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Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2341, 2342 und 2343.
Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!
2341: Stirb für Mary, Lassiter!
Die Krieger des Blackfeet-Stammes brachten ihren Gefangenen auf ein Felsplateau hoch über dem Tal der Büffel. Sie nahmen ihm die Fesseln ab und stießen ihn mit ihren Speeren vorwärts. Einer der Krieger murmelte beschwörende Worte, die Walter Oakes nicht verstand. "Was wollt ihr von mir?", fragte der Weiße und wusste, dass er keine Antwort erhalten würde. "Ich nutze euch tot weniger als lebendig."
2342: Die Geliebte des Lords
Der Sturm heulte und tobte um die alte Grassodenhütte, und jedes Mal, wenn eine besonders starke Bö aufkam, schien es, als würde der feuchte Bau angehoben und durch die Luft geschleudert werden. Erschauernd schloss Violetta Morgan ihre Pelzjacke bis obenhin und stülpte sich die gefütterte Kapuze über den Kopf. Im hintersten Winkel der Hütte herrschte Halbdunkel, denn durch das winzige glaslose Fenster und den schmalen offenen Eingang drang nur wenig Tageslicht.
2343: Hüte dich vor Lucky Sue
Lassiter erstarrte, als er über die Hügelkuppe ritt und in die Senke blickte, durch die sich ein schmaler Flusslauf gen Süden zog. Denn die Szene, die sich ihm bot, war so bizarr, dass er für einen Moment dachte, die Hitze würde ihm das Hirn vernebeln. Doch ein Schrei, der in ein Gurgeln überging, machte ihm endgültig klar, dass es sich weder um eine Halluzination noch um einen derben Spaß handelte.
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Seitenzahl: 408
Veröffentlichungsjahr: 2021
Jack Slade
Lassiter Sammelband 1820 - Western
Cover
Impressum
Stirb für Mary, Lassiter!
Vorschau
Stirb für Mary, Lassiter!
Die Krieger des Blackfeet-Stammes brachten ihren Gefangenen auf ein Felsplateau hoch über dem Tal der Büffel. Sie nahmen ihm die Fesseln ab und stießen ihn mit ihren Speeren vorwärts. Einer der Krieger murmelte beschwörende Worte, die Walter Oakes nicht verstand.
»Was wollt ihr von mir?«, fragte der Weiße und wusste, dass er keine Antwort erhalten würde. »Ich nutze euch tot weniger als lebendig.«
Die Büffel zogen gemächliche Kreise durch den weiten Talkessel, in den die Schwarzfüße die Tiere gedrängt hatten. Ihre Hörner ragten wie Dornen in die Höhe.
»Vorwärts!«, knurrte einer der Krieger in Oakes’ Sprache. »Der Zorn der Büffel wird über dich kommen.«
Oakes schauderte und sandte ein Stoßgebet zum Himmel.
Die Atlantic Fur Company besaß Niederlassungen im vornehmen New Hampshire, in den molochhaften Straßenschluchten von New York und im traditionsreichen Boston Harbor, in dem die geblähten Segel so zahlreich waren, dass man sie nicht mit einem Blick erfassen konnte. Der vormalige Besitzer der Pelzhandelsgesellschaft William Bradford hatte dafür gesorgt, dass in jedem Atlantic-Fur-Büro ein Modell der Mayflower stand, jenes Schiffs der Pilgerväter, mit dem man zuerst das amerikanische Mutterland erreicht hatte.
Von den knapp fünfhundert Angestellten, die zu dieser Stunde ihren Dienst für die American Fur Company verrichteten, ahnte keiner, dass ausgerechnet im entferntesten Westen ihr oberster Vorgesetzter um sein Leben bangte. Sie hätten sich erstaunt gezeigt, dass Walter Oakes, alleiniger Eigentümer und misstrauischer Direktor, einem Blackfeet-Stamm in die Arme gelaufen war.
»Nun hören Sie doch!«, flehte der Geschäftsmann und schaute die Krieger um sich herum an. »Ich verfüge über allerlei Mittel, die eurem Stamm von Nutzen sein könnten.« Er lächelte unsicher. »Wie wäre es mit Whiskey? Oder Perlen? Teure Perlen! Durchsichtig wie ein Diamant!«
Der Anführer der Krieger war ein junger Blackfeet mit schmalem Gesicht und düsteren Augen. Er trug einen Kopfschmuck aus stattlichen Adlerfedern, die in einem geflochtenen Stirnband steckten. »Die Krieger meines Volkes wünschen keine Almosen, Bleichgesicht. Sie verlangen nach deinem Skalp und deinem Blut.«
Aus dem Talkessel unterhalb des Felsvorsprungs, auf dem Oakes stand, tönte das dumpfe Grollen der dahinziehenden Büffelherde herauf. Die von dichtem Pelz bedeckten Huftiere waren so dicht aneinandergedrängt, dass es Mühe bereitete, eines vom anderen zu unterscheiden. Die Schwarzfüße hatten die Herde schon vor Wochen in das schmale Tal gepfercht, in dem jeder Jäger leichtes Spiel hatte.
»Blut?«, wiederholte Oakes und richtete den Blick auf die Speerspitzen, die von allen Seiten her auf ihn wiesen. »Offenbar ist Blut die einzige Sprache, die unsere beiden Völker sprechen.«
Einige Minuten lang war nur das dumpfe Stampfen der Büffelhufe zu vernehmen, die fünfzig Yards unterhalb des Felsplateaus das Gras zermalmten. Die Herde war die letzte ihrer Art westlich der Plains und galt unter den Präriejägern bereits als Legende. Die American Fur Company hatte eine Expedition zusammengestellt, um sie zu finden, und trotz der großen Erfahrung ihrer Teilnehmer war man mit leeren Händen zurückgekehrt.
»Geh, Bleichgesicht!«, befahl der Anführer der Krieger und deutete auf den schmalen Pfad, der vom Plateau hinab ins Tal führte. »Meine Brüder weisen dir den Weg.«
Zwei Blackfeet setzten sich an die Spitze des Kriegertrupps und geleiteten den Gefangenen über den in weiten Schleifen verlaufenden Weg in den Talkessel hinunter. Als Oakes durch die staubgeschwängerte Luft über den Büffelleibern den Marterpfahl erblickte, an den man ihn fesseln wollte, nahm er allen Mut zusammen und drehte sich zum Anführer der Blackfeet um. »Ich gebe meinen rothäutigen Brüdern allen Reichtum, solange sie mein Leben verschonen. Ich habe nichts gegen dein Volk verbrochen.«
Der Krieger schwieg und sah Oakes aus seinen schwarzen Augen ausdruckslos an. Er und der Geschäftsmann waren sich bei einer Handvoll Gelegenheiten begegnet, aber nie zuvor hatte Oakes einen solchen Zorn in den Augen des indianischen Gefährten gesehen.
»Brüder betrügen einander nicht«, sagte der Blackfeet und hob stolz das Kinn. »Sie sagen die Wahrheit und führen sich nicht in die Irre. Ehe die Sonne hinter dem Horizont verschwindet, wirst du tot sein.«
Ruhig und besonnen trieben die übrigen Krieger die Büffel auseinander und zerrten Oakes durch die entstandene Gasse. Der Eigentümer der American Fur Company fürchtete sich mit einem Mal vor den gewaltigen Geschöpfen, die ihm und seiner Gesellschaft seit einem guten Jahrzehnt ein gutes Auskommen bescherten. Über den Boston Harbor hatten auf den American-Fur-Seglern im letzten Jahr mehr als siebentausend Büffelfelle den Kontinent verlassen.
