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Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2356, 2357 und 2358..
Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!
2356: Für die Ehre einer Hure
Eine sanfte Brise streifte Lassiters Gesicht, aber sie brachte ihm keine Erleichterung. Seine innere Anspannung ließ nicht zu, dass er der Hitze des Tages entkam, denn sie war wie ein loderndes Feuer. Seit Stunden schon saß er im Schatten einer Bodega, den Blick unverwandt hinaus in die weite Steppe gerichtet, die sich zu allen Seiten des Örtchens Hawkins ausdehnte. Er hatte dafür gesorgt, dass die Bewohner sich in ihren Häusern verschanzten und erst wieder herauskamen, sobald alles vorbei war.
2357: Zwischen den Fronten
Die schweren Torflügel fielen vor ihm mit einem Geräusch ins Schloss, das an ein niedergehendes Fallbeil erinnerte. Fast zehn Jahre waren vergangen, seit er diesen Laut zum ersten Mal vernommen hatte, doch heute stand er auf der richtigen Seite der Mauern. Auf der Seite der freien Menschen. "Geh mit Gott, Junge. Du hast deine Schuld verbüßt. Auf Nimmerwiedersehen!", rief ihm der Wächter zu.
2358: Fürstin der Plains
Die Mörder von Thomas Batey trugen lange Staubmäntel und Hüte aus feinstem Biberfell. Sie schwangen sich aus den Sätteln, nahmen den Henkersstrick an sich und marschierten festen Schrittes auf das Haus des Ranchers zu. Als sie gegen die Tür hämmerten, war von drinnen nur das Jaulen des Hundes zu hören. "Er ist unten am Fluss", sagte der Ältere der beiden Männer. Er wies mit dem Daumen über die Schulter. "Das verdammte Rind hat er auch mitgenommen."
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Seitenzahl: 429
Veröffentlichungsjahr: 2021
Jack Slade
Lassiter Sammelband 1825 - Western
Cover
Impressum
Für die Ehre einer Hure
Vorschau
Für die Ehre einer Hure
Eine sanfte Brise streifte Lassiters Gesicht, aber sie brachte ihm keine Erleichterung. Seine innere Anspannung ließ nicht zu, dass er der Hitze des Tages entkam, denn sie war wie ein loderndes Feuer.
Seit Stunden schon saß er im Schatten einer Bodega, den Blick unverwandt hinaus in die weite Steppe gerichtet, die sich zu allen Seiten des Örtchens Hawkins ausdehnte. Er hatte dafür gesorgt, dass die Bewohner sich in ihren Häusern verschanzten und erst wieder herauskamen, sobald alles vorbei war.
Falls es vorbei sein würde!
Die Männer, auf die der Brigade-Agent wartete, waren nicht einfach nur Halunken und Halsabschneider – es waren seelenlose Teufel, deren Gier nach harten Dollars lediglich übertroffen wurde von ihrer Grausamkeit.
Lassiter hatte ihre Opfer gesehen, unten in Tijuana. Und er war ihrer blutigen Fährte nach Nordosten gefolgt. Wer sich ihnen widersetzte, war des Todes. Zumeist hatten die Mörder es auf Mädchen und junge Frauen abgesehen, die sie verschleppten und über die Grenze nach Mexiko brachten. Oftmals fanden sich die Entführten auch im Hafen von Puerto Peñasco wieder, wo sich ihre Spur in den Weiten des Pazifiks verlor. Auch das hatte Lassiter in Erfahrung gebracht.
Er wusste aber ebenfalls, dass die Horde, die er verfolgte, nicht auf eigene Rechnung arbeitete. Irgendwo musste es einen Kopf dieses Schmugglerrings geben, davon waren auch Lassiters Auftraggeber in Washington überzeugt. Indizien für diese Annahme hatten bereits andere Agenten vorgelegt, bevor sie auf mysteriöse Weise für immer verschwunden waren. Die Brigade Sieben konnte und wollte nicht mehr zusehen, wie sich dieses Geschwür aus Mord und Menschenhandel ins Herz der Vereinigten Staaten fraß. Es wurden dringend Resultate benötigt – und Lassiter war der richtige Mann, um sie zu liefern.
Abwesend griff er nach einem Zigarillo in der Brusttasche seines Baumwollhemds, steckte ihn zwischen seine Lippen und zündete ihn an. Über die Stärke seiner Gegner wusste er nichts Genaues. Sie hatten auf ihrem Weg von Tijuana zweimal Rast gemacht, sodass Lassiter sich bei den Lagerplätzen einen ungefähren Eindruck von ihrer Anzahl hatte machen können. Zehn bis fünfzehn Männer würden es allemal sein. Obwohl er sie in der vergangenen Nacht überholt hatte, waren ihm Details verborgen geblieben. Sicher war nur, dass sie auf ihrem weiteren Weg Hawkins kreuzen würden.
Lassiter nahm ein paar tiefe Züge und blinzelte voraus. Nur wenige Sekunden richtete sich sein Blick in die Ferne, dann warf er seinen Zigarillo fort und stand langsam auf. In den hitzeflirrenden Schwaden waren undeutlich Bewegungen auszumachen. Der Agent wischte sich über die Augen, doch der Eindruck blieb. Und bald schon schälten sich dunkle Gestalten daraus hervor, verzerrte Schemen, die mit jedem Lidschlag an Kontur gewannen.
Der Mann der Brigade Sieben fühlte den Knauf seines Remington in der Handfläche, zog die Waffe aus dem Holster und ließ die Trommel knackend kreisen. Ein Revolver allein aber würde nicht ausreichen, um die Meute in Schach zu halten. Lassiter war zwar ein ausgezeichneter Schütze, aber weder war er ein Zauberer noch unverwundbar. Dafür besaß er eine Überzeugungskraft, die einige Bewohner von Hawkins spontan veranlasst hatte, sich auf seine Seite zu schlagen. Sie würden ihm nicht nur mit ihren Gewehren beistehen, sondern auch mit Fallstricken und Fangnetzen.
Einen Moment überlegte Lassiter, ob all diese Vorsichtsmaßnahmen gerechtfertigt waren. Schließlich war nicht sicher, ob die Horde über Hawkins herfallen oder einfach nur hindurchreiten würde. Doch trotz des Risikos, das mit dem Einsatz der tapferen Bürger verbunden war, glaubte er, das Richtige zu tun. Wenn er die Bande nicht an Ort und Stelle aufhielt, würde sie das nächste Städtchen plündern. Und in diesem Fall würde er keine Zeit mehr für Vorbereitungen haben.
Schritt für Schritt zog sich Lassiter zurück, umrundete die Bodega und sah die schmale Straße zwischen den Lehmhütten und Holzhäusern hinab. Blasse Ovale zeigten sich hinter den Fenstern und signalisierten ihm Bereitschaft. Auf der Straße entdeckte er ein Seil, das nur auffiel, wenn man wusste, dass es sich dort befand. Innerhalb eines Sekundenbruchteils konnte es zwischen den Gebäuden gespannt werden und würde heranjagende Reiter zu Fall bringen. Und das war nicht die einzige Überraschung, die die Banditen erwartete.
Lassiter drehte sich wieder der Prärie hinter dem Ortsausgang zu und erstarrte. Die vermeintlichen Angreifer waren bereits so nah, dass sie den Agenten ohne Probleme erkennen mussten. Zwar würden sie ihn nicht auf Anhieb als Gefahr einstufen, aber das machte die Sache nicht weniger bedrohlich. Lassiter kannte Raufbolde vom Kaliber der Menschenhändler. Sie schossen wahllos auf alles, was sich bewegte, wollten Angst und Schrecken verbreiten und stellten ihre Forderungen erst, wenn es keinen erkennbaren Widerstand mehr gab.
Einmal noch atmete der Brigade-Agent durch – dann brach das Chaos los!
Schüsse und lautes Gejohle schallten heran. Unter den Einschlägen prasselnder Bleigeschosse spritzte die Seitenwand der Bodega auf, wirbelte zu Staub zermahlener Lehm durch die Luft und verlor sich in verwehenden Schwaden. Über die gesamte Breite der Straße stob Staub in die Höhe, als Dutzende Kugeln sich in den sandigen Untergrund fraßen.
