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Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2395, 2396 und 2397.
Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!
2395: Hinterhalt im Death Valley
Die tödliche Fracht verließ das Death Valley um fünf Uhr morgens. Sie war in schlichten Holzkisten verpackt, die das Emblem der Harmony Borax Works trugen und bereits tags zuvor in Mojave eingetroffen waren. Die Männer luden das Frachtgut schweigend auf und schlugen sich danach den Staub von den Händen. "Hickory Point", sagte der Vormann und nickte dem Gleiswart zu. "Montana. Wie besprochen."
2396: Stone Creek Lady
Lassiters Augen verengten sich zu Schlitzen, als er drei Männer bemerkte, die im Schatten der Vordächer über den Sidewalk schlenderten. Es war nicht nur die auffällige Unauffälligkeit, mit der sich die Burschen auf die Western Union Bank zubewegten, die am Ende der Mainstreet in der drückenden Mittagshitze lag. Ihm kam auch die markante Visage des Mannes, der den anderen beiden um zwei Schritte vorausging, verdächtig bekannt vor.
2397: Zum Töten verdammt
Mit verschlossener Miene saß Lassiter im Saloon von Westerville, in der Linken ein Glas Whiskey, in der Rechten das Hilfegesuch von Marshal Jackson Hobbs. Die Brigade Sieben hatte es ihm im genauen Wortlaut telegrafisch übermittelt, dazu eine Kurzbeschreibung des Mannes, den der Brigade-Agent in die Obhut des Gesetzes überführen sollte. Rabid Joe, las er in Gedanken den Namen des Gesuchten, war offenbar ein Kerl, den man nicht umsonst als tollwütig bezeichnete.
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Seitenzahl: 397
Veröffentlichungsjahr: 2022
Jack Slade
Lassiter Sammelband 1838
Cover
Impressum
Hinterhalt im Death Valley
Vorschau
Hinterhalt im Death Valley
Die tödliche Fracht verließ das Death Valley um fünf Uhr morgens. Sie war in schlichten Holzkisten verpackt, die das Emblem der Harmony Borax Works trugen und bereits tags zuvor in Mojave eingetroffen waren. Die Männer luden das Frachtgut schweigend auf und schlugen sich danach den Staub von den Händen.
»Hickory Point«, sagte der Vormann und nickte dem Gleiswart zu. »Montana. Wie besprochen.«
Die Dampflokomotive blies eine helle Qualmwolke in die Luft und setzte sich mit vibrierenden Zylindern in Bewegung. Sie rollte in die flimmernde Hitze hinaus, die aus dem benachbarten Death Valley herüberwehte, als wäre sie der Atem eines zornigen Engels.
Der Gleiswart füllte die Frachtpapiere aus und setzte zögernd sein Signum darunter …
Die stechende Nachtkälte in den Lungen des alten Burt Pierson fühlte sich wie ein verdammter Sack Glasscherben an, dem man dem Schafszüchter zwischen die Rippen gekippt hatte. Der Alte atmete rasselnd und stoßweise und hatte dabei solche Schmerzen, dass er die blutig gekratzten Ekzeme auf seinen Armen vergaß.
Noch fünfzig Yards …
Er rannte den schmalen Höhenweg unter dem Absaroka-Massiv entlang, der Piersons Schafsranch mit den restlichen Bauten von Hickory Point verband. Der nahe Elephanthead Mountain lag im blassen Mondlicht und thronte wie ein Geist über der Gebirgssiedlung. Die Schafe zogen manchmal die ganze Westflanke des Berges hinauf und grasten einige Tage auf den fetten Wiesen, die sich dort erstreckten.
Die Herde würde Pierson am meisten vermissen.
Dass es mit ihm dem Ende zuging, wusste er schon seit dem Tag, an dem die Magenschmerzen gekommen waren. Sie hatten sich wie geschmolzenes Blei in seinem Bauch angefühlt. Einen ganzen Morgen hatte Pierson auf dem Abort verbracht, Stunde um Stunde mit Krämpfen und üblen Fürzen. Er hatte damals geglaubt, dass er außer seiner Notdurft auch seinen Verstand verlieren müsste.
Niemand hatte die Pierson Ranch seither besucht.
Er war eingesperrt gewesen in diesem Loch von einem Tal, das er seit zwanzig Jahren bewohnte und in dem er jeden Winkel kannte. Er hatte krepieren wollen. Er wäre gern an diesem einen Morgen gestorben, als sich sein Lokus mit etwas gefüllt hatte, über das er lieber mit niemandem sprach.
Noch dreißig Yards …
Für einige Momente sah Pierson die unschuldigen Augen seiner Schafe vor sich, die ihn angeglotzt hatten, als er vom Donnerbalken gekommen war, angeglotzt wie naive Kinder. Sie hatten gespürt, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Sie hatten auf ihn gewartet, waren von der Weide in den Hof gelaufen, hatten sich an den Zäunen aufgereiht wie verfluchte Schulknaben.
Wenigstens für die Schafe war gesorgt.
Er hatte schon vor Jahren mit Matthew Deverton gesprochen, der weiter oben am Elephanthead Mountain Esel und Maultiere züchtete, und von ihm das Wort bekommen, dass er sich Piersons Herde annahm, sollte ihm etwas zustoßen.
Noch zwanzig Yards …
Die Häuserschar von Hickory Point tauchte hinter dem Felsvorsprung auf, und Pierson wunderte sich einmal mehr darüber, wie viele arme Seelen in dieser Siedlung zusammengefunden hatten. Von zwanzig Leuten waren sie binnen eines Jahrzehnts auf fünfzig in der Zahl gewachsen, von denen die Hälfte als Holzfäller für Sam Mullins’ Sägemühle schuftete.
»Sursey!«
Mit kräftigen Fausthieben hämmerte Pierson gegen die Tür des Apothekers Anthony Sursey und trat einen Schritt zurück. Er starrte zu den dunklen Fenstern über ihm hinauf und schlug erneut die Fäuste gegen das Türholz.
Wenig später flammte in der Apotheke ein Lichtschein auf.
Von den wenigen Menschen, denen Pierson in Hickory Point vollkommen traute, war Sursey derjenige, der dem Schafzüchter am nächsten stand. Sie hatten gemeinsam einen Sommer lang Lämmer geschlachtet, als Pierson keine gescheiten Tagelöhner gefunden hatte. Von den Fellen hatte Pierson dem Apothekenbesitzer zehn oder fünfzehn überlassen, jedenfalls weit mehr, als es die Gefälligkeit erfordert hatte.
»Jesus Christus!«
Aus Surseys flachem und fast knabenhaftem Gesicht sprach das Entsetzen, kaum dass der Apotheker die Tür aufgeschlossen hatte. Er ließ Pierson eintreten und schob ihn in die Kammer mit den Arzneivorräten, in der neben prall gefüllten Regalen auch ein Tisch und eine Pritsche standen. Unter seinen raschen Handgriffen klirrten die Gläser auf den Regalböden.
»Sursey«, flüsterte Pierson und streckte sich der Länge nach auf der Pritsche aus. Es tat gut, sich nach dem kräftezehrenden Aufstieg hinzulegen. »Es ist zurückgekommen … Es ist schlimmer geworden.«
Die besorgte Miene seines Freundes erschien über Piersons Haupt und bekam einige Sekunden lang etwas Väterliches. Die Männer starrten sich ernst und beklommen an.