»Ihr begeht einen großen Fehler«, wandte sich Oakes abermals an den Anführer der Blackfeet. »Die Armee wird kommen! Man wird euer Reservat verkleinern und eure Krieger hinrichten!«
Unbeirrt hielt der Stammeskrieger Oakes beim Arm gepackt und schob ihn an den Büffeln vorbei, deren Fell nach Schweiß und nassem Gras roch. Oakes hatte ein gutes Dutzend Mal selbst an Büffeljagden teilgenommen, aber nie war er den Tieren so nahe gewesen wie in diesen Minuten.
»Mein Volk verlangt nach Rache«, wiederholte der Blackfeet sanft und bestimmt. »Ich enttäusche meine Brüder nicht.«
Vor Oakes ragte nun der Totempfahl des Blackfeet-Stammes auf, der – wie es Sitte war – die Antlitze mehrerer himmlischer Wesen der Indianer trug. Die Männer nahmen rings um den Pfahl Aufstellung und sahen ihrem Anführer dabei zu, wie er Oakes die Fesseln abnahm und den Weißen rücklings an den Stamm führte.
Als man dem Gefangenen die Arme um den Pfahl band, stellte Oakes fest, dass die Krieger buchstäblich bis auf die Knochen abgemagert waren. Die schwindenden Büffelherden in den Prärien hatten zu Hungersnöten unter den Indianerstämmen geführt. Oakes hatte die Folgen der gewaltigen Treibjagden noch nie aus nächster Nähe gesehen.
Nun war er im Begriff, für sie zu zahlen.
***
Helena, Montana-Territorium, drei Tage zuvor
Die spitzen Schreie des hellblonden Saloonmädchens, das mit gespreizten Beinen auf dem Zimmertisch lag, wären noch zwei Stockwerke tiefer zu hören gewesen, hätte Lassiter seiner Bettgenossin nicht mit der Hand den Mund zugehalten. Das schöne Saloongirl klammerte sich an seinem Unterarm fest, schloss genießerisch die Augen und warf den Kopf von einer Seite zur anderen.
»Still!«, flüsterte Lassiter und lockerte den Griff langsam. »Du weckst das ganze Cosmopolitan Hotel auf!«
»Oh, dann soll’s so sein!«, keuchte Gladys Cooper und schlang die schlanken Beine um Lassiters Hüften. Sie richtete sich auf und strahlte ihn mit ihren kristallblauen Augen an. »Meinetwegen soll die ganze Welt hören, was für einen guten Liebhaber ich mit dir gefangen habe!«
Voll Begierde wanderten Lassiters Hände über die wohlgeformten Brüste der jungen Frau, die ihm nach zwei Monaten in der Wildnis von Montana die lang ersehnte Abwechslung verschaffte. Er hatte mit zwei Büffeljägern nach einem verwundeten Senator gesucht, der bei der Jagd in den Greenhorn Mountains von einem Berglöwen angefallen worden war. Der Auftrag hatte Lassiter höchste Anerkennung aus dem Büro des Präsidenten eingebracht.
»Du musst trotzdem nicht das ganze Hotel aus dem Schlaf reißen«, beharrte Lassiter und verschlang die Lippen der Blondhaarigen in einem leidenschaftlichen Kuss. »Es gibt zu viele neugierige Ohren in Helena.«
»Aus dem Cosmopolitan kommen sonst nur die feinen Pinkel«, meinte Gladys und rollte sich auf den Bauch. Sie hob ihren porzellanweißen Hintern und reckte ihn Lassiter verführerisch entgegen. »Woher hast du nur solch einen Batzen Dollars?«
Der Mann der Brigade Sieben hätte dem Saloonmädchen die Wahrheit erzählen können, die darin bestand, dass er für die Suche in den Bergen eine Prämie von tausendfünfhundert Dollar erhalten hatte und nach den Wochen der Entbehrung endlich wieder ein heißes Bad hatte nehmen wollen. Er hätte von den Aufträgen aus Washington berichten können, die er stets in einem versiegelten Kuvert erhielt, von den Mittelsmännern und den Gefahren, in denen er regelmäßig schwebte.
Aber das hätte gegen die Prinzipien der Brigade Sieben verstoßen.
Stattdessen setzte Lassiter zu harten Stößen an, die Gladys auf andere Gedanken brachten und das Saloonmädchen zur Sklavin der eigenen Lust werden ließen. Die Blondine verschränkte die Arme im Nacken, drückte den Rücken durch und gab sich gänzlich der eigenen Ekstase hin. Sie stöhnte nun leiser und verhaltener, als hätte sie kapituliert und sich Lassiters Willen gebeugt.
Keine zwei Sekunden später jedoch bewies Gladys das Gegenteil.
Sie warf den Kopf herum, starrte Lassiter mit brennendem Blick an und warf sich mit wilden Küssen auf ihn. Der große Mann prallte mit dem Rücken gegen die Zimmerwand, wehrte Gladys’ Ungestüm halbherzig ab und legte beide Arme um ihre schmale Taille.
Das Saloonmädchen sog an Lassiters Unterlippe und schob gleichzeitig eine Hand zu seinem steifen Pint hinunter. Sie umfasste ihn und bewegte die Finger langsam auf und ab. »Ich will es noch härter, Lassiter! Noch fester und dreckiger, als du es je mit einer Frau gemacht hast! Versprich mir, dass du mich nicht schonst!«
Nachdem Lassiter knapp genickt hatte, sank Gladys vor ihm auf die Knie und stülpte die Lippen um seinen Pint. Sie tat das mit solcher Hingabe, dass ihm sogleich die Hitze in die Lenden schoss und er fürchten musste, dass die Sache vorzeitig zu Ende ging.
Bevor es dazu kommen konnte, hob Lassiter Gladys in die Höhe und trug sie zum Tisch zurück. Er stützte mit Hand ihren Rücken, als sie niedersank, und liebkoste mit der anderen ihre feuchte Scham.
»O Lassiter!«, seufzte Gladys und begann zu beben. »Du verstehst dich auf Frauen, als wäre es dein Beruf.« Sie schloss die Augen und genoss seine Berührungen. »Wieso gibt es in meiner Zunft nur Frauen? Jedes Mädchen sollte erleben, was du mir gerade … gerade …«
Weiter kam sie nicht, denn Lassiter war zwischen ihre Schenkel getreten und hatte sich in Stellung gebracht. Er stieß jetzt sanft und zärtlich zu, strich mit einer Hand an Gladys’ schmalen Seiten hinauf und verwöhnte mit der anderen die zierlichen Füße des Saloongirls. Einige Stöße darauf hob Gladys das Becken und streckte sich ihrem Liebhaber entgegen.
»Mir kommt’s!«, rief sie, riss die Augen auf und umschloss mit einer Hand die Tischkante. »Lassiter! Oh, wie es mir kommt!«
Im gleichen Augenblick erschütterten Faustschläge die Zimmertür.
Das Mädchen fuhr zusammen und sah verwirrten Blickes zur Tür. Einige Sekunden lang erfüllte gespanntes Schweigen den Raum.