Mit einem Hechtsprung warf sich Lassiter in den Eingang der Schenke und erwiderte das Feuer, was einen weiteren Kugelregen auslöste. Trotz einer geschätzten Entfernung von zweihundert Yards kamen die Salven der Rifleschützen derart präzise, dass dem großen Mann nichts anderes übrig blieb, als die Tür der Bodega aufzustoßen und im Innern Zuflucht zu suchen.
Keinen Moment zu früh! An der Stelle, an der er gerade noch gelegen hatte, rissen die 44er-Geschosse den roh gezimmerten Boardwalk auf. Holzsplitter umschwirrten Lassiter, der mit einer Rolle rückwärts und vorgestreckten Beinen durch die Tür gebrochen war, augenblicklich wieder auf die Füße kam und sich vor dem Eingang auf die Knie fallen ließ. Er lugte um die Türeinfassung und überließ seinem Remington die nachfolgenden Verhandlungen.
Zwei der zuvorderst galoppierenden Reiter holte er mühelos aus dem Sattel, musste sich aber unter dem wütenden Gewehrfeuer wieder zurückziehen und auch seine ursprüngliche Schätzung über die Mannschaftsstärke revidieren. Annähernd zwei Dutzend zu allem entschlossene Killer stellten sich ihm in den Weg. Mit einem letzten flüchtigen Blick hatte Lassiter gesehen, dass sie sich noch vor der Stadt aufgeteilt hatten, um an den Häusern vorüber zu preschen und ihn in die Zange zu nehmen.
Schrilles Wiehern drang an seine Ohren, gleich darauf das Stampfen von Stiefeln. Befehle wurden gebellt und Scheiben zerschlagen. Die Kerle würden von allen Seiten kommen und mit der Verbissenheit eines Pumaweibchens kämpfen, das seine Jungen zu beschützen versuchte.
Schlagende Hufe kündigten den ersten Angriffspulk an, der über die Straße jagte. Durch den offenen Eingang der Schenke sirrte tödliches Blei, stanzte Löcher in die Dielen und zertrümmerte Gläser und Flaschen einer Regalwand.
Lassiter löste sich von der Holzwand, an die er sich rücklings gepresst hatte, wirbelte zur Seite und schoss den vorbeieilenden Reitern hinterher. Erneut gelang es ihm, zwei seiner Gegner unschädlich zu machen. Und er hätte noch weitere erwischt, hätte der Schlagbolzen seines Remington nicht eine leere Kammer getroffen.
Bedauern darüber brauchte er nicht zu empfinden, denn nun wurden die Bewohner von Hawkins aktiv. Blitzschnell wurde das im Staub liegende Seil hochgerissen und gespannt. Gleich sechs Pferde krachten zu Boden und schleuderten ihre Reiter in hohem Bogen davon. Ehe sich die Gestürzten aufraffen konnten, gerieten sie ins Kreuzfeuer brüllender Winchester-Salven, von denen sie gnadenlos niedergestreckt wurden.
Gehetzt wandte sich Lassiter beim Ertönen von Schrittgeräuschen ab. Sein Daumen verriegelte gerade noch den Trommelverschluss, nachdem er nachgeladen hatte, da polterten bereits drei Banditen durch die Hintertür der Schenke. Ihre Kugeln fegten Lassiter den Stetson vom Kopf und hackten über ihm in die Holzwand, doch die Schüsse waren ungezielt und lediglich dem Übereifer der Angreifer geschuldet.
Lassiters Linke fächerte über den Abzug des Remington. Die Trommel des Revolvers rotierte und jagte Kugel um Kugel heraus, die treffsicher ihr Ziel fanden. Mit erstickten Aufschreien brachen die Männer zusammen, krümmten sich auf den Bohlen und erschlafften.
»Verdammtes Dreckspack!«, kreischte eine Stimme mit starkem mexikanischen Akzent von der Straße her. »Schlachtet diese elenden Hunde ab!« Kaum zwei Sekunden vergingen, und eine wilde Schießerei entbrannte. Das Donnern von Gewehren und Revolvern schien von überall zu kommen und mischte sich mit gellenden Todesschreien sowie dem kaum wahrnehmbaren Wimmern von Verletzten.
Für Lassiter gab es kein Halten mehr. Todesmutig stürzte er ins Freie und stimmte die Melodie vom Sterben an. Unter seinem gnadenlosen Blick starben drei Männer, die aus einer Seitengasse auf die Hauptstraße gestürmt waren. Beim Stiefelpoltern in seinem Rücken kreiselte der Agent um seine Achse und schleuderte seinen leergeschossenen Remington einem Widersacher entgegen. Krachend wurden Gesichtsknochen unter dem auftreffenden Stahl zertrümmert und ließen den Revolverschützen aufheulend zusammensacken.
Lassiter warf sich vor, zog den Verletzten auf sich und entwand ihm seinen Colt. Noch während Einschüsse den Körper des Banditen erschütterten, zog Lassiter mehrmals den Stecher des Selbstspanners durch und schickte eine Handvoll Mexikaner zur Hölle. Dann warf er die Waffe fort und langte nach seinem Remington, der nur eine Armlänge entfernt auf dem Boardwalk lag. Ehe er jedoch die Trommel aufgefüllt hatte, hallte eine dumpfe Detonation durch den kleinen Ort. Zwischen den Häusern stieg eine dunkelgraue Rauchwolke auf, die sich rasch verflüchtigte. Geschossen wurde ebenfalls nicht mehr. Eine geradezu gespenstische Stille breitete sich aus.
Lassiter rollte den Leichnam von sich und stemmte sich auf die Füße. Argwöhnisch trottete er über den Gehsteig, bis eine Gestalt auftauchte, die lauthals seinen Namen rief.
»Mister Lassiter!«, rief sie. »Kommen Sie heraus! Der Feind ist besiegt!«
»Hector!«, entfuhr es dem Agenten. »Was, zum Teufel, haben Sie angerichtet?«
Der Mann mit dem schütteren Haar und dem stechenden Blick lachte auf. »Ich habe nur die Wirkung meiner Schwarzpulvermischung getestet. Erfolgreich, wie ich betonen möchte.«
»Sagen Sie mir bloß nicht, dass keiner mehr am Leben ist!« Eine eisige Faust krampfte sich um Lassiters Herz. Die Banditen waren die Einzigen, die ihn zum Kopf des Mädchenhändlerrings führen konnten.
»Keine Sorge, Mister Lassiter«, versuchte Hector zu beschwichtigen. »Zwei oder drei der Kerle sind noch halbwegs wohlauf, auch wenn sie nicht mehr ganz vollständig sind.«
Eilig ging Lassiter dem Mexikaner entgegen, der mit einem Kopfschlenker in eine Gasse deutete. Das Bild, das sich dem Mann der Brigade Sieben darbot, war erschütternd. Sein Magen wollte rebellieren, doch er überwand seine Abscheu. Festen Schrittes näherte er sich einem Mann, der versuchte, durch den rot gefärbten Sand zu kriechen und in seinem Schockzustand offenbar noch nicht bemerkt hatte, dass ihm ein Bein fehlte.
»Wie ist dein Name?«, fragte Lassiter.
Der Angesprochene reagierte nicht, krallte seine Fäuste in den Staub und ruckte ein Stück weit vor.
»Lassen Sie mich das machen!«, bot sich Hector an, stiefelte dem Verstümmelten entgegen und packte seinen Schopf. Er drehte dessen Gesicht so, dass es auf die schreckliche Verletzung gerichtet war. »Mit dem Tanzen ist es vorbei, Freundchen. Aber das ist noch gar nichts gegen das, was ich dir antue, wenn du nicht endlich das Maul aufmachst!«
»Hören Sie auf, Hector!«, stieß Lassiter aus. »Alles hat seine Grenzen!«
Der Bandit bekam große Augen und schien erst jetzt zu begreifen, was ihm widerfahren war. Er würgte und erbrach sich, wirkte aber immer noch wie gelähmt. Erst allmählich legte sich sein Erschrecken, sodass er wahrnahm, was sich in seinem Umfeld abspielte.
Lassiter wiederholte seine Frage.