»Du hast die Salbe hoffentlich genommen?«, fragte Sursey mit seiner sonoren Stimme, die stets eine gewisse Strenge hatte. »Nicht wie mit den Pillen, die ich dir verschrieben habe? Du hast die Salbe auf die Wunden geschmiert?«
»Jeden verdammten zweiten Tag!«, verwahrte sich Pierson und hustete. Er spürte bittere Magensäure im Hals. »Du hättest mich sehen sollen! Sogar auf den Arsch hab’ ich’s mir geschmiert!«
Der Anflug eines Lächelns huschte über Surseys Züge, wich aber sogleich wieder Besorgnis. Der Apotheker bettete Pierson auf zwei Kissen und betrachtete die Ekzeme auf dessen Haut. »Die Haut ist fast weggefressen, Piers. Ich werd’ dich nach Livingston bringen müssen.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist mir ein Rätsel … Es ist ein scheußliches Rätsel.«
Die Schmerzen in Piersons Armen nahmen zu und lähmten den Schafzüchter einige Minuten lang. Er rang um Luft und sah ängstlich zu Sursey, der vor seinem Arzneiregal stand und Etiketten miteinander verglich. Von einem Moment zum nächsten sah Pierson seine Schafe vor sich.
Die Herde schob sich gemächlich durch die Morgendämmerung.
Von den Rücken der Tiere stob glitzernder Staub auf, der durch die kühle Luft tanzte und im ersten Sonnenschein zu Lichtfunken wurde. Die Lämmer blökten und rannten ihren Müttern hinterher.
»Pierson?«, rief Sursey aus großer Ferne. »Pierson? Was hast du?«
Dann verschlang Schwärze die Schafherde.
☆
Über den Lauf des Yellowstone River breitete sich warmer Sonnenschein, als Lassiter seiner Geliebten die Bluse ausknöpfte und mit beiden Händen unter den Stoff glitt. Er hatte Lilian vor einer Stunde am Bootssteg kennengelernt und beschlossen, dass er den halben Tag bis zu seiner Zusammenkunft mit Mittelsmann Bob Haley in Gesellschaft verbringen wollte.
Offenkundig hatte Lilian nichts dagegen einzuwenden.
Die Flusswäscherin war eine rassige Frau mit pechschwarzem Haar, lockerem Mundwerk und perlweißen Zähnen, die meist zu einem Lächeln entblößt waren. Sobald sie jedoch die Augen niederschlug, wirkte Lilian verletzlich wie eine Nymphe.
»Du bist einer von diesen Kerlen, nicht?«, flüsterte Lilian und blickte Lassiter durch das wiegende Ufergras hindurch an. »Einer von den Kerlen, die den Frauen das Blaue vom Himmel versprechen.«
Der Mann der Brigade Sieben zog ihren Kopf zu einem Kuss heran und sagte nichts. Er versprach nicht unbedingt das Blaue vom Himmel, konnte jedoch ebenso wenig mit der Wahrheit dienen. »Nein, Kleines, ich sage nur, was ich denke.«
Lilian stöhnte unter seinen sanften Berührungen auf. »Und was denkst du? Dass du mich ins Gras drücken und vögeln willst?« Ihre Hand glitt zwischen seine Beine. »Oh, ich weiß, was du denkst.«
Binnen Sekunden fanden sie sich in einer stürmischen Umarmung wieder und zogen sich bis auf das Unterzeug aus. Sie achteten nicht länger auf die Fischer, die in ihren Kähnen den Fluss hinunterruderten und sich in Abständen etwas zubrüllten. Sie glichen plötzlich ausgehungerten Bestien, die übereinander herfielen.
»Willst du’s?«, keuchte Lilian und starrte Lassiter aus ihren grünen Augen an. Sie verzog den Mund und legte den Kopf schief. »Ich meine, wir kennen uns kaum. Ich will nicht sagen, dass es mich stört, aber …« Sie glitt mit den Fingerspitzen an Lassiters Oberkörper hinauf. »Mich stört’s nicht.«
Voll Leidenschaft drückte Lassiter den schlanken Leib der Wäscherin ins Gras und bedeckte ihre vollen Brüste mit Küssen. Sie leuchteten ihm wie weißer Marmor entgegen, und als Lilian sich zur Seite drehte, um seine Hand an sich zu ziehen, bildeten sie eine tiefe Mulde, deren Anblick Lassiter beinahe um den Verstand brachte.
»Nimm mich!«, wisperte Lilian und drückte den Hintern gegen seine Lenden. »Gleich so, hier im Gras … von hinten … A tergo … So nennen’s die Mädchen in der Stadt.«
Ohne Zeit zu vergeuden, packte Lassiter Lilians Hüften mit beiden Händen und stieß zu. Er hatte zu lange auf ein Weib verzichten müssen, ganze fünf Monate, und jetzt brachen alle Dämme.
»Härter!«, murmelte Lilian und vergrub das Gesicht zwischen den Händen. Sie schämte sich ihrer Lust nicht länger, wie sie es zu Anfang getan hatte. »Gib’s mir, mein Guter! Ich brauch’s genauso wie du! Schone mich nicht!«
Das Ufergras schlug hart gegen ihre Schenkel, als Lassiter noch fester zustieß und die Hand in Lilians schwarze Locken grub. Er zog ihren Schopf an sich heran und ließ ihn eine Weile später wieder los. Er vernahm Lilians Stöhnen, das wild und zornig geworden war und nach reiner Wollust klang.
»Kommt’s dir schon?«, wisperte Lilian in zitterndem Ton. »Wage es dir bloß nicht, jetzt schon zu kommen! Ich bin auf dem besten Wege! Lass nicht nach!« Sie krallte die Hände um seine Handgelenke. »So ist’s gut, ja! So ist’s gut!«
Allmählich mussten auch die Fischer auf dem Fluss begreifen, was in dem Grasstreifen vor sich ging, der unterhalb der letzten Häuser von Livingston bis ans Wasser reichte. Sie pfiffen einige Male anzüglich und widmeten sich danach wieder ihrer Arbeit.
Plötzlich drückte Lilian den Rücken durch und richtete sich auf.
Sie warf den Kopf mit den schwarzen Locken herum, führte Lassiters rechte Hand an ihre Hinterbacken und biss sich zugleich auf die Unterlippen. Durch ihren Körper ging ein Schauer, ein Zittern der Ekstase, das von ihrer zuckenden Scham ausging und sich in jeden Winkel ihres Leibs fortpflanzte. Sie seufzte leise und schob ihren Hintern auf Lassiters Pint auf und ab.
Dann gelangte auch Lassiter zum Höhepunkt.
Er sank neben Lilian ins Gras und wischte sich erschöpft den Schweiß aus dem Gesicht. Er blickte die Flusswäscherin an und lächelte schweigend.
»Hast du schon genug?«, fragte Lilian und fuhr ihm mit einer Hand durchs Haar. Sie legte sich nackt neben ihn und starrte blinzelnd in den wolkenlosen Himmel. »Ich könnte es den ganzen Tag mit dir treiben.«
Unwillkürlich musste Lassiter an das Telegramm in seiner Jackentasche denken, das ihm der Hoteleigner in Bozeman überbracht hatte. Es war nur eine Stunde zuvor aus Washington gekommen und enthielt die Anweisung, dass Lassiter sich binnen zweier Tage nach Livingston zu begeben hatte.