»Wer ist da?«, rief Lassiter in scharfem Ton. »Ich hatte darum gebeten, nicht gestört zu werden.«
»Verzeihen Sie, Sir!«, ertönte jenseits der Tür die Stimme des Portiers. Er hatte Lassiter vor einigen Stunden die Schlüssel ausgehändigt und das Gepäck aufs Zimmer getragen. »Ich möchte nicht stören, aber eben ist ein Telegramm per Bote überstellt worden. Der Kurier bat darum, dass Sie umgehend informiert werden.« Kurze Stille. »Es scheint von großer Dringlichkeit zu sein.«
Der große Mann wandte sich zu Gladys um und gab einen gepressten Seufzer von sich. Er angelte nach seiner Hose und warf sich das Hemd über die Schultern. »Ich muss gehen, Kleines.«
»Jetzt schon?«, schmollte das Saloongirl und stützte sich mit dem Arm auf. »Vielleicht ist es ein Irrtum. Um diese Stunde kommen keine Telegramme mehr.«
Obwohl sich Lassiter wünschte, dass Gladys recht hatte, wusste er doch, dass ein Telegramm um diese Tageszeit nur einen dringenden Auftrag aus Washington bedeuten konnte. Die Brigade Sieben sandte ihm die Einsatzbefehle gewöhnlich einige Tage im Voraus, aber es kam vor, dass für derlei Luxus keine Zeit blieb. Er kleidete sich gänzlich an und verabschiedete Gladys mit einem zärtlichen Kuss. »In ein paar Wochen bin ich wieder in der Stadt.«
»Wer’s glaubt, wird selig!«, parierte sie und schüttelte das blonde Haar auf. Sie kniete sich aufs Bett und legte die Spitzenkorsage um die Brüste. »Männer wie du kehren nie zurück. Sie haben immer Geschäfte, die nicht warten können.«
Ohne Gladys zu widersprechen, legte Lassiter den Revolvergurt mit dem silbernen Remington darin um. Als er den Gurt festzog, spürte er Gladys Hand auf der seinen.
»Pass auf dich auf!«, sagte sie und schenkte ihm ein warmes Lächeln.
***
Die Behandlungsräume von Doc Hank Fellerson befanden sich in einem zweistöckigen Gebäude an der East Street von Helena und waren mit zwei Pritschen, einem Instrumentenschrank an jeder Wand und einem größeren Schreibtisch ausgestattet. Die Wände des Flurs schmückten gerahmte Zertifikate und Urkunden, die Lassiter aufmerksam las, bis ein schlanker Mann Mitte vierzig in der Tür erschien und ihn hereinbat.
Als die Männer im größeren der beiden Behandlungszimmer standen, nahm Doc Fellerson seine zierliche Messingbrille ab und reinigte sie. »Die Telegramme aus Washington kamen für mich ebenso überraschend wie für Sie, Mr. Lassiter. Ich ließ Sie aus diesem Grund gleich rufen.«
»Lassiter«, sagte der Mann der Brigade Sieben. »Einfach nur Lassiter.«
Der Doc trat hinter seinen Schreibtisch und zog eine Schublade auf. Er nahm ein braunes Kuvert daraus hervor und behielt es eine Weile in der Hand. »Man hat mir die Dokumente schon vor einem guten Monat übersandt. Ich sollte sie verwahren, bis ein Befehl des Justizministeriums eintrifft.«
Mit einem Kopfnicken wies Lassiter auf das Kuvert in Fellersons Händen. »Sie wussten von dem Auftrag bereits seit einem Monat?«
»Ich wusste von dem Mann, um den es gehen würde«, erwiderte der Doc und öffnete den Umschlag. Er zog einen Steckbrief daraus hervor, der das Siegel des Ministeriums trug. »Sein Name ist Walter Oakes. Ihm gehört die Atlantic Fur Company.«
»Also ein Pelzhändler«, sagte der Mann der Brigade Sieben und nahm den Steckbrief zur Hand. Die Zeichnung von Oakes zeigte einen älteren Mann mit schütterem Haar und dichten Brauen. »Die American Fur handelt mit Büffel- und Biberfellen.«
»Die Gesellschaft unterhält gute Geschäfte mit Europa und dem britischen Königreich«, sekundierte Fellerson. »Vor drei Monaten kam Oakes selbst nach Montana, um Verhandlungen mit einigen Scouts und Büffeljägern zu führen. Die Herden in den Plains sind fast verschwunden.«
Die übrigen Unterlagen des Kuverts bestanden aus Quartalsberichten der American Fur Company und einigen Berichten von Informanten, die mit Oakes und seiner Familie bekannt waren.
»Weshalb kümmert sich die Brigade Sieben um Oakes?«, fragte Lassiter. »Um den Pelzhandel sollte sich das Schatzministerium kümmern.«
Fellerson nickte und verschränkte die Hände auf dem Schreibtisch. »Oakes ist ein guter Bekannter des Präsidenten. Er ist auch ein mächtiger Mann im Kongress. Das Justizministerium will sicherstellen, dass ihm in dieser heiklen Zeit nichts zustößt.«
»Was sollte ihm zustoßen? Er ist bloß ein Geschäftsmann, der in Montana Verhandlungen führt.«
»Augenscheinlich schon«, pflichtete ihm der Arzt bei. Er ließ den Blick auf dem Kuvert ruhen. »Der Handel mit Büffelfellen ist in den letzten Jahren beinahe zum Erliegen gekommen. Es gibt schlicht keine Herden mehr, weil fast jeder Büffelschädel zwischen Laramie und San Francisco geschossen worden ist.«
»Pech für Oakes«, meinte Lassiter. »Aber kein Unglück für die amerikanische Regierung.«
Zwei dünne Fältchen bildeten sich über Fellersons Nase. »Unter den Büffeljägern im Montana-Territorium herrscht blanker Neid. Sie gehen sich an die Gurgel, sobald einer von ihnen eine Herde aufspürt.« Er deutete mit dem Kinn zur Tür. »Erst letzte Woche hatte ich zwei Wildschützen auf dem Tisch, die sich wegen eines Ballens Büffelfelle die Bäuche durchlöchert hatten.«
Allmählich begriff Lassiter, worauf Fellerson mit seinen Erläuterungen hinauswollte. »Wollen Sie andeuten, dass Oakes ein As im Ärmel hat? Dass er eine Büffelherde kennt?«
»In der Tat«, antwortete der Arzt und nickte. »Es ist einigen Leuten in Helena zu Ohren gekommen, dass er die letzte Büffelherde in den Bergen gefunden hat. Sie soll von einem hungrigen Blackfeet-Stamm bewacht werden.«
»Falls Blackfeet die Herde bewachen, sollte Oakes die Finger davon lassen«, sagte Lassiter und schob den Steckbrief wieder ins Kuvert. »Hungrige Krieger machen nicht viel Federlesen.«
»Die Blackfeet haben in den Plains Hunderte Büffel geschossen«, widersprach der Mittelsmann. »Sie tragen selbst ebenso Schuld daran, dass es kaum noch Herden in Montana gibt.«
Der Mann der Brigade Sieben schüttelte energisch den Kopf. »Kein Indianer würde je einen Büffel aus Profitgier schießen. Es waren weiße Händler, die ihnen Glasperlen und Whiskey für die Felle angeboten haben. Ich würde eher einem Blackfeet als Oakes über den Weg trauen.«
Durch das geöffnete Fenster des Behandlungszimmers drangen Stimmen von der Straße herein, die sich rasch wieder entfernten. Fellerson stützte sich mit den Ellbogen auf den Schreibtisch und sann einen Augenblick lang nach. »Sie haben ohne jeden Zweifel recht, Lassiter. Aber Sie müssen dennoch die Eskorte für Oakes übernehmen.«
Einige Sekunden lang verharrte Lassiter in Schweigen. »Eskorte? Für Oakes?«
»Mr. Oakes soll aus der Stadt gebracht werden«, bekräftigte der Arzt mit ernster Stimme. »Genau genommen Oakes, seine Tochter Mary und sein Sekretär Roth Shaffer. Man hat sie bereits mit dem Tode bedroht.«
Die Blicke der beiden Männer kreuzten sich für einen Augenblick. Es behagte Lassiter nicht sonderlich, den Wachhund für einen Pelzhändler zu spielen, aber er beschloss, sich vor Fellerson nichts dergleichen anmerken zu lassen. »Wohin sollen Oakes und seine Familie gebracht werden?«
»Trout Creek«, lautete die Antwort des Docs. »Die Brigade Sieben hat eine Unterkunft bereitgestellt, in der Oakes und seine Begleitung bleiben können, bis er das Montana-Territorium verlassen kann. Zum Hauptquartier der American Fur Company soll er erst zurückkehren, sobald man für sein Wohl garantieren kann.«
Stumm nahm Lassiter das Kuvert an sich und steckte es unter die Jacke. Er stand auf, verabschiedete sich mit einem knappen Nicken und wandte sich zur Tür um.