»Gonzales …«, brachte der Mann erstickt hervor. »Rodrigo Gonzales …«
»Deine Männer sind tot, Rodrigo. Und mit dir geht es auch zu Ende …« Lassiter ging in die Knie, verschränkte seine Finger ineinander und legte die Hände auf seinem Oberschenkel ab. »Ihr habt eine Spur aus Blut und Gewalt hinterlassen, aber ich weiß, dass ihr nicht auf eigene Rechnung arbeitet.«
Gonzales schien keinerlei Schmerzen zu verspüren. Obwohl ihm bewusst sein musste, dass er elendig verbluten würde, gelang es ihm sogar noch, ein Grinsen aufzusetzen. »Du weißt gar nichts, Gringo! Du tappst umher wie ein Blinder! Uns hast du zur Strecke gebracht, doch an Alfonso wirst du dir die Zähne ausbeißen!«
Lange Sekunden schwieg Lassiter. Es war nicht die Drohung, die ihn nachdenklich machte, er versuchte lediglich, seine Gedanken zu sortieren. »Alfonso also«, raunte er. »Er ist also der große Unbekannte. – Ihr wart auf dem Weg zu ihm?«
Verächtlich spuckte Rodrigo Gonzales aus. Sein Speichel war rot gefärbt. »Ich sage dir sogar, wo du ihn findest.« Ein hässliches Lachen folgte. »Ich werde ihm aus der Hölle zusehen, wie er euch die Haut vom Leib schneidet und eure Kehlen aufschlitzt!«
»Wo finde ich ihn?« In der Stimme des Brigade-Agenten schwang eisige Kälte mit.
»Wenn du unbedingt sterben willst, dann reite nach Prescott«, stieß der sterbende Mexikaner aus und hustete. Sein Leben zählte nur noch nach Minuten. Röchelnd fuhr er fort: »Ich bedaure nicht, dass ich sterben muss, Gringo! Ich hatte Weiber, Fusel und Dollars ohne Ende. Aber mein Tod ist geradezu ein Segen gegenüber deinem, sobald Alfonso dich in die Finger bekommt …« Gonzales’ Lungen rasselten; aus seinem Mund drang ein heiseres Fiepen. Unausweichlich floss das Leben aus seinem Körper. Einmal noch stützte er sich auf seinen Ellbogen und hob den Oberkörper an, dann sackte er in sich zusammen und tat seinen letzten Atemzug.
Unbehaglich erhob sich Lassiter. Viele Menschen waren heute auf beiden Seiten gestorben, doch es war lediglich der Auftakt für ein wesentlich grausameres Gefecht gewesen. Davon war der große Mann überzeugt.
Er drehte sich Hector zu und klopfte ihm auf die Schulter. »Kümmern Sie sich um die Toten. Der Schrecken hat vorerst ein Ende gefunden.«
»Was werden Sie jetzt tun, Mister Lassiter? Sie haben doch nicht im Ernst vor, sich mit diesem Alfonso anzulegen?«
Ein schmales Lächeln huschte über Lassiters Züge. Es war kein Ausdruck von Heiterkeit, sondern ein stummes Bekenntnis, sich dem Unvermeidbaren ohne Rücksicht auf das eigene Wohlergehen zu stellen. »Es ist bereits geschehen, Hector. In dem Augenblick, da ich seinen Namen das erste Mal hörte.«
»Seien Sie nicht verrückt! Sie wissen nicht, was Sie erwartet!«
Um die Mundwinkel des Brigade-Agenten legte sich ein harter Zug. »Alfonso auch nicht«, sagte er gefasst. »Alfonso auch nicht …«
***
Lüstern starrte der Mann auf den nackten Frauenkörper, der sich auf dem Bett rekelte und ihn lockte. Er leckte sich mit der Zunge über die feuchten Lippen und Mundwinkel und streifte geistesabwesend sein Jackett von den Schultern. Sein gieriger Blick glitt über die festen Brüste der Blondine hinab zu ihrem Bauchnabel und blieb auf der Scham haften. Wie in Trance knöpfte er sein blütenweißes Hemd auf, schnallte den Revolvergurt ab und öffnete seine Hose.
Schmierig grinsend machte er zwei Schritte auf das Bett zu. »Schau ihn dir gut an!«, sagte er heiser. »So ein Prachtexemplar bekommst du nicht alle Tage zu sehen.«
»Der ist wirklich nicht von schlechten Eltern …« Jessica Beaver setzte ein Lächeln auf und hoffte, dass es natürlich wirkte. Ihr Freier gehörte nicht gerade zu jener Sorte Mann, der man sich nüchtern hingab. Er war eher von jenem Schlag, der bei Frauen nicht landen konnte und sich deshalb in Bordellen herumtrieb. Sein Gesicht strahlte Brutalität aus. Die Furchen, die sich darin eingegraben hatten, waren jedenfalls keine Lachfalten.
Jessica zwang sich zur Räson und vertrieb die unfreundlichen Gedanken. Das Geld dieses Kerls konnte sie gut gebrauchen. Und vielleicht legte er noch ein wenig drauf, wenn sie besonders nett zu ihm war.
Geschmeidig glitt sie aus ihrer sitzenden Position auf die Knie und schob sich vor. Lüstern betrachtete sie den strammen Kolben und griff danach. Mit sanften Bewegungen massierte ihn Jessica Beaver und entlockte ihrem Kunden ein wohliges Knurren.
»Pack ruhig fester zu«, raunte er. »Das Ding ist nicht aus Zuckerguss.« Er umklammerte Jessicas Hand, drückte sie hart und schob sie auf und ab. »Siehst du? So hab ich’s gern.«
Warum nicht? Die blonde Frau tat, was von ihr verlangt wurde, und langte gleichzeitig mit ihrer freien Hand in den Schritt des Mannes. Dort knetete sie schonungslos, was sie vorfand.
»Du kannst Eddy zu mir sagen«, brummte der Mann. »Ich mag es, wenn du mich beim Namen nennst und mir schmutzige Dinge zuflüsterst.«
»O Eddy!«, hauchte Jessica prompt. »Du machst mich so scharf!« Sie verstärkte den Einsatz ihrer Hände, reckte ihren Hintern in die Höhe und wiegte sich in den Hüften. »Ich kann es kaum abwarten, bis der Spatz ins Nest geflogen kommt!«
Eddy grinste. »Das kannst du haben, Baby.« Seine Pranken legten sich um ihre Handgelenke und spreizten ihre Arme. Dann drückte er die Dirne nach hinten und kam im selben Atemzug auf ihr zu liegen. Unbeholfen zerrte Eddy seine Hose über die Hüften und vergrub sein Gesicht zwischen Jessicas Brüsten.
»Ich spüre dich überall!«, keuchte die Blondine verzückt und schlang ihre Beine um ihren Liebhaber. Weit öffnete sie sich und spürte Eddys harten Stachel in sich eindringen. Trotz ihrer anfänglichen Vorbehalte war das Gefühl überwältigend. Jessica empfing die rüden Stöße voller Hingabe und erwiderte sie leidenschaftlich. Weshalb sollte man die Arbeit nicht auch mit Vergnügen verbinden können?
»Yeah«, stöhnte Eddy, der wie ein nasser Sack auf der Hure lag, »ich besorg’s dir, dass du die Englein singen hörst!«
»Hör nicht auf, du Hengst!«, erwiderte Jessica voller Inbrunst und brauchte ihre Gefühle nicht einmal vorzutäuschen. Ihre Schenkel hielten den Mann regelrecht im Würgegriff; ihr Becken zuckte ekstatisch vor und zurück. Das Prickeln in ihrem Unterleib steigerte sich ungewöhnlich rasch, was nicht nur zu ihrem Erstaunen beitrug, sondern auch die bange Frage mit sich brachte, ob ihr Galan noch bis zu ihrem Höhepunkt durchhalten würde. Seinem schnaufenden Keuchen nach zu urteilen stand er kurz davor, sich zu ergießen.
»Jetzt, Baby, jetzt …! Es war ein krächzendes Röhren, das Eddy von sich gab und Jessica einen Schauer über den Rücken jagte. Einige Male noch stieß sie kraftvoll ihr Becken vor und legte bei sich Hand an, da fühlte sie auch schon seine heiße Woge, die ihren eigenen Orgasmus auslöste.