»Oder willst du fort?« Lilian wandte ihm den Kopf zu. »Noch heute? Oder bleibst du?«
»Ich muss zu John Berkley«, erwiderte Lassiter und streichelte Lilians unbedeckte Schulter. »Es geht um Geschäftsangelegenheiten.«
»John Berkley?«, fragte Lilian und runzelte die Stirn. Sie zog ein Bein an und bedeckte ihre nackte Scham mit dem Mieder. »Dem Flussinspektor Berkley? Ich kenne ihn. Er ist ein guter Mensch.«
Ob Berkley anständig war oder nicht, konnte Lassiter gleich sein. Er würde über den Mittelsmann lediglich seinen bevorstehenden Auftrag entgegennehmen. »Wo finde ich ihn? Er wird mich bereits erwarten.«
Zwei schwarze Locken verdeckten eine Hälfte von Lilians Antlitz. »Er hat ein Büro drüben bei den Frachtstegen. Ich kann dich hinbringen, wenn du möchtest.« Sie lächelte ihn an. »Aber das kostet dich etwas.«
Der spielerische Ernst seines Gegenübers verriet Lassiter, dass es Lilian nicht um Geld dabei ging. Sie hatte etwas Lustvolleres im Sinn. »Tatsächlich? Was verlangst du für eine solch kleine Gefälligkeit?«
»Viel zu viel«, kicherte Lilian und rutschte an ihn heran. »Ich schätze, du kannst mir gar nicht so viel zahlen, wie ich verlangen möchte.«
Zart glitt ihre Hand über Lassiters Arme und wanderte zu seinem Hals hinauf. Er neigte den Kopf und küsste Lilians Fingerspitzen. »Ich zahle den Betrag, der notwendig ist. Auf Heller und Pfennig.«
Mit einem Satz war Lilian über ihm und küsste ihn gierig. Sie schob ihre Hand zwischen seine Beine und fasste kraftvoll zu. »Zahltag, Mr. Lassiter. Ich will meinen Lohn im Voraus.«
☆
Die Yellowstone River Commission war in einem doppelstöckigen Steinbau untergebracht, der sich in unmittelbarer Nähe jener Stege befand, an denen meist in den Morgenstunden die Frachtkähne beladen wurden. Sie verfügte über eine größere Bibliothek, in der Rechnungsbücher und Flusschroniken aufbewahrt wurden, und einen großzügigen Salon, der mit Möbeln aus rötlichen Padouk-Hölzern ausgestattet war.
»Korallenholz«, sagte John Berkley und wies mit sichtlichem Stolz auf das Mobiliar. »Wir bekamen es vor zwei Jahren aus Französisch-Afrika. Es ist ungemein selten und der rechte Trost an einem gottverlassenen Ort wie Livingston. – Zigarre?«
Der Mann der Brigade Sieben lehnte mit einem Kopfschütteln ab und nahm vor Berkleys Schreibtisch Platz. Der Flussinspektor war ein klein gewachsener Mann mit abstehenden Ohren und einem akkurat getrimmten Bürstenschnitt. »Ich bekam in Bozeman ein Telegramm. Sie sollten einen Auftrag für mich haben.«
Widerwillig riss sich Berkley von seinem afrikanischen Mobiliar los. Er zündete seine Zigarre an. Als er einige Züge gepafft hatte, schüttelte er das Zündholz aus und setzte sich. »Sie sind offenbar kein Mann für die eitlen Dinge des Lebens, Mr. Lassiter. Ich wurde darüber in Kenntnis gesetzt, dass Sie dennoch einer unserer besten Leute sind.«
»Ich erfülle nur meine Pflicht«, entgegnete Lassiter in ruhigem Ton. »Die Pflicht für unser Land und unseren Präsidenten.«
»Präsident Cleveland wäre gerührt«, meinte Berkley und lächelte selbstgefällig vor sich hin. »Womit wir bereits bei Ihrem Auftrag wären. Es geht um eine heikle Angelegenheit aus Clevelands höchst privatem Leben.«
Der Mann der Brigade Sieben beugte sich erstaunt nach vorn. »So weit ich weiß, ist Präsident Cleveland als Junggeselle ins Amt gegangen. Es dürfte noch nicht allzu viele private Sorgen für ihn geben.«
»Er könnte krank sein«, gab Berkley zur Antwort und zog die Brauen hoch. »Oder ein Geschwür im Nacken tragen. Oder dem Alkohol verfallen sein.«
»Nichts davon würde die Brigade Sieben erfordern«, konterte Lassiter. »Es muss eine Sache von nationaler Bedeutung betreffen.«
Berkley lächelte abermals und stand von seinem Schreibtisch auf. Er trat an seinen Wandschrank, schloss ihn auf und nahm ein braunes Kuvert aus ihm hervor. Es war gesiegelt und trug im Wachs das Emblem des Justizministeriums. »Die Rätselei führt zu nichts. Ich werde Ihnen sagen, worum es geht.«
Das Kuvert landete mit einem klatschenden Geräusch auf dem Schreibtisch und rutschte bis zu Lassiter. Es war fingerdick mit Papieren gefüllt.
»Hickory Point«, verkündete Berkley und forderte Lassiter stumm zum Öffnen des Kuverts auf. »Ein kleines Gebirgsdorf in Montana, nahe dem Elephanthead Mountain. Es wäre niemandem bekannt, hätte sich Cleveland nicht mit einem Mädchen aus dem Dorf eingelassen.«
Langsam fuhr Lassiter mit dem Daumennagel unter die Lasche des Kuverts und riss den Umschlag auf. Er zog den Stoß Papiere heraus, der sich darunter befand. »Eine Geliebte?«
»Nicht mehr als eine Spielerei«, entgegnete Berkley und verdrehte die Augen. Er wurde nicht liebenswürdiger dadurch. »Das Mädchen ist ihm auf einer Reise durch den Staat begegnet. Ihr Name ist Anna Sursey. Sie ist die Tochter des hiesigen Apothekers.«
Der oberste Papierbogen zeigte die hastig angefertigte Zeichnung einer jungen Frau, die mit ihren geflochtenen Haaren und der Perlenkette eher in eine gehobene Abendgesellschaft als in die Berge Montanas gepasst hätte. Sie hatte eine gerade Nase und eine hohe, fast männliche Stirn.
»Was ist mit dem Mädchen?«, fragte Lassiter und betrachtete die Informantenberichte, die sich unter der Zeichnung befanden. Sie bestanden vorwiegend aus den üblichen Lageschilderungen. »Ist ihr etwas zugestoßen?«
Wieder zeigte Berkley sein überhebliches Lächeln. »Nicht dem Mädchen. Die Dorfbewohner sterben dieser Tage wie die Fliegen. Sie leiden an schweren Hautekzemen, Magengrimmen und Herzfieber.« Er presste die Lippen zusammen. »Seit vergangenem Herbst hat Hickory Point zehn seiner Bewohner verloren.«
»Gibt es eine Seuche?«, fragte Lassiter und blätterte den Blätterstoß nun rascher durch. Er stieß auf ein Arztprotokoll, das die Leiden eines Sterbenden beschrieb. »Sind nur Leute aus dem Dorf betroffen?«
»Ausschließlich«, bekräftigte Berkley und nickte ernst. Er wies mit der Hand auf den Umschlag. »Es gibt einen Kutscher, der uns erzählt hat, dass er vierzig Fässer Tran nach Hickory Point gebracht hat. Er ist vier oder fünf Kranken begegnet und säuft seinen Bourbon noch immer aus derselben Flasche.«
Die Schilderungen der Ärzte bestätigten Berkleys Worte. Sie befassten sich ausführlich mit den Kranken aus Hickory Point und vermerkten ständig, dass niemand sonst in der Gegend Anzeichen einer ähnlichen Krankheit zeige.
»Sie werden vergiftet«, meinte der Mittelsmann und verschränkte die Arme im Nacken. Er wippte mit dem Kopf. »Jedenfalls glaubt die Brigade Sieben, dass Gift die Ursache ist. Es besteht die Vermutung, dass jemand aus Clevelands engstem Kreis die Liaison zu Anna Sursey fürchtet, weil das Mädchen großen Einfluss auf die Arbeit des Präsidenten erlangen könnte. Derjenige könne sich an Anna Sursey retten wollen.«
Ein Schreiben aus dem Justizministerium, das Lassiter unter den Papieren fand, äußerte eine gleichlautende Vermutung. Es war von Clevelands Stabschef abgefasst und mit dem Vermerk »Höchst geheim!« versehen worden.
