich habe noch nie einen Paketwagen von innen gesehen«, lispelte sie.
Der Wachmann verzog keine Miene. »Unbefugten ist der Zutritt verboten«, sagte er streng. »Ich muss Sie auffordern, wieder zu gehen.«
»Schade.« Joan wippte auf die Fußballen und riskierte einen Blick über die Schulter des Mannes. Im Hintergrund, neben einem Stapel übereinander geschichteter Postsendungen, erspähte sie Matt Morlock. Er stand an einem Klapptisch und blätterte in einem Aktenordner. Sie hob eine Hand und winkte ihm. »Hallo, Mister!«
Der Detektiv bemerkte sie und kam näher.
»Ich heiße Joan Anderson«, sagte sie und hielt ihm die Hand hin.
Nach kurzem Zögern deutete er einen Handkuss an. »Matt Morlock«, sagte er.
An dem Funkeln in seinen Augen erkannte sie sein Interesse. Dafür besaß sie einen sechsten Sinn. »Ich bin von Natur aus neugierig«, sagte sie. »Und es ist meine erste Reise mit der Union Pacific. Darf ich mich einen Moment umsehen?«
»Aber hier gibt es nicht viel zu sehen«, antwortete Morlock. »Nur Pakete und sonstiges Frachtgut, nichts Besonderes.«
Joan machte den Hals lang und tat, als sei sie in einer Gemäldegalerie.
Morlock und der Winchester-Mann wechselten einen kurzen Blick. »Ich übernehme die Verantwortung, Flintstone«, sagte der Detektiv. »Wenn Sie wollen, können Sie einen Happen essen gehen.«
»Wie Sie meinen, Sir.« Der Bartmensch zog sich zurück.
Joan blickte sich um. Im Schein einiger Petroleumlampen sichtete sie den Tresor. Vor Erregung klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Mit großen Augen bewegte sie sich darauf zu.
»Gütiger Gott, was für ein Ungetüm!« Sie sah Morlock an. »Verraten Sie mir, was darin transportiert wird?«
»Allerlei Wertsachen«, sagte er vage.
»Darf ich ihn anfassen?«
»Tun Sie sich keinen Zwang an.« Morlock grinste gutmütig.
Sein leutseliger Anblick gab Joan einen Stich ins Herz. Ich muss dich töten, wenn es nötig ist, dachte sie.
Respektvoll berührte sie das kunstvoll geschmiedete Schloss. Ein Schauder durchfuhr sie. Vorsichtig glitt sie mit dem Zeigefinger über das mit einer Kappe verdeckte Schlüsselloch. Sie wusste genau, wo der Schlüssel war. Der Zugführer verwahrte ihn in seinem Abteil. Es war die Aufgabe von Jake Budd, den Schlüssel zu besorgen. Bisher hatte er kein Wort darüber verloren, wie er das anstellen wollte.
Von der Lokomotive ertönte die Dampfpfeife.
»Hätten Sie Lust, einen Kaffee mit mir zu trinken?«, fragte Morlock.
Darauf hatte Joan gewartet. Sie zierte sich nicht lange. »O ja, gern.«
Er gab den beiden Wachmännern ein Zeichen, schob die Tür auf und ließ ihr den Vortritt. Auf dem Bahnsteig herrschte Gewimmel. Zeitungshändler, Zigaretten- und Schokoladenverkäufer machten gute Geschäfte. Heiße Dampfschwaden ließen den Schnee auf den Planken schmelzen. Der Wasserkran versorgte die Tanks der Lokomotive mit Nachschub.
Joan folgte dem Detektiv in das Hauptgebäude.
Durch eine Seitentür, gleich neben dem Ticketschalter, gelangten sie in einen geheizten Aufenthaltsraum, in dem es nach gebratenem Speck, Kaffee und verschüttetem Bier roch. Es gab ein halbes Dutzend Tische, an denen vereinzelte Männer saßen, alle in Uniform.
Hinter der brusthohen Barriere kam eine pummlige Frau zum Vorschein. Sie trug einen Kittel und eine Mütze mit dem Emblem der Eisenbahngesellschaft. In ihrer Rechten hielt sie einen Topf, in der Linken eine brennende Zigarillo. »Hier werden nur Mitarbeiter von der Bahn bedient«, sagte sie und paffte einen Zug.
Morlock hielt ein buntes Stück Pappe hoch. Ein Ausweis, auf dem Joan seinen Namen und einen fetten, blauen Stempel der Union Pacific gewahrte.
Die Raucherin warf einen Blick auf die Pappe und nickte. »Okay, genehmigt. Ich heiße Veronica Brandon. Aber alle, die mich kennen, sagen Nicky zu mir. Was kann ich für euch tun, Kinder?«
Morlock ging auf ihren vertraulichen Ton ein. »Wir wollen Kaffee, Nicky«, erwiderte er.
»Am liebsten mit gesüßter Kondensmilch«, warf Joan ein.
»Moment.« Nicky trat an das große Regal, in dem eine Menge Gläser, Dosen, Schalen, Flaschen und Säckchen einsortiert waren. Sie suchte eine Weile. »Zu dumm! Die Dosenmilch ist ausgegangen«, sagte sie dann.
Joan seufzte. »Oh, das ist ärgerlich.«
Nicky wischte sich ein Haar aus dem Gesicht. »Ich glaube, unten im Depot gibt’s noch welche. Aber solange der Zug hält, kann ich hier nicht weg.«
Joan horchte auf. Blitzschnell fasste sie einen Entschluss. Das war die Gelegenheit, Morlock aus dem Weg zu räumen. Sie musste ihn ins Depot lotsen und dort festnageln. »Ich werde fix runtergehen«, sagte sie hastig. »Nicky, sagen Sie mir, wo die Dosen stehen, und ich bringe ein paar mit hinauf. Bestimmt wollen auch andere Gäste ihren Kaffee mit Milch trinken.«
Die Frau hinter der Theke zögerte. Das Angebot überraschte sie. Sie rauchte einen Zug, ließ die Kippe fallen und trat sie aus.