Laut schrie die Dirne ihre Lust heraus, wälzte sich auf den Laken hin und her und klemmte ihre Rechte zwischen den Beinen ein. Wie durch Watte drangen Eddys Worte an ihre Ohren, und es dauerte einige lange Sekunden, bis sie wieder bei Sinnen war. Ihre Atmung beruhigte sich, und das langsam abklingende Wonnegefühl zauberte ein Lachen auf ihre Wangen.
»Du bist ja ein richtiger Feger«, zeigte sich Eddy angetan und knöpfte seine Hose zu.
»Man muss eben mögen, was man tut«, gab ihm Jessica Beaver zu verstehen. »Mein Körper ist mein Kapital, mein Hunger nach Liebe mein Aushängeschild.« Kokett zwinkerte sie Eddy zu. Wenn sie ihn so ansah, war er gar nicht so übel. Der erste Eindruck konnte täuschen.
Der zweite allerdings auch, wie sie gleich darauf zu spüren bekam.
Eddys Miene hatte sich verfinstert. Er wirkte sogar leicht angewidert. »Ihr Flittchen seid alle gleich! Macht jedem Fremden schöne Augen und steigt mit ihm ins Bett. Zu Hause muss ich erst mal in den Badezuber, um mir den Schmutz abzuwaschen.«
Ungläubig schüttelte Jessica ihren Kopf. »Du wusstest aber schon, dass meine Kolleginnen und ich keine Jungfrauen mehr sind, oder? Und gestört hat es dich offenbar auch nicht.«
»Ein Mann kann sein Verlangen nicht ausschwitzen«, knurrte Eddy. »Aber zumindest kann er sich für das schämen, was er getan hat, und Buße tun, auch wenn es nicht das letzte Mal war.«
Unwillkürlich musste Jessica auflachen. »Du hast da ein paar ganz schön krude Ansichten, mein Lieber.« Amüsiert sah sie ihrem Liebhaber nach, der zuerst einige Dollarscheine auf die Anrichte legte und danach die Zimmertür öffnete. Bevor er sie hinter sich schloss, drehte er sich noch einmal um.
»Männer benutzen dich wie einen Abort. Und auch ich habe nichts anderes mit dir getan …« Die Tür flog zu und Eddy war verschwunden.
»Aber für diesen Latrinengang hast du blechen müssen, du undankbares Stück Holz!«, rief Jessica ihm nach und hoffte, er würde sie draußen auf dem Flur noch hören.
So schnell ihr Zorn aufgestiegen war, klang er auch wieder ab. Die gute Stimmung aber, in die sie sich versetzt hatte, war unwiederbringlich dahin. Letztlich hatte Eddy nur den Stein losgetreten, der Jessica erneut mit ihren alltäglichen Problemen konfrontierte.
Nackt, nur bekleidet mit weißen Seidenstrümpfen, sank sie auf die Bettkante und kauerte sich zusammen. Das Gesicht vergrub sie in ihren Händen, und es dauerte nicht lange, bis sie zu schluchzen begann und Tränen über ihre Wangen rollten.
Seit ihr Mann Richard bei einem Minenunglück getötet worden war, hatte sich Jessica Beavers Leben in einen Albtraum verwandelt. Nur war es einer, aus dem sie nicht erwachen konnte. Die Schulden auf ihrem Haus fraßen sie förmlich auf.
Und dann war da noch ihr zehnjähriger Sohn Tim. Er war die einzige Erinnerung, die sie von ihrem Ehemann zurückbehalten hatte – und gleichzeitig ihre größte Sorge. Es versetzte Jessica einen Stich ins Herz, wenn sie an das Kind dachte. Tim war noch so jung. Sein Leben lag noch vor ihm. Und dennoch würde das Schicksal es ihm nicht erlauben, es zu erforschen und auszukosten.
Jessica wischte sich die Tränen aus den Augen und stand auf. Was war nur aus ihr geworden?
Zaghaft tappte sie vor zu der Anrichte, über der ein schmuckloser Spiegel hing. Entrückt starrte sie das Gesicht auf der Glasscheibe an und konnte kaum fassen, was sie sah. Was war aus der lebenslustigen Frau geworden, die sie noch vor wenigen Monaten gewesen war?
Eine Hure!, gab sie sich selbst die Antwort. Es lag keine Bitterkeit darin, allenfalls das Eingeständnis, trotz aller Bemühungen auf keinen grünen Zweig zu kommen. Dabei brauchte gerade ihr Sohn jede Unterstützung, die er bekommen konnte.
Und dann war da noch das Haus. Wenn sie es ihr wegnahmen, weil sie die Raten nicht mehr bezahlen konnte, würden Jessica und Tim auf der Straße landen. Es bedurfte keiner großen Vorstellungskraft, um sich auszumalen, was dann aus ihnen werden würde.
Gedankenverloren suchte Jessica Beaver ihre Kleidungsstücke zusammen. Nachdem sie sich angezogen hatte, trat sie auf den Flur des Bordells, ging bis zum Treppenabsatz und verhielt beim dumpfen Klang aufgebrachter Stimmen. Irritiert sah sie hinab in den Empfangsraum, suchte nach Mad Manfred Harrison, dem das Etablissement gehörte, konnte ihn jedoch nicht sehen.
Dafür aber hörte sie plötzlich seine Stimme. Scharf und schneidend. »Zum Teufel noch mal! Beruhigen Sie sich bitte, meine Damen! Wenn es ein Problem gibt, wenden Sie sich an den Mayor!«
Runzeln erschienen auf Jessica Beavers Stirn. Sie konnte sich nicht erklären, was außerhalb des Gebäudes vor sich ging. Argwöhnisch ging sie die Treppe hinunter, blieb in der Mitte stehen und beugte sich über das Geländer.
Durch die Milchglasscheiben des Eingangs waren nur verschwommene Schatten zu erkennen. Offensichtlich hatte sich eine Gruppe versammelt, die mit Worten auf Harrison einprügelte. Verstehen konnte Jessica nichts, denn die schrillen Stimmen der Protestler mischten sich zu einem rauschenden Orkan, in dem jede Silbe zerstob.
Angestrengt lauschte die junge Blondine und konnte schließlich einige Satzfetzen heraushören. Auf der Stelle gefror ihr das Blut in den Adern. Hatte sie nicht schon genug Schwierigkeiten? Musste man ihr das Leben noch zusätzlich schwermachen?
»Halten Sie sich zurück!«, schrie Mad Manfred. »Wir haben Gäste in unserem Haus! Ich rate Ihnen dringend, die Straße frei zu machen!«
»Keine Prostitution in Prescott!«, klang es nun deutlich vernehmbar aus dem Munde einer aufgebrachten Frau auf.
»Die Sünde ist des Teufels!«, gellte eine zweite Stimme auf.
Zitternd klammerte sich Jessica Beaver am Treppengeländer fest. Unmöglich konnte sie durch die Vordertür das »Wet Wonderland« verlassen. Ihr blieb einzig die Flucht durch den Hinterausgang.
Sie raffte ihren knöchellangen Rock und überwand die letzten Stufen. Keinen Blick warf sie mehr zum Eingang, sondern huschte auf leisen Sohlen zur Hintertür. Am morgigen Tag würde sie Harrison zur Rede stellen, heute aber wollte sie einfach nur unbehelligt nach Hause und sich um Tim kümmern. Der Junge war viel zu oft allein. Ohne die Liebe und Fürsorge seiner Mutter würde er …
Jessica wischte die bösen Gedanken beiseite. Noch gab es Hoffnung. Noch war es nicht zu spät. In ein paar Monaten würde sie genug verdient haben, um mit ihm nach Texas zu gehen.
Hektisch riss sie die Tür im hinteren Bereich des Bordells auf – und gefror zur Salzsäule!