»Eine Sache noch, Lassiter!«, hielt ihn Fellerson zurück. Er stand ebenfalls auf, kam jedoch nicht um den Schreibtisch herum. »Die Tochter von Oakes ist eine unverheiratete und, wie man hört, äußerst vergnügungssüchtige junge Frau. Sie sollten ein Auge auf sie haben.«
Ein schmales Lächeln sprang auf Lassiters Lippen. »Die Brigade Sieben kann sich ganz auf mich verlassen. Ich bringe Mr. Oakes, das Mädchen und den Sekretär wohlbehalten nach Trout Creek.«
Erleichtert lehnte sich Fellerson gegen seinen Schreibtisch und lächelte gleichfalls. »Wie ich sehe, ist auf Sie Verlass, Lassiter. In zwei Stunden habe ich meinen nächsten Patienten.« Er öffnete die Hände. »Kommen Sie zurück, falls Sie noch etwas brauchen.«
***
Der Dandelion Saloon befand sich in einer schlammigen Seitengasse am Stadtrand von Helena und verströmte schon durch die beiden Fenster den schweren Geruch von Tabak und verschüttetem Whiskey. Die Bar war bis auf den letzten Hocker mit Minenarbeitern, Goldsuchern und Fallenstellern besetzt, die sich gegenseitig zuprosteten und die leeren Gläser zurück auf den Tresen schmetterten. Der Frachtkutscher von der American Fur Company, der Lassiter in den heruntergekommenen Saloon bestellt hatte, saß an einem Tisch an der Wand und schwenkte einen Bourbon in der Hand.
»Rick Forkman?«, fragte Lassiter und zog sich einen Stuhl heran. Er musterte den Jüngeren, der erschrocken zu ihm aufsah.
»Sind Sie der Büffeljäger?«, entgegnete Forkman und schaute sich um. »Bei Gott, wenigstens einer von echtem Schrot und Korn. Die meisten von eurer Zunft haben inzwischen kaum noch ’nen Flaum auf den Wangen.«
»Ich möchte für die American Fur arbeiten«, sagte der Mann der Brigade Sieben und winkte den Kellner heran. Er orderte ebenfalls einen Bourbon und wandte sich wieder Forkman zu. »Können Sie mich zu Ihrem Boss bringen?«
Am Nebentisch saßen vier Männer in staubigen Westen, die über ihren Spielkarten brüteten. Einer von ihnen hob den Kopf, als Lassiter die Pelzhandelsgesellschaft erwähnte.
»Pssht!«, zischte der Kutscher und drehte den Kopf zur Wand. »Sie sollten diesen … Namen … nirgendwo in Helena aussprechen. Der Boss steht gerade nicht im besten Licht da.«
Der Kellner brachte den Bourbon und stellte ihn auf dem Tisch ab. Er nahm den Vierteldollar, den Lassiter ihm hinlegte, und kämpfte sich durch die lärmenden Saloongäste zur Bar zurück.
»Wo finde ich ihn?«, richtete sich Lassiter erneut an den Kutscher. »Ich brauche den verdammten Job. Mir gehen allmählich die Dollars aus.«
Forkman feixte und schüttelte den Kopf. »Es ist immer wieder das Gleiche mit euch. Ihr kommt wie die verfluchten Friseure in den Westen und wollt gleich Gold wie Heu scheffeln.« Er wies mit dem Daumen in den Schankraum. »Sieh dich um! Diese Kerle suchen alle nach ’ner Anstellung. Ich könnte mir meine Prämie auch anders verdienen.«
»Fünfzig Dollar«, erneuerte Lassiter sein Angebot. Er hatte Forkman die Summe schon in der Stadt genannt. »Auf die Hand, sobald du mich zu dem Mann gebracht hast, von dem wir reden.«
»Gottverdammt!«, murmelte Forkman und trank aus seinem Bourbonglas. »Wer glaubst du eigentlich zu sein? Mr. Oakes ist kein Krämer, dem man irgendwie schmierig kommen kann. Ich will wenigstens siebzig Dollar.«
Einer der Männer vom Nebentisch drehte sich zu Forkman und Lassiter um und legte die Karten aus der Hand. Er war groß gewachsen, hatte ein düsteres Gesicht und stechend helle Augen. »Redet ihr von Walter Oakes? Von der verfluchten American Fur Company?«
Aus einer Ecke des prall gefüllten Saloons tönte das Gebrüll zweier Männer herüber, die sich über eine Frau stritten. Sie gingen einige Augenblicke lang mit den Fäusten aufeinander los, ehe sie sich wieder setzten und sich gegenseitig auf die Schulter klopften.
»Wer bist du?«, knurrte Forkman den Tischnachbarn an. »Und weshalb belauschst du uns? Ich mag keine Kerle, die ihre Nase in fremde Angelegenheiten stecken.«
»Ich mag keine Kerle, die einen Betrüger kennen«, versetzte der Andere und starrte den schweigenden Lassiter an. »Ich heiße Pete Cullen. Oakes schuldet mir ’nen verdammten Batzen Geld.«
»Äußerst erfreut, Cullen«, konterte der Kutscher bissig. »Wäre noch erfreulicher, wenn du das Maul hältst und mit deinen Freunden weiter Karten spielst.«
Als die anderen Männer am Tisch diese Worte hörten, warfen sie ebenfalls die Köpfe herum und legten die Hände an ihre Revolver. Der Mann der Brigade Sieben tat es ihnen gleich und starrte Cullen ruhig an. »Stephen Oakes. Ich suche nach Stephen Oakes. Er ist Wagenschmierer für die American Fur.«
Der andere Tisch versank in betretenem Schweigen, das dem Kerl, der sich als Pete Cullen vorgestellt hatte, schließlich unangenehm wurde. Er grinste verlegen und griff wieder nach seinen Karten. »Stephen Oakes? Nie gehört! Muss ein Vetter vom alten Oakes sein.«
»Oder sein Bastard!«, meinte ein anderer am Tisch und sorgte damit für Gelächter. »Aber wie jeder weiß, hat er nur ’ne verflucht hübsche Tochter. Der alte Windhund weiß jedenfalls, wie man sich in Helena versteckt.«
Der Kutscher und Lassiter wechselten einen kurzen Blick miteinander. Sie lehnten sich auf ihren Stühlen zurück, und Lassiter überließ vorerst seinem Tischgenossen das Reden.