»Sie müssen sich diese Schweinerei ansehen«, fuhr Berkley fort und runzelte die Stirn. »Sollte ans Licht kommen, dass jemand aus der Administration von Präsident Cleveland dabei ist, ein Dorf in Montana auszurotten, stünden wir vor einer veritablen Staatskrise. Cleveland ist über diesen Auftrag nicht unterrichtet worden.« Er schwieg einen Moment lang. »Sie sind auf sich allein gestellt.«
Ohne eine Regung schob Lassiter die Papiere in das Kuvert zurück. Er sah Berkley an und erhob sich von seinem Sitz. »Ich bin immer auf mich allein gestellt. Ich muss ungesehen in das Dorf gelangen.«
Die glattrasierten Wangen Berkleys zuckten und verzogen sich erneut zu einem breiten Lächeln. »Sie treten vor Mr. Sursey als Handelsreisender für Pharmaziewaren auf. Ich habe Ihnen entsprechende Dokumente in das Kuvert legen lassen.« Er grinste. »Die Company heißt President’s Best.«
Routiniert klemmte sich Lassiter das Kuvert unter den Arm und griff nach seinem Hut. Er ließ den Blick ein letztes Mal durch Berkleys Büro schweifen.
»Sie finden noch Gefallen daran«, war Berkley überzeugt und stand hinter seinem Schreibtisch ebenfalls auf. »Die Arbeit als Mittelsmann ist einträglich und gestattet mir ein Quäntchen Luxus. Ich hoffe von Herzen, dass Sie für Ihre Mühe ähnlich entlohnt werden.«
»Uns geht es um Gerechtigkeit«, sagte Lassiter. »Die Dollars überlassen wir Anderen.«
☆
Der Dunst aus zermahlenen Holzspänen, der die ratternden Sägegatter der Mullins Sawing Corp. einhüllte, glich einem trübweißen Schleier aus aufstäubendem Mehl. Er lastete wie ein schwerer Vorhang über dem Sägewerk, das sich mit seinen Holzbauten in die Felsnischen östlich des Blacktail Lake duckte. Die zwei Dutzend Tagelöhner, die darin ihre Arbeit verrichteten, stießen Dale Bowell ebenso ab, wie sie ihn faszinierten.
»Hey-yah!«, rief Bowell seinem Pferd zu und galoppierte den Karrenweg zum Sägewerk hinunter.
Die schroffen Gebirgszüge der Absaroka Mountains mit ihren verschneiten Gipfeln waren der größtmögliche Gegensatz zu den sauberen Straßenzügen Washingtons, die Bowell als seine Heimat betrachtete. Er vermisste die Kaleschen und Einspänner, die Rufe der Zeitungsjungen und die nach Stiefelwichse stinkenden Podeste der Schuhputzer. Er sehnte sich das geordnete Leben in der Hauptstadt herbei, die nichts mit einer beängstigenden Wildnis wie dieser gemein hatte.
Nichts mit Sam Mullins.
Der Sägewerksbetreiber hatte sich vor einem guten Jahr an Bowell gewandt, mittels eines ungelenken Briefes, in dem er seine Nöte und Geldsorgen geschildert hatte. Das Sägewerk werfe nicht länger genug ab, seit die Regierung keine Schwellen für die transkontinentale Eisenbahn mehr benötige; es sterbe und sieche vor sich hin, wie auch der Rest des Tales von Hickory Point.
Bowell hatte beim Lesen des Briefes gähnen müssen.
Er hatte sich seit jeher als Bourbon Democrat verstanden, als ein Liberalist und Verfechter des Laissez-faire-Kapitalismus, der in England zu solch großartigem Wohlstand geführt hatte. Er hielt nichts von staatlicher Fürsorge, von Mildtätigkeit, die letztlich die Kräfte des Marktes lähmte und in jene zähe Honigmasse verwandelte, die man in Frankreich als Kommunismus feierte.
»Sir?«
Aus den stiebenden Spänen des Sägewerks trat ein einzelner Tagelöhner und zog die Lederhandschuhe aus. Er musterte Bowell eine Weile und grüßte ihn mit einem knappen Kopfnicken.
»Ich will zu Sam Mullins«, rief Bowell und sah zu den Sägegattern hinüber. »Mullins von der Mullins Sawing Corp.«
Der andere Mann legte die Handschuhe übereinander und wischte sich die verschwitzte Stirn trocken. Er wandte sich halb zum Sägewerk um und deutete den Weg hinunter. »Reiten Sie bis zu den Rückepferden dort unten! Mr. Mullins ist in seinem Büro.«
Nachdem Bowell sich ebenfalls mit einem Nicken bedankt hatte, nahm er die Zügel an und hielt mit wenigen Galoppsprüngen auf die beiden Kaltblüter zu, die für die Männer die Pinienstämme durch das Tal zogen. Sie waren vor einem steinernen Gebäude angebunden, an dem ein rostiges Schild mit der Aufschrift Bureau hing.
Sam Mullins saß allein an seinem Schreibpult.
Er war ein kräftiger Mann mit breitem Schädel und feuerrotem Haar, das kreuz und quer stand und am Rücken in eine dichte Nackenbehaarung überging. Ein Stapel Papiere lag vor dem Sägewerksbesitzer und versperrte ihm die Sicht zur Tür.
»Morgen«, grüßte Bowell und sah sich in der schmalen Kammer um. Sie war karg und zweckmäßig eingerichtet; an der Wand hing ein staubiges Ölgemälde, das den Elephanthead Mountain zeigte. »Mr. Mullins, vermute ich?«
Missmutig schob Mullins den Aktenstapel zur Seite und sah auf. Er wischte sich eine widerspenstige Locke aus der Stirn und musterte seinen Besucher. »Mullins sitzt vor ihnen, Mister. Ich könnte nicht sagen, dass ich auf Sie gewartet hätte.«
Der Kongressabgeordnete grinste und trat auf Mullins’ Pult zu. Er straffte die Haltung und stellte sich vor. »Dale Bowell aus Minnesota. Ich bin gewählter Kongressabgeordneter.«
Die mürrische Miene seines Gegenübers erhellte sich kein bisschen. »Kongress? Was treibt Sie ins windige Montana? Ich kann mich nicht erinnern …« Plötzlich hielt Mullins inne und riss die Augen auf. »Ich erinnere mich doch. Ich schrieb Ihnen einen Brief. Schon vor Monaten.«
»Einen Brief voll Jammereien«, erwiderte Bowell und nickte. »Voll unamerikanischer Jammereien, Mr. Mullins. Ein Kerl wie Sie lässt sich von keinem Bankrott entmutigen. Dieses Land ist groß geworden durch Männer wie Sie.«
»Sie reden daher wie ein Aktienkrämer«, brummte Mullins und erhob sich. »Allerdings haben Sie sich auf ’nen weiten Weg gemacht. Ich führe Sie ein Stück herum, Mr. Bowell.« Er griff nach der Jacke am Haken. »Oder was führt Sie hierher?«
»Einzig das Geschäft«, gab Bowell zur Antwort. »Ich brauche jemanden in Hickory Point, der Lieferungen für mich annimmt. Die Ladungen gingen bisher an die Apotheke von Anthony Sursey.«
Mit einem entnervten Seufzen trat Mullins aus der Tür und stieg die schmale Treppe zum Erdgeschoss hinunter. Er rief dem Schreibmädchen, das Bowell hereingelassen hatte, einen Gruß zu und stieß die Tür zum Hof des Sägewerks auf. »Sursey ist eine Pest für das Tal. Ich kenne ihn. Sie sollten keine Geschäfte mit ihm machen.«
Von den Sägegattern tönte ein solcher Lärm hinüber, dass Bowell kaum sein eigenes Wort verstand. »Sursey macht seit zwei Jahren Geschäfte mit mir. Aber er will die Lieferungen nicht mehr annehmen, die ich ihm schicke. Ich brauche einen verlässlichen Mann mit einem großen Lager.«
Sie betraten den auf schweren Säulen ruhenden Regenschauer über dem vorderen Gatter, der im Takt des ratternden Sägeblatts vibrierte. Die Tagelöhner hatten soeben einen schweren Zedernstamm auf die Lade geschoben und das Blatt in die Senkrechte gedreht.