»Ich werde gehen«, warf Morlock ein. »Bei diesen Temperaturen ist es unten bestimmt sehr ungemütlich.«
»Vier Pott Kaffee, Nicky!«, dröhnte eine raue Stimme von der anderen Seite des Tresens.
Nicky trat von einem Bein auf das andere. Schließlich nahm sie einen Schlüssel vom Haken und legte ihn auf die Theke. »Das Depot ist nicht zu verfehlen, Blondie«, sagte sie zu Joan. »Die Treppe runter, dann die zweite Tür links.«
Morlock wollte nach dem Schlüssel greifen, aber Joan war schneller. Sie riss ihn an sich und huschte zur Zwischentür. Der Mann würde ihr folgen. Jede Wette.
Im nächsten Augenblick bewahrheitete sich ihre Vermutung. Der Detektiv klebte ihr an den Hacken wie ein Schoßhund an seinem Frauchen.
Sie öffnete die Tür, hinter der die Kellertreppe lag.
Es brannte kein Licht, und ein eisiger Luftzug schlug ihr entgegen. Joan blieb stehen und zog fröstelnd die Schultern hoch. Morlock griff nach einer Öllampe und zündete sie an. Über die gekalkten Wände huschten geisterhafte Schatten.
Bis in den Keller waren es ungefähr fünfzehn Stufen. An der rechten Wand war ein Handlauf angebracht. Joan berührte den glatt gehobelten Holm. Vorsichtig setzte sie ein Bein vors andere.
»Halten Sie die Lampe höher«, sagte sie, als es vor ihr dunkel wurde.
Morlock tat, wie ihm geheißen. Im Schein des Funzellichts erreichten sie den Kellergang. Der Boden bestand aus planiertem Estrich, auf den Sägespäne gestreut waren. Der Putz an den Wänden bröckelte und entblößte die Ziegel darunter. Die zweite Tür lag hinter einer Truhe ohne Deckel, auf der die Reste eines zerbrochenen Kronleuchters lagen.
Joan schob den Schlüssel ins Schloss und öffnete.
Morlock war dicht hinter ihr. Sie spürte seinen Atem im Nacken und schloss für einen Moment die Augen.
Bitte, mach’s mir nicht so schwer, dachte sie.
Das Depot erwies sich als Lagerraum, an dessen Wände bis zur Decke reichende Regale standen. Ein gäriger Geruch lag in der Luft.
Joan fand die Dosenmilch auf Anhieb. »Wie viel wollen wir mitnehmen?«, fragte sie.
»Gleich eine Kiste«, entschied Morlock.
Das Geräusch von aufeinanderprallenden Puffern drang an ihre Ohren. Auf dem Bahnsteig wurde rangiert. Womöglich wurde ein zusätzlicher Waggon an den Prärie Express angehängt. Einem inneren Impuls folgend, schob Joan die rechte Hand unter ihre gefütterte Kostümjacke. Sie spürte das Spezialholster mit der Derringer-Pistole an ihren Fingerkuppen.
Ein Ring aus Eis spannte sich um ihr Herz.
Morlock, der gerade die Kiste aus dem Regalfach zog, blickte sie fragend an. »Alles in Ordnung, Miss Joan?«
»Ja, mir ist nur ein wenig kalt.« Sie zog die Schultern hoch.
»Gleich gibt’s heißen Kaffee«, meinte er.
»Oh ja.« Sie wartete, bis er ihr den Rücken zudrehte.
Doch Morlock verharrte auf dem Fleck, als wenn er eine Ahnung von dem hatte, was da auf ihn zukam. »Ich weiß noch gar nicht, wohin Sie fahren«, sagte er.
»Bis zur Endstation«, erwiderte sie.
»Denver, Colorado?«
»Ja.«
Er hob die Brauen. »Sie reisen doch nicht etwa allein?«
»Nein, um Himmels willen! Nicht allein. Drei meiner Vettern begleiten mich. Wir fahren zu unseren Großeltern. Grand Dad feiert Geburtstag. Achtzig Jahre wird er alt.«
»Wow! Wenn das kein Anlass ist.« Er stand noch immer da.
Sie wies auf die Tür. »Wir sollten jetzt gehen. Es ist verflixt kalt hier unten.«
Auf dem Bahnsteig ertönte der schrille Ton des Überdruckventils auf der Lokomotive.
Die Lampe in der einen, die Dosenmilch in der anderen Hand, wandte sich Morlock zur Tür.
Joan trat hinter ihn. Ihr Körper war gespannt wie eine Bogensehne. Ohne hinzusehen, zog sie die Pistole aus dem Futteral. Es war nicht das erste Mal, dass sie den Derringer als Schlaginstrument benutzte, um einen Mann ins Traumland zu befördern. Das letzte Mal hatte sie einem betrunkenen Satteltramp eine dicke Beule verpasst, als er in der Box eines Mietstalls zudringlich wurde. Der Mann fiel um wie ein Cowboy, der von einem Stier gerammt wurde. Erst nach einer Stunde kehrte sein Bewusstsein zurück.
Morlock trat auf den Gang. Von oben, aus dem Eisenbahnerlokal, erklangen Stimmen. Jemand fragte nach Dosenmilch, und Nicky bat um Geduld.
Joan legte sich den Derringer in der Hand zurecht.
Auf einmal erschien ein Bild in ihrem Kopf: Sie sah Matt Morlock, wie er sich blutüberströmt auf dem Bahnsteig, neben dem abfahrenden Zug krümmte. Die Leute, die neben ihm standen, winkten ihren abreisenden Angehörigen. Sie schenkten ihm keine Beachtung. Für einen Moment spürte Joan Übelkeit in sich aufsteigen. Doch mit Hilfe ihres starken Willens überwand sie die Anwandlung.