»Was wisst ihr schon über Oakes?«, höhnte der Frachtkutscher. »Ich bin ihm ein paar Mal begegnet. Er ist ein guter Mann.«
»Oakes ein guter Mann?«, rief Cullen am Nebentisch. Er warf die Karten erneut nieder. »Oakes ist der widerlichste Geschäftemacher, dem ich je begegnet bin. Ich habe über hundert Büffel geschossen und hatte einen Kontrakt mit der American Fur.« Er machte einen verächtlichen Laut. »Keinen einzigen Cent habe ich bis jetzt gesehen! Genauso wenig alle anderen an diesem Tisch!«
»Genau!«, pflichtete ihm einer seiner Mitspieler bei. »Ich würde ihn am nächstbesten Baum aufknüpfen, würde er mir über den Weg laufen! Er soll es nur wagen, sich irgendwo blicken zu lassen!«
Die Männer setzten ihr Kartenspiel fort und warteten geduldig, bis Cullen seinen Einsatz machte. Der Büffeljäger hieb mit der Faust auf den Tisch. »Aufknüpfen wäre noch zu wenig für ihn! Die Kehle aufschlitzen müsste man ihm! Wie ’nem blökenden Büffelkalb, das einem die Herde verschreckt!«
Der Kellner des Dandelion brachte den Männern eine frische Whiskeyrunde und sorgte dafür, dass Lassiter und Forkman zunächst wieder unter sich waren. Der Mann der Brigade Sieben beugte sich über den Tisch und blickte Forkman an. »Mein Angebot gilt noch. Siebzig Dollar für eine Begegnung mit …« Er spähte zur Seite. »Sie wissen, wen ich meine.«
»Sie wollen immer noch zu ihm?«, flüsterte Forkman entgeistert. Er schob seinen Bourbon zur Seite und deutete mit einer knappen Geste zum Nachbartisch. »Nach allem, was dieser Kerl erzählt hat? Ich rate Ihnen dringend, die Finger davon zu lassen.«
»Brauchen Sie siebzig Dollar oder nicht?«, beharrte Lassiter auf seinem Vorhaben. »Ich finde auch einen anderen Mann in Helena, der mir diesen Dienst erweist.«
Auf Forkmans Gesicht wechselten sich Gier und Vorsicht miteinander ab. Nach einer Weile trank der Frachtkutscher seinen Bourbon gänzlich aus und nickte. »Meinetwegen, siebzig Dollar! Ich bringe Sie am Abend zu ihm.« Er wies abermals zu Cullen und seinen Leuten. »Aber hüten Sie sich vor diesen Kerlen! Sie wären nicht der erste Büffeljäger, mit dem man kurzen Prozess macht.«
Lassiter schwieg und schob Forkman unter dem Tisch die Scheine in die Hand.
***
Bei der Westfield Overland Co., in deren Niederlassung sich Walter Oakes und seine Begleiter nach Forkmans Aussage versteckt hatten, handelte es sich um eine kleinere Frachtgesellschaft mit eigenem Stall und zwei schwarz gestrichenen Concord-Kutschen. Die »Generalagentur«, wie ein rostiges Blechschild großspurig behauptete, war in einem schäbigen Eckbau an der Deville Street untergebracht.
»Mr. Oakes!«, rief Forkman und schlug mit der Faust gegen die fest verschlossene Holztür. »Ich bin es, Forkman! Rick Forkman, Sir!«
Der Frachtkutscher hatte Lassiter in einem wilden Zickzack durch die Hauptstadt des Montana-Territoriums geführt und war dabei einem Dutzend Büffeljägern ausgewichen, die er von seinen Fahrten in die Berge kannte. Die Männer hatten sich derweil über Oakes unterhalten, und Lassiter war der Besitzer der American Fur Company dadurch nicht sympathischer geworden.
»Was brüllst du so herum?«, zischte eine Stimme durch den Briefschlitz der Tür. »Wen hast du dabei?«
»Einen Freund, Mr. Shaffer«, entgegnete Forkman mit angespannter Miene. »Er möchte mit Mr. Oakes sprechen. Es ist eine geschäftliche Sache.«
»Geschäftlich oder nicht«, beschied die Stimme aus dem Briefschlitz, »Mr. Oakes ist für niemanden zu sprechen. Du kennst die Regeln, Forkman.«
»Sie kennen auch die meinen«, ließ sich der Kutscher nicht abwimmeln. »Ich könnte dafür sorgen, dass Oakes und seine Tochter das Haus der Westfield Overland rasch verlassen müssen. Ich möchte nicht zu diesem Mittel greifen.«
Nach diesen Worten blieb der Briefschlitz still und ließ nur ein tiefes Seufzen vernehmen. Der Mann hinter der Tür schloss auf und begrüßte seine beiden Gäste mit einem knappen Nicken. Er war spindeldürr und hatte knochige Hände. »Kommen Sie herein! Oder besser, Sie! – Forkman, du verschwindest!«
Pflichtschuldig tippte sich der Kutscher an den Hut und lief mit raschen Schritten davon. Der Fremde in der Tür bat Lassiter mit einer Geste herein, spähte auf die Straße hinaus und verschloss die Tür wieder. »Treten Sie sich die Stiefel ab. Es ist schlimm genug, dass wir seit Wochen auf jegliche Zivilisation verzichten müssen.«
Durch das Haus verlief ein dunkler Gang, der nach trockenem Holz und dem Leder alter Schuhe roch. Er reichte bis zu einer Tür, an der ein Schild mit der Aufschrift Bureau hing. Der Dürre ging einige Schritte voraus und drehte sich dann zu Lassiter um. »Haben Sie Forkman bestochen? Er hat bis zu diesem Tag keine Menschenseele zu uns gebracht.«
»Siebzig Dollar«, brummte Lassiter und schlug sich den trockenen Schlamm von den Stiefeln. »Ich ließ ihn im Glauben, dass ich Büffeljäger sei.«
Der dürre Vertraute von Oakes, der nur dessen Sekretär Roth Shaffer sein konnte, machte auf dem Absatz kehrt und legte die Hand an den Revolver unter seinem Gehrock. Er verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. »Sind Sie kein Jäger? In dem Fall lautet mein Rat, dass Sie meine und Mr. Oakes’ Zeit nicht vergeuden.«
»Sir«, sagte Lassiter und behielt den Colt unter Shaffers Fingern im Blick. »Ich arbeite für die amerikanische Regierung. Ich erhielt den Auftrag, Mr. Oakes, seine Tochter und Sie aus Helena herauszubringen. Ich weiß von den Todesdrohungen gegen Oakes.«
Von einem Moment auf den nächsten machte Shaffer einen verwirrten Eindruck. Er versteifte die Haltung und betrachtete Lassiter aufmerksam. »Sie kommen von der Regierung? Mr. Oakes hat gute Verbindungen in den Kongress.« Er nahm die Hand vom Colt und wies auf die Tür hinter sich. »Kommen Sie.«
Einige Augenblicke später stand Lassiter vor einem verunsicherten Oakes und dessen Tochter. Der Geschäftsmann war von korpulenter Gestalt und stützte sich auf einen Gehstock. Er hatte ein schwammiges Gesicht mit kleinen Augen und einer geröteten Nase. Sein Hals warf Falten über dem Kragen seines Hemds.
Mary Oakes dagegen war bestechend schön.
Auf ihrem zarten Hals saß ein zierliches Köpfchen mit haselnussbraunen Augen und wallendem Haar von derselben Farbe. Sie war halb von ihrem Vater verdeckt und trug ein elegantes blaues Kleid, das mit drei Rüschenreihen verziert war. Unter dem Saum schauten die Spitzen der schwarzen Stiefel hervor.
»Roth!«, stieß Oakes mit tiefer Stimme hervor. »Wen bringst du in unser Versteck, zum Teufel?«
Der Sekretär legte erneut die Hand auf seinen Colt, als wollte er beweisen, dass er mit allen Eventualitäten gerechnet hatte. Er erklärte Oakes rasch, was er über Lassiter wusste.