»Dampfkraft!«, rief Mullins und deutete auf die qualmende Dampfmaschine hinter dem Gatter. Der schwere Kolben der Maschine trieb ein Schwungrad an, das über einen rotierenden Lederriemen die Kraft zum Gatter übertrug. »Vor zwei Jahren hatten wir noch Wasserkraft, aber die verdammte Höllenmaschine bringt die doppelte Leistung. Ich hab’ verfluchte zehntausend Dollar dafür ausgegeben.«
»Ein Grund mehr für uns, ins Geschäft zu kommen.« Interessiert betrachtete Bowell den Riementrieb. »Sie könnten Sursey eines auswischen damit.«
Brüllend winkte Mullins einen Arbeiter herbei und gab ihm eine Anweisung. Als der Tagelöhner davongeeilt war, wandte er sich wieder Bowell zu. »Sursey und ich haben Hickory Point gegründet. Er hat ein Vermögen mit seiner Apotheke da oben gemacht.« Er kniff die Augen zusammen. »Ich werd’ dagegen leer ausgehen.«
»Ich könnte Ihnen fünftausend Dollar im Monat bieten«, schrie Bowell gegen die zischende Dampfmaschine an. »Fünftausend für vier Wagenladungen alle sieben Tag. Sie müssten die Ladung unterstellen und meinem Mann in Hickory Point übergeben.«
»Fünf Riesen?«, übertönte Mullins das Sägegatter. »Für fünftausend leg’ ich Ihnen auch jemanden um!«
Bowell lächelte schmal. »Wird nicht nötig sein.«
☆
Die beiden Maultiere, die John Berkley dem Mann der Brigade Sieben verschafft hatte, taugten keinen einzigen der Dollars, die sie gekostet hatten. Sie waren störrisch, traten auf dem schmalen Gebirgspfad häufig fehl und kamen sich zu allem Überfluss auch noch selbst in die Quere. Sie waren mit schweren Packtaschen beladen, in denen die Phiolen und Arzneigläser klirrten.
»Hoah! Hoah!«, rief Lassiter und dirigierte die Tiere über ein Rinnsal hinweg. Er konnte die wenigen Häuser von Hickory Point in der Ferne bereits erkennen. »Bald habt ihr es geschafft, ihr Streithähne!«
Die Gebirgssiedlung wurde von der steil ansteigenden Felspyramide des Elephanthead Mountain und den ungleich mächtigeren Santa Rita Mountains überragt, die sich wie zwei schützende Arme um das Tal des North Fork Deep Creek legten. Unterhalb der Häuser wand sich ein schmaler Karrenweg durch das abgerutschte Geröll.
Der Kampf mit den Maultieren kostete Lassiter eine gute Stunde.
Erst in den späten Nachmittagsstunden traf er in Hickory Point ein, als die Sonne die Westflanke des Elephanthead Mountain bereits in glühendes Rot getaucht hatte. Vor der Sursey’s Pharmacy band er die Tiere an und stieg die wenigen Stufen zur Apotheke hinauf. Er zog das Schriftstück unter der Jacke hervor, das Berkley für ihn anfertigen und mit dem Stempel des Innenministeriums versehen lassen hatte.
»Mr. Sursey?«
Das Innere des Apothekengeschäfts war ebenso verwaist wie die lange Hauptstraße, die Lassiter hinuntergeritten war. Er hatte einen Holzsammler oberhalb der Stadt gesehen, doch der Mann war im Wald verschwunden, bevor es zu einem Gespräch gekommen war.
»Einen Augenblick, Sir!«
Die Stimme aus den hinteren Räumen der Apotheke klang tief und freundlich, als wäre sie daran gewöhnt, die wartende Kundschaft zu besänftigen. Sie gehörte zu einem hoch aufgeschossenen Mann um die fünfzig, der ein strahlendes Lächeln aufsetzte, sowie er hinter dem Vorhang hervorgetreten war.
»Mr. Sursey, vermute ich?«, fragte Lassiter und warf das Schriftstück auf den Tisch. »Mein Name ist Baxter Greenson. Ich vertrete die Hamilton Pharmacy Co. und möchte Ihnen gern unser Sortiment zeigen.«
»Bei allen Heiligen!«, rief Sursey aus und schlug die Hände ineinander. Er schüttelte den Kopf und betrachtete Lassiter anerkennend. »Sie kommen in dieses gottverlassene Nest, um mir Arznei zu verkaufen! Sie müssen tatsächlich Zutrauen zu Ihren Präparaten haben!« Er kam um die Verkaufstheke herum. »Kommen Sie herüber! Sie sollten etwas trinken, ehe wir über das Geschäftliche sprechen!«
Der Apotheker führte Lassiter zu einer geräumigen Polsterbank in der Ecke, die er offensichtlich zu Beratungszwecken nutzte. Sie stand neben einem Tisch, auf dem verschiedene Salbenproben verteilt waren.
»Wir von Hamilton Pharmacy Co. haben von den Toten gehört«, sagte Lassiter ohne Umschweife. Er nahm gegenüber von Sursey Platz und beobachtete ihn unauffällig. »Die Geschäftsführung ist ausgesprochen betroffen und möchte Ihnen notwendige Arzneien zu einem Rabattpreis zur Verfügung stellen.« Er händigte Sursey das gefälschte Schreiben aus dem Innenministerium aus. »Innenminister Lamar ist über diese Offerte im Bilde.«
Mit gefurchter Stirn ergriff Sursey das Dokument und studierte es. Er hatte die gleichen schmalen, fast hageren Züge wie seine Tochter, die Lassiter von der Zeichnung im Kuvert kannte. »Das Innenministerium kümmert sich um uns? Ich hoffe, dass diese Großzügigkeit nichts mit …« Er sah auf. »Nichts, es ist nichts. Ich will Sie nicht mit privaten Sorgen belasten.«
Respektvoll legte Lassiter die Hände ineinander und beugte sich nach vorn. Er wollte Sursey keine falsche Vertraulichkeit vorheucheln, jedoch auch nicht die Gelegenheit verstreichen lassen, etwas über die Tochter und deren Liebschaft mit Präsident Cleveland zu erfahren. »Ich kenne private Nöte aus erster Hand. Die meisten Apotheken in Montana, Kansas oder anderswo tragen irgendeine Last auf den Schultern.«
»Nicht unsere Last.« Sursey faltete das Papier zusammen und sah mit einem Mal alt und verlebt aus. »Sie … Es geht um meine Tochter. Sie ist mit einem einflussreichen Mann liiert.«
Eine Weile herrschte betretenes Schweigen, bevor Lassiter die Brauen hochzog und sich wieder zurücklehnte. »Die meisten Väter freuen sich über eine gute Partie. Ich schließe daraus, dass der betreffende Mann nicht Ihr Wohlwollen findet.«
»Oh, nein, nein!«, beteuerte Sursey rasch. »Er wäre ein guter Mann für mein Kind, aber ich weiß nicht …« Er seufzte. »Der Verehrer ist mächtig. Ich habe die Furcht, dass Anna, so heißt meine Tochter, in der ganzen Angelegenheit zerrieben wird.«
Draußen vor der Apotheke blökten die Maultiere und rasselten mit der Kette, an der sie angebunden waren. Die belanglosen Geräusche genügten, um bei Sursey Unbehagen auszulösen.