Sie hob den Derringer auf und stürzte sich auf den Detektiv.
Morlock hatte gerade die unterste Stufe der Treppe betreten. Irgendetwas musste er bemerkt haben, denn er drehte sich, als Joan die Hand zum Schlag erhoben hatte, urplötzlich um.
»Verdammt!«, brüllte er.
Ehe er schützend einen Arm hochreißen konnte, schlug Joan zu.
Die Pistole traf ihn hart am Kopf. Morlock krachte gegen die Wand. Die Kiste mit der Dosenmilch, die er gepackt hielt, fiel zu Boden. Die Konserven kullerten scheppernd über den Estrich.
Joan hielt den Atem an. Der Mann war noch nicht k.o. Sie warf sich auf ihn und verpasste ihm einen zweiten Schlag. Sein Stetson-Hut dämpfte den Hieb, aber Joan hatte ihre ganze Kraft in die Attacke gelegt. Jetzt ließ Morlock auch die Öllampe fallen. Der Zylinder zerbrach. Glas splitterte. Der Geruch von Petroleum breitete sich aus.
Und auf einen Schlag war es fast dunkel.
Doch Joan machte das nichts aus. Im Nu hatten sich ihre Augen an die Düsternis gewöhnt.
Morlock, am Boden liegend, rang um Luft. »Was … warum …?«
Es brach Joan fast das Herz, als sie zum dritten Mal ausholte. Morlock bewegte den Kopf, und der Metallgriff des Derringers traf sein Nasenbein.
Es gab ein hässliches Geräusch, als der Knorpel zerbrach.
Morlock wollte aufstehen, doch seine Beine knickten weg wie Streichhölzer. Kraftlos sank er auf den Boden und schlug mit dem Kopf gegen die Wand.
Joan spähte über die Stufen hinweg nach oben. In der Kantine dröhnte kollektives Gelächter. Offenbar hatte jemand einen Witz erzählt.
»Miss Joan«, stöhnte Morlock. »Mein Gott …«
Im nächsten Augenblick zischte die Pistole auf ihn herab.
Ein harter Schlag. Der halb betäubte Mann sackte zur Seite. Ein gurgelnder Laut kam ihm über die Lippen. Dann schlug sein Gesicht auf den Boden auf. Sein Körper erschlaffte. Er rührte sich nicht mehr.
Joan wich einen Schritt zurück. Sekundenlang starrte sie auf ihr blutiges Werk. Sie wusste nicht, wie schwer Morlocks Verletzungen waren, hoffte aber, dass er bald wieder zu sich kam.
Weiter, weiter.
Sie schloss das Depot auf, schleifte den leblosen Körper hinter sich her und lehnte ihn gegen eine Mehlkiste. Dann eilte sie hinaus, dabei fiel ihr Blick auf die Dosen, die im Gang verstreut lagen. So schnell sie konnte, sammelte sie einige auf, stellte sie in die kleine Kiste und trug sie hinauf in die Kantine.
Nicky nahm die Dosenmilch dankbar entgegen. Sie fragte nicht nach Joans Begleiter. Einer der Uniformierten, die am Schanktisch standen, erzählte von dem Zugüberfall, den er kürzlich überlebt hatte. Alle Anwesenden hörten ihm gespannt zu.
Niemand bemerkte die Blutspritzer, die Joans Jacke verunzierten.
Unbehelligt schlüpfte sie aus der Kantine. Wenig später saß sie im Abteil bei Jake Budd und den Langdons.
Der Denver Express setzte seine Fahrt ohne den Detektiv Matt Morlock fort.
***
Lassiter hatte kaum das Vorzimmer des Anwaltsbüros betreten, als ihm klar wurde, dass irgendetwas nicht stimmte. Die Sekretärin von Derek Hargraves hatte verweinte Augen.
»Mona, was ist passiert?«, fragte Lassiter.
Mona Shelley, eine attraktive Rotblonde mit einer Figur wie ein Stundenglas, wischte sich mit dem Handrücken eine Träne von der Wange. Lassiter legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter. Mona straffte ihre Gestalt. »Gehen Sie zu ihm«, sagte sie. »Er wartet schon eine ganze Weile auf Sie.«
Lassiter schob die Zwischentür auf.
Das Büro lag im hellen Schein des Kronleuchters. Durch das Fenster drang nur wenig Licht. Der Himmel war voller Schneewolken. Hinter dem klobigen Mahagoni-Schreibtisch saß Derek Hargraves, Rechtsanwalt und Kontaktmann der Brigade Sieben. Derek war ein Mann von knapp fünfzig Jahren: mittelgroß, grau melierte Löwenmähne und ein Schnauzbart, der an den Enden herabhing. Er las ein Dokument aus dünnem Pergamentpapier.
»Lassiter, endlich!«, rief er aus.
»Was ist hier eigentlich los?« Lassiter drückte hinter sich die Tür zu. »Jemand gestorben?«
Derek dämpfte die Stimme. »Es ist wegen Mona«, sagte er leise. »Ich habe mit ihr Schluss gemacht.«
»All devils!« Lassiter setzte sich auf den Stuhl, der neben dem Aktenschrank stand. Bis vor kurzem waren Derek und Mona noch ein Herz und eine Seele gewesen. »Hast du eine Neue, Derek?«
Der Anwalt schüttelte den Kopf.