»Überrascht, mich zu sehen?«, ertönte die sonore Stimme eines Mannes. »Ehrlich gesagt herrscht ein wenig zu viel Aufruhr vor den Pforten des ›Wet Wonderland‹. Was ich zu sagen habe, bedarf einer gewissen Verschwiegenheit …«
»Sie?«, ächzte Jessica Beaver. »Was … was wollen Sie hier?«
»Ich will zu Ihnen«, kam es in belustigtem Tonfall. »Es muss eine Art von Bestimmung sein, dass Sie die Erste sind, auf die ich treffe.«
In Jessicas Verstand überschlugen sich die Gedanken. Dieser Mann war stadtbekannt. Sie hätte sich nie träumen lassen, ihm persönlich zu begegnen. Doch nun war es geschehen.
»Ich … kann Ihnen nicht folgen …«, entgegnete die junge Dirne zaghaft.
»Hören Sie mir einfach nur zu«, ließ der in einen sündhaft teuren Anzug gekleidete Mann sie wissen. »Ich möchte Ihnen ein Angebot machen, das Sie schwerlich ablehnen können …«
***
Lassiter erreichte Prescott aus Nordwesten über die Brubaker Road. Einige wenige Adobe-Hütten säumten die Straße und schienen sich fast schamhaft hinter Mesquite-Bäumen und -Sträuchern zu verstecken. Unter unregelmäßig auftretenden Windstößen rollten Tumbleweeds umher, kreiselten im Wind und änderten stetig ihre Richtung. Diese Steppenläufer hatten sich in den vergangenen Jahren wie eine Plage ausgebreitet und stellten eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar. Sie gerieten leicht in Brand und konnten Felder sowie Häuser in Flammen aufgehen lassen. Zudem konnten sich Pferde an den scharfkantigen Blättern böse Verletzungen zuziehen.
Gemächlich ließ Lassiter seinen Grauschimmel über die Straße traben und kam nach wenigen Minuten bei der Plaza aus. In der Mitte des runden Platzes stand ein Brunnen, um ihn herum erhoben sich Holz- und Steingebäude, in denen sich Geschäftsleute niedergelassen hatten. Unübersehbar waren auch die kleine Kirche und das Pfarrhaus, hinter denen ein gepflegter Garten mit schattenspendenden Bäumen angelegt war.
Bei dem erstbesten Passanten, der ihm über den Weg lief, erkundigte sich der Mann der Brigade Sieben nach dem mexikanischen Viertel, ließ sich den Weg dorthin beschreiben und setzte seinen Ritt fort. Falls der sterbende Bandit ihm keinen Bären aufgebunden hatte, würde er Alfonso Vergara rasch aufspüren. Einen Plan, wie er den Verbrecher unschädlich machen wollte, hatte Lassiter noch nicht, doch ihm ging es vorerst nur darum, Informationen zu sammeln. Dazu gehörte auch, sich von der Stärke von Vergaras Mannschaft zu überzeugen, seine Pläne auszukundschaften und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, diese zu vereiteln.
Oftmals genügte es schon, den Anführer auszuschalten, um seine Verbündeten handlungsunfähig zu machen. Eine Schlange ohne Kopf stellte keine Gefahr mehr dar. Es würde sich zeigen, ob die Angelegenheit in diesem Fall so einfach zu erledigen war oder ob die Schlange sich als Hydra entpuppte.
Wieder wechselte das Stadtbild. Je weiter Lassiter nach Nordosten vordrang, desto weniger mehrstöckige und massiv gebaute Häuser kreuzten seinen Weg. Die Abgrenzung zwischen Amerikanern und Mexikanern spiegelte sich deutlich in der Bebauung wider. Nur dieses Mal versuchte sie nicht, sich zu verstecken, sondern zeigte sich erhobenen Hauptes und voller Stolz. Fast schon war es, dachte Lassiter, als wollten die mexikanischen Siedler den Einheimischen trotzig die Stirn bieten, als wollten sie sagen: »Ihr habt uns Texas geraubt und im Mexican War Zehntausende unserer Landsleute getötet – aber wir sind immer noch da.«
Die Lider verengt, zog Lassiter seinen Stetson in die Stirn und schaute sich um. Viele Menschen befanden sich nicht auf den Straßen, und die Wenigen, die ihre Siesta nicht in den eigenen vier Wänden hielten, kauerten unter den Vordächern der Häuser und schliefen.
Wenigstens sah es so aus. Lassiter bemerkte jedoch, dass man ihn eingehend musterte. Nicht auffällig genug, um direkt ins Auge zu springen, aber auch nicht so unauffällig, um von einem aufmerksamen Beobachter übersehen zu werden.
Vor einer Bodega zügelte der große Mann seinen Grauschimmel und saß ab. Er leinte sein Pferd am Hitchrack fest und stieg die Stufen zur Schänke hoch. Schon beim Durchstoßen der Schwingtüren schlug ihm der Geruch billigen Fusels und gepantschten Biers entgegen, durchsetzt vom Aroma eines Krauts, das man nur schwerlich als Tabak bezeichnen konnte.
Zwei Mexikaner hockten reglos am Tresen und drehten nicht einmal ihre Köpfe, um den Fremden in Augenschein zu nehmen. Anders war es mit den abgerissenen Gestalten, die um die wenigen Tische verteilt saßen. Gleich ein halbes Dutzend Augenpaare haftete plötzlich an Lassiter, der sich jedoch nicht einschüchtern ließ, seine Finger grüßend an die Krempe seines Stetsons legte und sich an den Tresen stellte.
»Cerveza, por favor«, raunte der Agent dem Barkeeper zu, ein gemütlicher Dicker mit listigem Blick, der mit einem schmierigen Lappen Gläser polierte.
»Ist pisswarm«, brummte der Kerl, spuckte in sein Wischtuch und entfernte unter übermäßigem Druck von Daumen und Zeigefinger die Flecken auf einem Bierhumpen.
Lachen klang hinter Lassiter auf. Kurz drehte er sich um und sah grinsend geöffnete Münder, deren Zahnreihen auffällig gelichtet waren. Er setzte ein karges Schmunzeln auf, zündete sich einen Zigarillo an und wandte sich wieder dem Wirt zu. »Hört sich gut an. Schenken Sie ein.«
Für einen Moment wirkte der rundliche Barkeeper irritiert, nahm aber schließlich den soeben gereinigten Humpen und zapfte das Bier ab. Polternd knallte er das schwere Glas vor Lassiter auf den Tresen und ließ die hellgelbe Brühe überschwappen. »Wohl bekomm’s, Mister!«
Lassiter hob den Bierkrug aus der Pfütze, setzte ihn an die Lippen und stellte ihn sogleich wieder ab. »Eigentlich«, sagte er, »bin ich nicht zum Trinken gekommen …«
»So?«, erwiderte der Schankwirt. »Was kann man in einer Bar denn sonst noch machen außer zu saufen?«
»Leute kennenlernen«, gab Lassiter zurück.
»Das können Sie auch im Saloon an der Plaza.«
»Richtig.« Aus der Innentasche seiner Jacke fingerte Lassiter einen Quarter für das Bier hervor und schob ihn über die Theke. »Aber wenn ich etwas über einen bestimmten Mexikaner wissen will, können mir Mexikaner sicher besser weiterhelfen.«
Interessiert, doch auch mit einer ordentlichen Portion Argwohn, beugte sich der Barkeeper vor. »Du bist hier nicht unter Gringos, Amigo. Die würden dir eine Abreibung verpassen, falls du die falschen Fragen stellst. Bei mir wirst du mit den Füßen voran rausgetragen, während meine Freunde dein Blut vom Fußboden wischen.«
Auch Lassiter beugte sich nach vorn und flüsterte: »Wäre es eine falsche Frage, mich nach dem Aufenthaltsort von Alfonso Vergara zu erkundigen?«
Im Gesicht des Schankwirts zuckte es. Seine Pupillen wanderten in die Augenwinkel. Kaum merklich nickte der Mann einigen seiner Gäste zu.
Stühle wurden beiseite gerückt. Stampfende Schritte klangen auf und das Klirren von Sporen.
»Ich denke«, meinte Lassiter ruhig, »dass ich meine Frage selbst beantworten kann …« Noch während er sich umdrehte, verstummten die Schritte. Vor dem Agenten hatten sich in einer Entfernung von zwei Yards drei Kerle aufgebaut, deren finstere Mienen nichts von ihren Absichten verschleierten.