»Lassen wir diese Sache!«, sagte der Apotheker und lächelte hilflos. »Anna hat ihren eigenen Kopf. Sie kommt mich am Abend besuchen, und ich werde mit ihr darüber sprechen.« Er sah Lassiter an. »Es soll Sie nicht beschäftigen, Mr. Greenson.«
»Wie Sie meinen«, lenkte Lassiter ein und zog seine Packtasche heran. Die Brigade Sieben hatte ihm Arzneien gegen Skorbut, Tuberkulose und Lungenschwäche geliefert. »Ich werde Ihnen der Reihe nach zeigen, was wir Ihnen offerieren können.«
Unterdessen starrte Sursey teilnahmslos ins Leere.
»Es sind so viele Tote«, flüsterte der Apotheker unvermittelt. »Sie leiden fürchterlich. Ich muss an Burt Pierson denken.« Er schüttelte stumm den Kopf. »Burt war Schafszüchter unter im Tal.«
Die Maultiere blökten und rasselten abermals mit den Ketten. Durch die Apotheke zog langsam der Staub, den Lassiters Bewegungen aufgewirbelt hatten.
»Kannten Sie den Mann?«, fragte Lassiter und schob die Phiole in die Tasche zurück, die er gerade in der Hand hielt. Er musste herausbekommen, ob Sursey jemanden im Verdacht hatte. »Woran starb er?«
Wieder brauchte Sursey einige Zeit für seine Antwort. Er schlug den Blick nieder und sprach noch leiser als zuvor. »Burt klopfte nachts an unsere Tür. Er war schon die Woche zuvor bei mir gewesen. Der Doc hatte ihn sich angeschaut, und ich habe ihm eine Tinktur für das Ekzem mitgegeben.«
Das Kuvert von Berkley hatte etliche Arztberichte enthalten, in denen von Ekzemen, Vergiftungen und Magenauswurf die Rede gewesen war. An manchen Tagen waren vier Ärzte aus Livingston und anderen Städten in Hickory Point gewesen, die voneinander abweichende Einschätzungen getroffen hatten.
»Wie auch Mrs. Lesley«, fuhr Sursey fort. »Oder Mr. Turson, Mr. Hayer oder Mrs. Sunderson. Sie starben alle gleich.« Er rieb sich die Nasenwurzel mit zwei Fingern. »Keiner weiß, woran es liegt. Die Vergiftungen kommen plötzlich, wie aus dem Nichts. Ich darf und möchte nicht daran glauben, dass jemand solch perfide Morde begeht. Es sind unschuldige Menschen.«
Durch das Fenster fiel glutrotes Sonnenlicht, das unter dem Tisch hindurchstrich und ein Schattenspiel an die Ladentheke warf. Einer der Schatten war die gramgebeugte Gestalt des Apothekers.
»Sie glauben an Mord?«, gab sich Lassiter überrascht. Er faltete wie zuvor die Hände im Schoß. »Wer sollte ein Motiv haben, die Bewohner eines Dorfes in Montana zu ermorden?«
Der Apotheker schaute auf und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Er war beschämt über seine eigene Rührseligkeit. »Sie kennen Hickory Point nicht, Mr. Greenson. Diese Menschen halten zusammen. Sie sind gemeinsam in diese Einöde gezogen. Sie helfen einander.« Er rieb die Lippen gegeneinander. »Bis auf einige Wenige jedenfalls.«
Hinter der Theke erschien Surseys Frau, die im Gegensatz zu ihrem Mann beleibt und voller Leben war. Sie ging bis zu ihrem Mann und legte ihm die Hand auf die Schultern. »Du sollst nicht darüber sprechen, Anthony. Es ist nicht gut für dich.« Sie sah entschuldigend zu Lassiter. »Er ist einer der Gründer von Hickory Point. Es nimmt ihn ungeheuer mit.«
»Sie müssen nicht um Verzeihung bitten«, versicherte Lassiter mit ernstem Gesicht. »Jeder würde angesichts solcher Gräuel betrübt werden. Ich verstehe Mr. Sursey vollkommen.«
Die Gattin des Apothekers wandte sich wieder ihrem Mann zu. Sie flüsterte ihm einige Worte ins Ohr und drehte den Kopf wieder zu Lassiter. »Wollen Sie zum Abendessen bleiben? Unsere Tochter ist zu Gast.«
☆
Durch die Küche der Surseys zog der Duft von aufgewärmtem Maisbrei, als Lassiter in Begleitung von Anthony Sursey über die Schwelle trat. Auf dem Küchentisch standen Teller mit gebratenem Fleisch, angerösteten Nüssen und ein Krug mit Bratensoße. Sursey bot seinem Gast den Platz an der Stirnseite an.
»Wo ist Anna?«, fragte der Apotheker und drehte sich halb zu seiner Frau um. Er wirkte angespannt und fahrig. »Es ist unhöflich, einen Gast warten zu lassen.«
»Sie schreibt noch ihren Brief zu Ende«, erwiderte seine Frau und munterte ihn mit einem sanften Lächeln auf. »Der Brief nach Washington. Ich habe schon nach ihr gerufen. Sie wird gleich bei uns sein.«
Keine Minute darauf erfüllte sich die Prophezeiung.
Die Tochter des Apothekers war von mittelgroßem Wuchs, hatte rotblondes Haar und betrat die Küche so leise, dass es Lassiter fast entgangen wäre. Er legte die Gabel beiseite und erhob sich vom Tisch. Die junge Frau nickte ihm grüßend zu und setzte sich an der rechten Längsseite auf den Stuhl neben ihrem Vater.
»Bist du fertig?«, fragte Sursey und nahm sich vom Fleisch. »Der Herr ist von der Hamilton Pharmacy Co. Er will uns Medikamente für die Kranken in Hickory Point verschaffen.«
Die Frau des Apothekers stellte zwei Karaffen Wasser auf den Tisch, die ein aufwendiges gestaltetes Emblem des kalifornischen Lieferanten trugen. Sie schenkte ihrer Tochter und Lassiter ein Glas voll und setzte sich danach ebenfalls.