»Offenbar haben Sie meinen Sekretär bereits überzeugt«, wandte sich Oakes im Anschluss an den Mann der Brigade Sieben. »Ich hatte nicht geglaubt, dass die Regierung an meinem Wohlergehen Interesse hat.« Er lächelte. »Aber wir kommen nicht mit Ihnen, Lassiter.«
Ausdruckslos starrte Lassiter Oakes an. »Sie wollen die Stadt nicht verlassen? Mr. Hatte hatte bereits erwähnt, dass ich einen Auftrag des Justizministeriums habe.«
»Ob Justizministerium oder der verdammte Papst in Rom«, gab Oakes zurück. »Ich lege mein Leben und das meiner Tochter nicht in die Hände eines Fremden. In zwei Wochen verlässt eine Felllieferung der American Fur Company die Stadt.« Er ging einige Schritte umher. »Dem Treck werden wir uns anschließen.«
»Sie könnten in zwei Wochen tot sein«, entgegnete Lassiter in ruhigem Tonfall. »Nach den Berichten, die vom Justizministerium zusammengetragen wurden, sind eine Reihe von Büffeljägern davon überzeugt, dass Sie von einer versteckten Herde in den Bergen wissen. Man wird Ihnen nach dem Leben trachten.«
»Außer Ihnen hat’s bisher keiner ins Büro der Westfield Overland geschafft«, bemerkte Oakes und streifte Shaffer mit einem vorwurfsvollen Blick. »Gott im Himmel, diese Bruchbude sollte uns eine Mahnung sein. Der American Fur könnte das gleiche Schicksal bevorstehen.«
Der Geschäftsmann von der Ostküste kehrte sich seiner Tochter zu und schaute sie eine Weile an. Als die junge Frau nichts sagte, legte Oakes ihr eine Hand auf die Schulter. »Was ist mit dir, Engel? Willst du aus Helena fort? Oder sollen wir auf den Felltreck warten?«
Keine der beiden Möglichkeiten schien Mary zu gefallen. Sie warf die Hände in die Luft und ließ den Atem durch die geschlossenen Lippen entweichen. »Ich traue weder diesem Kerl noch der Westfield Overland. Es ist eine verfahrene Sache, Papa. Ich bin froh, wenn wir erst wieder zurück in Boston sind.«
»Recht gesprochen, mein Kind«, gab Oakes seiner Tochter recht und heftete den Blick zugleich auf Lassiter. »Ich bin nicht besonders versucht, Ihnen eine Chance zu geben.« Er sann einen Augenblick nach. »Der Treck in zwei Wochen wird uns reichen.«
»Sir«, ergriff Shaffer überraschend das Wort. »Die Lage wird in der Tat mit jeder Woche bedrohlicher. Die Männer in der Stadt sind verzweifelt und hungrig. Sie würden auch für weniger als eine Büffelherde töten. Manch einer von ihnen hat nicht einmal mehr die Dollars, um aus Helena herauszukommen.« Er stockte einen Moment. »Ein Büffelschädel ist in Helena derzeit Gold wert.«
Die Augen der Männer sprangen wieder zu Lassiter, der sich bereits einen anderen Sermon zurechtgelegt hatte. Er wollte Oakes die Schauergeschichte eines Mannes aus Montana erzählen, der vor einigen Wochen von Büffeljägern grausam zugerichtet worden war, weil er ihnen irrtümlicherweise die falsche Richtung gewiesen hatte. Einer der Informanten hatte der Brigade Sieben darüber berichtet.
Doch Oakes hatte bereits kapituliert. »Nicht noch eine Predigt, Shaffer! Ich gebe mich ja geschlagen! Wir brechen auf …« Er sah zu seiner Tochter. »Ja, wir brechen auf, selbst wenn es eine Dummheit sein sollte! Wohin sollen Sie uns bringen, Lassiter?«
»Trout Creek«, ließ der Mann der Brigade Sieben verlauten. »Die Regierung bringt Sie in einem Versteck unter, bis wir Sie auf sicherem Wege zurück nach Boston schaffen können. Es ist ein gutes Quartier, Sir.«
»Besser als dieser Bretterverschlag hoffentlich!«, knurrte Oakes und erfasste mit einer Armbewegung das ganze Zimmer. »Bereiten Sie alles vor! Unser Gepäck steht hinten im Lager!«
***
Noch vom silbrigen Dunst des Morgennebels verborgen, sattelte Lassiter wenige Stunden darauf die vier Pferde, die ihnen Forkman über die Westfield Overland beschafft hatte. Die Tiere froren in der kühlen Luft des anbrechenden Tages und prusteten mit dem Atem feinen Dampf durch die Nüstern. Als Lassiter den letzten Sattel festgurtete, trat Oakes Sekretär Shaffer aus dem Haus.
»Sie sind früh auf den Beinen«, sagte er nach kurzem Schweigen. »Ich bin beauftragt worden, Ihnen das Gepäck herauszubringen.«
Der Mann der Brigade Sieben streichelte den Braunen vor ihm den Hals und führte ihn am Zaumzeug zu den anderen Pferden. Er mochte Shaffer aus irgendeinem Grund, obwohl es danach aussah, dass sich der Sekretär und er nicht verstehen würden. »Ich muss das Gepäck durchsuchen, ehe wir es auf die Pferde schnallen. Ich mag keine Überraschungen.«
Shaffer blieb steif auf der Türschwelle stehen. »Sie wollen Mr. Oakes’ Gepäck durchstöbern? Sein Gepäck geht nur ihn etwas an.«
»Mich geht sein Wohlergehen etwas an«, versetzte Lassiter gelassen. »Ich muss wissen, was er mit auf die Reise nimmt und ob es ihm gefährlich werden könnte. Er hat gewiss Waffen im Gepäck. Dokumente, die ihn erpressbar machen.«
»Nichts von alledem«, beteuerte Shaffer mit säuerlicher Miene. Er trat auf die Pferde und Lassiter zu. »Selbst wenn es sich so verhielte, hätten Sie nichts darin zu suchen. Sie sind ein Lakai der Regierung, ein Söldner ohne Ehre und Gewissen.« Er spie vor Lassiter aus. »Ich kenne Männer wie Sie. Mit einem Wort wie Loyalität können Sie nichts anfangen. Sie schielen nur auf Ihre Prämie.«
Aus dem Haus traten nun auch Mary und Oakes selbst und sahen sich auf der menschenleeren Straße um. Sie kamen zu den Pferden, wechselten ein paar Worte mit Shaffer und kehrten ins Haus zurück. Der Sekretär starrte mit finsterer Miene zu Lassiter.
»Ohne einen Blick ins Gepäck reite ich keine halbe Meile«, beschied ihm Lassiter gleichgültig. Er konnte seine Kraft nicht mit Streitereien vergeuden. »Ich kann Ihnen versichern, dass ich weiß, was Loyalität bedeutet.«
»Ach, tatsächlich?«, zischte Shaffer und lachte bitter. »Die Loyalität zu einem Bündel Dollars? Ich stehe seit fast zwanzig Jahren im Dienst von Mr. Oakes. Ich schulde einem gedungenen Revolverschwinger wie Ihnen gar nichts.«
Die Männer standen sich zwischen den Pferden gegenüber und rührten sich nicht von der Stelle. Nach einer Weile brach Lassiter das Schweigen. »Sie missverstehen mich völlig, Mr. Shaffer. Ich habe nicht um diesen Auftrag gebeten.« Er hob den Kopf. »Er ist mir befohlen worden.«
Wiederum hatte Shaffer nur ein verächtliches Schnauben für Lassiters Worte übrig. »Befohlen von einer Horde Sesselfurzern, die in irgendeinem Ministerium um seine Posten bangt! Diese Männer kennen weder Mr. Oakes noch die American Fur Company.« Er wandte sich ab und trottete zum Haus zurück. »Ich kann nicht glauben, dass ich dieses Gespräch mit Ihnen führe.«
Hinter den Bergen, deren hauchfeine Kammlinie sich in der Ferne abzeichnete, stieg ein blasses Morgenrot empor und hüllte die Gipfel in ein glühendes Schimmern. Sie würden es an diesem Tag bis zu den French Bar Mountains schaffen müssen, die sich am Westufer des Missouri erhoben und nahe der Furt von Perry’s Crossing lagen. Die Flussquerung hatte Lassiter für den darauffolgenden Tag vorgesehen.