»Was willst du von Vergara?«, dröhnte ein hagerer Mexikaner mit pechschwarzem Haar und schweißfeuchtem Gesicht. Seine Augen waren unverwandt auf Lassiter gerichtet. Die Handfläche seiner Rechten schwebte drohend über dem Knauf seines Revolvers. An den Tischen breitete sich angespanntes Schweigen aus. Jeder Einzelne der Anwesenden schien nur darauf zu lauern, seine Waffe zu ziehen und blindlings um sich zu feuern.
Nüchtern wägte der Brigade-Agent seine Chancen ab. Das Ergebnis seiner Überlegungen spiegelte sich in seiner nachfolgenden Äußerung wider. »Vergara ist Abschaum! Ich bin gekommen, um ihn und seine Bande aus dem Verkehr zu ziehen!«
Atemlose Stille trat ein. Aber nur für einen Augenblick. Der Hagere langte nach seinem Colt, ebenso seine beiden Begleiter. Sie waren schnell – aber nicht schnell genug für Lassiter.
Drei Schüsse, die sich wie einer anhörten, streckten seine Gegner nieder. Getroffen kreiselten die Männer um ihre Achse, verloren den Halt und stürzten krachend auf die Dielen. Mit einem Hechtsprung katapultierte sich Lassiter in den Raum, hörte heißes Blei über sich hinwegzischen und erwiderte das Feuer, bis der Schlagbolzen seines Remington auf eine leere Patronenkammer traf.
Acht Mexikaner waren aufgesprungen und nahmen den Agenten unter Beschuss. Ihre Kugeln fegten durch den Schankraum, hackten in Wände und Bodenbretter und entfesselten ein regelrechtes Bleigewitter. Lassiter rollte unter einen Tisch, zog die Beine an und stieß ihn um. Sofort sprang er in die Höhe, hielt die Holzplatte wie einen Schutzschild vor sich und stürmte den Schießern entgegen.
Unter dem Bersten der Kugeleinschläge rammte er zwei von ihnen, riss sie mit sich auf den Erdboden und entwand ihnen ihre Revolver. Ehe er jedoch schießen konnte, jagte ein sengender Schmerz durch seinen Oberarm. Gleichzeitig riss ein zorniges Geschoss eine tiefe Furche in seine linke Schulter.
Aufschreiend fiel Lassiter zur Seite, reckte noch im Fallen seine Arme über den Kopf und feuerte seine beiden Waffen ab. Ein bestimmtes Ziel hatte er nicht anvisieren können, sondern wollte sich lediglich einige Sekunden Ablenkung verschaffen.
Über und neben ihm spritzten Holzsplitter auf und raubten ihm die Sicht, aber er ließ sich in seiner Gegenwehr nicht aufhalten. Brüllend entluden sich seine beiden Waffen und schickten ihre tödliche Ladung in jene Richtung, in der Lassiter seine Widersacher wusste. Dann sprang er auf und schleuderte ihnen seine nutzlosen Waffen entgegen. Einer bekam den Stahl vor die Stirn und klappte zusammen. Der zweite Colt wischte haarscharf am Schädel eines Mexikaners vorüber und krachte gegen die rückwärtige Wand der Bodega.
Erneut setzte Lassiter zum Sprung an, um einen der Schießer zu entwaffnen und den erbeuteten Revolver gegen seine Kumpane einzusetzen. Erst im letzten Moment erkannte er aus den Augenwinkeln die Schrotflinte, die der Barkeeper auf ihn anlegte und ohne zu zögern abfeuerte.
Reaktionsschnell duckte sich Lassiter, spürte das Reißen seiner Jacke, die von der Schrotladung über seinem Rücken zerfetzt wurde, und vernahm den gellenden Schrei eines Mannes, den der mexikanische Wirt unabsichtlich durchlöcherte.
»Macht den Schweinehund endlich fertig!«, krakeelte er hinter seiner Theke und spannte den zweiten Hahn seines Gewehrs. Augenblicklich drückte er ab, schickte einen weiteren Gast zur Hölle und fluchte lautstark.
Lassiter kam es entgegen, dass seine Gegner zwar skrupellose Schützen, im Umgang mit ihren Waffen aber wenig geübt waren. Blitzschnell nahm er den Revolver eines Toten an sich, fächerte über den Abzug und spickte die letzten vier Männer mit Blei. Sein Schussarm ruckte herum und nahm den Barkeeper ins Visier, der hektisch seine Rifle nachlud.
»Weg mit dem Schießprügel«, schrie Lassiter, »oder du wirst mit dem Teufel tanzen!«
»He, Mister!«, gab sich der Schankwirt reumütig und ließ sein Gewehr fallen, als hätte er sich daran verbrannt. »Ich habe nur meinen Laden verteidigt …«
Die Mündung von Lassiters Colt deutete auf die Stirn des Mannes. Langsam trat er näher, ohne seine Waffe zu senken. »Alfonso Vergara!«, stieß Lassiter aus. »Wo finde ich ihn?«
»Ich bin nur ein einfacher Mann«, ließ der Wirt ihn wissen und hob beide Hände über seine Schultern. »Mit diesem Gangster habe ich nichts zu schaffen.«
Lassiter spannte den Abzug seines Revolvers. Knackend drehte sich die Trommel. »Eine Kugel habe ich noch«, sagte er gelassen. »Sie ist für dich reserviert, mein schmerbäuchiger Freund, falls du mir nicht endlich eine Antwort gibst.«
Die Antwort kam. Aber nicht von dem Barkeeper. Lassiter bemerkte die Gestalt, die sich aus einem Nebenraum herangeschlichen hatte, viel zu spät.
»Du suchst nach mir?«, fragte eine akzentlastige Stimme. »Du hast mich gefunden!«
Auf dem Absatz wirbelte Lassiter herum, starrte in einen grellen Blitz, dem das Donnern eines Schusses folgte, und glaubte, dass ihm die Eingeweide zerrissen wurden. Während seine Augen noch von der flammenden Entladung geblendet waren, kippte er in gespenstischer Langsamkeit nach hinten, schlug auf und war zu keiner Bewegung mehr fähig. Der Revolver entglitt seinen kraftlosen Fingern, und der anschließende Wortwechsel drang wie aus weiter Ferne zu ihm durch.
»Wer ist der verfluchte Gringo, Manolito?«
»Keine Ahnung! Er war plötzlich da, Alfonso! Du siehst ja, dass wir ihn aus dem Weg räumen wollten.«
»Pah!«, machte Vergara. »Besonders viel Mühe habt ihr euch nicht gemacht! Du hättest mich ans Messer geliefert, wenn ich nicht aufgetaucht wäre!«
Manolito begann zu stottern. »Ich … ich wusste doch, dass du mit ihm fertig wirst! Der Bastard ist doch kein Gegner für dich!«
»Natürlich nicht!«, versetzte Vergara scharf. »Aber darauf kommt es nicht an. Ich muss wissen, dass ich mich auf meine Leute verlassen kann. Bei einem schleimigen Kriecher wie dir habe ich leider meine Zweifel …«
Ein Schuss bellte. Ein Stöhnen ertönte. Danach der Aufschlag eines schlaffen Körpers.
Krampfhaft bemühte sich Lassiter, sich zu erheben, doch seine Muskeln versagten ihm den Dienst.
Als starke Hände nach ihm griffen, erlosch sein Bewusstsein.
***
Vom Restaurant aus konnte man den gesamten Marktplatz überblicken. Es lag eingebettet zwischen dem General Store und der Stadthalle, war gut besucht und gehörte keinesfalls zu jenen Einrichtungen, in denen Jessica Beaver ihre sauer verdienten Dollars lassen wollte.
»Ich sagte doch schon, dass Sie eingeladen sind«, versicherte Willard Huntington, der den unbehaglichen Gesichtsausdruck seiner schönen Begleiterin richtig deutete.