»Kalifornisches Wasser«, sagte Sursey und wies mit einem Kopfnicken auf Lassiters Glas. »Wir hatten bis vor wenigen Wochen einen Lieferanten, der es bis hinauf nach Hickory Point brachte. Es gibt nicht viele Annehmlichkeiten in dieser Gegend.«
»Vater!«, ergriff Anna das Wort und blickte Sursey strafend an. Sie hatte eine helle und wohlklingende Stimme. »Du sollst über Hickory Point nicht solche Dinge sagen. Den Leuten in der Stadt geht es gut.«
»Sie sterben wie die Fliegen«, widersprach Sursey und biss von einem Streifen Fleisch ab. »Ich sage euch, es ist Mullins. Er hat den Leuten irgendeine Seuche in die Stadt gebracht.«
Die Blicke von Anna und Surseys Frau richteten sich sorgenvoll auf Lassiter, der sich indes nichts anmerken ließ. Er führte das Gespräch in beiläufigem Ton weiter. »Mullins? Von der Mullins Sawing Corp.? Ich sah sein Schild auf dem Ritt nach Hickory Point.«
»Bretter-Mullins«, meinte Sursey und nickte. »Er ist ein guter Freund von mir gewesen, bis es seinem Sägewerk dreckig ging und meiner Apotheke besser. Er hasst mich und Hickory Point.« Stille kehrte ein. »Obwohl er die Stadt mit mir gegründet hat.«
Ungeduldig rührte Surseys Frau mit dem Löffel die Soße um. »Keinen Handschlag hat er getan, Anthony. Er hat sich nie um die Stadt gekümmert, wie du es getan hast. Er kannte immer nur den Neid.«
»Neid und Missgunst«, sekundierte Anna und starrte auf ihren Teller. Sie hatte ein ebenmäßiges Gesicht mit hervorstehenden Wangenknochen, die ihr die klassische Schönheit einer Aphrodite gaben. »Er könnte uns eines Tages alle töten.«
Die Familie schwieg und setzte das Mahl in strenger Stille fort. Surseys Tochter streifte Lassiter einige Male mit neugierigen Blicken und nahm das Gespräch als Erste wieder auf. »Sie bringen uns Medikamente, Mister? Welche Art von Arzneien? Noch wissen wir nicht einmal, was den Bewohnern von Hickory Point zugestoßen ist.«
»Die Hamilton Pharmacy Co. hat ein Portfolio zusammengestellt«, gab Lassiter zur Antwort. Er zitierte die Anmerkungen, die Berkley ihm zu dem Schreiben aus dem Innenministerium gemacht hatte. »Es ist die gleiche Mixtur an Arzneien, die unsere Gesellschaft auch bei den großen Seuchen in Spanien und Frankreich zum Verkauf gebracht hat. Die Mittel sind bewährt und äußerst wirkungsvoll.«
»Nimm Mr. Greenson nicht länger ins Verhör, Anna«, befahl Sursey und reichte Lassiter die Schale mit dem Maisbrei. »Er will uns helfen, und wir sollten dankbar sein, dass er zu uns gekommen ist.«
Die beiden Frauen schauten einander forschend an, als versuchten sie, die Gedanken der anderen zu erraten.
»Schon gut«, sagte Lassiter mit einem Lächeln. »Ich verstehe Ihre Tochter. Sie will wissen, mit wem sie es zu tun hat.«
»Sie ist unhöflich«, widersprach Sursey verstimmt. »Sie sind unser Gast und nicht unser Gefangener. Eine gemeinsame Mahlzeit ist eine Zusammenkunft von Freunden.«
Der Geruch von verbranntem Mais breitete sich aus, und Surseys Frau stand auf und hantierte mit den Töpfen auf dem Herd. Surseys Tochter ließ Lassiter unterdessen nicht aus den Augen.
»Was wollen Sie wissen, Miss?«, fragte Lassiter und fing gekonnt Annas Blick auf. »Sie müssen sich nicht genieren.«
Die junge Frau schwieg ertappt und stocherte mit der Gabel auf ihrem Teller herum. Einige Minuten verstrichen, ehe sie sich zu einer Antwort durchrang. »Sie müssen eine draufgängerische Natur sein, wenn Sie an einen Ort gehen, an dem Menschen sterbenskrank sind. Es gab einen Doc im Süden, der nicht einmal heraufkommen wollte.«
Sursey reckte den Hals und sah zu seiner Frau. Er furchte die Stirn und legte das Besteck ab. »Was ist los, Sammy?«
Auf dem Gesicht von Surseys Frau zeigte sich ein besorgter Ausdruck. »Dieser Geruch … Er kommt nicht vom Mais. Der Topf ist nicht angebrannt.« Sie fächelte sich mit einer Hand Luft zu und sah zur Tür. »Anthony … Ich fürchte, er kommt vom Laden!«
Ruckartig sprang Sursey von seinem Stuhl auf und marschierte zur Tür. Er sog den Geruch mit der Nase auf, der jetzt ein scharfer und beißender Gestank war. »Verdammt … Dort brennt etwas! Draußen im Laden brennt etwas!«
Die Frauen drehten die Köpfe und bekamen ängstliche Mienen. Sie schauten zu Lassiter, der sich aufrichtete und zu Sursey an die Tür begab.
Der Rauchgestank brannte bereits in der Kehle.
»Wo haben Sie Wasser?«, erkundigte sich Lassiter und stieß den versteinerten Sursey an. »Wir brauchen Wasser, Sir!«
☆
Die Feuersbrunst in Sursey’s Pharmacy tobte wie ein grollendes Flammenmeer, das binnen einer Viertelstunde das von fünf Pfosten gehaltene Vordach gänzlich verschlang und auf die Bretterfassade des Gebäudes übergriff. Das Feuer war über Stunden aus einem Schwelbrand herangewachsen, der unter den hölzernen Planken des Boardwalks gelauert hatte. Die Schaufenster der Apotheke zersplitterten ob der brodelnden Hitze um sie herum.
»Eimer!«, schrie Lassiter und warf Sursey einen leeren Blecheimer zu. »Dort drinnen ist noch jemand! Es ist jemand in der Apotheke!«
Beinahe apathisch hatte Sursey noch vor einer knappen Minute herumgestanden, als sich abgezeichnet hatte, dass jemand im Laden gewesen war. Der Apotheker hatte Lassiter stockend erzählt, dass er die Tür gewöhnlich aufgeschlossen ließ, falls jemand in der Nacht ein Abführmittel oder ein Narkotikum brauchte. Die Kunden schrieben freiwillig bei ihm an, jedenfalls die meisten.
»Sursey!«, brüllte Lassiter und sah nach den restlichen Dorfbewohnern, die sich ebenfalls mit Eimern bewaffnet hatten. Die Männer und Frauen waren selbst im glühenden Schein der Flammen kreidebleich. »Tun Sie etwas! Holen Sie Wasser! Geben Sie den Anderen etwas zu tun!«
Zischend verdunstete ein weiterer Eimer Wasser in der Glut, den Lassiter ins Feuer gegossen hatte. Er hatte noch vier Eimer zur Verfügung, bevor ihm der Nachschub ausging. Die Frau im Inneren der Apotheke hatte matt nach ihm geschrien und war jetzt still.
»Sursey!«, schrie Lassiter zum wiederholten Mal. Er gab dem Apotheker eine krachende Ohrfeige. »Uns geht die Zeit aus! Holen Sie die Leute heran!«
Hinter ihm brachen die Reste des Vordachs in sich zusammen und gingen in einem stiebenden Funkenregen auf. Die Frau hatte hinter dem rechten hinteren Fenster gesessen, bei den Jagdwaffen, die ebenfalls zu Surseys Sortiment gehörten. Lassiter schrie nach ihr und ergriff einen weiteren Eimer Wasser.
Endlich erwachte Sursey aus seiner Starre.
Er wirbelte um die eigene Achse und versorgte die wartenden Dorfbewohner mit leeren Eimern, worauf die Wartenden eilends zum Weiher hinüberliefen. Sie kehrten schwer bepackt zurück, und Sursey schüttete einen der Eimer selbst in die Flammen. »Wo haben Sie die Frau gesehen? Könnte Mrs. Templeton sein! Sie holte sich öfter etwas über Nacht!«
Die Hitze der Flammen trieb Lassiter Tränen in die Augen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und trat mit dem Stiefel gegen einen eingeknickten Pfosten. Ein Dachstück krachte neben ihm auf Erde und zerbrach in zwei Hälften. »Mrs. Templeton! Hören Sie mich! Mrs. Templeton!«
Aus der Apotheke erklang ein gedehntes Stöhnen, aus dem Schmerz und Furcht zugleich sprachen. Die Männer machten hinter der Schaufensterauflage einen Hut aus, dessen Krempe bereits angesengt war.