»Warum hast du dich denn von Mona getrennt?«
»Weil es höchste Zeit dafür wurde. Jedes Ding hat einen Anfang und ein Ende, verstehst du?«
»Ehrlich gesagt, nicht. Hattest du genug von ihr?«
»Nein, so möchte ich das nicht sagen.« Derek stand auf und kam um den Schreibtisch herum. »Mona ist eine ganz Liebe, aber in der letzten Zeit hatte ich mehr und mehr das Gefühl, dass es zwischen uns nicht mehr so war wie früher.«
Lassiter nickte. »Verstehe.«
Der Anwalt fuhr fort: »Natürlich bleiben wir gute Freunde. Schließlich waren wir über ein Jahr zusammen und hatten viel Spaß miteinander.«
»Die arme Mona«, sagte Lassiter. »Sie dachte bestimmt, aus ihr wird irgendwann Mrs. Derek Hargreaves. Und du Scheusal hast ihr alle Hoffnung genommen.«
»Ich habe reinen Tisch gemacht. Hätte ich sie denn weiter hinhalten sollen?«
»Nein, natürlich nicht. Was du getan hast, geht schon in Ordnung.«
Der Anwalt fuhr sich durch seine Mähne und wechselte das Thema. Er wollte über die Sache reden, weswegen er Lassiter zu sich zitiert hatte. »Sieht so aus, als müsstest du deine jetzige Mission abbrechen. Die Jungs von der Zentrale haben sich gemeldet.«
»Ein Notfall?«
»Kann man so sagen.« Derek fläzte sich auf den Tisch. »Die Union Pacific hat da ein Problem. Sie möchte einen kompetenten Mann vor Ort.«
»Wohin soll die Reise gehen?«
»Nach Denver.« Derek zog seine Taschenuhr vor und ließ den Deckel aufspringen. »Der Zug hat ordentlich Verspätung, aber in schätzungsweise zwei Stunden müsste er hier eintrudeln.«
»Was? Hier in Buffalo Park?«
»Du sagst es, mein Freund.« Derek grinste. »Du brauchst nur die fünfhundert Yards zur Station zu gehen, in den Zug zu steigen und dich in den Paketwagen zu begeben. Schon ist die Sache geritzt.«
Lassiter war skeptisch. »Augenblick mal. Wo liegt das Problem? Ist jemand an Bord, auf den ich ein Auge werfen soll?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Sondern?«
Der Anwalt wartete einige Sekunden, bis er die Katze aus dem Sack ließ. »Im Paketwagen steht ein Tresor. Darin sind Goldbarren deponiert. Eine Menge Goldbarren. Exakte Zahlen gibt es nicht. Du kannst dir vorstellen, was das bedeutet.« Es entstand eine kurze Pause. »Ich vermute, die Banken spekulieren wieder einmal mit den Einlagen ihrer Anleger. Dazu schieben sie ihr Gold hin und her. Von einem Safe in Kansas City in einen Safe in Denver. Weiß der Geier, was dieses Hin und Her zu bedeuten hat.« Er fuhr sich durchs Haar. »Egal. Das Warum hat uns ja auch nicht zu interessieren. Jedenfalls ist der ganze Plunder hoch versichert. Deshalb wird er gut bewacht. Und jetzt kommt es, mein Freund: Bei einem Aufenthalt in Topeka ist der Obermacker des Wachtrupps ausgestiegen und nicht wieder in den Zug zurückgekehrt. Es kam gerade über den Telegrafen.« Derek stand auf und stopfte sein Hemd in die Hose. »Niemand weiß, wo der Mann abgeblieben ist. Er hat sich buchstäblich in Luft aufgelöst.«
»Seltsam. Wer ist der Mann? Kenne ich ihn?«
»Gut möglich. Er ist Detektiv bei einer Agentur in Chicago. Sein Name ist Matthew Morlock.«
»Matthew Morlock? Der ist in Ordnung.« Lassiter dachte kurz nach. »Ich kenne Matt von einem Einsatz in der Sierra Nevada. Hat mir mal einen heimtückischen Revolverschwinger vom Hals gehalten. Tapferer Bursche, dieser Morlock. Über jeden Zweifel erhaben.«
»Aber er hat seinen Posten verlassen und ist nicht wieder in den Zug zurückgekehrt«, erinnerte der Anwalt. »Und genau aus diesem Grund wird ein erstklassiger Vertreter benötigt. Du bist der Einzige von der Brigade, der gerade zwischen Kansas City und Colorado greifbar ist.«
»Okay, hab’s ja kapiert.« Lassiter sah durch das Fenster in den Himmel, von dem eigentlich kaum etwas zu erkennen war. Wo man hinschaute, tanzten Schneeflocken nieder. »Da werde ich mir mal noch einen warmen Mantel besorgen. Es heißt, in den nächsten Tagen soll es ein Unwetter geben.«
Derek rieb seinen rechten Daumen am Zeigefinger. »Wie sieht’s mit deinen Finanzen aus? Bist du noch flüssig?«
»Eine kleine Geldspritze wäre nicht übel.« Lassiter hatte lieber etwas mehr bei sich als zu wenig. In seinem Job war er oft auf sich allein gestellt. Mit Geld ließ sich so manche Tür öffnen. »Ich denke, fünfhundert Dollar reichen«, sagte er, ohne die Miene zu verziehen.
»Was? Fünfhundert?« Derek riss die Augen auf. »Bist du noch bei Trost, alter Freund?«
Sie feilschten eine Weile. Am Ende einigten sie sich auf dreihundert.
Lassiter verließ die Kanzlei, erledigte im General Store noch einige Besorgungen und begab sich dann zur Bahnstation. Am Ticketschalter erfuhr er, dass der Denver Express inzwischen voraussichtlich drei Stunden Verspätung haben würde. Auf der Strecke zwischen Bunker Hill und Ellsworth war es zu Schneeverwehungen gekommen. Der Zug kam nur noch im Schneckentempo voran.
Lassiter hatte keine Lust, stundenlang in den eisigen Räumen des Bahnhofsgebäudes zu warten. Er stapfte zur Kanzlei seines Verbindungsmannes zurück.
Derek Hargraves war zu seinem Mandanten Nat Lancaster auf die Ranch gefahren. Mona Shelley war die Einzige, die sich im Haus befand. Sie hockte am Tisch im Vorzimmer und verfasste ein Schreiben an das Amtsgericht.
»Jetzt könnte ich einen Brandy vertragen«, sagte Lassiter.