Die junge Frau lächelte verhalten, konnte ihr Unwohlsein jedoch nicht vollständig ablegen. Sie konnte sich partout nicht erklären, weshalb der wohlhabende Geschäftsmann sie im »Wet Wonderland« aufgesucht hatte, nur, um sie anschließend zum Essen einzuladen. Die Angelegenheit war bei Weitem nicht so harmlos, wie sie sich darstellte. Was immer Huntington auch im Schilde führte, wäre es Jessica Beaver lieber gewesen, er hätte sich für ein paar Dollar im Bordell von ihr bedienen lassen.
»Das ist ausgesprochen freundlich von Ihnen«, sagte sie reserviert. Dabei musterte sie das Gesicht ihres Gegenübers, den schmalen Oberlippenbart und die scharf ausrasierten Koteletten, die in feinem Schwung bis zu den Kieferknochen reichten.
Willard Huntington tat überrascht und hob fragend eine Braue. »Warum so förmlich? Ist es Ihnen unangenehm, mit mir in der Öffentlichkeit gesehen zu werden?«
Nun war es an Jessica, erstaunt zu sein. Hatte Huntington den Sinn für die Realität verloren oder war er einfach nur einfältig? »Ich weiß im Moment nicht, ob ich Sie ernst nehmen kann«, meinte die Blondhaarige. »Es dürfte doch wohl eher so sein, dass ein Mann sich mit mir nicht offen zeigen will. Und das ist genau der Grund, weshalb ich nicht verstehe, warum …«
Eilig unterbrach Huntington. »Mir ist klar, was Sie meinen«, sagte er lauter als nötig gewesen wäre, senkte aber sofort seine Stimme und fuhr in ruhigem Tonfall fort. »Als Witwe und Mutter eines kleinen Jungen, dessen Bürde auch für Sie eine große Last ist, sind Sie nicht gerade auf Rosen gebettet …«
Er weiß Bescheid!, schoss es Jessica Beaver durch den Kopf. Er weiß über alles Bescheid! So, als hätte sie einen Aushang an der Town Hall gemacht, der jeden über ihre Familienverhältnisse informierte. Der Tod ihres Mannes hatte sich herumgesprochen, wahrscheinlich auch das Problem mit ihrem Sohn Tim. Aber es war wie mit allen Nachrichten: Heute waren sie ein Gesprächsthema, morgen schon vergessen. Huntington aber hatte nichts vergessen – und gerade das machte Jessica noch misstrauischer.
»Die wenigsten Menschen begreifen, in welcher Notlage Sie sich befinden«, redete der Mann weiter. »Sie sehen eine Frau, die ihren Körper für Geld verkauft. Und das reicht Ihnen, um ein Urteil zu fällen.«
»Was sehen Sie in mir?«, fragte Jessica neugierig.
Lange brauchte Willard Huntington nicht zu überlegen. »Einen Menschen, Miss Beaver. Nicht mehr und nicht weniger.« Die Worte, die seinen Mund verließen, standen in eklatantem Widerspruch zur Sprache seiner Augen.
Freudlos lachte die Blondine auf. »Und um mir zu helfen, spendieren Sie mir eine Mahlzeit?« Immer deutlicher erkannte Jessica, dass ihr Gönner nichts Gutes im Sinn hatte. Und obwohl sie am liebsten aufgesprungen und fortgerannt wäre, wollte sie abwarten, bis Huntington seine Karten auf den Tisch gelegt hatte.
»Sie sollten Ihre Skepsis beiseitelegen, Miss Beaver. Auch um ihres Jungen willen.«
»Er heißt Tim!«
»Tim. Sicher …« Huntington seufzte und straffte sich. »Mir ist nicht entgangen, dass die Bürger von Prescott Sie schneiden. Für die Frauenbewegung sind Prostituierte ein rotes Tuch. Und so weit ich weiß, hat man Ihnen auch den Besuch unserer Kirche verboten. In den Grocery Stores bedient man Sie nur widerwillig, und das alles, weil niemand die Umstände Ihres tragischen Daseins erkennt …«
Jessica schürzte die Lippen und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Ich bin verblüfft, dass Sie sie kennen. Und wenn Sie jetzt nicht auf der Stelle mit der Sprache herausrücken, was Sie wirklich von mir wollen, stehe ich auf und gehe!«
Huntington schrak zusammen. »Nein! Bitte warten Sie!« Überstürzt war er aufgesprungen und hatte sich halb über den Tisch gelehnt. »Lassen Sie mich erklären.« Ein knapper Blickwechsel mit Jessica genügte, um seinen inneren Aufruhr abklingen zu lassen.
»Reden Sie!«, forderte die junge Frau ihn auf.
Bange Sekunden vergingen, ehe Willard Huntington das Wort ergriff. Offenbar musste er sich erst zurechtlegen, was er sagen wollte. Dann aber spannte er seine hübsche Begleitung nicht länger auf die Folter. »Kaum ein Mensch in der Stadt wird mich für einen Wohltäter halten«, begann er. »Außer einem bescheidenen Almosen für die Restaurierung der Kirche habe ich für die Gemeinschaft keinen nennenswerten Beitrag geleistet. Ich horte mein Geld und sehe ihm dabei zu, wie es sich vermehrt …«
»So hört man es allerorten«, konnte sich Jessica Beaver eine Zwischenbemerkung nicht verkneifen.
»Bitte, Miss«, presste Huntington hervor, »machen Sie es nicht noch schlimmer für mich. Es fällt mir schon schwer genug, Ihnen gegenüber mein Innerstes nach außen zu kehren …« Nach einer kleinen Pause nahm er den Gesprächsfaden wieder auf. »Irgendwann werde ich diese Welt verlassen. Und nichts von dem, was ich auf Erden angehäuft habe, werde ich mitnehmen können. Diese Einsicht ist mir praktisch über Nacht gekommen, und sie hat in mir den Entschluss reifen lassen, meinen Wohlstand mit jenen zu teilen, denen nicht so großes Glück wie mir widerfahren ist.«
Aufmerksam hatte Jessica Beaver gelauscht. Was Huntington gesagt hatte, hörte sich aufrichtig an. Ihre Zweifel, diesen Mann falsch eingeschätzt zu haben, vermehrten sich. »Was haben Sie sich konkret vorgestellt?«, wollte sie wissen. »Und was habe ich damit zu tun?« Keine Sekunde ließ sie Huntington aus den Augen, studierte seine Züge und seine Blicke. Entweder war er ein exzellenter Schauspieler oder ein Mensch, der tatsächlich eine Wandlung durchgemacht hatte.
»Ich will Ihrem Sohn –« Willard Huntington hielt inne und korrigierte sich. »Ich will Tim das Geschenk des Lebens geben. Geld spielt keine Rolle! Ich habe mehr davon, als ich ausgeben kann.« In seine Augen trat etwas Flehentliches. »Bitte, lassen Sie mich ihm helfen …«
Jessica Beaver war perplex. Womit auch immer sie gerechnet hatte – diese Eröffnung war es nicht gewesen. »Ich … ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll …«, stammelte sie schüchtern.
»Sagen Sie ja, Miss Beaver. Sie erleichtern auf diese Weise den Druck auf meiner Seele und geben Tim eine neue Zukunft. – Warum zögern Sie?«
»Ich … ich weiß nicht …«, wiederholte die blonde Frau. »Das alles kommt so plötzlich. Gestern noch stand ich auf der Talsohle, und heute erstürme ich bereits den Gipfel. Es … es ist … wie ein Wunder …«
»Die Welt ist voller Wunder«, bekräftigte Huntington, streckte seine Hand aus und legte sie auf Jessicas Linke. »Solange wir das Staunen darüber nicht verlernen, werden sie uns treu bleiben …«
Mit einem Mal regte sich Widerstand in der Blondine. Ängstlich und mit einer eiligen Bewegung zog sie ihre Hand zurück und legte sie in ihren Schoß. Verschämt senkte sie ihren Kopf und traute sich nicht, Huntington in die Augen zu sehen. Aber da war noch mehr als Befangenheit. Es war das Gefühl einer stetig größer werdenden Bedrohung.
»Bin ich Ihnen zu nahe getreten?«, erkundigte sich der Geschäftsmann. »Körperliche Nähe dürfte Ihnen doch nicht fremd sein.«
»Ich … muss nach Hause«, erwiderte Jessica stockend. »Mein Sohn ist schon viel zu lange allein.« Zaghaft hob sie ihren Kopf an und sah in zwei Augen, in denen Heimtücke und Niedertracht loderten. Trotz all der schönen Worte bekundeten sie Huntingtons wahre Gesinnung.