»Sie ist es!«, rief Sursey und wollte in die Flammen rennen. »Ich muss sie herausholen! Sie ist sechsundsiebzig Jahre alt!«
Energisch hielt Lassiter den Apotheker zurück und riss sich das Hemd vom Körper. Er tränkte es in einem der bereitstehenden Eimer und hielt es sich vor Mund und Nase. »Sie bleiben, wo Sie sind! Bringen Sie Wasser heran! Ich schnappe mir Mrs. Templeton, bevor das ganze Haus in Stücke geht!«
Die Leute aus dem Dorf schrien vor Schrecken auf, als Lassiter sich mit dem Tuch vor dem Gesicht einen Weg in die Apotheke bahnte. Der rotglühende Türstock stürzte unter den Tritten des Mannes der Brigade Sieben in sich zusammen, dann ein Auslagentisch und ein Wagen mit Arzneigläsern.
Die Flammen schufen ein mörderisches Inferno.
Sie züngelten an Lassiters rechtem Bein hinauf, verbrannten ihm die Haut am Ellbogen und gierten nach seinen Haaren. Die Hitze glich einer dröhnenden Wand, die sich dem Eindringling mit aller Macht entgegenstellte.
Dann sah Lassiter Mrs. Templeton.
Sie hatte sich hinter ein Fass voller Winchester zurückgezogen, als das Feuer sie überrascht hatte, und hielt noch ihre Tasche und ihren Gehstock in der Hand. Sie blickte Lassiter aus großen Augen an, die wegen des Rauchs gerötet waren.
Über Lassiter fingen gerade die Dachbalken Feuer.
»Helfen Sie mir!«, ließ sich die dünne Stimme von Mrs. Templeton vernehmen. Sie streckte verzweifelt die Hand nach Lassiter aus. »Ich bekomme … keine Luft! Keine Luft!«
Eine Flammenzunge leckte über die Auslagen vor der Greisin hinweg und verbrannte eine Handvoll Pappschachteln voller Zuckerpillen. Der Brand hatte sich bis zur Theke hindurchgefressen, an der sich Lassiter und Sursery erstmals begegnet waren. Er wütete mit solcher Kraft, dass die Deckenbalken jeden Moment bersten konnten.
»Geben Sie mir Ihre Hand!«, rief Lassiter und trat mit dem Stiefel einen glühenden Balken vor ihm in Stück. Er lief geduckt auf Mrs. Templeton zu. »Kommen Sie, Ma’am! Schnell!«
Die alte Dörflerin klammerte sich an Lassiters Unterarm fest und zog sich mit aller Kraft an ihm herauf. Sie ließ zitternd erst ihre Ledertasche, danach den Gehstock in die Flammen fallen und schrie unentwegt ängstlich auf. Das schlichte, schwarze Kleid, das die Frau trug, war inzwischen grau vor Asche.
Sie hatten es gerade bis vor die Tür geschafft, als die Apotheke hinter ihnen zusammenbrach.
Der mittlere der fünf Querbalken gab zuerst nach und zertrümmerte mit einem stiebenden Funkenschweif die Auslagentische unter ihm. Aus dem Obergeschoss rutschten Möbel und Regale mit Dutzenden Arzneien nach und zerbarsten in den lodernden Flammen.
»Jesus Christus!«, hustete Mrs. Templeton und schleppte sich an Lassiters Arm bis zu Sursey. Der Apotheker nahm die alte Frau in die Arme und ließ sich eine Feldflasche mit Wasser reichen.
Unterdessen stürzten die Reste von Sursey’s Pharmacy zusammen.
Die herabgebrochenen Deckenbalken begruben auch das restliche Interieur unter sich und gaben dem tanzenden Feuer frische Nahrung, das sich gierig über das unversehrte Holz hermachte. Die Bewohner, Sursey, seine Frau und seine Tochter starrten in die Flammen und vermochten sich nicht zu rühren.
»Mullins!«, schrie Mrs. Templeton plötzlich in Surseys Armen. »Es war Mullins, Leute! Sam Mullins! Ich hab’ ihn und seine Leute gesehen!«
Verdutzt riss Sursey den Kopf herum und sah die Greisin an. »Mullins? Es war Mullins?«
Mrs. Templeton hustete und nickte zur gleichen Zeit.
☆
Seit seinen friedlichen Kindertagen auf der Farm seiner Familie im Cortland County hatte Daniel Scott Lamont keinen solch guten Barsch mehr gegessen. Der Privatsekretär von Präsident Grover Cleveland schloss die Augen und ließ sich den Bissen auf der Zunge zergehen. Die Bediensteten trugen ihm und seinem Gast eine weitere Schüssel mit zerlassener Butter auf.
»Sie besitzen einen hervorragenden Geschmack«, meinte Lamont und deutete mit der Gabel auf den Mann, der am anderen Tischende saß. »Ich kenne keinen Menschen, der besseren Fisch anliefern lässt als Sie.«
Geschmeichelt neigte der Angesprochene das Haupt und aß von seinem Teller. Er sah Lamont über den Tisch hinweg an und bat mit einer knappen Geste um das Wort.
»Sprechen Sie, Mr. Bowell!«, rief Lamont amüsiert aus. »Ich bin kein König, und diese Mahlzeit ist keine Audienz.« Er schnitt in den gerösteten Barsch auf seinem Teller. »Wie ist es Ihnen in Montana ergangen?«
Von Bowells Seite war ein schwerfälliger Seufzer zu vernehmen, aus dem Lamont schloss, dass die vereinbarte Operation nicht nach Plan verlaufen war. Er ließ die Gabel mit dem Fisch darauf sinken und schickte das Personal heraus.
Als die Männer allein waren, richtete sich Lamont auf seinem Stuhl auf. Er fixierte Bowell, den er erst seit wenigen Monaten kannte, und strich sich mit zwei Fingern über den Schnauzbart. »Sie können nichts in Weiße Haus kommen und lediglich schlechte Nachrichten im Gepäck haben. Ich hatte eine Menge von Ihnen erwartet.«
»Sie erwarten Unmögliches, Mr. Lamont«, gab Bowell zurück und lehnte sich zurück. Er betrachtete die Ölgemälde, die an den Wänden des State Dining Room hingen. »Ich soll ein ganzes Dorf für Sie zum Teufel schicken.«
Trotz des köstlichen Barsches, den Lamont soeben verspeist hatte, regte sich dunkler Zorn in seinem Magen. Er hatte Bowell mit einem einzigen Auftrag nach Montana geschickt, und kaum war der vermeintliche Bourbon Democrat zurück, musste er sich dessen Zweifel anhören. »Sie kamen auf mich zu, wenn ich mich recht erinnere. Ich gab Ihnen nur die nötigen Anweisungen.«
Der schmalgesichtige Demokrat an der anderen Stirnseite der Tafel verbiss sich sichtlich jeden Unmut. Er schob das Fischmesser und die Gabel zusammen, als wollte er das Essen von seiner Seite beenden. »Ich habe getan, was Sie verlangt haben. Ich frage mich bloß, ob Sie den Präsidenten eingeweiht haben.«
Gleich einer Stichflamme schoss Lamont die Wut in den Hals. Er hatte gewöhnlich mit Gästen zu tun, die sich unterwürfiger verhielten als dieser Emporkömmling aus Massachusetts. »Ob ich mit Präsident Cleveland spreche oder nicht, ist kaum Ihre Angelegenheit, Bowell. Sie sollten dafür sorgen, dass dieses Mädchen und seine Familie aus der Welt kommen.«