Unter einem gequälten Ächzen schleppte Shaffer das erste Gepäckstück aus dem Haus und stellte es bei den Pferden ab. Es handelte sich um eine prall gefüllte Ledertasche, die offenbar Oakes gehörte. »Tun Sie, was Sie nicht lassen können! Mr. Oakes hat nichts zu verbergen.«
Verwundert über Shaffers plötzlichen Sinneswandel, trat Lassiter auf die Tasche zu und ging davor in die Hocke. Er ließ den Verschluss aufschnappen und durchsuchte die Tasche bis zum Boden. Sie enthielt außer einigen Kleidungsstücken einen Napf mit Seife und einige Schreibutensilien.
»Zufrieden?«, giftete Shaffer und stemmte triumphierend die Arme in die Seiten. Er gab sich Mühe, einen grimmigen Eindruck zu erregen, doch Lassiter ahnte, dass der Sache eine Auseinandersetzung mit Oakes vorausgegangen war. »Wollen Sie die Seife noch probieren?«
»Was ist mit dem restlichen Gepäck?«, ging Lassiter nicht auf Shaffers Sticheleien ein. »Die Taschen von Ms. Oakes müssen auf den Braunen. Er ist das stärkste Tier.«
»Mr. Oakes wird Ihnen seine beiden Taschen überlassen«, erklärte der Sekretär und wandte sich wieder in Richtung Haus um. »Außer seiner Mappe mit Dokumenten, die Sie und das Justizministerium nichts angehen. Er lässt Ihnen überdies ausrichten, dass er keine weiteren Waffen mitführt außer seinem Taschenrevolver.«
Der Mann der Brigade Sieben verschloss die Tasche wieder und schwang sie auf Oakes’ Pferd hinaus. Er legte einen Gurt über das Gepäckstück und machte ihn am Sattel fest. »Bringen Sie mir den Rest, Mr. Shaffer! Sie werden sehen, dass es in den Bergen von Vorteil ist, wenn ich das Gepäck kenne.«
»Wer’s glaubt!«, erwiderte Shaffer und verschwand im Haus. Er schulterte hinter der Tür den schweren Koffer von Mary und schleppte ihn ins Freie. »Sie und ich werden keine Freunde, nicht wahr? Sie sollten jedenfalls nicht darauf hoffen.«
»Ich erhoffe mir grundsätzlich nichts«, meinte Lassiter und klappte den Koffer auf. Er verspürte einen Anflug von Scham, als seine Hände unter die Miederhöschen von Mary Oakes glitten. »Sie stehen in Diensten von Mr. Oakes. Ich verstehe besser, als Sie glauben, dass auch Sie nur Ihrer Pflicht nachkommen.«
Shaffer blieb still und verharrte wie eine Salzsäule zwischen den Pferden.
***
Sie ritten über die schlammigen Uferstraßen am Spokane Creek, der von den Regengüssen der vergangenen Wochen angeschwollen war und an manchen Stellen die benachbarten Präriewiesen geflutet hatte. Auf Höhe der Elkhorn Ranch bogen sie ostwärts ab und folgten einem ausgedehnten Talweg, der sie bis an den Fuß des von Pinien bestandenen French Bar Mountain brachte.
Am knisternden Feuer fanden sie am Abend alle zusammen.
»Sie machen mich neugierig, Lassiter«, sagte Oakes und hielt sein Fleischstück über die Flammen. Sie hatten zwei Kaninchen geschossen. »Woher wussten Sie, dass Sie mich noch in Helena finden? Ich könnte längst über alle Berge sein. Es gibt für die Atlantic Fur in dieser Gegend nicht mehr viel zu holen.«
Der Mann der Brigade Sieben griff nach einem der angespitzten Äste, die Shaffer für sie vorbereitet hatte, und schob einen rohen Kaninchenschenkel darauf. Er drehte den Ast einige Male und hielt ihn ebenfalls über die Flammen. »Das Justizministerium hatte seine Informanten in der Stadt. Ich musste nicht lange nach Ihnen suchen.«
Oakes’ Tochter saß neben ihrem Vater und blinzelte schläfrig in die Flammen. Sie hatte kaum ein Wort mit Lassiter gesprochen, obwohl sie bisweilen auffällig in seiner Nähe geblieben war. Als ihr Vater ihr nun den Ast mit dem Fleisch überließ, lehnte sie mit einem Kopfschütteln ab.
»Was ist los, Kleines?«, rief Oakes erstaunt aus. »Du hast den ganzen Tag nichts gegessen. Der Ritt in die Berge hinauf wird uns Kraft kosten.«
»Ich brauche nichts«, sagte Mary und gab ihrem Vater den Ast zurück. »Ich vermisse die Stadt und meine Abendtoilette. Es ist nichts Angenehmes für eine Frau, in Gesellschaft dreier Männer durch die Wildnis zu reiten.«
Der übrige Abend verlief in gespannter Schweigsamkeit zwischen Oakes und seiner Tochter, aus der Lassiter schloss, dass der Geschäftsmann die Reise ohne Marys Einwilligung angeordnet hatte. Gegen neun Uhr am Abend schlug Shaffer das Lager auf und verteilte die Decken.
»Ich übernehme die erste Wache«, erklärte der Sekretär danach und wies zu Lassiter. »Sie können mich gegen vier Uhr ablösen. Ich werde Sie wecken.«
Mit einem knappen Nicken erklärte sich Lassiter einverstanden und brach zu einem Erkundungsgang rings um das Lager auf. Er stieg den Berghang ein Stück hinauf, der sich über der Lagerstelle erhob, und stellte zu seiner Beruhigung fest, dass sie vor ungebetenen Gästen weitgehend gefeit sein dürften. Die Felswände waren zu schroff und unzugänglich, als dass sich jemand dem Lager von dieser Seite aus nähern konnte.
Bei seiner Rückkehr schliefen Oakes und Mary bereits.
Shaffer saß auf einem Stein beim Feuer und reinigte seine Winchester. Er folgte Lassiter argwöhnisch mit dem Blick, als dieser seine Decke ausbreitete und sich ebenfalls schlafen legte.
»Vier Uhr«, sagte der Mann der Brigade Sieben. Er schob den Remington unter die Jacke, die ihm als Kopfkissen diente. »Wecken Sie mich nicht zu spät!«
»Vier Uhr«, gab Shaffer mürrisch zur Antwort.
***
»Lassiter!«
Die aufgeregte Stimme von Roth Shaffer riss Lassiter aus seinem traumlosen Schlaf. Es konnten kaum zwei Stunden vergangen sein, seit er sich niedergelegt hatte, und doch kam es ihm vor, als hätte er eine halbe Ewigkeit geschlafen. Der Sekretär von Oakes starrte ihn aus der Dunkelheit heraus an. »Was ist los? Ist es schon vier?«
»Psst!«, zischte Shaffer und presste einen Finger auf den Mund. »Mr. Oakes ist verschwunden! Er ist fort!«
Ruckartig richtete sich Lassiter auf und schaute zu der schlafenden Mary hinüber. Die Schlafstätte neben Oakes’ Tochter war leer. »Sie hatten die Wache, Shaffer! Wohin ist er gegangen?«
Der hagere Sekretär wich indigniert zurück. Er biss sich auf die Unterlippe, als wollte ein Fluchen unterdrücken. »Die ganze Nacht habe ich mich auf meine Winchester gestützt. Mr. Oakes muss gegangen sein, als ich auf Wachrunde war.«
Der Mann der Brigade Sieben stand auf und rollte seine Decke zusammen. Er schnallte sich das Holster um und steckte den Remington ein, ehe er zu Mary hinüberging und sie mit einem sanften Rütteln weckte. »Miss Oakes, wachen Sie auf. Miss Oakes!«
Die junge Frau mit dem haselnussbraunen Haar schlug die Augen auf und zog sich die Decke über die halb entblößten Brüste. Sie blickte Lassiter erstaunt an und drehte sich dann zu Oakes’ Lagerstätte um. »Wo ist Vater? Er schlief nicht gut. Er muss aufgestanden sein.«
Die besorgte Miene von Shaffer setzte Mary eher über das Geschehen ins Bild, als Lassiter etwas dazu erwidern konnte. Sie richtete sich mit ihrer Decke auf und zitterte am ganzen Körper.