Als Mona den Schnaps aus dem Schrank holte, drehte sie ihm den Rücken zu. Lassiter bemerkte, dass sie einen sehr schön geformten Hintern hatte.
Warum zum Teufel war ihm das nicht früher aufgefallen? Er spürte, wie sein Blut in Wallung geriet. Am liebsten hätte er die Hand ausgestreckt und ihn sanft berührt. Doch er war ein Gentleman und beschränkte sich auf seine Fantasie.
»Hier, bitte sehr.« Die Sekretärin reichte ihm den Brandy.
Er nahm ihr das Glas ab und lächelte. »Zum Wohl, Mona. Dass all Ihre Wünsche in Erfüllung gehen.«
Mona runzelte die Stirn. »Wollen Sie mich zum Narren halten? Derek hat mir gerade eine Abfuhr verpasst.«
»Ja, stimmt. Daran habe ich gar nicht gedacht. Es tut mir leid.«
»Schon gut.«
Sie sahen einander in die Augen, während sie an den Gläsern nippten.
»Wie lange haben Sie Zeit?«, fragte sie.
»Warum fragen Sie?«
»Wie lange?«
»Der Zug läuft frühestens in drei Stunden ein.«
Mona befeuchtete mit der Zungenspitze ihre Oberlippe. »Und Derek kommt heute nicht wieder in die Kanzlei zurück. Er bleibt die Nacht bei den Lancasters auf der Ranch.«
»Oh, das habe ich nicht gewusst.«
»Die Lancasters haben zwei Töchter«, sagte Mona, »eine schärfer als die andere.«
»Glauben Sie, da bahnt sich etwas an?«
Sie machte die Augen schmal. »Sind Coyoten Aasfresser?«
Lassiter überging die Anspielung. »Okay, dann haben wir ja sturmfreie Bude«, frohlockte er.
Mona Shelley trank einen Schluck. Dann seufzte sie vernehmlich. Langsam stellte sie ihr Glas auf den Schreibtisch. Während sie ihn offen ansah, griff sie nach Lassiters Händen und führte beide zu den Wölbungen auf ihrer eng sitzenden Bluse.
»Mona«, sagte er gepresst.
»Nimm mich«, antwortete sie.
***
Mona Shelley war völlig überrascht über sich selbst. Nie im Leben hatte sie bisher daran gedacht, Lassiter so ein Angebot zu machen.
Doch jetzt war es heraus. Sie hatte die Büchse der Pandora geöffnet, Lassiters Hände ruhten auf ihren Brüsten.
Er sah sie an. Ganz langsam senkte er den Kopf. Sie reckte den Hals, hielt ihm ihre zum Kuss geschürzten Lippen entgegen. Als ihre Münder sich trafen, klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Verzückt schloss sie die Augen.
Eine Zeitlang beleckten sie gegenseitig ihre Lippen und züngelten sich an den Zähnen.
Das gefiel Mona. So gefühlvoll war Derek nie mit ihr umgegangen. Geküsst hatte er sie nur selten. Meistens hatte er sie drüben in seinem Büro genommen: im Stehen, zwischen Tür und Angel, wie ein Rammler.
Sie spürte, wie Lassiter den Druck seiner Hände verstärkte. Sein Atem ging schneller. Eine Minute später zog er sie an sich und legte beide Hände auf ihren Hintern. Dabei presste er so leidenschaftlich seine Lippen auf ihre, dass Mona die Luft zum Atmen knapp wurde.
Sie wurde feucht und rieb verstohlen die Innenseiten ihrer Schenkel aneinander.
Nach einer Weile schob sie den Mann zurück.
»Was hast du?«, fragte er atemlos.
Sie löste sich von ihm und verriegelte die Tür des Vorzimmers. Dann trat sie ans Fenster und zog die Vorhänge vor die Scheiben. Vor ihrem Schreibtisch blieb sie stehen.
Lassiter trat hinter sie. Er presste seine Lenden fest gegen ihr Hinterteil. Sie wartete einen Moment, dann fing sie an, sich zu bewegen. Dabei spürte sie, wie seine Hände unter ihre Bluse glitten, das Mieder hochschoben und ihre nackten Twins umwölbten.
Für kurze Zeit kam sie sich wie ein billiges Flittchen vor. Sie trieb es mit einem Mann, den sie kaum kannte, aus purer Begierde, gleich neben ihrem Schreibtisch im Vorzimmer von Hargraves’ Anwaltskanzlei!
Was in aller Welt ist nur in mich gefahren?, fragte sie sich.
Die Frage blieb ohne Antwort. Lassiter langte unter ihren Rock. Sie fühlte seine Fingerspitzen auf den Innenseiten ihrer Schenkel. Rasch warf sie einen Blick auf seinen Schoß und bemerkte die deutliche Erhebung.
Mona spürte eine ungeheure Leidenschaft in sich. Lassiter begehrte sie. Er fand sie attraktiv und sehnte sich danach, dass sie es mit ihm tat.
In diesem Augenblick schlüpfte seine rechte Hand in ihre Unterhose. Zielsicher tasteten sich seine Finger bis an ihre Scham.
»Wow«, stöhnte sie und stellte die Beine breiter.
Mit viel Gefühl streichelte er sie.
Mona blies die Backen auf und hörte eine Weile auf zu atmen. Sie kam sich vor, als glitte sie auf einem Schlitten schwerelos über haushohe Schneeberge.
Ohne hinzusehen, tastete sie nach der Beule auf Lassiters Hose. Zu ihrer Überraschung spürte sie sein nacktes steifes Glied. Ohne dass sie es mitbekommen hatte, war er aus der Hose geschlüpft.
Sie öffnete die Augen.
Wie ein Schlagstock lag sein Glied in ihrer kleinen weißen Hand. Mechanisch schob sie die Vorhaut auf und nieder.