»Er heißt Tim, nicht wahr?«, fragte der aalglatte Kerl in edlem Zwirn. »Jede Leistung bedingt eine Gegenleistung. Und für Tims Leben fordere ich Ihre Hand, Miss Beaver!«
Das hatte gesessen! Jessica Beaver spürte einen Kloß in ihrem Hals, wollte sprechen, brachte aber keinen Ton heraus. Fassungslos starrte sie Huntington an, der lediglich hintergründig lächelte. Als der Kellner erschien, um die Bestellung aufzunehmen, scheuchte sie ihn mit einer unwirschen Handbewegung fort.
»Sie scheinen ein wenig erregt zu sein«, stellte Willard Huntington fest. »Ich biete Ihnen ein Leben im Luxus an, und das Einzige, was Ihnen dazu einfällt, ist, mich mit Verachtung zu strafen?« Er rieb über sein Kinn und faltete anschließend die Hände vor sich auf dem Tisch. »Ich frage mich, was Tim wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass Sie sein Leben achtlos wegschmeißen.«
»Verdammt!«, kam es krächzend über Jessicas Lippen. Sie räusperte sich, rang um ihre Fassung und setzte zu einer gnadenlosen Abrechnung an. »Für einen Augenblick habe ich tatsächlich geglaubt, dass Sie ein ehrenwerter Gentleman sind. Aber Sie können nicht raus aus Ihrer Haut! Sie spielen den Geläuterten, aber Sie sind immer noch ein Tycoon, der eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung aufstellt und nur auf seinen Profit aus ist! Wie alle Menschen sehen Sie in mir die Hure! Doch Sie haben sich eine besonders widerwärtige Form der Bezahlung ausgesucht!
Ich werde niemals die Frau eines verlogenen Bastards, wie Sie einer sind! Ich werde mich durchschlagen, ganz ohne Ihre selbstlose Hilfe! Und ich werde Tim geben, was er benötigt, und mich nicht zur Sklavin eines machtbesessenen Schmeichlers machen, der in einer Frau nur eine Trophäe sieht!«
Huntingtons Finger krallten sich ineinander. Die Gelenke knirschten. »Ist das Ihr letztes Wort?«, fragte er kühl.
Anstelle einer Antwort sprang Jessica Beaver auf, rückte ihren Stuhl zur Seite und wandte sich zum Gehen.
»Auf ein Wort noch, Miss Beaver«, rief Willard Huntington ihr nach. »Mit einer Abweisung kann ich nur schlecht umgehen. Falls Ihre Entscheidung endgültig ist, sehe ich mich leider gezwungen, meinem Wunsch ein wenig Nachdruck zu verleihen.«
Mitten im Speisesaal war Jessica stehen geblieben. Die Drohung pochte dumpf in ihren Ohren. Ringsum sah sie die verächtlichen Blicke, die ihr von einigen Gästen zugeworfen wurden. Doch jedes Zugeständnis, das sie Huntington machen würde, betrachtete sie als Verrat an sich und ihrem Sohn.
Energisch ballte sie ihre Fäuste und fühlte das Zittern in ihren Muskeln. Sie wollte nicht klein beigeben. Jetzt weniger als zuvor.
Ihre Züge verzerrten sich und zeigten die ganze Verachtung, zu der sie einem Menschen gegenüber fähig war. Flüchtig drehte sie sich ein Stück zur Seite, spuckte für Huntington deutlich sichtbar aus und schritt auf den Ausgang des Restaurants zu.
Empörtes Raunen hallte ihr nach, doch es kümmerte sie nicht. Sie war es gewohnt, verachtet zu werden, da machten ihr die Ausrufe einiger Spießbürger auch nichts mehr aus.
Huntingtons Warnung allerdings durfte sie nicht auf die leichte Schulter nehmen. Indes, es blieb ihr keine andere Wahl als abzuwarten, was er ihr antun würde. Kampflos jedoch würde sie sich nicht geschlagen geben. Und wenn es um ihren Sohn Tim ging, würde sich die Dirne in eine erbarmungslos streitende Löwenmutter verwandeln.
***
»Señor! Madre de Dios! Ein Lebenszeichen! Endlich!«
Lassiters Bewusstsein tauchte aus tiefsten Tiefen empor. Unendlich weit entfernt schienen ihm die Worte, und doch besaßen sie die Kraft, ihn aus dem Vergessen aufsteigen zu lassen.
Doch das Leben, das ihn empfing und nur noch an einem seidenen Faden hing, war grausam. Der Schmerz, dem er entronnen zu sein glaubte, meldete sich machtvoll zurück und drohte, ihn erneut in jene Abgründe zu katapultieren, denen er gerade erst entkommen war.
Leben oder Sterben? Warum sollte er den Frieden gegen den Krieg tauschen?
»Kommen Sie zu sich! Sagen Sie doch etwas! Bitte, Señor! Meine Gebete dürfen nicht umsonst gewesen sein!«
Die Qual wollte Lassiter zerreißen. Es fühlte sich an, als wäre sein Körper in der Mitte durchtrennt worden. Auf dem schmalen Grat zwischen Wachen und Ohnmacht wandelnd, versuchte er sich zu erheben, sackte aber nach den ersten Zentimetern aufstöhnend zurück. Nur allmählich klärte sich der Blick des Agenten, und er war vorerst gezwungen, seine Umgebung durch Tasten wahrzunehmen.
Seine Hände glitten über groben Stoff, der in eng gewickelten Bandagen von seiner Taille an aufwärts reichte. Feuchtigkeit setzte sich auf Lassiters Fingerkuppen ab, und er musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass es Blut war.
»Sie müssen sich schonen! Sie sind schwer verletzt!« In der Stimme des Fremden schwang Angst mit. Der Mann hatte beruhigend auf Lassiter einwirken wollen, damit aber nahezu das Gegenteil erreicht. In dem Brigade-Agenten brodelte es, und er setzte erneut dazu an, sich aufzurichten.
Dieses Mal schaffte er es so weit, sich zumindest auf einen Ellbogen stützen zu können. Obwohl in seinen Gedärmen der Schmerz wütete, biss er die Zähne zusammen und ignorierte ihn. Vor seinen Augen flimmerten grelle Punkte; sein Kopf drohte zu explodieren. Das Hämmern zwischen seinen Schläfen war wie die Schockwirkung seines Körpers auf die schier übermenschliche Anstrengung.
»Wo bin ich?«, quollen die Worte gequält über Lassiters Lippen. »Wer sind Sie?«
»Ramirez«, sagte der Angesprochene. »Antonio Ramirez.« Voller Furcht sog er die Luft ein. »Ich bin der Pastor unserer kleinen Gemeinde.«
Lassiter fiel es schwer zu antworten. Ganz gleich, in welche Position er sich drehte, gelang es ihm nicht, seine Schmerzen zu mildern und sich zu entkrampfen. »Einen besseren Ort hätte ich in meiner Lage wohl nicht finden können …«
»Ihren Verletzungen nach zu urteilen, wurden Sie von einer Schrotflinte erwischt«, erklärte Ramirez, legte seine Hände auf Lassiters Schultern und drückte ihn sanft zurück auf sein Ruhelager. »Die Engel müssen über Sie gewacht haben, dass Sie noch am Leben sind.«
»Wie schlimm ist es?«, erkundigte sich Lassiter und quittierte die neuerliche Schmerzenswoge mit einem abgehackten Ächzen.
Alfonso Ramirez gab nicht sofort Antwort. Offenbar überlegte er, wie er dem Verwundeten die Wahrheit so schonend wie möglich beibringen konnte. Schließlich meinte der Padre: »Ich bin kein Arzt und habe Sie so gut ich konnte versorgt. Aber …«
»Dann holen Sie einen Arzt!«, stieß Lassiter hervor und bereute im selben Moment seine Unbeherrschtheit. Einer Stichflamme gleich schoss der Schmerz durch seinen gesamten Leib und trachtete danach, ihn in die Bewusstlosigkeit zu schleudern.