»Mr. Oakes ist verschwunden«, sagte Lassiter und bereute zugleich, dass er nicht selbst die erste Wache übernommen hatte. »Um welche Stunde haben Sie zuletzt mit Ihrem Vater gesprochen?«
Mary griff nach ihrer Taschenuhr, klappte sie auf und starrte aufs Ziffernblatt. Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Es muss gegen zwei oder drei Uhr gewesen sein … Es war stockfinster. Er klagte darüber, dass er nicht zur Ruhe käme.« Sie schluchzte auf. »Ich drehte mich nur auf die Seite und schlief weiter.«
Hinter Lassiter stöhnte Shaffer auf und schritt umher. Er ging in die Hocke und ergriff Marys Hand. »Was auch geschieht, Miss, wir werden ihn finden. Er hat sich gewiss nur die Beine vertreten.«
»Sie wissen, dass das nicht stimmt!«, entgegnete Mary entrüstet und vergrub das Gesicht in den Händen. »Er ist bestimmt wegen dieser Sache mit der American Fur geflohen. Er hat seit Monaten von nichts anderem gesprochen.« Sie schob Shaffers Hand von der ihren. »Aber … wie konnte er mich alleinlassen?«
»Er hat Sie nicht alleingelassen«, redete Shaffer beruhigend auf sie ein. »Er könnte ebenso gut entführt worden sein. Gott behüte, dass ihm etwas zugestoßen ist!«
Mit versteinertem Gesicht stand Lassiter auf und blickte auf den nächtlichen Berghang über ihnen. Hätte es einen Angriff aus dieser Richtung gegeben, hätte ihn Shaffer unweigerlich bemerken müssen. »Mary muss aus den Bergen heraus. Es ist zu gefährlich für sie.«
Der Sekretär und Mary hatten sich unterdessen ans Feuer gestellt und wärmten sich. Als Marys Blick auf die verschmorten Äste fiel, an denen das Kaninchenfleisch gehangen hatte, musste sie abermals schluchzen.
»Keine zehn Meilen von hier liegt das alte Fort Patterson«, meinte Shaffer und legte Mary seine Decke um die Schultern. »Die American Fur Company hat es vor zwei Jahren erworben. Einer von unseren Vormännern lebt mit seiner Familie dort.«
»Ich will fort aus der Wildnis«, klagte Mary und hielt sich an Shaffers Arm fest. »Der Herbst in Boston ist wunderbar. Ich vermisse den Regen und die Droschken, die Empfänge im Continental und den Hummer von Madame Ricard.« Sie schüttelte den Kopf. »Vater hätte mich nie in diesen verkommenen Westen bringen dürfen.«
Auch wenn Lassiter das Gejammer von Oakes’ verzogener Tochter in Anbetracht der Umstände ertrug, wünschte sich Lassiter schon jetzt nichts sehnlicher, als dass Mary in Sicherheit war und er sich um den Verbleib ihres Vaters kümmern konnte. Er sah zu Shaffer und nickte. »Gut, bringen wir Miss Oakes nach Fort Patterson.«
***
Auf den Felsspitzen oberhalb des Oregon Gulch waren die Krieger von Häuptling Wapun lediglich als erdfarbene Flecken auszumachen, die vor den Gräsern um sie herum verschwammen. Die Blackfeet trugen Kopfhauben aus Büffelfellen und hatten eine Handvoll Speere dabei. Sie hielten nach dem Weißen Ausschau, den sie vor einigen Stunden in die Schlucht hatten reiten sehen.
Der Häuptling der Krieger war ein sehniger Mann mit schmalem Gesicht und strengen Augen. Er saß inmitten seiner Männer, die ihm ebenso nahestanden wie seine Frau und sein kleiner Sohn, von denen er vermutete, dass sie längst auf seine Rückkehr warteten. Der Stamm kam beinahe um vor Hunger.
»Dort unten, Bruder Wapun!«, sagte Natayo neben ihm und kniff die Augen zusammen. Er hatte vor einigen Sommern die schöne Maohk zur Frau genommen. »Ich sehe ihn! Es ist das Bleichgesicht aus dem Tal!«
Die anderen Krieger schärften ebenfalls den Blick und hatten den berittenen Weißen im Tal bald ausgemacht. Sie erkannten die kostbare Kleidung wieder, in denen ihnen der Weiße vor einigen Monden entgegengetreten war, und die schimmernde Donnerbüchse, die er ihnen auch für fünf Büffelfelle nicht hatte überlassen wollen.
Der Name des Weißen war Walter Oakes gewesen.
Die Blackfeet-Krieger waren ihm zum ersten Mal am großen Fluss begegnet, als er sein Pferd getränkt hatte und sie von der Jagd gekommen waren. Oakes hatte nicht einmal nach dem Gewehr gegriffen. Er war Wapuns Brüdern mit Ruhe und Würde gegenübergetreten.
»Sollen ihn deine Brüder vom Pferd holen?«, fragte Natayo und kroch mit dem Speer ein Stück höher. »Er wird bald in den Felsen verschwinden.«
Entschlossen schüttelte Wapun den Kopf.
Der Weiße mochte sie betrogen haben, wie es viele Bleichgesichter vor ihm getan hatten und es ebenso viele nach ihm tun würden. Er mochte ihnen falsche Versprechungen gemacht und sie in die Irre geführt haben. Er mochte sogar unlautere Absichten verfolgt haben.
Doch Oakes hatte nie einen Schuss auf sie abgefeuert.
Vielmehr war er als Freund zu ihnen gekommen und hatten mit ihnen im Tipi gesessen. Er hatte den gebratenen Fisch verzehrt, den sie ihm gebracht hatten, und den Beerensaft getrunken, der auch in ihren Bechern gewesen war. Er hatte ihnen von seiner American Fur Company berichtet, wie sie ihm von den letzten Jagden und Natayos Hochzeit erzählt hatten.
»Willst du ihn entkommen lassen?«
Der Glanz in Natayos Augen war der gleiche Glanz, den Wapun auch in den Augen der anderen Krieger erkannte. Seine Brüder waren blutlüstern geworden. Sie hatten von den Methoden der Weißen gelernt, die es gewohnt waren, ihre Sorgen und Bekümmernisse mit Blei zu lösen.
»Nein«, sagte Wapun. »Wir können den Hüter der Büffel nicht töten. Er ist unser Freund und ein Verbündeter unseres Stammes. Er verdient unseren Schutz und unseren Beistand.«
Auf Natayos glattem Gesicht zeigte sich die verbitterte Ungeduld, die alle Jüngeren des Stammes in diesem Sommer zum Ausdruck brachten. Sie waren der bedächtigen Art Wapuns überdrüssig und sannen auf Rache. Der Häuptling hatte sie im Zaum halten können, aber auch Wapun wusste, dass der Hunger seine Männer zu gnadenlosen Schlächtern machen würde.
»Er ist ein Betrüger, Häuptling«, sagte Natayo und senkte den Kopf. »Er versprach uns, die letzten Büffel vor den Jägern zu beschützen. Er wird noch mehr Bleichgesichter ins Tal führen und uns die Herde nehmen.«
Die übrigen Krieger wandten die Köpfe zu Natayo und Wapun und bekundeten durch leichtes Nicken ihre Zustimmung. Sie waren zugegen gewesen, als Wapun zum ersten Mal mit Oakes verhandelt hatte und ein Vertrag zwischen der