Ein Verlangen, wie sie es nie zuvor gespürt hatte, raubte ihr fast die Sinne. Sie beugte sich über ihn, dehnte ihre Lippen und nahm die Eichel in den Mund. Von unten blickte sie Lassiter in die Augen.
Sie sah ihm an, wie gut ihm ihre Behandlung tat.
Nach ein paar Minuten ließ sie sich auf den Stuhl nieder. Sie bog das Rückgrat durch und drückte den harten Pint zwischen ihre großen birnenförmigen Brüste. Mit beiden Händen presste sie die Twins zusammen und bewegte ihren Oberkörper auf und nieder. An Lassiters Gesichtsausdruck erkannte sie, wie viel Vergnügen ihm das bereitete.
Früher hatte Mona einmal einen Freund gehabt, der von ihren Brüsten so gut wie keine Notiz genommen hatte. Er wollte sie immer nur von hinten nehmen. Am liebsten mochte er es, wenn sie bäuchlings über einem Hauklotz lag, den Kopf fast auf der Erde, den Hintern in die Höhe gestreckt. Auf Dauer gefiel Mona diese Prozedur nicht und sie gab ihm den Laufpass.
Plötzlich bemerkte sie, dass ihr Liebhaber das Gesicht verzog. Offenbar stand er kurz vor dem Abschuss.
Auf der Stelle stellte sie alle Bewegungen ein.
Lassiter grinste. »Keine Bange. Ich habe alles im Griff.«
Sie lehnte sich nach hinten, schlug die Röcke hoch und spreizte die Beine. Lassiter senkte seinen Blick. Der Gedanke, dass er gerade ihre intimste Stelle betrachtete, ließ ihr den Atem stocken.
Verlangend hob sie das Becken vom Stuhl.
Lassiter beugte sich über sie. Auf Anhieb fand sein Sporn den richtigen Weg. Bevor er in Monas Spalte glitt, kreiste der Pilz spielerisch über ihren erblühten Lustknopf.
Jäh wurde Mona von einem Schwindel erfasst. »Gütiger Gott!«, keuchte sie.
Ihre Worte waren noch nicht verklungen, da rammte der Stiel zwischen ihre Schenkel. Lassiter nahm sie hart ran.
Mona atmete schwer. Bald spürte sie, dass sie gleich kommen würde. Das Gefühl war so mächtig, dass sie dem nichts entgegenzusetzen hatte.
Für Sekunden war sie völlig willenlos.
Sie schrie, als es losging.
Lassiter steigerte das Tempo, während sie auf Wolke Sieben schwebte. Der Stuhl, auf dem sie saß, knackte wie ein Holzscheit im Lagerfeuer. Wie aus weiter Ferne drangen ihre eigenen Schreie an ihr Ohr.
Dann, ganz unvermittelt, endete der Rausch.
Es war vorbei.
Jetzt war sie wieder die Schreibkraft Mona Shelley, und der Mann, dessen Pint wie ein Keil zwischen ihren Beinen steckte, war Lassiter, der gut aussehende Klient von Derek Hargraves.
Er öffnete gerade seine Schleusen.
Als ihre Lust nach und nach verging, küsste sie Lassiter auf die Wange.
Er drückte sie an sich. »Daran könnte ich mich gewöhnen, Mona.«
Sie lachte. Schnell wurde sie wieder ernst. Schade, dass Lassiter noch heute abreisen musste. Vermutlich würde sie ihn nie wieder sehen. Ein letztes Mal nahm sie seinen Pint in die Hand und hauchte ihm einen Kuss auf die Spitze.
Lassiter erhob sich, zog seine Hose hoch und schloss die Gürtelschnalle.
Mona tat es ihm gleich und ordnete ihre Kleidung. Vor Scham brannten ihr die Wangen. Sie hatte sich benommen wie eine läufige Hündin.
Egal. Es hatte sich gelohnt. Die Nummer mit Lassiter war der Hammer gewesen.
Er sah das wohl auch so, denn er nahm ihr Gesicht in die Hände und küsste sie sacht auf die Lippen. Dann zwinkerte er ihr spitzbübisch zu. »Mir knurrt der Magen. Und ich habe noch gut zwei Stunden Zeit. Hast du Lust auf ein kleines Abschiedsdinner?«
Und ob sie das hatte! Mona strich sich lächelnd eine herabbaumelnde Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Prima Idee«, sagte sie und stand auf. »Gehen wir essen. Ich bin hungrig wie ein Wolf.«
***
Der Zug fuhr rumpelnd in eine Kurve.
Seit einiger Zeit kam er nur noch im Schritttempo voran. Lokomotive und Wagen waren in Schnee gekleidet. Eiszapfen hingen von den Dächern wie Spieße.
Wieder schrillte die Dampfpfeife.
Die Lok dampfte in eine Schneewehe – und blieb stecken.
Ein Ruck ging durch die Wagenkette und ein merkwürdiges Geräusch wurde laut, wie das Röcheln eines verwundeten Grizzlys.
Der Zug stand.
Jake Budd sah aus dem Abteilfenster. Es hatte aufgehört zu schneien. Die rote Abendsonne erhellte die verschneite Prärielandschaft. Am Fuß eines baumlosen Hügels zeigte sich eine kleine Büffelherde. Dort lag der Schnee bei weitem nicht so hoch wie auf dem Bahndamm.
Plötzlich ertönten Stimmen. Neben dem Waggon tauchten Männer mit Schaufeln auf. Durch den hüfthohen Schnee kämpften sie sich nach vorn zur Lokomotive.
»Ich habe kein gutes Gefühl«, sagte Budd. »Wir stecken fest. Ein böses Omen.«
Joan Anderson schwieg, dann sagte sie: »Jetzt dreht sich alles darum, den Zug aus dem Schnee zu befreien. Ein Wink des Himmels. Die perfekte Gelegenheit, an den Schlüssel für den Tresor zu gelangen.«
Budd erwiderte nichts. Wie so oft hatte Joan gar nicht so Unrecht. Alle Leute im Zug würden eine Zeitlang abgelenkt sein. Die Lok musste freigeschaufelt werden. Wohl oder übel würden auch die Wachmänner zu den Schaufeln greifen müssen. Der ideale Zeitpunkt, um den Schlüssel aus dem Dienstabteil zu stehlen.
Die Wagentür ging auf. Ein eisiger Luftzug wehte in den Wagen.
Der Schaffner schob sich auf den Gang. An seiner Mütze klebte mit Öl vermischter Schnee. »Wir brauchen Freiwillige«, sagte er und hielt seine Hände über den Kanonenofen. »Auf den Gleisen liegt tonnenweise Schnee. Jede Hand wird gebraucht. Los, Jungs! Helft uns! Schaufeln gibt es vorn, beim Gepäckwagen.«
Einige Männer erhoben sich von ihren Plätzen, zogen ihre Mäntel über und stiegen aus. Auf Budds Geheiß gesellten sich auch die Langdon-Brüder zu der Schaufelbrigade. Zusehends leerte sich der Wagen. Fast alle männlichen Passagiere waren dem Aufruf des Schaffners gefolgt. Sogar der kleine Junge mit der Holzpistole wollte beim Schaufeln helfen.
Jake Budd ging es nicht gut. Er merkte, wie ihm die Anspannung den Hals zuschnürte. Ein Blick auf seine zittrigen Hände brachte ihn zu dem Entschluss, noch ein paar Minuten zu warten, ehe er sich zu dem Dienstabteil begab. Es war wieder eine dieser verdammten Panikattacken, die ihn piesackte.
Joan sah ihn prüfend an. »Was ist? Warum gehst du nicht los?«
»Moment noch.«
Es zischte laut. Der Maschinist hatte eine Ladung Dampf abgelassen. Jemand schrie, offenbar vor Schreck. Dröhnendes Gelächter setzte ein.
Budd spürte, wie sein Herz wummerte.
Joan, die ihm gegenübersaß, beugte sich weiter nach vorn. »Was ist mit dir los, Jake? Du siehst aus wie ein Gespenst. Was hast du?«
Ihm war, als steckte ihm ein Kloß im Hals. Nachdem er sich kräftig geräuspert hatte, sagte er: »Ich will noch fünf Minuten warten. Dann gehe ich.«
»Du gefällst mir nicht, Jake.« Joan musterte ihn aus schmalen Augen. »Du hast doch etwas. Was drückt der Schuh? Erzähl es mir.«
»Lass mich in Ruhe«, knurrte er. »Ich gehe, wann ich will. Was ist daran so schlecht zu verstehen?«
Joan schwieg einen Augenblick, dann sagte sie: »Mir gefällt das nicht, Jake. Wenn du nicht auf dem Posten bist, dann sage es jetzt. Es nützt keinem, wenn du die Chose vermasselst. Ohne Schlüssel keine Beute.«
»Hör auf zu nerven!« Erregt rutschte er hin und her. »Du glaubst, weil du den Detektiv abserviert hast, kannst du jetzt große Töne spucken, was?«
»Nein, das glaube ich nicht.« Sie legte eine Hand auf sein Knie. »Es geht um die Wurst, Jake. Und du weißt es. Ohne den gottverdammten Schlüssel ist alles für die Katz. Du darfst jetzt nicht schwächeln. Mal ganz ehrlich: Fühlst du dich der Sache gewachsen?«
Er blähte seinen Brustkorb. »Was für eine Frage. Natürlich fühle ich mich der Sache gewachsen.«
Sie grinste freudlos. »Du lügst, ohne rot zu werden, Jake.«
»Ich lüge nicht!«
Joan fuhr mit gespreizten Fingern durch ihr Blondhaar und formte es am Hinterkopf zum Pferdeschwanz. »Wie dem auch sei – ich werde den Job erledigen.«
Das hatte gesessen. Jake Budd erschrak. Wenn Joan auch diesen Part des Coups übernahm, stand er vor den Langdons als Hampelmann da. »Du? Aber so war es nicht ausgemacht. Der Schlüssel ist und bleibt mein Job.«
»Ich übernehme ihn.« Joan blickte sich nach allen Seiten um, während sie ihre Jacke zuknöpfte.
Budds Hände zitterten stärker. Jedes Mal, sobald er in Erregung geriet, die gleichen Symptome. Er bekam Angstzustände und zitterte wie ein junger Hund. Das würde immer schlimmer. Vielleicht war es an der Zeit, sich einen weniger gefährlichen Job zu suchen.
Joan schien fest entschlossen. Sie stemmte sich von der Bank.
»Warte!« Er griff nach ihrer Hand, fasste aber daneben, weil Joan sie rasch wegzog.
»Du bleibst hier und erholst dich. Ich mache, so schnell ich kann«, sagte sie.
»Joan!«
Sie hörte nicht auf ihn. Sein Ruf verhallte unbeachtet. Die blonde Banditin eilte am Heizofen vorbei zur Tür, die zur Brücke in den nächsten Wagen führte. In dem Moment, als sie auf das äußere Trittbrett schlüpfte, wehte ein kalter Wind durch die Bankreihen.
Jake Budd durchfuhr ein Schauder.
Als die Tür zuknallte, starrte er auf seine bebenden Hände. Er fluchte leise.
***
Joan tänzelte vorsichtig über die vereiste Brücke in den nächsten Wagen. Es war das Salonabteil, gleich dahinter schloss sich das Restaurant an.
Im Gastraum saß ein grauhaariger Mann im mitternachtsblauen Sakko und rauchte eine Zigarre. Auf dem Tisch vor ihm stand ein Schoppen Rotwein. Als Joan an ihm vorbeiging, nickte er ihr freundlich zu. Joan bedachte ihn mit einem flüchtigen Lächeln und eilte weiter.
Wieder musste sie eine Brücke überqueren.
Endlich hatte sie den Waggon erreicht, in dem sich das Dienstabteil befand. Joan ging langsam über den schmalen Gang und blieb dann stehen. Spähend blickte sie nach links und rechts. Niemand zu sehen. Ob alle Zugbegleiter draußen beim Schneeschaufeln waren?
Joan lauschte angespannt.
Hinter der Tür tat sich nichts. Kurz entschlossen nahm sie den Knauf in die Hand und drückte zu. Die Tür öffnete sich. Durch den Spalt lugte Joan in den Raum.
Die Luft war rein, und sie schlüpfte ins Abteil.
Es gab zwei Schlafkojen, einen Klapptisch und einen kleinen Einbauschrank mit mehreren Fächern und Schubladen. Es roch nach billigem Rasierwasser, ranzigem Öl und altem Rauch. Auf der unteren Liege lagen einige bunte Heftromane aus der Pecos-Bill-Reihe. Auf der oberen lagen ein Band Geschichten von Edgar Allan Poe, die verwackelte Fotoaufnahme einer Frau in Unterwäsche und ein Briefkuvert aus fester Pappe, auf dem der Name Paul Lindenburg stand.
Joan hielt den Atem an. Draußen, auf dem Gang, tappten eilige Schritte. Sie schob die Hand unter ihre Jacke, wo sie ihre Pistole trug. Wenn es drauf ankam, würde sie die Waffe benutzen.
Die Schritte verstummten. Vor der Tür entwickelte sich ein Gespräch.
»Du bist verrückt, Cal«, sagte die Stimme einer jungen Frau.
»Verrückt nach dir.« Ein schmatzender Laut ertönte, wahrscheinlich ein Kuss.
»Cal, lass das!«
»Ich liebe dich, Senta«, beteuerte der Mann. »Ohne dich kann ich nicht mehr leben.«
»Pah – das sagst du doch nur so.«
»Nein, tue ich nicht. So glaub mir doch: Ich liebe dich von ganzem Herzen.«
Joan hielt noch immer die Ohren gespitzt. Einige Sekunden lang passierte nichts. Hin und wieder ertönten ein Schmatzen und ein lang gezogener Seufzlaut. Das Paar im Gang knutschte, was das Zeug hielt. Fast wurde Joan ein bisschen neidisch auf die Zwei.
Den Blick auf den Türknauf gerichtet, hoffte Joan, dass Senta und Cal nicht auf die Idee kamen, das Dienstabteil zu kapern, um ihre Schmuserei hier drinnen fortzusetzen.
Das Gespräch im Gang ging weiter.
»Ich glaube, du musst zu den anderen, die Lok freischaufeln«, sagte Senta.
»Noch eine Minute«, bat Cal.
»Hör auf, nimm deine Hand da weg!«
»Warum? Meine Hand fühlt sich unter deinem Rock sehr wohl. Es ist schön warm.«
»Du bist frech, Cal.«
»Und dir gefällt das. Gib es zu!«
»Könnte dir so passen. Ich gebe überhaupt nichts zu.« Senta klang bockig. »Wir sollten mit diesen Dingen warten, bis wir verlobt sind.«
»Ach, Senta. Das dauert mir zu lange. Wir sind verliebt, und Verliebte küssen sich nun mal.«
»Aber nicht im Gang eines Zugwaggons.« Das Mädchen blieb hart. »Jeden Moment kann jemand kommen. Schluss jetzt. Du solltest jetzt zu den anderen zum Schneeschaufeln gehen.«
»Senta …«
»Kein Wort mehr.« Es klang endgültig.
Sekundenlang herrschte Stille. Nur das Zischen des Wasserdampfes war zu hören. Offenbar musste sich Cal von seiner Enttäuschung erholen.
»Soll ich dir ein Geheimnis verraten?«, fragte er.
Joan, hinter der Tür, verdrehte die Augen. Das Süßholzgeraspel ging ihr allmählich auf die Nerven. Doch im nächsten Moment horchte sie auf. Was hatte dieser Bursche da eben gesagt?
»Ja, es ist wahr, Senta«, beteuerte er. »Im Paketwagen-Tresor befindet sich eine Million Dollar in Gold.«
»Du bist verrückt«, sagte das Mädchen nach kurzer Pause. »Eine Million Dollar. Das ist Irrsinn. So viel Geld. Doch nicht hier in einem stinknormalen Expresszug.«
»Es stimmt aber.«
»Und woher willst du das wissen?«
»Von Caddy Hackett, das ist einer der Männer, die den Wagen bewachen. Er war dabei, als die Barren in Kansas City verladen wurden.«
»Vielleicht ist er ein Wichtigtuer und hat dir einen Bären aufgebunden?«
»Nein, das würde er nicht tun. Caddy und ich sind gute Kumpel.«
»Und wenn! Ich gehe jetzt in mein Abteil zurück.« Im nächsten Augenblick trippelten forteilende Schritte über den Gang.
»Senta, so warte doch …« Die Stimme des jungen Mannes wurde leiser und erlosch.
Joan Anderson kaute nachdenklich auf ihrer Lippe. Eine Million in Gold! Wenn das stimmte, was dieser Cal da behauptete, dann war das eine Sensation. Im Paketwagen des Denver Express lagerte ein unermesslicher Schatz. Eine Bonanza auf Rädern dem Weg nach Colorado. Joans Gedanken galoppierten davon, verloren sich in wilden Hirngespinsten.
Der Schlüssel!
Joan riss sich zusammen. Sie konzentrierte sich auf ihre Aufgabe. Jetzt kam es drauf an, dass sie an den Schlüssel für den Safe im Paketwagen gelangte.
Sie trat an den Schrank, ein mit Schnitzereien verziertes Holzmöbel mit zierlichen, kleinen Schubladen und glänzenden Messingbeschlägen. In einem der Fächer vermutete sie den Schlüssel.
Sie wollte die oberste Lade aufziehen, aber das Teil rührte sich nicht. Abgeschlossen.